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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1985 erschienen.

Systematik


NACHRICHTEN VON DER MARKTWIRTSCHAFT

Erstaunliches aus China

Die Marktwirtschaft hat angeblich mittlerweile sogar das große China ereilt. Daran stimmt sicher so viel, daß die chinesischen Führer den Ausbeutungsgrad im eigenen Land für völlig ungenügend halten - gemessen an der Plackerei in vorrevolutionären Zeiten ist der chinesische Bauer ziemlich abgeschlafft:

Der Chefkommentator der "Volkszeitung" in einem Interview mit dem "Spiegel":

"Traditionell ging der chinesische Bauer im Morgengrauen auf das Feld. Nachdem die Volkskommunen eingeführt worden waren, ging er erst um 8 Uhr aufs Feld. Dann ließ er sich vom Kader die Arbeit zuteilen und ging ins Dorf zurück, um sich sein Arbeitsgerät zu holen. Wieder auf dem Feld nahm er sich erst mal Zeit für eine Zigarettenpause. Was Wunder, daß die Produktivität auf dem Lande gering war."

Den eigenen Leuten das Hin-und-Herschlendern und die Zigarettenpausen auszutreiben, nennt Herr Fan Rongkang ganz richtig ein "marktwirtschaftliches Element", und um sich ausländische Kapital anzudienern, verspricht er mehr von der Sorte:

"Spiegel: Sieht Ihr Konzept vor, marktwirtschaftliche Elemente überall dort zuzulassen, wo sie Effizienz versprechen?

Fon Rongkong: Ja, der Anteil der Marktwirtschaft wird sich noch vergrößern."

Der "Spiegel" enthält sich aller Ironie und schmeichelt dem frischgewonnenen Anhänger westlicher Lebens- und Leistungskultur pflichtschuldigst - nicht aber ohne die Nachfrage, ob der Herr Chinas denn auch bereit sei, die naturnotwendigen Folgen zu tragen:

"Spiegel: Der Erfolg der chinesischen Wirtschaftsreform ist in der Tat erstaunlich... Wenn das so weitergeht, werden dann nicht viele Arbeitskräfte, zumal auf dem Lande, überflüssig?

Fan Rongkang: Ja, das ist ein Problem..."

Sprachregelungen und andere Schweinereien

Dr. Volkmar Köhler, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, verdanken wir einen Kompreß der gültigen Sprachregelungen in Sachen Ausbeutung der "3. Welt".

1. Den sogenannten Entwicklungsländern geht es darum so dreckig, weil sie meinten, sich entwickeln zu müssen:

"Von den Entwicklungsländern sind häufig unter Mithilfe westlicher Banken und Entwicklungshilfeinstitutionen zu ehrgeizige oder zu wenig rentable Investitionen durchgeführt worden."

2. Diesem Idealismus, gefördert von so caritativen Vereinigungen wie der Deutschen Bank AG und dem Entwicklungshilfeministerium, hat nun die rauhe Wirklichkeit eine Absage erteilt, und bedrückt müssen alle einsehen:

"Die Krise in Afrika hat schwerwiegende Versäumnisse... deutlich gemacht. Dies hat international zu einer Ernüchterung geführt. Notwendige Folge war die Überprüfung der Wirtschaftspolitik..."

3. Die gar nicht verkaterten Wohltäter gedenken nun, mit noch weniger Aufwand als zuvor, die paar ihnen wichtigen Wertgegenstände herauszuholen. Die Argumentation bedient sich dabei eines Zweischritts:

a) Neger total arm, weil gegängelt und von uns versorgt;

b) Neger satt, wenn allein gelassen und auf seinen Grips angewiesen:

"...nicht durch staatliche Gängelei ersticken. Langfristig kann die absolute Armut in den Entwicklungsländern nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn dabei den schöpferischen Kräften der Betroffenen selbst eine ausreichende Chance eingeräumt wird."

Eine schöpferische Anwendung der absoluten Armut ist be kanntlich das umstandslose Krepieren.

4. Dabei müssen sich die Neger darüber im klaren sein, daß sie weiterhin unser Zeug zu kaufen haben - da sie sonst Souveränität und Interessenausgleich verletzen:

"Partnerschaft heißt immer: Respektierung der Souveränität und Interessenausgleich...

