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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1986 erschienen.

Die Verbrechen der Russen
SACHAROW

Die Russen schicken einen Staatsfeind nach Gorki.

Wenn die Russen einen erklärten Antikommunisten wie Andrej Sacharow unter staatliche Aufsicht stellen, dann soll man in dieser Justizangelegenheit ein schreiendes Unrecht erblicken - als müßten sich die Russen unbedingt für dessen Hetzreden erwärmen und schleunigst ihr System abschaffen. Originalton Sacharow:

"Die Menschheit steht vor einer Reihe sehr komplizierter Probleme, die ein normales Leben und das Glück kommender Generationen bedrohen, ja sogar das Fortbestehen der Zivilisation. Eine besonders tückische und schwer abzuwendende Gefahr für die fortschrittliche und freie Entwicklung der Menschheit ist die Ausweitung des Totalitarismus. Gerade dieser Gefahr versucht der Kampf um die Menschenrechte entgegenzuwirken...

Aber ich möchte gleichzeitig betonen, daß die Gefahr der Ausbreitung des Totalitarismus ihr Epizentrum in der UdSSR hat und daß man dieses unbedingt berücksichtigen muß." (III, 53 f.)

Was der Erdbebenexperte mit seinen großen Ohren im einzelnen alles erlauscht haben mag, ist ziemlich gleichgültig - seine westlichen Freunde interessiert die Botschaft, daß es im Ostblock knistert. Daß sich Sacharow bis zur phantastischen Konstruktion einer "Weltregierung" verstiegen hat, die hier für Abhilfe sorgen soll, läßt ebenfalls kalt - Hauptsache ist, daß er in Sachen "Menschenrechte" die wichtigsten Stichworte kennt und und abliefern kann. Sacharow hat die paar offiziellen Sprachregelungen der NATO gewissenhaft studiert:

- Afghanistan: "... ein Schlag gegen die Entspannung... Das sowjetische Vorgehen hat dazu geführt (dies war unvermeidlich), daß die Verteidigungsausgaben erhöht und neue kriegstechnische Programme in den größten Ländern verabschiedet werden." (III, 77) Unvermeidlich ist daher die

- Amerikanische Mission: "lch bin sicher, daß die USA - erfüllt von Mut und Entschlossenheit, stark in ihren demokratischen und ethischen Traditionen, reich an wirtschaftlichen und militärischen Machtmitteln, das erste Land des Westens - ehrenvoll die Bürde tragen werden, welche die Geschichte ihren Bürgern und Führern auferlegt hat." (Glückwunschtelegramm an Präsident Carter, I, 72) Was Sacharow hier dem Westen im Namen der Geschichte aufbürdet, sind dessen eigenste

- westliche Sicherheitsinteressen: "Der Westen fürchtet nicht ohne Grund, daß die internalionalen Seewege, das Öl des arabischen Ostens, das Uran, die Diamanten und andere Bodenschätze des südlichen Afrika bedroht sind." (III, 129) Eine Ordnungsmacht muß her! Vorbildlich hier

- Israel und der Zionismus: "...ist die Ideologie nationaler Wiedergeburt des jüdischen Volks nach 2000jähriger Diaspora und richtet sich gegen kein anderes Volk"; "phantastische Rettungsaktion " der Israelis in Entebbe (I, 27). Nicht minder gelungen auch der vom Westen in Gang gesetzte

- Wandel durch Osthandel: "Es wäre ganz und gar unverzeihlich, wenn der Westen diese Sachlage nicht benutzte, um globale Ziele zu erreichen." (III, 42) Eines davon auch die

- Wiedervereinigung: Sacharow ist die "deutsche Frage" geläufig. Aber Vorsicht vor der westlichen

- Friedensbewegung als 5. Kolonne Moskaus: "Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, daß in den Ländern des Westens schon seit langem sehr zielstrebig und klug eine pro-sowjetische Propaganda betrieben wird und daß pro-sowjetische Elemente in viele Schlüsselpositionen eingedrungen sind, insbesondere bei den Massenmedien." (III, 125 f.)

So lauthals, wie sich der 1975 zum Friedenspreisträger des Freien Westens beförderte Sacharow hier als NATO-Berater aufspielt, kann er sich aus der Verbannung in Gorki seit 1980 nicht mehr vernehmen lassen. Das hat ihn schwer verbittert, macht aber insofern nichts, als seine Leidensmiene jedem Westler, der's wissen will, mehr erzählt als die ganze Korrespondenz mit westlichen Führern zusammen. Sacharow ist, wie er herumläuft, der leibhaftige Vorwurf an die russische Adresse. Da kann er gar nicht zerknittert genug aussehen. Noch die albernsten Eskapaden des in der Eitelkeit seines weltumgreifenden Geistes arg gekränkten Mannes werden abenteuerlich hochgejubelt - so z.B. sein querulantes Schreiben an die Staatsanwaltschaft und den Präsidenten der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, in dem er den Verlust seiner Aktentasche als ungeheuerliche Verfolgung geißelt: hierzulande ein Fall für die Psychiatrie, drüben der Aufstand des Gewissens!

