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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1985 erschienen.
DER GANZ NORMALE WAHNSINN
Klappt der dritte Weltkrieg?
"Präsident Reagans problematischer 'Sternenkrieg'
Zu den größten Problemen der 'Strategischen Verteidigungsinitiative' Präsident Ronald Reagans gehört der Umstand, daß die Erde rund ist. Man kann vom höchsten Berg nicht zum nächsten Kontinent blicken. ... Um die Flammen einer aufsteigenden Rakete zuverlässig ausmachen zu können, wäre ein ideales Spiegelteleskop mit rund hundert Meter Durchmesser Voraussetzung... Insofern gilt die Fragestellung der Wissenschaft im Augenblick nicht Schäden beim Verteidiger an der Erdoberfläche, sondern der Machbarkeit der Vision Ronald Reagans. Große Chancen scheint sie bislang nicht zu haben." (Nicht aus dem "Magazin für Wehrkunde", sondern "Frankfurter Rundschau", Mai 85)
Was könnte einem Rüstungskontrolleur von der freien Presse auch sonst einfallen als die Frage: 'Taugt das wertvolle Tötungsgerät zum Showdown mit den Russen?' Diese Sorge um die Machbarkeit der Atomkriegsführung werden die Amis sicher beruhigen können: Wenn die "Wissenschaft" die "Probleme" von SDI bereinigt hat, dann ist SDI keine "Vision" mehr, sondern hat alle "Chancen". Für die demokratische Journaille ist dann jedenfalls die Welt in Ordnung.
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Der totale Umweltschutz
Der Siegeszug ökologischen Denkens ist so unaufhaltsam, daß mit der Umwelt heute alles begründet werden kann. Und das ist nicht einmal nur Ideologie: Die so Räsonnierenden meinen es wirklich so. Die aktuellsten Beispiele:
1. Die sauberen Krieger
"Bundeswehr gab 1983 für Umwelt 544 Millionen Mark aus
Die Bundeswehr sei bei der Erfüllung ihrer Aufgabe der Friedenssicherung bemüht, auch die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und die Umwelt nicht über ein vertretbares Maß hinaus zu belasten, teilte die Bundesregierung in Antworten auf zwei Große Anfragen der Grünen im Bundestag mit. Nach diesen Angaben hat die Bundeswehr 1983 insgesamt 544 Millionen Mark für aktiven Umweltschutz ausgegeben... Auf den Übungsplätzen würden nur etwa 15 Prozent der in der Landwirtschaft üblichen Mengen an chemischen Pflanzenbehandlungsmitteln verbraucht. Der Schadstoffausstoß aus Bundeswehrfahrzeugen betrage deutlich unter ein Prozent der Jahresemissionen des gesamten Straßenverkehrs, seit Januar 1985 würden nur noch Pkw mit Dieselmotoren beschafft. Alle bis zu zwölf Jahre alten Heizzentralen würden mit Rauchgasreinigungsanlagen ausgerüstet, ältere würden total erneuert. Als weitere Maßnahmen werden unter anderem der Bau von Lärmschutzhallen und -wällen sowie der Bau von bisher 625 eigenen Kläranlagen der Bundeswehr genannt." (Süddeutsche Zeitung, 7.6.)
Angesichts dieser eindeutigen Zahlen ist jeder weitere Schritt in Richtung Militarisierung des gesamten öffentlichen Lebens ein wertvoller Beitrag zur Schadstoffemissionsdrosselung.
2. Die alternativen Tiefflieger
"Grüne fordern Verbot von Tiefflügen
Die Tiefflugübungen der Bundesluftwaffe und der Alliierten sollten auf das notwendige Maß beschränkt werden. Es sollte alles getan werden, um Menschen und Kulturdenkmäler möglichst vor Schäden durch tieffliegende Militärmaschinen zu bewahren. Die Ausbildung der Piloten müsse verstärkt ins Ausland verlegt werden. Darüberhinaus sollten im Bundesgebiet die Tieffluggebiete besser aufgeteilt werden." (Süddeutsche Zeitung, 25./26.5.)
