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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1986 erschienen.

Systematik

Politliteratur: Willy Brandt und Lothar Späth
PLÄDOYERS KONGENIALER GEISTER FÜR DIE ZUKUNFT DER ARMUT

Die Unterschiede? Der eine war Bundeskanzler, der andere will's werden. Der eine will seine Partei wieder dranbringen, der andere, daß seine dranbleibt. Der eine hat den Friedensnobelpreis erhalten, der andere hat sich grade eben den für Physik an den Hut gesteckt. Das macht auch schon den wesentlichen Unterschied ihrer Bücher. Der eine macht mehr in Frieden, der andere mehr in Technik. Dazu gehört, daß beide unterschiedliche Modalverben verwenden: Der eine seicht seine Moral im "Sollen" - im Jargon der Freiheit -, der andere im "Sein" und "Werten" - in der Gewißheit der Notwendigkeiten, die er durchsetzen will. Mehr an Differenzen würde ja auch die Gemeinsamkeit der Demokraten sprengen.

Die "Versöhnungsgesellschaft" und ihre weltweite Versöhnungsaufgabe: Lothar Späths"Wende in die Zukunft"

Späth möchte seiner Partei ein wahlwirksames Image verpassen. Daß damit sein eigenes gemeint ist, daran läßt das Titelbild seines Buches keinen Zweifel aufkommen: Titel und Bild spekulieren ganz offen auf die dämliche Kanzleropposition. Der Mann denkt - er trägt seine Brille, die Stirnfalten sind durch Retouche besonders betont. Und der Mann lächelt - aber anders als der Kanzler. Nicht treudoof, sondern selbstbewußt, weil er für die Probleme, über die er nachgedacht und geschrieben hat, mit Lösungen aufzuwarten weiß. Der "Spiegel" entdeckt Geist von seinem Geiste und honoriert die erweiterte Reproduktion von Phrasen mit einem Vorabdruck und der Aufnahme des großartigen Entwurfs in die Reihe der "Spiegel-Bücher".

Späth präsentiert sich als der Mann, der die nationale Wiedergeburt nicht bloß pathetisch auf die Fahnen schreibt, sondern die Bedingungen nationaler Machtentfaltung kennt und für ihre Realisierung sorgen will. Sein Musterländle läßt er wiederholt zum Beweis dafür antreten, daß er nicht nur redet, sondern handelt. Und beides, weil er weiß, wovon er spricht: Dafür wirft er großzügig mit Fachbegriffen aus dem Bereich von Mikroelektronik und Biogenetik um sich. Einige Wahrheiten über das Verhältnis von Lohnarbeit, Staat und Kapital schimmern da schon durch, auch und gerade wenn er von einem Gegensatz ausdrücklich und immer wieder nichts wissen will.

Dabei bedient er sich ganz einfach der bewährten Aufsatztechnik, das Mittel des Kapitals ganz losgelöst von seiner kapitalistischen Anwendung als Prinzip unserer Zeit zu besprechen: die "wissenschaftlich-technische Innovation"; und umgekehrt betrachtet er die Kapitalisten als bloße Anwender neuer Techniken mit all ihren Vor- und Nachteilen:

"Was die qualitativen Auswirkungen der Computerisierung anbelangt, muß zunächst daran erinnert werden, daß es vielfach gerade die gesundheitsgefährdenden, lärm- und emissionsbelasteten Arbeitsvorgänge sind, die von Maschinen übernommen werden. Dies ist, betrachtet man die jährlichen Betriebsunfall- und Frühinvaliditätsstatistiken, ein erheblicher Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens." (93)

Weil es hier nur drauf ankommt, den Einsatz neuer Techniken in der Zukunft zu begrüßen, macht es auch gar nichts, daß den Kapitalisten hier der Tatbestand der Gesundheitsschädigung und Körperverletzung in Vergangenheit und Gegenwart attestiert wird. Um die fraglose Notwendigkeit des freien Umgangs der Unternehmer mit ihren Arbeitsplätzen herauszustreichen und so die Frage nach der Verträglichkeit der neuen Arbeitsplätze gar nicht erst aufkommen zu lassen, dafür taugt die Verurteilung der Arbeitsbedingungen, die man jahrzehntelang für notwendig erklärt hat, allemal - eben wenn man sie verändern will.

