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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1985 erschienen.

Naturwissenschaftler gegen SDI
DEUTSCHE ELITE ÜBT NATIONALE VERANTWORTUNG

Die "Initiative für Abrüstung" an der Technischen Universität Darmstadt hat jüngst ein Schreiben an die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Verein Deutscher Ingenieure und die Deutsche Physikalische Gesellschaft verschickt. Darin fordert Prof. Gernot Böhme als Wortführer der Darmstädter Friedensinitiative die besagten Organisationen "öffentlich zu einer Stellungnahme zur Frage einer deutschen Beteiligung an dem amerikanischen SDI-Programm" auf.

Unternehmungen dieser Art sind nicht mehr selten hierzulande, verbreiten aber immer noch einen Geschmack von Zivilcourage um sich. Das spricht allerdings nur gegen die Gewohnheiten der bundesdeutschen Feind- und Freundbildpflege, nicht für solche 'Vorstöße'. Deren erwünschter Effekt baut nämlich voll ausgerechnet auf das Prinzip des staatsbürgerlichen Konformismus: Prominenz zählt, also die von oben und allgemein anerkannte Wichtigkeit für das Gelingen und den schönen Schein des Gemeinwesens, wie es ist, und keinesfalls die vorgebrachten Argumente. Letztere sollen nicht überzeugen, sondern dadurch gewinnen, daß Namen mit einem "guten Klang" sich dahinterstellen.

Diese Vorgehensweise mag mancher für taktisch geschickt halten; nach dem nicht wenig zynischen Motto: 'Wenn die nationale Öffentlichkeit schon so bescheuert ist und Leithammel braucht, dann bieten wir ihnen doch die besseren!' Die Hoffnung auf einen so zu erzielenden praktischen Effekt ist allerdings trügerisch. Mag sein, daß eine Stellungnahme auf diese Weise überhaupt publik wird; nur: als was? Als Kritik jedenfalls nicht mehr; stattdessen als Newcomer in der Konkurrenz um politische "Meinungsführerschaft". Und damit ist sie gleich doppelt unwirksam gemacht. Sie ist eingeordnet in den Pluralismus einschlägiger Stellungnahmen, unter denen ja allemal auch die entgegengesetzten ihre prominenten Fürsprecher haben; und um in deren Konkurrenz zu bestehen, womöglich sich durchzusetzen, ist schon der bloße Anschein von Abweichung oder gar Gegnerschaft gegen die wirklichen politischen "Leithammel" der Nation eine schlechte Voraussetzung. Was für ein Argument hat ein mit Prominenz taktierender Kritikus denn noch auf Lager, wenn ihm die Gegenseite, die sich auf solche Tricks bestens versteht, sie also auch durchschaut, eben dies vorwirft - "leichtgläubig mißbraucht" heißt das Stichwort - ? Doch höchstens die Heuchelei, er wäre ein ganz wirklicher und wahrhaftiger Gefolgsmann der berühmten Männer, deren Namen er für ein Argument hält. Und was kann er ins Feld führen, wenn die Gegenseite seinen Berufungsinstanzen eine unbestrittene Zuständigkeit für ihr engeres Fachgebiet attestiert, eine Zuständigkeit für "Meinungsführung" in den eigentlich berührten Fachfragen z.B. der Verteidigungswürdigkeit der westlichen Werte und der dafür angezeigten Methoden - aber bestreitet? Er müßte ja schon auf die Lüge zurückgreifen, Physik wäre die Universalwissenschaft auch für die Frage von Krieg und Frieden.

Die Naturwissenschaftler, die mit Initiativen der genannten Art hervortreten, sind selber in der Regel aber gar keine wirklichen Taktiker des Einsatzes ihrer Prominenz und derer ihrer Kollegen. Sie glauben, was sie (unter)schreiben - und geben damit Zeugnis von ziemlich populären Fehleinschätzungen, die bei ihnen weniger aus dem Willen zu einer Kritik als aus Standesdünkel erwachsen.

Die Verwechslung von Fachwissen mit stinknormaler Skepsis

Die kritischen Naturwirte, in diesem Falle die der TU Darmstadt, bedauern, daß nach Kanzler Kohls Befürwortung von Präsident Reagans "Offerte" an "die deutsche Wissenschaft " zur Beteiligung am SDI-Programm "weder Stellungnahmen der großen deutschen Wissenschafts- und Ingenieurorganisationen eingeholt" wurden noch "diese von sich aus bisher dazu Stellung bezogen" haben. Sie sehen darin geradezu einen Verrat an der "vielbeschworenen Verantwortung der Wissenschaft"

"Diese Verantwortung tragen die großen Wissenschafts- und Ingenieurorganisationen der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber, denn nur in ihren Reihen ist die Kompetenz zu finden, die hochkomplexen, mit SDI verbundenen wissenschftlichen und technologischen Fragen überhaupt zu beurteilen und den zur politischen Legitimation von SDI heraufbeschworenen Illusionen entgegenzutreten."