So der Verteidigungsminister des grünen Schattenkabinetts, Thorsten Lange, in einer Aktuellen Stunde des Bundestags, die auf Antrag der Fraktion der Grünen abgehalten wurde. Einheit im Hohen Hause über die ideologischen Grenzen hinweg wurde angesichts der Horrorvorstellung "Stell dir vor, es ist Krieg und alle sind taub!" rasch hergestellt:
"Staatssekretär Peter Kurt Würzbach (CDU) erklärte, es sollte mehr Geld bereitgestellt werden, um die Ausbildung der Luftwaffe noch mehr ins Ausland verlegen zu können. Die Hardthöhe bemühe sich ständig, die Flugübungen in der Bundesrepublik zu entzerren, damit nicht stets dieselben Bewohner den Lärmbelästigungen ausgesetzt seien. 30 Prozent der Ausbildung finde bereits im Ausland statt. Die Luftwaffe müsse aber im Tiefflug üben."
Letzterem wollte auch Lange im Prinzip nicht widersprechen. Sein Einwand gegen die Tieffliegerei hieß ja nur: "Der Preis der Freiheit darf nicht täglicher Terror sein. Terror ist aber in gewisser Weise die Tieffliegerei." Für die Ohren der mündigen Bürger die Flughöhe von NATO-Jägern!
Würzbachs Replik hierzu wär kongenial:
"Würzbach warnte vor der von den Grünen für die nächste Woche angekündigten Aktionen gegen Tiefflüge. Wenn dabei Fesselballons hochgelassen würden, werde auch der allgemeine Luftverkehr gefährdet."
3. Requiesrat in Pace
"Bonn protestiert bei US-Armee gegen Übungsschießen
Nach Angaben des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alfred Dregger, hat sich Staatssekretär Peter Würzbach (CDU) an die US-Botschaft und den amerikanischen Oberbefehlshaber in Deutschland gewandt und die Schießübungen auf dem amerikanischen Übungsplatz an der hessisch-bayrischen Grenze scharf kritisiert. Bei Lärmwerten von 60 bis 70 Dezibel sei in drei Nächten die Ruhe der Anwohner empfindlich gestört worden. Dregger will die Übungspraxis der amerikanischen Streitkräfte 'zu einem der Hauptgesprächsgegenstände' seines Treffens mit US-Verteidigungsminister Weinberger am 4. und 5. Juni in Washington machen." (Süddeutsche Zeitung, 29.5.)
Der Krieg wird störend oft empfunden,
Weil er mit Geräusch verbunden. (Frei nach W. Busch)
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Antiamerikanismus im Bundesaußenministerium?
"In einem Gespräch mit dem Vizepräsidenten von Nicaragua, Sergio Ramirez Mercado, hat Bundesaußenminister Genscher in Bonn von einem 'erheblichen Rückschlag in den beiderseitigen Beziehungen durch Äußerungen der nicaraguanischen Regierung gegen die Bundesrepublik' gesprochen. Auf seiner Europareise hat der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega in Ostberlin die Bundesregierung beschuldigt, ein 'Komplice' dar USA zu sein." (Süddeutsche Zeitung, 29.5.)
Das wiederum hat die Beziehungen zwischen dem dicken Genscher und der "Frankfurter Allgemeinen" belastet: Sie fragt ihn: "Seit wann ist es denn eine Schande, loyaler Verbündeter der USA zu sein?" (FAZ, 29.5.) - und fordert ihn auf, als Mittäter auch entsprechend unverschämt aufzutreten.
