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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1985 erschienen.


NACHRICHTEN VON DER MARKTWIRTSCHAFT

Leadership

war das Thema des diesjährigen "Internationalen Management-Gesprächs" in St. Gallen, über das die "Süddeutsche Zeitung" unter dem Titel "Die Kunst des Führens" berichtet. Wie das Thema schon verrät, redeten die Manager darüber, daß es sie gibt, woraus sich immer eine schöne Feier machen läßt. Zu diesem Zweck hatten sie sich ein paar Professoralaffen bestellt, die ihnen umstandslos bestätigten, daß sie die Größten sind. Dabei wurden folgende Erkenntnisse über den Manager - der Sache nach eine bornierte Kreatur, die an möglichst viel Kredit zu kommen sucht, um aus den Lohnarbeitern und auf ihre Kosten maximalen Profit zu schlagen - geschürft: Fritjof Capra stellte fest, daß "praktisch alle heutigen Wirtschaftsprobleme Systemprobleme seien"; der nächste Professor schob kongenial ein "Plädoyer für ganzheitliches Denken" nach. Gemeinsames Resultat: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." Gerade deswegen mußten natürlich möglichst alle Teile vorgeführt werden, die in der ganzheitlichen Leader-Person herumliegen. Auf (handverlesenen!) 11 cm Zeitungsspalte kamen zusammen:

- Experimentierfreudigkeit

- Lebenslange Lernbereitschaft

- Spaß, mit Menschen zu arbeiten

- Inspirationsquelle

- Freundlichkeit, aber auch gewisse Distanz

- Mut, Nerven, Gelassenheit

- Sensibilität für Neues, Vorstellungsvermögen

- Kreative Verwertung von Informationen

- Elemente der Askese, Selbstdisziplin

- Ausbildung, Training des Geistes

- Querverbindende Lektüre, Schulung des Gedächtnisses

- Aufgeschlossenheit, Aufopferungsbereitschaft

- Willenskraft

- Peinliches Haushalten mit der eigenen Zeit.

Kein Wunder, daß bei soviel phantastischen Eigenschaften schließlich nur die "Erbanlagen" verantwortlich sein können, denn: "Höchste Führungskunst ist nicht erlernbar." Das mit der "pathologischen Seite", die solchen Persönlichkeiten auch zu eigen sein müsse, wollte keiner dahingehend verstanden wissen, daß sich lauter Größenwahnsinnige versammelt hätten. Im Gegenteil: Hier saßen die Supermänner des Freien Westens, in deren Erfolg sich der Anspruch auf Weltherrschaft begründet. Zielstrebig waren sie nämlich zur "Systemfrage" zurückgekehrt und mußten feststellen, daß im Osten ein "ineffizienter Führungsstil" anzutreffen sei. Heißt: Ein niederer Menschenschlag dort drüben, dem die Leadership-Gene abgehen - ganzheitlich weg damit!

Die Lottoeinnahmen sind rückläufig!

Wenn das Geld so knapp wird, daß die Leute ihre einzige vernünftige Chance auf Reichtum nicht mehr wahrnehmen wollen, dann ist das ein alarmierendes Zeichen. Der Hauptnutznießer aus diesem organisierten Volks(selbst)betrug ist der Staat - und der kann auf diese Einnahmen unmöglich verzichten. Also "investiert" er:

"Mehr Speck in die Lotto-Falle." (Überschrift in der "Süddeutschen Zeitung")

Die Höchstgewinne werden heraufgesetzt, zufällig entsteht ein 15-Millionen-Jackpot - schon werden die Lottoscheine knapp, weil die Leute die Annahmeschalter eindrücken.

Die "Bild"-Zeitung weiß, was sie ihrer Kundschaft schuldig ist, und berichtet ausführlich, daß ein wahres "Lottofieber" ausgebrochen ist - damit wäre die Richtigkeit der Sache schon bewiesen. Damit sich Otto Normalo auch vorstellen känn, welcher Reichtum ihm da winkt, werden ein paar Übersetzungskunststücke nachgeschoben. Soeben gewannen ein "Kaufmann und seine Freundin" über 6 Millionen:

"Dafür können sie sich 6.231 Quadratmeter Land in guter Lage, 415 Golf oder 196 Mercedes Typ 200 kaufen." Oder "350 Schmidt-Vorträge oder 1 km Autobahn":

Der Kauf einer Fabrik und der dazugehörigen Arbeitskraft mit anschließender Beendigung des Lottospiels wird nirgends erwähnt.