Natürlich weiß der schwäbische Primus zu verkünden, daß Chancen ohne Pflichten nicht zu haben sind. Auch dabei verliert er den Klassengegensatz nicht aus dem Auge. Beide Seiten haben da ihre spezielle Verantwortung dafür zu tragen, daß alles genauso weitergeht wie bisher. Die "Unternehmerseite" soll für hohe Gewinne sorgen:

"Die Produktivitätsgewinne müssen groß genug sein, um den Aufbau neuer Produktionszweige und die damit verbundenen Anlage- und Arbeitsplatzinvestitionen zu ermöglichen." (222)

Und die Arbeitnehmerseite soll alles dafür tun, damit sie sich dabei auch nützlich machen kann:

"Auf Arbeitnehmerseite ist die Bereitschaft notwendig, staatliche und private Weiterbildungsangebote intensiv zu nutzen, befristete oder Teilzeitarbeitsverhältnisse als Übergangslösung zu akzeptieren und eventuell Formen einer Teilselbständigkeit im Dienstleistungssektor zu erproben." (222)

Und Lothar Späth möchte als Kanzler beiden Seiten noch besser Hilfestellung leisten als der jetzige. Für die Arbeiter will er Gesetze, die ihren Abstieg nicht fördern, aus dem Weg räumen, damit sie auch wirklich mit weniger Geld auskommen müssen:

"Dem Staat obliegt es, insoweit arbeitsrechtliche Hemmnisse rasch abzubauen." (222)

Und die Kapitalisten will er mit Geld dazu zwingen, ihrer Veranlagung zum Schaffen von Arbeitsplätzen ohne Risiko nachzukommen:

"Die Grundlage zur Schaffung neuer zukunftsorientierter Arbeitsplätze legt man, wie ebenfalls bereits dargetan, durch Forschungsförderung, Technologietransfer-Unterstützung und Existenzgründungshilfen." (222)

Das Geld dafür weiß er auch schon locker zu machen. Zum einen, indem er die Armen in arme und reiche differenziert und die reichen Armen um die unverdienten "sozialen Bleigewichte" erleichtern möchte. Zum andern, indem er andere Industrien für "vergangenheitsorientiert" erklärt:

"So wurde denn auch schon 1966 jeder Arbeitsplatz im Bergbau mit 915 Mark subventioniert (vierzehn Jahre später waren es dann bereits 11000 Mark Bundeszuschuß pro Kumpel). Die Stahlindustrie benötigte damals nur acht Mark Staatszuschuß für jeden Erwerbstätigen (gegenüber 155 Mark am Anfang dieses Jahrzehnts)." (180)

Die kleine Lüge, mit der hier die Subventionen fürs Kapital in die Tasche der "Erwerbstätigen" gezaubert werden, soll lediglich die Überflüssigkeit solcher "Erhaltungsinvestitionen" Unterstreichen. Ob sich das reimt mit den versprochenen arbeiterfreundlichen Leistungen der "Zukunftsindustrien", spielt da wirklich keine Rolle, wo es auf Logik nicht ankommt, sondern allein auf den Willen zur Durchsetzung, der hier als die "Zukunftsperspektive" eines weisen Mannes in Buchform daherkommt. Die Präsentation von Zumutungen als Freiheiten, von Zwängen als Chancen und umgekehrt ist dabei die gar nicht originelle Masche eines Politikers, der sich in seinem Plädoyer für großzügige Kapitalförderung auch gleich noch die Umweltschutznadel ans Revers steckt:

"Der technische Fortschritt kommt mit immer weniger Lebensumwelt aus, und nicht nur das - er beginnt, die Natur langsam, aber sicher zu renaturieren." (87)

Für die gepriesene Schadensminderung präsentiert er die Rechnung gleich im Voraus:

"Will man der Natur weniger Belastung zumuten, muß man sich selbst mehr abfordern - dieser Zusammenhang ist unauflöslich." (153)