Die Leistungskraft der deutschen Entwicklungshilfe beruht auf der Leistungskraft unserer Wirtschaft und ihrer Exporte. Teil des Interessenausgleichs... ist, daß deutsche Entwicklungshilfe in entwicklungspolitisch geeigneten Fällen beschäftigungswirksam für unsere Wirtschaft wird."

5. Alle, die dagegen etwas einwenden, sind Kriegstreiber und Terroristen:

"Von der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit müssen Impulse für den Frieden ausgehen. ... Entwicklungszusammenarbeit und Friedenssicherung sind heute mehr denn je als eine Einheit anzusehen. Dabei fördern wir die Kräfte des Ausgleichs und nicht die der Gewalt." (Alle Zitate aus FAZ, 7.5.)

*

"Die Devisennöte zahlreicher Entwicklungsländer haben in den letzten Jahren zu einem starken Anstieg der Tauschgeschäfte im Welthandel gefüht... Die 'Renaissance der Tauschgeschäfte' habe ihre Ursache vor allem in den Liquiditätsschwierigkeiten durch die hohe Verschuldung. Diese habe in vielen Ländern zu gestiegenen Schuldendienst-Verpflichtungen bei gleichzeitig gesunkener Bonität geführt. Die Verwendung von Tauschwaren sei ein Mittel, um die notwendigen Importe ohne Rücksicht auf knappe Devisen oder Kredite finanzieren zu können." (Süddeutsche Zeitung, 30.4.)

Die Einbeziehung der Länder der "3. Welt" ins kapitalistische Geldwesen hat es mit anti-kolonialistischem Kampf, Anerkennung der Souveränität und freier Betätigung auf dem Weltmarkt erreicht, daß dem Kapital alle Türen und Tore geöffnet wurden. Der damit eingerichtete Zwang, alle Güter und Dienstleistungen in Geld zu bemessen und somit den Gesetzen der Profitabilität zu unterwerfen, hat die "Einbahnstraße" dort ankommen lassen, wo sie angefangen hat bei der Wiederauflage des klassischen Bimbo/Rothaut-Verfahrens: Du mir geben gelbes Glitzerstein, ich dir geben Glasperlen - oder etwas vornehmer:

"Beim Tausch müssen teilweise erhebliche Preisabschläge akzeptiert werden."

Im Unterschied zu den Zeiten des Christoph Columbus beruht das Verfahren allerdings nicht auf der Unwissenheit der Eingeborenen und der falschen Freundlichkeit des Händlers, sondern auf der beiden Seiten bewußten Paarung von Ohnmacht und Erpressung:

"Über den Zuschlag im Tauschgeschäft entscheidet nicht der Wettbewerb, sondern die Akzeptanz der Tauschwaren."

Der kapitalistische "Käufer" holt sich das Zeug ab, das er braucht - und zwar nicht, um es daheim zu verteilen, sondern um es in seinem Wettbewerb zu Geld zu machen.

Wenn Kapitalisten denken

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) denkt an ihre Pflichten und legt die Mitgliedsbeiträge sinnvoll auf dem Gebiet der Feldforschung für Standardideologien an.

"Die Produktivität als Grundlage des Verteilungsspielraums neu zu fassen, hatte sich der - Ausschuß für volkswirtschaftliche Fragen der Einkommensverteilung im BDA vorgenommen... Dr. Franz-Josef Trouvain: Bei der Überlegung sei es um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Faktors Arbeit und damit um die Schaffung von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten gegangen. Die von dem Ausschuß unter diesem Blickwinkel erarbeitete Faustregel bestätigt, daß die Entwicklung der Produktivität Maßstab für Lohngestaltung bleiben muß. Nach Trouvains Worten dürfte jedoch nicht allein die Produktivität der beschäftigten Arbeitskräfte Orientierungshilfe sein, sondern es mußten auch diejenigen berücksichtigt werden, die einen Arbeitsplatz suchen." (Süddeutsche Zeitung, 11.5.)

