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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1985 erschienen.


MIT DER BOMBE FRIEDEN MACHEN

Politiker lernen aus Hiroshima

Anläßlich des 40. Jahrestags des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki hat die japanische Regierung

- den Wehretat erhöht,

- ein Verteidigungsweißbuch vorgelegt, das die Bevölkerung über die "latente Gefahr " durch die SU aufklärt, damit sich das "absolut notwendige Verständnis für die Bedürfnisse der Streitkräfte" breitmacht,

- dem Yakasuni-Schrein, an dem die "Kriegstoten und auch die japanischen Kriegsverbrecher verehrt werden", den ersten offiziellen Besuch abgestattet. Die Wende kommt also auch dort voran. "Hiroshima erledigt" (taz 7.8.85) ? Von wegen. Auch dort wird sich auf die Opfer berufen, wenn der Staat zu neuen Taten schreitet. Ihr Sinn besteht darin, daß Japans Unversehrtheit gemeint ist, wenn "No more Hiroshima" (dies die Parole der japanischen "Anti-Atom-Bewegung") gefordert wird. Das war schon damals so:

"Der Kaiser Hirohito verkündete nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki die Kapitulation und forderte sein Volk auf, 'das Unerträgliche zu ertragen'." (SZ 16.8.85 )

Daß die Verletzung seiner Handlungsfreiheit das einzige Opfer ist, das der japanische Staat nicht zu dulden bereit ist, gilt heute erst recht. Dabei hat er die Versafteten keineswegs vergessen - auch wenn sich, wie hierzulande mit Genugtuung vermerkt, die Aufregung in Grenzen hielt:

"Außerhalb von Hiroshima beschränkte sich die Anteilnahme in Japan auf die prominente und ausführliche Berichterstattung in Funk, Fernsehen und Presse. Im übrigen liefen alle normalen Unterhaltungsprogramme und Sportveranstaltungen wie gewohnt." (SZ 7.8.85)

Sport, Spiel und Zuversicht sind ein Gebot, wenn an die Toten als Opfer höherer Werte gedacht wird, die damals draufgegangen sein sollen: Friede und Leben sind auch in Japan nicht unbekannt. So appellierte der japanische Staat im Namen von Heiwa und Inochi an sich, sein Volk vor der russischen Gefahr beschützen zu wollen.

Die USA, die damals den Abwurf der Bombe angeordnet haben, mit der das Verhängnis in Gestalt des Atoms über die Menschheit gekommen sein soll, haben in ihrem Gedenken erst recht keinen Grund gesehen, tätige Reue zu beweisen. Im Gegenteil. Sie waren die Sieger und haben deshalb nur das Beste gewollt. Anläßlich des Hiroshima-Tages ließen sie daher Taten und lauter gute Gründe sehen:

- Sie gaben ihren Entschluß bekannt, den "pazifischen Raum" mit 350 Marschflugkörpern zu bestücken. Die Angabe eines Grundes erübrigte sich, da er sich seit 1945 von selbst versteht.

"In einer Feierstunde an Bord des atomgetriebenen Flugzeugträgers Enterprise in der Bucht von San Francisco erklärte Vizepräsident George Bush, die USA würden niemals wieder so unvorbereitet sein wie am 7. Dezember 1941, als die Japaner Pearl Harbour überfielen." (SZ 16.8.85)

Der Friedenswille der USA verzichtet hier auf die Zelebrierung der Versöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner. Statt dessen übermittelt man dem Gegner von heute, der nur die Sprache der Gewalt kapiert, direkt eine Botschaft. So gut wie heute waren die USA noch nie auf einen Krieg vorbereitet. Die Nimitz wurde versenkt. Heute geben wir unseren Flugzeugträgern optimistischere Namen und den richtigen Antrieb. Vor der Benutzung von Atomwaffen sind wir noch nie zurückgeschreckt. Leider hatten wir sie damals zu Beginn des Krieges bloß noch nicht. (Deshalb waren auch nicht die Brandbomben auf Tokio (185000 Tote) der Vergeltungsschlag für Pearl Harbour, sondern die späte Rache von Hiroshima.)

- Und schließlich verbittet sich der Präsident persönlich jede Kritik an den USA bezüglich Hiroshima als üble Nachrede, die ihren Ursprung in Moskau hat:

"Der Präsident ging auch auf die sowjetische Kritik am Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August vor 40 Jahren ein. 'Wir haben die Bombe abgeworfen, um den größten Krieg in der Geschichte der Menschheit zu beenden', sagte er. Daß der Welt die Gefahr dieser Waffen vor Augen geführt wurde und die Präsenz der Waffen selbst als Abschreckungsmittel hätten 40 Jahre lang den Frieden erhalten." (SZ 7.8.85)

Amerikanische Politiker radieren mit ihren Befehlen nicht einfach ganze Städte aus. Wenn sie zum Handeln aufgerufen sind, lassen sie Bomben nur in vollster Verantwortung für das Leben der Menschheit und ihre Zukunft schmeißen. Von diesen Herren kann man lernen, daß das gute Gewissen eines Siegers wahrhaft unerschütterlich ist, - weshalb eine Kritik im Namen der Ideale, bei denen er sich seine Befehle abholt, nur offene Türen einrennt. Wenn er tötet, dann nur um weiteres Töten zu verhindern, der Menschheit den Frieden zu bringen und nicht nur das Ende des Zweiten, sondern auch den Nicht-Ausbruch des Dritten Weltkriegs zu ermöglichen. Leicht gemacht hat er sich seine Entscheidung nicht, die sich von den weitsichtigsten Zielen leiten ließ. Wäre es nur um ihn gegangen, hätte er auf den Einsatz der "gefährlichen" Waffe eventuell sogar verzichten können. Da er es aber mit "der Welt", Ungläubigen also, zu tun hatte, war die Entscheidung nicht zu umgehen: den Glaubenszweifel räumt nur die Anschauung der Wirksamkeit des Teufelszeugs aus.