Die Klassengesellschaft läßt Lothar Späth nicht in Ruh'. Nicht nur, daß er sich ständig bemüht, ihre Nichtexistenz zu belegen - seine Forderungen sind ein einziges Verlangen, den Klassengegensatz so auszutragen, daß Staat und Wirtschaft auf ihre Kosten kommen. Das Späth-Paradies namens "Informationsgesellschaft" bricht nicht einfach durch den Einsatz von Chips und Bakterien aus. Nur deshalb erfindet er den Begriff der "Versöhnungsgesellschaft" dazu. Das ist er sich schon als Christ schuldig. Die Gewißheit, daß die Inhaber der Staatsgewalt aufpassen müssen, damit der Gegensatz seinen rechten Gang geht, gründet weniger in der Furcht, die Geschädigten könnten an Widerstand denken, als im erreichten Stand des "sozialen Friedens". Mitten im "Heißen Herbst" präsentiert dieser Unions-Mann ein Buch, in dem er kein schlechtes Haar an den Gewerkschaften läßt. Er preist ihre Verdienste um die integrative Verwaltung des Menschenmaterials der kapitalistischen Produktion, rechnet ihnen gar die angeblichen Reallohnsteigerungen als Anreiz zur Rationalisierung an und verpflichtet sie auf ihre ureigensten Sehnsüchte: Mitbestimmung und Mitverantwortung bei der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitskraft:

"Kann es in dieser Situation im wohlverstandenen Interesse der Gewerkschaften liegen, an der Fiktion der einheitlichen Regelbarkeit von Arbeitsverhältnissen festzuhalten? Wäre es nicht an der Zeit, dem Gedanken der Selbstbestimmung am Arbeitsplatz mehr Gewicht zu verleihen, statt krampfhaft an pauschalen Mitbestimmungsmodellen festzuhalten, die auf immer weniger Unternehmensformen tatsächlich noch systemgerecht anwendbar sind?" (38)

Daß ihre Mitbestimmungsmodelle den übrigen Ansinnen im Wege stünden, wird die Gewerkschaft wohl aufs entschiedenste zurückweisen müssen. Schließlich hat sie ihn in Baden-Württemberg auch nicht gehindert, zum bundesdeutschen Meister in der Gewerkschaftsdisziplin Arbeitsplatzbeschaffung aufzusteigen. Was Lothar Späth jedoch letztlich treibt, ist weder Computerbegeisterung noch die Sorge um Arbeitsplätze. Er möchte ja nicht bloß Kanzler werden, sondern Kanzler einer Nation, die "ganz vorne mitmischen könnte" (99)

- n Europa und durch Europa in der ganzen Welt. Im Wissen um die Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik fallen da europaweiter Internationalismus und bundesdeutscher Nationalismus unmittelbar in eins, so daß der deutsche Anspruch überhaupt nicht engstirnig oder gestrig daherkommt:

"Kein Land des Westens kann sich aber auch von einem wirtschaftlich und technologisch wiedererstarkten Westeuropa so viele Vorteile versprechen wie der freie Teil Deutschlands: Über die Lösung schwärender Strukturkrisen und die Milderung der Arbeitslosigkeit hinaus wäre ein politischer Bedeutungszuwachs erreichbar, der den europäischen Staaten ein aktiveres Mitwirken in internationalen Gremien, im west-östlichen Handels- und Kulturaustausch und im Nord-Süd-Dialog ermöglichte. ... Die Verantwortung der Bundesrepublik, ohne deren wirtschaftliche und technologische Innovationskraft eine neue europäische Dynamik schwer vorstellbar erscheint, ist sonach groß. Sie reicht, wenn auch indirekt, bis ins Nervenzentrum weltpolitischen Krisenmanagements." (281/82)

Wozu ein Chip gut ist! Zuerst betont man seine Notwendigkeit, "damit die Zukunft nicht ohne uns stattfindet" - und dann verlangt der ganz sachlich nach deutschen Eingreiftruppen. Die Befürchtung, daß "die Technik" irgendjemand über den Kopf wachsen könnte, ist da wirklich vollkommen unangebracht.