Betrübtes Schweigen auf dem Sargmarkt

An dem Unsinn, die Verstorbenen mit viel öffentlicher Trauer in pompöse Särge zu legen und dann die Gräber jahrelang zu pflegen, verdienen sich die Bestattungsunternehmen dumm und dämlich. Jetzt haben sie es aber nicht nur mit stagnierenden Sterbezahlen zu tun, es nimmt auch die Zahl der "ungenannten Bestattungen" zu: Viele Leute können sich den teuren Budenzauber nicht mehr leisten und versenken mit städtischer Hilfe ihre Angehörigen anonym.

Der Konkurrenzkampf auf dem Bestattungsmarkt tritt in ein neues Stadium. "Sarg-Discount-Firmen" tauchen auf und ködern die Toten mit dem Billigmodell "Dallas" u.a.

"Die etablierte Konkurrenz kocht. Auf einem stagnierenden Absatzmarkt von jährlich 700.000 Särgen ist Unruhe das allerwenigste, was sie in ihrem stillen Gewerbe brauchen kann."

Und weil ein RIP-Mann für gewöhnlich flüsternd und mit gefalteten Händen herumsteht, kann er jetzt nicht plötzlich das Wirbeln anfangen:

"Die 3.000 Bestatter in der Bundesrepublik können nicht ein aggressives Marketing betreiben für ihr 'Know-how' des Todes... Diese Sprachloiigkeit lähmt auch die Bestattungsunternehmer."

Zu dumm.

Schattenseiten der freien Marktwirtschaft

Die Chinesen, auf ihrem Weg in die Arme der Profitmacher, zeichnen sich im allge meinen durch vorbildliche Vertragstreue und Zahlungsmoral aus. Erste Klagen kommen jetzt von der Firma Medima (Angoraunterwäsche), die ihren Rohstoff zu 90% aus China bezieht. Die Angora-Bauern haben nämlich die Aufforderung ihrer Regierung, auch an private Händler zu verkaufen, zu wörtlich genommen und glatt höhere Preise herausgeschlagen:

"Wie man in China hören kann, ist es für chineiische Betriebe häufig interessanter, die Ware an andere Abnehmer zu verkaufen und damit einen höheren Gewinn für das Unternehmen zu erzielen."

So war das nicht gemeint, werte chinesische Freunde. Ihr macht euren langen Marsch in die Freie Marktwirtschaft - wir aber legen dabei die Preise fest! D

Holde Sorgen

Die Immobilienspekulanten sind irritiert. "Nach drei Jahrzehnten mit fast automatischem Wertzuwachs" stellen sie besorgte Fragen a la "Läßt sich mein Haus in Arizona verkaufen?". Was ist geschehen? "Die niedrige Inflationsrate irritiert den Immobilienmarkt."

Die niedrige Inflationsrate animiert andererseits die Anlage in Wertpapieren. Also nix wie hin. Doch Vorsicht! "Man muß zugeben daß heute das Geld nicht mehr auf der Straße liegt." Wer es nicht rechtzeitig aufgehoben hat, macht womöglich einen Verlust: "Soll ich meinen Goldsparplan mit Verlust auflösen und dafür Bankaktien kaufen?" Die Lösung: "Ein breit gestreutes Sortiment mit rechtzeitigen Umschichtungen in die aktuellen Werte ist noch allemal die sicherste Gewähr für Risikoabstützung und Rendite." Sonst: "Zinsdifferenzgeschäfte... haben ihre Tücken"; "rückläufiger Dollarkurs.. Finger verbrennen"; "Börsenampeln... auf Gelb... dann auf Rot". Überhaupt sind die Aussichten ganz schlecht:

"Ein Konjunkturrückgang ist wohl in der gesamten westlichen Welt nach so langer Aufschwungsphase unvermeidlich."

Aber dann steigen ja Gott sei Dank wieder die Immobilien.

Kleintierhaltung und andere Neger

Auf der Aktionärsversammlung des Nestle-Konzerns wurden Sorgen laut, die Geschäftsleitung könne mit dem Aufkauf der nordamerikanischen "Carnation" einen Fehler gemacht haben. Einige um den Ruf des Unternehmens besorgte Aktionäre äußerten sich in Erinnerung an geschäftsschädigende Verlautbarungen, daß Nestle-Produkte eine nicht unwesentliche Rolle bei einer gewissen Sorte Familienplanung auf dem Schwarzen Kontinent spielen:

"Die meisten Fragen der Aktonäre drückten die Sorge aus, über dem verstärkten Engagement in Nordamerika könne die Versorung der hungernden Menschen in der Dritten Welt mit preisgünstigen Grundnahrungsmitteln zu kurz kommen. Der Verkauf von Hunde- und Katzenfutter, das zum Produktionsprogramm von Carnation gehört, vertrage sich schlecht mit einer solchen Aufgabe."