Klarstellungen zu Hiroshima

Die Behauptung Präsident Reagans, der Abwurf der ersten Atombomben sei notwendig gewesen, um "der Welt", sprich den USA, weitere Opfer zu ersparen, hat seit 45 in den USA Tradition. Ihre Widerlegung ebenfalls. Kurz nach Kriegsende kam die "Inspektion des Strategischen Bomberkommandos der Vereinigten Staaten" in einer Studie über die japanische Kapitulation zu folgendem Ergebnis:

"Japan hätte kapituliert, auch wenn die Atombomben nicht abgeworfen worden wären, auch wenn Rußland nicht in den Krieg eingetreten wäre und auch wenn keine Invasion geplant oder in Betracht gezogen worden wäre."

Trotzdem wird immer noch das Rätsel gewälzt, warum Amerika die Bomben geschmissen hat, obwohl Japan "doch praktisch schon geschlagen war" (SZ 3./4.8.85).

Hier die Auflösung:

Als Anfang 1945 die USA noch nicht über den Ablauf des Kriegsendes sicher sein konnten, trafen sie mit Stalin in Jalta eine geheime Absprache, in der sich die SU dazu bereit fand, nach dem Sieg über das Deutsche Reich Japan den Krieg zu erklären. Stalin sagte das russische Eingreifen für drei Monate nach der deutschen Kapitulation zu. Diese erfolgte am 8. Mai, die russische Kriegserklärung gegen Japan am 8. August. Damit machte die SU ein geheimes Vermittlungsersuchen der kaiserlichen Regierung um einen "ehrenvollen" Frieden gegenstandslos, weil sie sich in Ostasien Positionen sichern wollte.

Das japanische Ersuchen um Frieden (von dem die Amerikaner über den geknackten japanischen Geheimcode erfahren hatten), und die Tatsache, daß die japanische Armee keinen massiven Widerstand mehr leisten konnte (Kamikaze-Flieger mußten mangels Benzin am Boden bleiben), läßt darauf schließen, daß es den Amerikanern gar nicht mehr bloß um die Kapitulation Japans ging, sondern um eine schnelle Kapitulation - möglichst bevor die SU in den Krieg eingriff.

So erklären sich die Versuche der USA, den Kriegseintritt der SU zu verzögern und die Potsdamer Konferenz zu verschieben. Truman wollte das Testergebnis des 1. Atombombenabwurfs für die Konferenz als Druckmittel in der Hinterhand haben. Denn damit entfielen schlagartig sämtliche Rücksichten, die sich aus der Abhängigkeit von sowjetischer Waffenhilfe ergaben. So durfte z.B. Stalin die Vernichtungsdrohung der Konferenz gegen Japan nicht mitunterzeichnen. In dieser DroherKlärung wurde Japan der absolute Ruin prophezeit: Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß sich die Planer über die Folgen der Nuklearexplosion durchaus im klaren waren. Sie haben die Waffe eingesetzt - nicht weil sie die Folgen nicht reflektiert oder nicht hätten wissen können, sondern weil ihnen die Zerstörungskraft der Kernspaltung nur zu gut bekannt war.

Die Folgen waren auch dem Unkundigsten offensichtlich, als die Einwohner Hiroshimas verstrahlt waren. Um die japanische Kapitulation zu beschleunigen - die Russen hatten ja mittlerweile Japan offiziell den Krieg erklärt -, wurde die zweite Bombe schon drei Tage später gezündet, ohne die Reaktion Japans auf den ersten Abwurf abzuwarten. Der Erfolg wurde umgehend geerntet. Nach der Kapitulation Japans verweigerte Washington der SU jedes Mitspracherecht an der Behandlung Japans: "Die Russen haben in Japan nichts zu suchen." Außerdem war der Einsatz der Waffe "notwendig" gewesen, "um Rußland in Europa nachgiebiger zu machen" (Byrnes, der damalige Außenminister der USA). Und überhaupt war sie dazu erfunden, die Russen "more manageable" zu machen: "Nur durch Stärke können wir mögliche zukünftige Angreifer (also wirkliche jetzige Gegner!) von der Tatsache beeindrucken, daß wir keine Bedrohung des friedens dulden werden." (Truman im Oktober 45)

Was über den nächsten Krieg in der Öffentlichkeit nebenbei erwähnt wird: Wer ist der Feind, wer führt den Krieg, was ist sein Zweck, sein Mittel

Der Besitz der Atombombe erlaubte den USA, noch vor Beendigung des 2. Weltkriegs den nächsten Weltkrieg auf die Tagesordnung zu setzen. Welch erfreuliche Wirkung die Bombe auf den Verhandlungsstil der USA zeitigte,

"registriert ein erstaunter Churchill. Der Präsident 'stellte sich den Russen in einer höchst nachdrücklichen und entschiedenen Manier und erklärte ihnen bezüglich gewisser Forderungen, daß sie absolut abzulehnen seien, und daß die Vereinigten Staaten ganz und gar dagegen sind'. Der Amerikaner sei 'ein veränderter Mensch' gewesen, der 'den Russen sagte, wo sie ein- und auszusteigen haben'." ( Spiegel 19.8.85)

Also von wegen: '45 bricht "das Atomzeitalter" aus, das weder Freund noch Feind kennt und die ganze "Menschheit" zum Opfer "des Atoms" macht.

Der Feind ist nicht "unser aller Schicksal, die Bombe", sondern die UdSSR. Warum?

Weil das Subjekt des künftigen Weltkriegs - der Deutlichkeit halber: es ist der freie Westen und nicht schon wieder: das Atom - mit der Atombombe das Mittel in der Hand hat, auf keine der sowjetischen Interessen Rücksicht nehmen zu müssen, mithin ihre Existenz zu seiner Bedrohung erklärt, die r nicht zu dulden gewillt ist. 3. Damit steht der Zweck des künftigen Krieges fest: Die kommunistischen Regierungen des Ostblocks sollen beseitigt werden - also von wegen Zerstörung überhaupt, Wahnsinn, sinnlos!

1.-3. von Churchill unmißverständlich zusammengefaßt: "Plötzlich hatten wir das Mittel in der Hand, das die Zukunft rosiger aussehen ließ." (zitiert nach Stern 1.3.85)

Wir - das sind die Politiker des Westens; unser Mittel - das sind die Atombomben, die Friedens- und Freiheitsbringer; und angesichts der Leichen von Hiroshima blicken wir optimistisch nach vorn, weil uns die Waffe in der Behandlung unseres Feindes allerhand rosige Möglichkeiten eröffnet.