Willy Brandts "Der organisierte Wahnsinn. Wettrüsten und Welthunger": Imperialismus mit menschlichem Gesicht

Der deutsch-europäische Anspruch auf Zuständigkeit für alle vier Himmelsrichtungpn kommt in der Person des Sozintern-Chefs und Friedensnobelpreisträgers von vorneherein ganz unverdächtig als Sorge um Frieden und Armut daher. Willy Brandt bewegt sich auf dem Globus als seinem ureigenen Terrain mit solcher Sicherheit, daß er meint, Angst haben zu müssen vor Mißverständnissen ganz anderer Art:

"Ich lebe im Westen und gehöre zum Westen... Wenn ich mich kritisch mit der Politik der Vereinigten Staaten auseinandersetze, so tue ich das als einer, der bedauert, daß dem offiziellen Washington aus dem offiziellen Bonn nicht gesagt wird, was gesagt werden müßte: Und als Europäer." (134 f.)

Nein, für einen harmlosen Friedensengel will der Mann, der sich sein Vaterland immerhin ausgesucht hat, auf keinen Fall gehalten werden. Mangelnde Treue zum westlichen Bündnis oder gar mangelnden Patriotismus will er sich nicht unterstellen lassen. Die Kritik, die er gar nicht vorträgt, will er auch nicht als solche mißverstanden wissen, wenn er ein Buch schreibt zur Heimholung von SPD-Moralisten, die sich ins Grüne verirrt haben. Daß er die mit solchen Bekenntnissen verprellen könnte, muß er nicht befürchten.

Für sie genügt

- daß die SPD gerade wieder Opposition treibt - egal welche,

- daß ihr Chef der reaktionären Daseins-Trias von Umwelt, Leben und Frieden ein Buch widmet,

- daß er diesen bescheidenen Überlebenswünschen die Attribute "Welt-", "interdependent", "international", "global" usw. verleiht, nur um seine ungeheure Bedeutung zu unterstreichen,

- daß er einen Katalog von Forderungen veröffentlicht im Gestus der Alternative zur Praxis, die den "Wahnsinn organisiert",

- daß er "eine Menge bedrückender Zahlen" (Iring Fetscher in der "Zeit") vorführt, hinter die man nur ein Wahnsinn mit Ausrufezeichen setzen kann. Man stelle sich vor:

"DM 3.000.000.000.000" (11) für die Rüstung im Jahr 1985" oder: "Mit dem Gegenwert eines Kampfpanzers ließen sich 40 000 Dorfapotheken errichten." (45)

Altenative Gemüter sind leicht zu bedienen. Die werden es ihm nicht verübeln, wenn er gar nicht mit einem alternativen Hungeraltruisten verwechselt werden möchte:

"Es widerspricht unserem eigenem Interesse, wenn wir die Entwicklungsländer mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Problemen sich selbst überlassen, statt sie als unsere Partner anzuerkennen." (9)

Ganz so, als ob die "ihre" Probleme nicht davon hätten, daß Leute seines Schlages sie immer nicht allein gelassen haben! 24 Seiten später verbucht Willy den Erfolg, mit dem die BRD dieses "unser eigenes" Interesse wahrgenommen hat - und es ist ihm auch wieder nicht recht:

"Im Jahresbericht der Weltbank-Gruppe heißt es, für jede Mark aus Bonn seien 1,81 Mark an exportierende deutsche Unternehmen zurückgeflossen." (33)

Also was jetzt? 2 Mark zuschießen, damit 3,62 Mark zurückkommen? Oder auch mal was verschenken, weil's um Grundsätzlieheres geht, nämlich den näehsten Friedensnobelpreis auch wenn den Zusammenhang nicht einmal der Autor glaubt:

"Ist es wirklich abwegig zu meinen, daß Hunger auch zu Krieg führen kann? Oder daß in Verzweiflung geratene Völker die nördliche Hälfte des Planeten eines Tages 'einfach wegsprengen'? ...Ich las mit Zustimmung in einer großen Wochenzeitung: 'Gewiß, hungrige Menschen sind selten aggressiv'." (42)