Vom Vorstand bekamen sie beruhigend zu hören, daß Negerfutter und Kleintierfutter völlig getrennte Sachen seien:

"Vom Vorstandstisch wurde dem entgegengehalten, daß gerade der Verbesserung des Lebensmittelangebots in der Dritten Welt ein beträchtlicher Forschungsaufwand gelte und daß die Bestandteile des Kleintierfutters für die menschliche Ernährung völlig ungeeignet sei."

Beide Seiten waren sich also darin einig, daß das Leben von Millionen von Nestle abhängig ist. Daß man dafür auch Fischköpfe und zermahlene Knochen verwenden kann, konnte sich die Moral-Fraktion offensichtlich gut vorstellen. Der Vorstand seinerseits deutete an, daß "die Versorgung der Menschen in der Dritten Welt" das Manko aufweist, daß man ihnen Kleintierfutter ohne Forschungsaufwand noch nicht geben kann. Solange an entsprechenden Ersatzprodukten noch gebastelt wird, ist es also die Pflicht eines um Diversifizierung bemühten Unternehmens, sich um die Versorgung der Tiere in aller Welt zu kümmern - die Hunde- und Katzenhaltung ist ja ausreichend erforscht.

Sozialismus, wie er denen gefällt

Seit Israel sich den gesamten Südlibanon zur Sicherheitszone zurechtgemacht hat, sind die meisten Wehrdörfer - auch Kibbuzim genannt - aus der Schußlinie. Der Wehrbauer kann sich ganz seiner produktiven Tätigkeit widmen, die mittlerweile in gewöhnlicher industrieller Produktion oder agrarischer Großwirtschaft besteht. Viele Kibbuzim machen flotte Gewinne - kein Wunder bei diesen absoluten Billiglöhnen. Die Sache rentiert sich so sehr, daß eine eigens gegründete Finanzierungsgesellschaft eine solide Grundlage für einen rasanten neuen Kreditschwindel abgeben konnte. Der Schwindel ist zwar geplatzt, aber den Kibbuzim will niemand einen Vorwurf machen. Im Gegenteil: Das ist doch mal

"Ein sozialistisches Experiment, das funktioniert". (Überschrift in der"FAZ")

Ein sozialistisches Experiment ist nämlich immer dann in Ordnung, wenn die eingesessene Geschäftswelt daran profitiert:

"Die israelischen Kibbuzim sind zu einem außerordentlich erfolgreichen Geschäftsimperium herangewachsen. Das einzige sozialistische oder gar kommunistische Wirtschaftsexperiment, das jemals funktioniert hat, hat inzwischen - wie Marx sagen würde - soviel Mehrwert akkumuliert, daß seine Schatzmeister gar nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Geld."

Da lassen sich auch die angeblichen und angeblich so uneiträglich schrecklichen Seiten des "Sozialismus" goutieren:

"Am wenigsten änderte sich das soziale Axiom: Der Angehörige eines Kibbuz hat keinen persönlichen Besitz und, theoretisch, keine persönliche Freiheit. Besitz und Entscheidungen sind Sache des Kollektivs."

Ja, wenn die Sache so ist, dann ist ein aufgeklärter Bourgeois doch allemal Anhänger des Kollektivs. Voraussetzung ist freilich, daß die Mitglieder des Kollektivs solche Idioten wie die israelischen Wehrbauern sind:

"Kibbuz-Mitglieder werden ärgerlich, wenn man ihnen vorhält, wo die Arbeit nichts kostet (es gibt keinen 'Lohn'), sei es keine Kunst, ertragreich zu wirtschaften: Ganz im Gegenteil sei die Arbeit im Kibbuz teurer als draußen im Lande: Der Kibbuz trage für seine Mitglieder ja alle Lasten, die draußen der Staat übernehme - von der kompletten sozialen Absicherung bis zum Schwimmbad."

Sozialisten also, die sich gleich umstandslos auf den Boden der Marx'schen Erkenntnis stellen, daß der Lohn so die Reproduktion des Arbeiters regelt - inclusive Hygiene! -, daß er beständig als Ausbeutungsobjekt funktioniert.