Von diesem prinzipiell feindseligen Verhältnis gegenüber den kommunistisch regierten Staaten - der Westen strebt die absolute Handlungsfreiheit ihnen gegenüber an, die ohne einen erfolgreichen Krieg nicht zu haben ist - haben die USA nicht etwa abgelassen, als die UdSSR auch über die Atomwaffe verfügte. Warum sollten sie auch: nicht die Waffen sind der Grund des Kriegs, sondern die amerikanische Gegnerschaft gegen die SU. Deshalb haben die USA 40 Jahre lang daran gearbeitet, daß der zu führende Weltkrieg auch wirklich zu einem Erfolg für sie wird. Der Einwand von Spiegel und Co., daß sich mit dem Besitz und später dann dem Ausbau der Atomwaffen die beabsichtigte Wirkung (noch immer) nicht einstellte, da die USA (immer noch) auf die nun auch über Atomwaffen verfügenden Russen Rücksicht nehmen mußten, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Man entlarvt das Vorhaben als "sinnlos", als "eine der großen Torheiten der Geschichte", weil sein Zweck - den man teilt - nicht erreicht wird. So kann man angeblich "den Russen" nicht kommen: Mit "ignoranter Härte bewirkt" man bei diesen Sturköpfen "immer nur das Gegenteil" dessen, was man erreichen will! Als Gegnerschaft gegen die Politik der USA wird diese Enthüllung sicher niemand mißverstehen. Schließlich sind die Amis bedauernswerte Opfer in den Klauen des Atoms: "Traum"tänzer, die "sich in die Obsession vom nuklearen Vorteil hineinsteigern", wo doch der Krieg bekanntlich das Ende der Menschheit bedeutet. Da hilft nur noch warnen: die Besessenen vorm "Jüngsten Gericht" (vgl. Spiegel 19.8.85).

Zum Kriegführen braucht aber ein Staat nicht nur das nötige Gerät, sondern auch ein Volk, das beim Krieg mitmacht. Ein Volk, das sich seine Verteidigungsbereitschaft mit der Begründung "Die Nation ist wichtig und wunderbar" (Japanisches Weißbuch '85) unmittelbar einleuchten läßt. Warum sollte es auch ausgerechnet anläßlich der von ihm geforderten Wehrhaftigkeit die Frage aufwerfen, wofür und inwiefern die Nation denn wichtig und was überhaupt das Tolle an ihr sei, wenn sich ihm auch sonst die Frage von selbst beantwortet. Die japanischen Oberbefehlshaber befinden sich daher nicht im Beweisnotstand, wenn sie darlegen, warum "das Verständnis für die Bedürfnisse der japanischen Streitkräfte absolut notwendig" sei: "Um den friedlichen und stabilen Lebensstil zu erhalten", muß der Krieg vorbereitet werden. Verständnis für den absoluten Vorrang der Bedürfnisse der Armee bringt Stabilität in die Bude, klaro. Und wer wollte dem widersprechen, daß es Konsequenzen für den Lebensstil hat, wenn die Bedürfnisse des Bürgers ganz in den Friedens- und Stabilitäts-Interessen des Staates aufzugehen haben. Dann sieht der Lebensstil eben sehr stabil und friedlich aus.

So werden anläßlich des geplanten Kriegs ein paar Illusionen über den bürgerlichen Staat geradegerückt. Wenn die japanische Regierung 40 Jahre nach Hiroshima sich auf einer Feierstunde dazu hinreißen läßt, "den Atombombenopfern die Verbesserung ihrer Versorgung zu versprechen" (SZ 7.8.85), dann dürfte sie sich kaum jemals als Versorgungsinstanz ihrer Bürger verstanden haben. Vielmehr betrachtet und behandelt der bürgerliche Staat seine Bürger als das ihm zur Verfügung stehende Material, als Mittel, die ihm alle verlangten Opfer zu bringen haben, bis sie selbst schließlich nichts als Opfer sind. Und dagegen kann man sich gerechterweise nicht versichern. So berichtet die SZ von dem aparten Fall, daß eine Amerikanerin in Hiroshima bestrahlt wurde - von der eigenen Bombe! - und hinterher ohne Versicherungsschutz dasteht:

"Wenn die Krankenversicherung (in den USA) erfährt, daß es sich bei einem Patienten um einen Überlebenden des Atombombenabwurfs handelt, verliert dieser sofort seinen Schutz, weil amerikanische Krankenversicherungen für die gesundheitlichen Folgen von Atombombenexplosionen nicht eintreten... Die Gesetzesvorlage (1972 das erste Mal eingereicht) sieht vor, daß die amerikanische Regierung die Kosten der ärztlichen Behandlung für die Hibakusha (= Atombombenopfer) übernehmen soll. Obwohl die Gesetzesvorlage bereits 11mal eingebracht worden ist..., ist es nicht zur Verabschiedung gekommen." (SZ 10./11.8.85)

Mit dem Atombombenrisiko hat heute jedermann zu leben: Als Privatmann kann er zwar mit einem Bunker etwas zu seinem Schutz beitragen, doch wie sollte er sich gegen dieses Lebensrisiko der Neuzeit versichern können? In diese Versicherungs"lücke" springt der Staat natürlich nicht ein: er ist ja kein Versicherungsunternehmen!

Auf eine gewisse Unordnung im Verhältnis Staat/Bürger macht die SZ aufmerksam wenn sie voller Empörung meldet:

"Nicht einmal die Zahl der Todesopfer steht fest. Die Stadtverwaltung von Nagasaki schätzt... Die ersten präzisen Zahlen stammen aus der Volkszählung von Oktober 1950." (3./4.8.85)

Nur gut, daß wir in Deutschland leben. Da hat jeder Bürger seine Nummer - und die Leichen des kommenden Kriegs können unbesorgt sein: sie müssen mit ihrer Erfassung bestimmt nicht 5 Jahre auf die nächste Volkszählung warten! Was die Teile des Volks angeht, die im Auftrag des Staates das für die Kriegsführung nötige Mordzeug erfinden, so brauchten auch sie nicht erst den Krieg abzuwarten, um sich "deprimieren" zu lassen:

"In Sitzungen eines wissenschaftlichen Beraterteams, das Präsident Truman einberufen hatte, machte der Nobelpreisträger Arthur Compton eine deprimierende Erfahrung: 'Wir wurden nicht gefragt, b die neue Bombe gezündet werden sollte, sondern nur, wie sie einzusetzen sei.'" (SZ 16.7.85)

Aus ihrer besonderen Nützlichkeit für den Staat ergibt sich keineswegs ein besonderer Anspruch ihm gegenüber: da wäre die Herrlichkeit des Staates schnell dahin, wenn er seinen Bürgern das "Ob" seiner Entscheidungen anheim stellte.