Willy Brandt vertritt eine sehlechte Meinung über die laufende Weltpolitik, im Namen ihrer stinknormalen höchsten Werte:

Sicherung "unserer" Weltordnung, "unserer" langfristigen Versorgung und Bewahrung "unserer" Neger vor dem Kommunismus. Seine furchtbar alternativen Vorschläge stammen ebenfalls aus der imperialistischen Mottenkiste, deren Instrumente so trefflich für die gegenwärtige Verteilung von Armut und Reichtum gesorgt haben:

"Die Welt braucht ein neues Bretton Woods, wenn auch an einem andern Ort. Ich habe gelegentlich zu erwägen gegeben, ob nicht Berlin..." (109)

Hier wird der alte Berlin-Häuptling ganz nostalgisch.

"Die internationale Währung ist hier als verbessertes Sonderziehungsrecht gedacht." (121)

Da wird der alte Sozialbold Fachmann.

"Statt über mangelnde Führungskraft der Großen zu klagen, hätten wir den Mut haben sollen, selbst voranzugehen, zum Beispiel mit einer Art Marshal-Plan..." (138)

Hier markiert der abgesägte Kanzler den starken Mann. Die bewährten Instrumente des US-Imperialismus empfiehlt er ganz einfach "uns" als verantwortungsvolle Aufgabe. Der alte Schleimbeutel versteht es, die verlangte Zuständigkeitserweiterung von Staaten als ganz persönliche Verantwortung vorzutragen, indem er im "Wir" Staat und Volk vereint - lauter Berliner. So begleitet er die imperialistische Praxis mit einem beispielhaften Sendungsbewußtsein. Dauernd gibt der Mann damit an: Mit "meiner Kommission", mit "Brandt I", mit dem Echo drauf, mit seinen berühmten Freunden und mit den Plätzen, wo er schon nach Frieden, Hunger und Umwelt Ausschau gehalten hat. Sein Vorwurf an die Welt: Sie hat nicht auf mich gehört. Dabei hat er doch ein so schönes und einfaches Rezept für Arm und Reich in Nord und Süd: Solidarität, Solidarität und nochmals Solidarität! Mit der Sozialistischen Internationale unter deutscher Führung.

*

Von dieser Sorte Literatur wird der Buchmarkt gegenwärtig überschwemmt. Macher der Politik greifen zur Feder, um ihre Absichten der Welt als Erkenntnisse zu unterbreiten. Und die Welt nimmt sie anerkennend zur Kenntnis, obwohl sie - Autoren und Rezensenten sind sich da einig - gar keine neuen Erkenntnisse mitzuteilen haben. Der Erkenntniswert eines Sozialkundebuchs für die Mittelstufe wird von den kompilierten Theoremen nämlich nicht übertroffen.

Was ihren politischen Marktwert ausmacht, ist allein der Name, den der Autor sich als Politiker gemacht hat. Daß da einer aus seinem Erfahrungsschatz plaudert, der die Welt nicht nur betrachtet, sondern dafür sorgt, daß sie so geht, wie sie ist, macht solche Betrachtungen zu "interessanten" Stellungnahmen. Das sind sie auch - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Immerhin kommt in ihnen nichts anderes zum Ausdruck als die Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Politiker heute die ganze Welt als ihr Zuhause betrachten und davon ausgehen, daß alle Welt auf sie hört.

Der parteipolitische Unterschied bleibt dabei nicht auf der Strecke. Beide Fraktionen, die sich heftig befehden und kumpelhaft-giftig rezensieren, verlangen die Beförderung der internationalen Bedeutung Bundesdeutschlands. Ihre Forderung nach einem "Platz an der Sonne" verdankt sich bei Brandt der Unzufriedenheit, daß sich seine Nation noch zur Hälfte im Schatten befinde, bei Späth der Freude, daß sie mit der anderen Hälfte schon in der Sonne stünde. So taugen Sorge und Hoffnung, Pessi- und Optimismus für ein- und dasselbe: "Es gibt viel zu tun, packen wir's an!" Umgekehrt wird Sozialdemokratie daraus.