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Die Wahrheit über die Entwicklungshilfe
erzählen der zuständige Bundesminister Jürgen Warnke (CSU) und sein Parteivorsitzender Franz Josef Strauß zur Kritik angeblicher Illusionen, die sich frühere Regierungen gemacht hätten. Haben sie sich natürlich nicht, sondern nur die politischen und ökonomischen Investitionen des BRD-Imperialismus mit einer Ideologie versehen, die einem in den sechziger Jahren weitverbreiteten "Dritte- Welt" - Idealismus entgegenkam:
"Die eingefahrenen und ausgeleierten Gleise der bisherigen Entwicklungspolitik haben nach Ansicht des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß überall in die Sackgasse geführt. Auf dem ersten Dritte-Welt-Kongreß der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Hof/Saale forderten sowohl Strauß als auch der zuständige Bundesminister Jürgen Warnke ein grundsätzliches Umdenken bei den Industrienationen wie den Entwicklungsländern. Notwendig, so sagte Strauß, sei eine aktive Dritte-Welt-Politik, die mehr öffentliche Mittel in die privaten Investitionen der Entwicklungsländer und die Verbesserung der Infrastruktur lenkt. Für die Entwicklungsländer komme es darauf an, stabile politische Voraussetzungen für die Organisation des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu schaffen. Nur innerer Friede, Rechtssicherheit und die richtigen Rahmenbedingungen böten die Voraussetzungen für eine erfolgversprechende marktwirtschaftliche Entwicklung."
Von wegen "Sackgasse": Auf schnurgeraden Geleisen haben 30 Jahre Entwicklungspolitik die aus dem Kolonialismus entlassenen Ländereien zu Staaten entwickelt, deren politische Souveränität sich als sehr nützlich erwiesen hat - für die Politik des Imperialismus. Diese schenkt sich jetzt alle Spesen - für Experimente in Sachen wirtschaftlicher Souveränität und bezahlt nur noch für "stabile, politische Voraussetzungen":
"Strauß warnte Europäer und Amerikaner davor, die Meßlatte demokratischer Idealvorstellungen an die Verhältnisse in den Entwicklungsländern zu legen: 'Dies wäre eine gefährliche Illusion', weil die geschichtliche, geistige und soziale Entwicklung in der Dritten Welt ganz anders verlaufen sei als hierzulande." (Süddeutsche Zeitung, 18.6.)
Hierzulande funktioniert die Marktwirtschaft prächtig mit Demokratie und Rechtsstaat. D a unten verlangt eine "erfolgversprechende marktwirtschaftliche Entwicklung" bisweilen ein bißchen Faschismus und Massensterben: Sicherer Realismus.
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Quiz für Freunde der Freiheit
"Angeblich 100.000 Opfer im Guerilla-Krieg auf Timor
Der seit 1975 anhaltende Guerilla-Krieg auf der ehemals portugiesischen, von Indonesien annektierten Insel Ost-Timor hat nach Angaben der einheimischen Unabhängigkeitsbewegung Fretilin schon über 100.000 Menschenleben gekostet. Wie der Fretilin-Beauftragte für Außenbeziehungen, Abilio Araujo, in Lissabon erklärte, zwingen die indonesischen Truppen die Bevölkerung in letzter Zeit, die Ernten zu vernichten, damit diese nicht in die Hände der Rebellen fallen. Die Fretilin setze ihren Guerillakrieg gegen Indonesien aktiv fort und habe kürzlich im Landesinnern einen eigenen Rundfunksender errichtet." (Süddeutsche Zeitung, 14.5.)
Ist Ost-Timor kleiner als Afghanistan oder größer als Nicaragua?
Warum ist die indonesische Besetzung der InseI eine "Annektion" und kein "Überfall" bzw. eine "Besatzung"?
Warum wissen wir über Fretilin nichts und über die Contras alles?
Warum sind die Opfer auf Timor nur "angeblich"?
Wie sind die Beziehungen der NATO-Staaten zu Indonesien?
Würde Herr Abilio Araujo politisches Asyl in der BRD erhalten?
Gibt es auf Ost-Timor Presse- und Rundfunkfreiheit nach den Maßstäben einer westlichen Demokratie?
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Verzichtspolitiker
"Abgeordnete sind schlechter dran als Arbeitnehmer
Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP haben im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der die 'Entschädigung' der Abgeordneten um 1,8 Prozent von jetzt 8.000 Mark auf 8.224 Mark erhöht. Zugleich soll die - steuerfreie Unkostenpauschale um 1,4 Prozent von 4.800 auf 4.915 Mark erhöht werden. ...
Demgegenüber gibt es im zurückliegenden Jahr eine durchschnittliche Steigerung der Arbeitnehmer-Einkommen um drei Prozent." (FAZ, 20.6.)