Damit erledigt sich nebenbei auch noch die Lüge, die Naturwissenschaftler hätten über die Wirkungsweise ihrer Konstrukte nicht Bescheid gewußt - warum hätten sie ihre Auftraggeber wohl vor "dem Unvorstellbaren" warnen sollen?

"Die Temperatur, die dabei entsteht, entspricht etwa dem Inneren der Sonne. Der Explosionsdruck würde das Leben in weitem Umkreis auslöschen. Die Größe des Gebiets ist schwer abzuschätzen, wird aber wahrscheinlich dem Zentrum einer Großstadt entsprechen." (1940 - Peierls und Frisch, zitiert nach Stern 8.8.85)

Die Wirkung der Bombe war und ist also bestens bekannt. Schon bei der Wahl des Abwurfziels hat sich die amerikanische Regierung um die Wissenschaft verdient gemacht, indem sie nur unzerstörte Städte in Betracht zog. Sie hat darüber hinaus unmittelbar nach der Kapitulation Forscherteams samt Kamera an den Ort des Geschehens entsandt, die ihre Studien an den Opfern treiben sollten. Entgegen dem Gerücht, daß nach einem Atomkrieg "alles aus" ist und "das menschliche Leben verschwunden sein wird", waren in Japan der Kapitalismus, der Imperialismus nebst der Katholischen Kirche durch die Atombombe nicht totzukriegen. Im Gegenteil:

"Hiroshima, die vollständig wiederaufgebaute Hafenstadt" (SZ 3./4.8.85)

"Heute, 40 Jahre später, ist das Sportstadion von Nagasaki wieder aufgebaut, größer und schöner denn je. Auch die Schiffswerft - Mitsubishi - gibt es wieder, größer und viel leistungsfähiger als das vorgeschriebene Bombenziel vom 9. August 1941." (SZ 3./4.8.85)

"... katholischer Gottesdienst in dem neuerbauten Gotteshaus, das an der Stelle der alten Kathedrale steht, die bei dem Bombenabwurf zerstört worden war." (SZ 10./11.8.85)

40 Jahre nach Kriegsende erfreuen sich diese Subjekte bester Gesundheit. Die anderen Subjekte, mehr oder weniger verstrahlt auch in der 2. und 3. Generation, machen sich für die maßgeblichen Instanzen nützlich. So daß alles seinen geregelten Gang geht. Bis zur nächsten unvorstellbaren Katastrophe. Denn wie "erzählt" "ein Atombombenopfer":

"Heute denke ich oft: Daß wir die Zeit damals überhaupt durchgestanden haben." ( SZ 6.8.85)

Offensichtlich hält der Mensch allerhand aus, wenn er muß. Und was das Leben betrifft, so kann es gar nicht anders, als weiterzugehen.

Was man aus der Bombe lernen soll

Papst segnet Bombe: Sie macht den Frieden möglich.

"Papst Paul II. rief dazu auf, das Gedenken an den Bombenabwurf als Ausgangspunkt für die Bemühungen um friedliche Konfliktbewältigung u nehmen." (SZ, 7.8.85 )

Sein Freund, der Präsident der Vereinigten Staaten, hat auch dazu aufgerufen. Also hat die geneigte Menschheit schon zwei Gründe, warum sie "angesichts der Katastrophe" das Denken ausklinken und ihren Oberen absolutes Vertrauen entgegenbringen soll. Der Glaube an den Frieden stellt sich wie von selbst ein, so man nur die hilfreiche methodische Handreichung des Papstes beachtet. Man muß nur von all dem absehen, wer "die Bombe" weshalb zum Einsatz bringt - und schon entfaltet sie ihr wundersames Eigenleben. Dann kann man sich vorstellen und wünschen, daß mit ihr und durch sie doch "letztlich" ein höheres gutes Prinzip siegen wird. Bei idealer Sichtweise des Atomkriegs wird einem so sogar die Bombe sympathisch.

Wahnsinn! oder: Kleiner Knopf und irre Wirkung!

"Beahan betätigte den Auslöser und richtete damit unten auf der Erde ein Inferno an, dessen Schrecken bis heute nur bruchstückhaft vorstellbar sind und immer noch fortwirken." (SZ, 3./4.8.81)

"Hiroshima 6.8.1941: HEUTE UM 8.16h WURDEN 120000 MENSCHEN UMGEBRACHT. Vielleicht möchten Sie 10 Sekunden über das nachdenken, was heute vor 40 Jahren in Hiroshima geschah." (Stern-Reklame)

Solche Botschaften gehen jedem braven Bürger glatt runter - und so braucht er tatsächlich nicht mehr als 10 Sekunden, um sie zu schlucken und zu verdauen: In 10 Sekunden wurden 120000 Menschen umgebracht. Wahnsinn! Womit der Fall erledigt wäre.

Auf das Urteil Wahnsinn kann nur verfallen, wer die Wirkung der Bombe zu ihrem Zweck erklärt: Vernichten wollen, Zerstörung pur, ohne etwas anderes als sie selbst mit ihr bezwecken zu wollen, das kann doch niemand wollen. Wie wahr. Und schon sind die Politiker aus dem Schneider - sie verfolgen in ihrer Politik tatsächlich konkretere Zwecke als das Böse, wenn sie mit Menschenleben kalkulieren -, und ihre Taten in den Ausdruck eines Prinzips übersetzt, das sich hinter ihrem Rücken und gegen ihren Willen durchsetzt. Der Glaube an das Gute als den Sinn freiheitlicher Politik schafft sich den Wahnsinn der Bombe als gemeinsamen Feind. So hat man "das Atom" zur Sinnlosigkeit verklärt, die niemand geringerer als die Menschheit zu spüren bekommt.