Die Idee ist so bestechend wie frech und blödsinnig. Das wäre ja wirklich das Neueste, wenn ein Arbeiter vom Ertrag seiner Arbeit bezahlt würde - die Abschaffung des Kapitalismus wäre in Windeseile passiert, da es nur noch Millionäre und keine Arbeiter mehr gäbe.

Trotzdem kann so ein hart arbeitender Kapitalistenunterausschuß doch einfach mal so tun, dann behaupten, daß - weil so ein gefährliches Prinzip angewendet wurde - Leute arbeitslos werden mußten, dann aber schnell das Prinzip wieder "retten", indem die Null-Produktivität der Arbeitslosen dagegen aufgerechnet wird. Mit diesem simplen Trick ist die Produktivität dann gesunken, dann muß ja auch der Lohn sinken. - o ist die Produktivität der schönste "Maßstab für die Lohngestaltung" - dann steigt die "Wettbewerbsfähigkeit des Faktors Arbeit", die den Unternehmern bekanntlich schon immer ein Herzensanliegen war, dann steigt die Produktivität, dann, ja dann können endlich wieder die Löhne steigen...

Geier über Bhopal?

Die falsche moralische Empörung über die "Giftkatastrophe" in Bhopal, die sich nichts über die Notwendigkeit solcher "Unglücke " in unserer heißgeliebten Produktionsweise aber alles über den mal wieder bewiesenen Schlendrian in der Menschennatur vor Augen führen will, hat anläßlich der juristischen Aufarbeitung mal wieder Futter gekriegt. Eine lange Reihe amerikanischer Anwälte sieht die Gelegenheit für lukrative Anwendung ihres Sachverstandes - und das einhellige Urteil lautet: "Wie die Geier stürzen sie sich auf die armen Opfer!"

Allen Moralwachteln muß gesagt werden: Wie anders als durch die Bereicherung der Anwälte am Gift sollen die Opfer an eine "Entschädigung" kommen? Dem amerikanischen Staranwalt Marvin Belli mag ein indischer Paria zwar wie Dreck in den Rillen seiner Sctnuhsohlen vorkommen, aber wenn er sein Geschäft mit ihm machen will, muß er möglichst viele davon zusammenkratzen und die Schadenssumme hochtreiben. Gebühren und Erfolgshonorare richten sich ja nach dem Streitwert - viel Schaden = viel Anwalt heißt die Faustregel. Und am schönsten sind noch allemal schwere Körperverletzungen und Todesfälle. Die Giftopfer in Bhopal sind gut beraten, wenn sie sich Anwälte aus dem Mutterland von Angebot und Nachfrage nehmen - denen steckt das Aushandeln fairer Preise direkt im Blut.

Da ein indischer Paria keinen allzu großen Wert repräsentiert, ist Produktion auf großer Stufenleiter vonnöten: Die indische Regierung hat ein großes Paket von Opfern geschnürt und die Schadensmasse an eine dafür geeignete Rechtsfabrik zur weiteren -Behandlung übergeben. Die Anwaltsfirma Robins, Zelle, Larxon und Kaplan, die "Katastrophenkönige" (Time), hat sich hervorgetan in "einigen der schlimmsten Unglücksfälle (calamities) der letzten zehn Jahre", wobei gut 700 Tote und Verletzte und ein Gesamtschaden von weit über einer Milliarde Dollar anfiel. Sie hat es zu einigen "Millionen-Siegen" für ihre Klienten gebracht und darum ihr Personal von anfänglich 38 auf mittlerweile 152 Rechtsanwälten aufgestockt. Mißgünstige Konkurrenzfirmen gönnten Robins, Zelle et al. den Erfolg nicht und beantragten Verlegung der Gerichtsbarkeit - aber wie es auch immer ausgeht:

"Robins, Zelle... befinden sich in einer beneidenswerten Position. Ein wesentlicher Teil des Firmenerfolgs besteht in der Raffinesse, mit der sich diese Anwälte ihre Klienten aussuchen, genauso sorgfältig eben wie der Klient, der sich seine Anwälte aussucht. Außer in dem unwahrscheinlichen Fall, daß die indische Regierung als klageberechtigte Partei ausgeschlossen wird, ist Robins, Zelle... jetzt ein lukrativer Platz in der vordersten Reihe des Bhopal-Dramas garantiert - bis zum Schluß." (Time )