Die feindselige Begutachtung der Sowjetunion gefällt sich in ziemlich gewagten Deutungen des Sacharowschen "Kampfes um die Menschenrechte": Da soll sich in der UdSSR das öffentliche Leben rings um die bescheuerte Frage abspielen, was der Regimekritiker in seiner 4-Zimmer-Wohnung treibt. Von den Russen wird kategorisch verlangt, sich anstatt mit ihren eigenen Sorgen mit dem Menschheitsproblem zu befassen, ob der pensionsberechtigte Hetzer in Gorki gut geschlafen und reichlich zu essen hat, wie gesund er ist und was er heute wieder im Einkaufskorb fortträgt. Kurz: Ob man mit 1200 Dollar mietfrei in Gorki angemessen leben kann.

"Da lebt Andrej Sacharow nun in 4 kleinen Räumen: Wohn-, Arbeits-, Schlafzimmer und Küche. Alles lieblos ausgestattet mit billigen Möbelstücken, wie in einer anspruchslosen Hotelunterkunft. Der KGB, der diese Behausung schon vor Sacharows Einquartierung benutzt hatte, besaß sogar die Dreistigkeit, Miete von ihm zu verlangen, ungefähr 10 Rubel im Monat. Natürlich zahlte Sacharow keine Kopeke." (Eine Schwiegertochter im "Stern")

Klar, daß Sacharow von seinen westlichen Sympathisanten schon mehrmals totgesagt oder in "akute Lebensgefahr" versetzt worden ist, z.B. mit eigenen Hungerstreiks, damit immer wieder einmal untersucht werden kann, wieso sich die Sowjetunion an Alten und Schwachen vergreift. Soviel steht schon fest: Rußland macht krank, und wenn unser Mann im Osten einmal wirklich abtritt, dann kann das gar kein natürlicher Tod gewesen sein.

Inzwischen haben sich zahllose Sacharow-Komitees gebildet, um laufend laut "wir sagen nur Sacharow" zu sagen. Der Personenname - wird als westlicher Rechtstitel in Anführungszeichen gesetzt, um dem "Reich des Bösen" zu bedeuten, daß es keine Daseinsberechtigung besitzt. Aus diesem Grund bleiben Politiker und Öffentlichkeit dem fidelen Rentner auf der Spur und sorgen sich um seine Publizität, die ihnen in Rußland stets zu gering ausfällt. Dem muß abgeholfen werden.

Dafür entfaltet die gesamte Sippe lebhafte Aktivitäten. Erst trennt man sich vom Nachwuchs, schickt ihn nach Amerika. Beklagt sich furchtbar über die Trennung, und denen draußen schwant das Schlimmste in Gorki; die Alten hungerstreiken, weil man russischen Ärzten nicht trauen kann. Kaum im Westen, geht Bonner natürlich nicht in das verlauste Krankenhaus von Siena, sondern zum Papst und zum Regierungschef. Eine Woche kann sie nichts sagen, was ihr Schwiegersohn hinterher übersetzt. Dann kehrt sie schweren Herzens wieder zu ihrem Mann, dem es inzwischen furchtbar schlecht geht, und unter die Knute des KGB ("Vorsicht Kamera!") zurück. Dann jammern wieder Kinder und Eltern über die Trennung...

Das Ganze findet unter den offenen Kameras des Westfernsehens statt: Jeder hergelaufene Moskau-Korrespondent fühlt sich verpflichtet, seinen russischen Gesprächspartnern gegenüber der "Stimme der Unterdrückten" Gehör zu verschaffen und von Geißler über Mitterrand bis Reagan fragen die westlichen Staatsmänner regelmäßig im Kreml an, warum ihr V-Mann nicht genügend hofiert wird. Tolerant und undogmatisch wie die Russen sind, weisen sie dieser Unverschämtheit nicht die Tür - sollen , die sich doch bei sich zu Hause darum kümmern, daß es ihre Verfassungsfeinde auch schön warm in den eigenen vier Wänden haben. Statt dessen bedeuten sie ihnen freundich, man verstehe ja ihre Sorge, aber Sacharow gehe es doch wirklich nicht schlecht. Das ist natürlich nur Wasser auf die Mühlen derer, die am Wohlbefinden dieser Figur herzlich wenig Interesse haben, weil sie in ihr sowieso den "Märtyrer" sehen; dessen "schweres Schicksal" sie aufkochen wollen.

Friedensnobelpreiskollege Tschasow - ein russischer Arzt! Vorsicht! - hat sich jüngst vor Journalisten in Oslo etwas darauf eingebildet, mit Sacharow diskutiert zu haben; dabei habe er sich die Freiheit der Kritik genommen, dessen radikale Entwaffnungsvorschläge für die UdSSR nicht so besonders schlau zu finden. Da hat dieser Apparatschik aber ganz schlecht ausgesehen: Unserem "Vater der russischen Wasserstoffbombe" widerspricht man doch nicht einfach; der kommt überhaupt viel zu wenig zu Wort bei der Verbreitung seiner NATO-Parolen! Und außerdem: Wo sind seine Lenin-Orden geblieben, und warum hat unser "Held der Arbeit" nicht seine obligate Büste aufgestellt bekommen! Ein Skandal ist das - merken Sie sich das, Herr Tschasow, wenn Sie schon unseren Sprengstoffpreis usurpieren.

Quellen: I. Sacharow, Furcht und Hoffnung, Neue Schriften bis Gorki 1980, Wien, München, 1980

II. ders., Wie ich mir die Zukunft vorstelle, Zürich, 1973

III. ders., Den Frieden retten! Aufsätze, Briefe, Aufrufe 1978-83, hrsg. v. C. Gerstenmaier, München, 1983