Schmerz, laß nach! oder: Wen trifft die Bombe?

Der Atomkrieg ist ein Problem, das "der Mensch" mit sich abzumachen hat. Er war es, der die Bombe erfunden hat: denn ist nicht die Bombe die Ausgeburt des menschlichen Wahns, alles beherrschen zu können/wollen/dürfen? r ist es also auch, der "die Bombe in sich entschärfen" (SZ, 16.7.85) muß - per "geistiger Kettenreaktion" (SZ, 6.8.85) oder ähnlichem. Diesen Kampf zweier Linien kann man sich vorstellen als: Gut gegen Böse - Geist gegen Materie - Mensch gegen Atom - Friedenssehnsucht gegen Aggression - Leben gegen Zerstörung - Gott gegen die Bombe. Die Tatsache, daß das eigene Leben für den Fall eines Atomkriegs von den zuständigen Stellen verplant ist, gewinnt jetzt an Erhabenheit Gegen "den Atomkrieg" ist Kritik sehr erwünscht: Unter "der Vernichtung", die "das menschliche Leben" "bedroht", darf man da aber gar nicht erst anfangen. Mindestens "die Menschheit" hat man als Opfer zu benennen, wenn man sich beim "Atom" über den nächsten Krieg beschweren will. Zwei B eispiele gefällig?

Es warnt ein Verein für den Schutz der Menschenrechte vor dem Atom:

"Mit Atomwaffen können Menschen Völkermord begehen. Was uns droht, ist die totale und letzte Verletzung der Menschenrechte... Die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe wächst durch den Rüstungswettlauf täglich." ("Krefelder Initiative" - zitiert nach: SZ, 6.8.85)

Also Menschlein, erwache! Du hast den Rüstungswettlauf auf Touren gebracht. Du brauchst also nur zu bemerken, wie gefährlich er/Du (b)ist, um umzukehren. Andernfalls stehst Du hinterher ohne Menschenrechte da. - Oder glauben die etwa im Ernst, daß die Menschenrechte besser ohne den Menschen übrigblieben?

Kultur bringt Glück

Daß es im Krieg sehr darauf ankommt, Wertgegenstände überleben zu lassen, meint jedenfalls der Spiegel. Er beglückwünscht Japan dazu, daß die Amerikaner Hiroshima und nicht, wie anfänglich erwogen, Kyoto, ,Japans alte Kaiserstadt, höchstes nationales Heiligtum mit 3000 Tempeln und Schreinen, mit wundersamen Gärten und Kunstschätzen", zum Abwurfziel der ersten Atombombe erkoren haben:

"Stimson (der amerikanische Kriegsminister) - welche Glückskoinzidenz für Japan - ist sogar ein ausgesprochener Kenner und Liebhaber von Kyoto." (19.8.85)

Die Spiegelredakteure haben gut reden: Sie können Zuflucht bei Sankt Pauli und der Reeperbahn, international anerkannten nationalen Kulturgütern, suchen. Die Banausen müssen eben sehen, wo sie bleiben.

Rätsel, Ironie und tiefere Bedeutung

Wie das Übel in die Welt kam...

Familienväter als Kinderkiller

"An den Geschäften und Gemeinschaftsräumen (in Los Alamos) waren Schilder angebracht: '25% der Todesfälle von Kindern werden durch Feuer verursacht.... Bedenken Sie das.' Die Väter der Kinder, die das bedenken sollten, waren Männer wie Oppenheimer, Enrico Fermi, Hans Bethe, Victor Weißkopf, John von Neumann und Edward Teller, deren wissenschaftlicher Tatendrang eine Bombe schuf, deren Feuer alles vernichten kann." (SZ, 6.8.85)

Kein Wunder, daß sich Abgründe auftun, wenn man keine Unterschiede mehr kennen will. Wenn befreundete und verfeindete Staaten, ihre Politiker und deren Staatsbürger allesamt gleichermaßen als Menschen gelten, dann muß wirklich unerfindlich bleiben, warum das große Morden anhebt - es sei denn, man entdeckt einen Drang...

Das Böse wohnt mitten unter uns...

Kleinstadt als Weltvernichtungszentrum

"Los Alamos: Das Laboratorium des Todes. Los Alamos ist eine Kleinstadt, wie es sie nur noch selten in den USA gibt, überschaubar, sauber und gepflegt. Hier gibt es keine Arbeits- und Obdachlosen, keine Minderheiten und keine Slums.... Frau Prather, Mutter von 7 Kindern, hat eine Organisation gegründet, die sich 'Psychologist for Social Responsability' nennt und der Friedensbewegung angehört. Als sie in den 50er Jahren in Los Alamos aufwuchs, hat sie allerdings wie viele Einwohner geglaubt, das atomare Wettrüsten könne die Welt retten. 'Wir waren die Cheerleaders der Bombe', sagt sie. In Los Alamos sind dies die meisten Leute heute noch." (SZ, 6.8.85)

Sieh an: Das Böse gibt sich harmlos und wohnt in gepflegter Umgebung. Schon wieder ein Grund zum wohligen Gruseln. Wenn es einem paßt, kann man also auch einen Unterschied zwischen Oben und Unten wieder einführen. Sind die lauteren Absichten eigentlich in der Politik beheimatet, wie kann dann das Böse Macht über sie erlangen? Genau, der Steuerzahler, der was "sehen will für sein Geld" (vgl. Spiegel, 19.8.85), ist nun mal ein geborener Gewaltfanatiker. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen. Man hat ihn sich ja entsprechend zurechtkonstruiert: Ganz so, als ob der Mensch aus purer Lust und Laune die Gewalt hochleben ließe - und nicht Staatsbürger Waffenstärke begrüßen, weil sie dem eigenen Staat Handlungsfreiheit verschafft. - Der Glaube an das Gute im Menschen braucht jedoch auch angesichts der mißratenen Mannschaft von Los Alamos nicht zu verzagen. Auch dort soll es Menschen geben, die noch an das Gute in der Politik glauben. ...

Irrtum zeugt Bombe...