An welche Illusionen mögen sie da denken? Haben sie selbst denn Reagans "Traum" von einer "Welt ohne Atomwaffen" für bare Münze genommen, bis sie die "hochkomplexe Materie" wissenschaftlich durchgearbeitet haben und auf nicht aufhebbare Schranken der Technologie gestoßen sind? Ist es ihnen wie Schuppen von den Augen gefallen, als sie zu dem - naturwissenschaftlich ohnehin unhaltbaren; aber sei's drum - Urteil: Geht nicht! gelangt sind?

Im Vertrauen gesagt: Reagans SDI "beschwört" nur solche Illusionen "herauf", die die Bürger der westlichen Demokratien sowieso hegen; und die sind wesentlich bescheidener - insofern sogar realitätsnäher - als die Vorstellung eines totalen Schutzes, den eine Anti-Raketen-Waffe ihnen bieten könnte. Ein aufgeklärter Demokrat ist schon zufrieden, wenn er einen "Schritt in die richtige Richtung" verbuchen kann, hin zu "etwas mehr" Schutz. Daß das wenigstens ein Zweck der Kriegsvorbereitungen seiner Nation wäre, die im übrigen den Frieden will: Das allenfalls ist die Illusion, die im Freien Westen über das NATO-Bündnis und seine Vorhaben verbreitet ist. Noch verbreiteter ist übrigens die Fortsetzung, wonach der unverbrüchliche Friedenswille der eigenen Seite durch den der Gegenseite immerzu durchkreuzt wird, also am besten so zum Zuge kommt, daß er mit dem notorischen Störenfried aufräumt; und dieser nationalistische Gerechtigkeitswahn ist über sämtliche Schutz-Illusionen längst hinaus. Was von diesen tatsächlich verbreiteten und geglaubten Irrtümern läßt sich, bitte schön, durch Spitzenkenntnisse in der Technologie der Weltraumfahrt - deren Nachweis wir damit jedem engagierten Naturwissenschaftler erlassen! - widerlegen oder entkräften?

Die Entdeckung, die die Böhme- und ähnliche Initiativen bekanntmachen wollen, ist ihnen selber tatsächlich nicht im Forschungslabor gekommen. Sie sind, mit wieviel Spezialwissen im Kopf auch immer, auf demselben Weg dahingekommen, an Reagans SDI-Utopie zu zweifeln, wie jeder normale Mensch, der im Ernst nie an diese Utopie glaubt: Sie können sich einfach nicht vorstellen - weder einfach noch kompliziert -, daß das hinhaut.

Der erste Hauptsatz der demokratischen Technologie: Vertrauen in die Führung

Diese wohlfeile Skepsis gegenüber Reagans Plan beruht allerdings, bei ihnen wie beim "normalen" Menschen, auf einem unerschütterten, viel größeren und viel verkehrteren Vertrauen, nämlich auf eine billigenswerte Absicht. Wenn sie den SDI-Politikern schon nicht glauben, daß es gehen kann, der Schutz nämlich, so unterstellen sie dabei nur um so fragloser, daß es denen eben darum geht. Das verschafft ihnen die Basis für einen sehr zulässigen, sehr ehrenwerten Meinungsstreit - geht's nicht doch ein bißchen?... -, der todsicher nur eines leistet: Er beseitigt keine wirkliche Illusion über westliche Rüstung, sondern bekräftigt sie alle. Der gar nicht verkehrten Feststellung: "SDI ist strategisch gesehen kein Fortschritt in der Friedenssicherung" lassen sie nicht die gar nicht so schwierige Schlußfolgerung folgen: "Also ist SDI strategisch gesehen ein Fortschritt in der Kriegsvorbereitung", sondern sie setzen ein empörtes, vorwurfsvolles Ausrufezeichen. So viele Kriegsmittel höchsten Kalibers können offenbar auch die größten Aufrüster der Weltgeschichte einfach nicht hinstellen, daß ihrer friedliebenden Opposition einmal Zweifel daran kämen, ob "Friedenssicherung" wirklich der letzte Zweck demokratischer Politiker ist! Lieber wollen Friedensmenschen ihre politischen Chefs wie schon bei der "Nachrüstung", so auch bei SDI, darüber aufklären, daß ihre Rüstungsmaßnahmen bloß ein einziger großer Irrtum seien - "Erstschlag" statt "Friedenssicherung"; nicht nur "defensiv", sondern auch "offensiv"; "Chancen von Abrüstungsverhandlungen verschlechtert" -, als daß sie deren Taten einmal die politischen Absichten entnehmen.