Eigentlich hätte die Menschheit sie gar nicht gebraucht

"... Wissenschaftsboss Bush an den US-Präsidenten...: 'Es ist durchaus möglich, daß Deutschland vor uns liegt und sehr wohl fähig sein könnte, früher als wir Superbomben zu produzieren.' Diese Furcht hat die Atombombe gezeugt... (Doch) zu keinem Zeitpunkt bis zum Ende des Hitlerreiches droht auch nur der Schatten einer deutschen 'Superbombe'. Es gibt sie nicht... So hat die schrecklichste Waffe aller Zeiten ihren Ursprung in einer Täuschung, in einem gigantischen Mißveritändnis: Die Gefahr, gegen die sie erfunden wird, existiert nicht. Der Wettlauf um die erste Kernspaltungsbombe findet gegen ein Gespenst statt. All das Denken und Wissen, das den Bau der Überwaffe möglich macht, wird von Nichtwissen gelenkt, vom Irrtum angetrieben. Es ist die erste der diabolischen Ironien, von denen das Atomzeitalter gekennzeichnet sein wird." (Spiegel, 19.8.85)

Die Bombe hätte es eigntlich nicht gebraucht, weil Hitler sie gar nicht hatte. Interessant, Was aber, wenn ein wirklich schlimmer Staat - es soll ja da immer noch einen geben - über sie verfügt? Dann hätte die Bombe immerhin einen späten Sinn. Andersrum: Wer sagt denn, daß die USA glaubten, Hitler hätte die Waffe. Bereits die Vermutung, er ließe an ihr bauen, die Möglichkeit (vgl. das Bush-Zitat) also, daß er über sie verfügte, reichte hin für den Beschluß: Diese latente Bedrohung können wir nicht gelten lassen, Von wegen Täuschung also: Mit dem Grgensatzpaar Wissen/Nichtwissen wird die Atombombenpolitik ihres politischen Zwecks entkleidet und in einen gristigen Lapsus, in eine Absurdität vrrwandelt, mit der man sich die Hintergründe des Geschehens zu Gemüte führt. Ganz schön diabolisch, wie da der Irrtum die Geschicke der Menschheit hinterrücks an sich reißt, Wahrlich amüsant, wie hier auch der planende und befehlende Teil der Menschheit als Würstchen dasteht, als Opfer des eigenen sinnlosen Tuns, das ihm nun seinen Willen aufzwingt... Irgendwie kommt sie einem doch bekannt vor, die Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft...

Die Bombe will verantwortet sein... ... von den Naturwissenschaftlern:

Nützliche Idioten erwünscht!

"In Washington behält der Atomwaffengeneral Groves die Oberhand über die mahnenden Atomphyisker, die nun erkennen müssen, daß sie nichts weiter als die nützlichen Intelligenz-Idioten des Militärs und der Machtpolitik sind." (Spiegel, 19.8.85)

Was ist also gefragt? Nützliche Idinten mit Unterscheidungsvermögen. Wenn sie sich überzeugt haben, daß sie es mit Nicht-Atomgenerälen und Nicht-Machtpolitikern zu tun haben, sind ihre Dienste unausweichlich und ihre Mahnungen voll der besten Folgen.

Wissenschaft im Schauder vor der Geschichte

Vor allem aber müssen Wissenschaftler in der Verantwortung vor den Wirkungen ihres Tuns ihre Forschertätigkeit mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Folgen verwechseln. Dann kommen sie beim Physiktreiben aus dem Schwindel gar nicht mehr raus:

"'Über den Nachweis und das Verhalten der bei der Bestrahlung des Urans mittels Neutronen entstehenden Erdalkalimetalle.' So wenig vielversprechend lautet die Überschrift eines knapp fünf Druckseiten langen Textes, den die Fachschrift 'Die Naturwissenschaften' in ihrer Ausgabe vom 6. Januar 1939 veröffentlicht. Die Verfasser: Otto Hahn... Fritz Straßmann. Inhalt:... Mitteilung, daß die beiden Forscher nach dem Beschuß von Uranproben 'mittels Neutronen' Stoffe 'mit der Eigenschaft des Bariums' gefunden haben. Hahn getraut sich nicht, diesen Stoff unzweideutig 'Barium' zu nennen; denn er fühlt sich überfordert von den unerhörten physikalischen Folgerungen, die sich daraus ergäben. Er und sein Assistent, schreibt Hahn, könnten sich zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden Sprung noch nicht entschließen.'

Den schwindelerregenden 'Sprung', vor dem Otto Hahn zurückschreckt, wagt eine gerade erst vor den Nazis geflohene 60jährige Frau. ... Lisa Meitner wird zur Schlüsselfigur auf dem Weg zur atomaren Geschichtswende." (Spiegel, 19.7.85)

Der "wenig vielversprechende" Titel hätte wohl besser gelautet: "Ankündigung des alsbaldigen Beginns des Atomzeitalters". Doch Hahn, dem Zauderer, fehlte wohl selbst zu dieser Überschrift der Mut. Da mußte erst eine Frau den Männern vormachen, wie man dem "unerhört" Neuen in der Physik gerecht wird: physikalische Folgerungen als geistiges Wagnis von nicht abzusehender Reichweite zu wag-folgern. Peinlich, peinlich.

Mehr Halt in die Wissenschaft!

"Sie waren geniale Forscher, Diener der reinen Wissenschaft. Sie sollten die Fesseln der Materie sprengen, doch sie entfesselten ein Zeitalter des Schreckens: Zauberlehrlinge, die die Sonne auf die Erde holen wollten und die Atombombe in die Welt setzten. Seither leben wir in Erwartung der Apokalypse." (Stern, 1.8.85)

Die Wissenschaftler müssen sich schon allerhand gefallen lassen, wenn ein aufgeklärtes Blatt die Staatsgewalt in die reine Religion verwandelt. Dann sind "reine" Forscher die reinsten Teufel. Ihre Wissenschaft ist nichts als der Fehlglaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des menschlichen Geistes, wo man doch bei Mensch immer laut "Grenze" schreien muß. Die Versündigung gegen die dem Menschen gesetzten Schranken rächt sich. Wer die Fesseln der Materie sprengen will - so ein Quatsch kommt dabei raus, wenn Journalisten der 'Glasperlen'-Wissenschaft mit deren 'Allmachtsphantasie' eins reinwürgen wollen -, bekommt zu spüren, daß er selbst nur ein Stäubchen ist. Als ob die Naturwissenschaftler etwas dafür könnten, wenn der "Stern" beschließt, den Weltuntergang zu prophezeieri, auf den man gefälligst zu warten hat, wird diese Propaganda als Folge ihres ruchlosen Tuns "abgeleitet": Weil sie das Menschenunmögliche wollten und sich Gott-Ebenbürtigkeit anmaßten, läßt der Herr "uns" als Menschen dafür büßen. Gemein, gell. Wenn da schon nix zu fordern geht, muß wenigstens die Parole "Mehr Halt in die Wissenschaft" erhört werden. Am besten zurück hinter Newton zu Ptolemäus, da war die Wissenschaft noch nicht vom Glauben abgefallen:

"Das alte Newtonsche Weltbild der Harmonie und Stabilität, der Unteilbarkeit der Atome und der Berechenbarkeit aller Vorgänge in der Natur war zusammengebrochen. Der Umsturz war nicht weniger dramatisch als 400 Jahre zuvor die Erkenntnis des Kopernikus, daß sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.... Es gab keine festen Haltepunkte mehr. Gewiß war nur eines: Die Kernphysik hatte eine Grenze erreicht, wo sie aufhörte, ein Glasperlenspiel zu sein. Wo es nicht um abstrakte Erkenntnisse ging, sondern um den Weg, den die europäisch-amerikanische Zivilisation einschlagen würde." (Stern, 1.8.)

...von den Befehlsempfängern:

Wir sind alle Gewissenswürmer!

"Navigator fühlte sich schuldig - Selbstmord. Hiroshima-Pilot bereut nichts. Auch Präsident Nixon hat viermal den Einsatz der Atombombe erwogen." (AZ, 6.8.85)

Das Auch bringt's. Egal, ob Befehlsgeber, -empfänger oder Opfer: Die Bombe ist und bleibt eine Frage, die der Mensch mit sich auszumachen hat.

Du sollst Dir ein Gewissen machen, wurscht welches!

"- Der eine Atombombenschütze bringt sich um. Depressionen.

- Der nächste will sich des öfteren vor japanischen TV-Kameras entschuldigen: 'Es tut mir leid''.

- Der dritte sagt: 'Ich bereue nichts. Der Krieg ist immer grausam. Egal, ob er mit Pfeil und Bogen oder mit dem Knüppel ausgefochten wird. Darüber moralisieren die Leute dann gern. Ich habe nur meine Arbeit getan. Ich hatte Erfolg und freue mich darüber.'

- Der vierte hatte Schuldkomplexe, ließ sich später ein Dutzendmal bei Einbrüchen und Raubüberfällen erwischen. Er wollte wenigstens bestraft werden und im Gefängnis sühnen." (AZ, 6.8.85)

Der Herr mit dem Knüppel braucht sich heute nicht mehr den Vergleich mit einem KZ-Schergen gefallen zu lassen, auch wenn ihn an seinen Opfern nur interessiert, wie erfolgreich er den Befehl an ihnen vollstreckt hat. Heute wird eben das gute Gewissen eines Mörders umstandslos vorgeführt - immerhin hat er die nationale Sache ganz schön voranbringen geholfen. Und um nicht einseitig zu erscheinen, läßt man an den anderen kleinen Negerlein ihre Tat als ihren bösen Willen an ihnen nagen und zehren.

... von den Politikern:

Der Mensch als militärisches Ziel der Bombe kommt nicht in Frage!

"Unter großer Anteilnahme des Auslands gedachte Hiroshima... des ersten Atombombenabwurfs einer gegen Menschen eingesetzten Atombombe vor 40 Jahren am 6. August 1945." (SZ, 7.8.85)

Die "Abendzeitung" enthüllt, daß Nixon 1969 den Atombombeneinsatz erwog: "Ganz ernst war es Nixon 1969 in Vietnam. Er entschied sich letztlich dagegen: 'Weil es sich nicht um militärische Ziele handelte'," (AZ, 6.8.85)

Neben der Bekräftigung des Glaubens an den verantwortungsbewußten Einsatz des Mordgeräts - als Mensch kann man sich also selbst im Atombombenzeitalter einigermaßen sicher fühlen - wird schon mal ansatzweise klargestellt, daß Politiker über diese Waffen nicht verfügen, um sie nicht einzusetzen: militärische Ziele gehen voll in Ordnung.

Es gibt noch Gentlemen in der Politik

"Der 77jährige Kriegsminister Stimson ist nicht nur ein Gentleman alter Schule, der in barbarischen Zeiten Reste einer nobleren Gesinnung zu bewahren versucht und schon wegen der zurückliegenden Großangriffe gegen die Zivilbevölkerung besorgt ist, weil er nicht will, daß die 'Vereinigten Staaten den Ruf bekommen, Hitler an Greueltaten zu übertreffen.'...

Stimson rechtfertigt aber seine gute Tat (die Rettung der Kaiserstadt Kyoto) keineswegs mit kulturellen Werten, sondern mit dem Problem, von dem das Denken der führenden Amerikaner schon total beherrscht wird: der Rivalität mit der Sowjetunion. ... 'Die Verbitterung, die ein solcher Willkürakt (in Japan) hervorrufen würde, könnte es unmöglich machen, daß sich die Japaner in der langen Nachkriegsperiode mit uns versöhnen statt mit den Russen'." (Spiegel, 19.8.85)

Nobel also, die Gesinnung, auch wenn hinten und vorne nicht zu erkennen ist, daß der Glaube an die zu bewahrenden höheren kulturellen Werte der Grund war, weshalb Kyoto verschont wurde: Sie löst sich ganz auf in das Bedenken, welch nachteilige Wirkung die Zerstörung der Kunst- und Kaiserstadt auf den politischen Ruf der USA in aller Welt und auf die beabsichtigte Benutzung des Kriegsgegners "in der langen Nachkriegsperiode" haben könnte. Macht aber nichts, eine gute Tat war's trotzdem. Dann ist eben der Gentleman, für den man ihn unbedingt halten möchte, zum Opfer seiner antikommunistischen Umgebung geworden. Politiker haben es besser: Sie brauchen nur einen gewissen Ruf zu haben und schon können sie gar nichts mehr falsch machen.