Diese Enthaltsamkeit ist um so weniger zu entschuldigen, als der Schluß vom Mittel auf den Zweck gerade im Fall des SDI-Programms schon allein deswegen keine technologische Forschung erfordert, weil beständig sehr anschaulich vorgeführt wird, wozu die angestrebten Abfangwaffen tatsächlich taugen sollen. Die strategischen Machtmittel der Sowjetunion sollen wirkungslos zerplatzen: Ist die Absicht nicht klar genug? Nein, nicht für Parteigänger der Freien Welt, die noch die erlesensten Kriegsphantasien und strategischen Hochrechnungen ihrer Führung nicht unter "Erpressung" und "Weltmacht" abheften, sondern unter "zweifelhafter Schutz".

Der zweite Hauptsatz deutscher Fachkompetenz: Ehre für Stand und Vaterland

Was bleibt übrig ? Das Pochen auf öffentliches Gehör, und zwar ausgerechnet mit dem Fingerzeig auf die guten Dienste für den demokratischen Kapitalismus, denen so staatstragende Menschen wie Max-Planck-Gesellschafts-Mitglieder und deutsche Ingenieure ihr öffentliches Ansehen verdanken. Mit genau dem selben Lob der staatsbürgerlichen Verantwortung von Naturwissenschaftlern hat Ronald Reagan bei seiner Vorstellung des SDI-Projekts die US-Rüstungsfachleute zur Fahne gerufen - offenbar zweifelt er nicht im mindesten an deren Loyalität, wenn er schon heute mit einem Waffenprogramm politische Erpressungen startet, dessen Bestandteile seine Fachidioten ihm erst noch beschaffen sollen!

Als erwiesenermaßen gute, anerkanntermaßen gewichtige Patrioten melden sich die initiativ gewordenen bundesdeutschen Experten zu Wort - logischerweise mit nichts als einem guten und gewichtigen Patriotismus, der mit seiner skeptischen Ablehnung des SDI-Programms nur eins beweist: Da haben Leute gemerkt, wie wenig ehrenvoll es ist, vom großen Bruder zu Hilfsarbeiten für ein "Friedenssicherungskonzept" geladen zu werden, das gar nicht auf deutschem Mist gewachsen und für die eigene Nation auch leicht eine Nummer zu groß ist. Wie sollte auch ein Stand, der sich seiner Staatsbürgerpflicht bewußt ist, an den zuständigen Sachwaltern der Nation etwas anderes auszusetzen haben als Fehlgriffe bei der Mehrung des nationalen Erfolgs! Dies die Einwände, die uom Standpunkt dieses (gar nicht so besonders) alternatiuen Nationalismus aus zustandekommen:

- Unsere bombige Wirtschaftsmacht, die den Rest der Welt mit Erfolg von sich abhängig gemacht hat, könnte Schaden nehmen: Untersuchungen "zeigen, daß SDI für die Wirtschaft der Industrienationen und damit (!) vielleicht für die Weltwirtschaft ruinös sein kann."

Bei eurer Begründung, werte politökonomische Dilettanten, für eure tiefe Besorgnis ums Gelingen des imperialistischen Wachstums - "weitere Steigerung der Staatsverschuldungen" - kann euch übrigens Mr. Reagan ganz praktisch beruhigen: Der hat mit Rekord-Aufrüstung und Rekord-Staatsdefizit den größten Wirtschafts- und Dollar-Boom hingekriegt. Ob das der D-Mark nicht auch guttäte?

- Unser großartiges Europa könnte vielleicht mit SDI die Gelegenheit einbüßen, die ganze US-Militärmacht als ihr Mittel gegen den Osten zu benutzen:

SDI stellt keinen Fortschritt dar, "weil es zur Abkopplung Europas führt (SDI ist zur Abwehr von strategischen Waffen, nicht gegen Mittelstreckenraketen und taktische Atomwaffen konzipiert)."

Keine Sorge, ihr Amateurstrategen! Eure Sorgen werden bei den politischen Strategen in Amt und Würden schon Berücksichtigung finden - schließlich laufen sie auf das Ideal vollkommener westlicher Überlegenheit in allen Sparten der Kriegsmittel hinaus. Berücksichtigung zwar nicht im Sinne der Kriegsvermeidung; für demokratische Kriegsherren sind eigene Opfer an Land und Leuten eben kein Einwand gegen einen Krieg, wenn er nur Sieg verheißt. Aber für eure überaus konstruktiven Bedenken in Sachen Wirksamkeit der Kriegsmittel für Europa-West werden so bewährte Fachleute wie die Herren Weinberger, Rogers, Wörner oder Hernu doch für passende Antworten zu sorgen imstande sein. Ein SDI-Programm plus ein europaeigenes EUREKA-Programm, die beide den Osten das Fürchten lehren: wäre das eine passable Lösung?

Mag sein, daß kritische Naturwissenschaftler diese Konsequenz weder denken noch billigen würden. Das heißt aber nur: Sie haben sich nie klargemacht, was sie schon alles unterschrieben haben. Zu einem modernen nationalistischen Standesdünkel gehört in der Demokratie doch allemal das gute Gewissen, von so etwas kein bißchen infiziert zu sein!