Wie man sich gegen die Bombe feit

Du kannst noch wählen: Gott oder die Bombe?

"Die Irrationalität der Atombombenpolitik kann nur mit der Rationalität von Politikern überwunden werden, die endlich sich auch vorzustellen wagen, welche Folgen ihre Politik haben könnte. Es fehlt nicht an Phantasie, es fehlt an Mut zum ersten Schritt, und es fehlt an Ehrfurcht vor dem Leben, an Ehrfurcht vor Gott. Gott oder die Bombe? Wem vertrauen wir mehr?" (Franz Alt in der AZ, 6.8.85)

Warum hängt eigentlich der Gang des Weltgeschehens vom Glauben der Mannschaft ab, wenn Gott und der Böse es sowieso unter sich abmachen? Von der Entscheidung für das Gute oder das Böse, wie hier fingiert, hängt schwerlich etwas ab: Selbst Herr Alt dürfte sich schwer tun, jemanden aus seinem Bekanntenkreis zu benennen, der sich dem Bösen verschrieben hat. Aber auf den Glauben, daß die Welt vor der Alternative "Bombe oder Leben!" steht, daß die Welt in Ordnung geht oder gehen könnte, wenn sich nur die richtigen Leute der richtigen Werte annehmen, kommt's schwer an.

Nicht umsonst ist hier die Möglichkeit: weder Gott noch die Bombe, und Vertrauen schon gleich gar nicht - nicht vorgesehen.

Das 11. Gebot: Du sollst nicht abtreiben!

"Als ein schlimmes Zeichen, das an Schrecklichkeit nicht hinter den Atompilzen von Hiroshim und Nagasaki zurückstehe, hat der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, die Abtreibungspraxis in der Bundesrepublik bezeichnet.

Wie der Kardinal bei einem Pontifikalamt zu Mariä Himmelfahrt im Dom meinte, sei die Menschheit über die weltweite atomare Bedrohung mit Recht bestürzt. Allein in der Bundesrepublik würden aber in einem Jahr mehr als 200.000 Kinder im Mutterschoß getötet, was die Zahl der Opfer beider Atombomben vom August 1945 in Japan noch übersteige.

In dieser Situation, so sagte Wetter weiter, sei die verklärte Gottesmutter für die Menschen ein Zeichen des Lebens und der Hoffnung, unter dem auch Atombomben schwächer und bedeutungsloser würden und das Übel und Unrecht der Abtreibung zurückgehen könne. Keine Macht der Welt könne dai von Gott geschenkte Licht des Lebens und der Hoffnung zerstören." (SZ, 16.8.85)

Somit entstehen jedes Jahr zwei Abtreibungspilze im Bauch Deines Volkskörpers, dem Dein Bauch gehört.

Sag ja zum Leben!

"Durch meine Freunde, die Hibakunisei (Kinder der Atombombenopfer) habe ich bemerkt, wie sehr das Weiterleben durch ein Kind ein elementares menschliches Bedürfnis ist. ... Sie erleben eine Geburt, d.h. das Weiterleben, intensiver als wir.

In Japan gibt es einige Politiker, die den Hibakunisei Kinder verbieten wollen und damit eine extreme Form der Verdrängung praktizieren. ... Aber wenn die Menschheitserfahrung der Hibakusha und Hibakunisei nicht verstanden, sondern verdrängt wird, besteht die Gefahr, daß diese Erfahrung wiederholt werden muß." (taz, 7.8.85)

Daß gegen die Atombombe kein anderes Nein als das unbedingte Ja erlaubt ist: das sagen der Papst, Reagan und Geißler. Das sagt die taz auch, weil sie auf ein Opfer gestoßen ist, das das auch sagt. Und sie geht gleich noch einen Schritt weiter. Das wirklich uneingeschränkte Ja - zum Überleben nämlich, dessen Name heute Kind ist - sagt man nur, wenn einem die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Also "muß" "möglicherweise" die negative "Erfahrung" doch noch mal wiederholt werden, damit das Ja endlich klar genug rauskommt!

Was tun?

Die Frage erübrigt sich. "Reife" beweist die Menschheit, indem sie überlegt, wie sich "mit der Bombe leben" (SZ, 16.7.85) läßt. Und da schau an: es läßt sich. Die Opfer sind wie immer solidarisch und tauschen mal zur Abwechslung einen "Erfahrungsaustausch" über ihre Bestrahlung aus (SZ, 6.8.81). Alle Menschen guten Willens appellieren an den guten Willen aller Menschen, damit es nicht zum "Unvorstellbaren" kommt. Andere wieder warnen - nicht etwa die Politiker davor, so weiterzumachen wie bisher, sondern:

"Hiroshima ist eine niemals endende Warnung für die Zukunft der Menschheit."

Wen hat er jetzt eigentlich wovor gewamt? Die Menschheit vor der Zukunft oder die Zukunft vor der Menschheit? Auf jeden Fall müssen sich beide schwer in Acht nehmen. Die nächsten versorgen die Welt mit Informationen über die Bombe, an denen sie schon vorher keinen Mangel litt. So bestaunt dann alle Welt den Atomkrieg als Schicksal, Wahnsinn oder tiefgründig hintersinnige Geschichtsironie, als ein Rätsel, aus dem eine Lehre gezogen sein will. Man kann aber auch schweigen, beten oder Kinder kriegen für den Frieden, damit diese dann Friedenskraniche basteln und Fähnchen schwenken können für den Frieden. Man soll nämlich optimistisch in die Zukunft blicken, vor der man sich auch gruseln darf. Und die Meinung, daß es immer schon Kriege gegeben hat, ist auch nicht verboten. Aus ihr läßt sich auch Trost schöpfen: Die Gefahr eines Krieges muß ja nicht unbedingt, sondern nur vielleicht eintreten. Dann blickt man mit einer ausgewogenen Mischung von Schauder und hoffnungsvoller Erwartung auf das, was kommen mag - nicht ohne den Politikern für die Erledigung dessen, was ansteht, recht viel Weisheit zu wünschen.