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Fortschritte im Ost-West-Verhältnis
DER WESTEN SAGT "NJET UND DREIMAL NJET"
Der erste Mann der Sowjetunion hat offiziell die Aufstellung von SS 20 Mittelstreckenraketen bis November '85 gestoppt und in einem Interview diese Maßnahme für den Westen erläutert. Sie soll die Bereitschaft demonstrieren, in Genf die Abrüstungsverhandlungen ernsthaft zu führen und voranzubringen sowie überhaupt die Beziehungen zu verbessern.
Da sowjetische Angebot: Die Systemfeindschaft soll keine sein
"Wenn man sich schon an den Verhandlungstisch gesetzt hat, um eine Reduzierung der Rüstungen zu vereinbaren, so müßte man zumindest von ihrer Aufstockung absehen. Deshalb schlagen wir vor, daß die UdSSR und die USA für die ganze Zeit der Verhandlungen ein Moratorium für die Schaffung - die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit eingeschlossen -, die Tests und die Stationierung kosmischer Angriffswaffen einführen und ihre strategischen Offensivwaffen einfrieren ... Wir sind für einen ehrlichen Dialog und bereit, unseren guten Willen erneut an den Tag zu legen. Und von diesem Tag an - das möchte ich betonen - führt die Sowjetunion ein Moratorium für die Stationierung ihrer Mittelstreckenraketen ein und setzt die Durchführung der anderen Gegenmaßnahmen in Europa aus. Das Moratorium gilt bis November des laufenden Jahres." (Interview der "Prawda ")
Eine diplomatische Geste des Verständigungswillens, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Immerhin hat die Sowjetunion damit, wie auch die westliche Seite feststellt, ihre eigene 'Nach'-Rüstung gegen die Pershing II und Marschflugkörper, die die USA in Europa aufstellen, einseitig für ein paar Monate unterbrochen. Sie verzichtet also eine Weile auf ihre Gegenmaßnahmen gegen einen westlichen Rüstungsschritt, den sie 1983 als untragbare und unverhandelbare Kampfansage des Westens kritisiert hat. Natürlich nicht wirklich und dauerhaft, sondern nur zeitweilig und symbolisch - zum Zeichen nämlich, daß ihr an einem bedingungslosen Rüstungswettlauf eigentlich nicht gelegen ist, und daß sie bereit ist, über die jeweiligen Gewaltmittel mit sich reden zu lassen, wenn die amerikanische Seite es ebenfalls ernst meint und nicht bedingungslos ihre Rüstungsvorhaben vorantreiben und sie für unverhandelbar erklären würde. Und ausgerechnet die angeblich so fanatischen Systemfeinde des Westens drücken weltöffentlifh ihre Auffassung aus, man könne doch auch friedlich koexistierend miteinander auskommen:
"Konfrontation ist kein angeborener Fehler unserer Beziehungen. Das ist eher eine Anomalie, deren Bestehen keineswegs unvermeidlich ist. Die Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen halten wir nicht nur für äußerst notwendig, sondern auch für möglich. Ohne Gegenseitigkeit kommt man hier natürlich nicht aus."
Sicher ist das Propaganda - wie eben jede diplomatische Offensive. Die Männer im Kreml können sich gar nicht darüber täuschen, daß sie hier nur ihre eigenen politischen Wunschvorstellungen verbreiten - und zwar ausdrücklich gegen amerikanische Regierungskreise, die "Konfrontation beinahe für einen natürlichen Zustand" halten. Und sie machen ja auch gar keinen Hehl daraus, daß sie zur Bloßstellung der amerikanischen Verhandlungslinie die Auffassung publik machen, eine beständige Verschlechterung der Beziehungen und das laufende Wettrüsten seien vermeidbar, und es fehle nur am amerikanischen Willen. Aber man mag darüber denken, wie man will: Aggressiv, von unversöhnlicher Feindschaft geprägt, vom Willen nach militärischer Überlegenheit beseelt und einzig auf die Schwächung des Westens bedacht ist das nicht. Wo der Westen das politische Programm vom "friedlichen Wettbewerb der Systeme" längst höchstoffiziell zu den Akten gelegt hat und erklärtermaßen jedwede politische Aktivität der Gegenseite für eine untragbare Herausforderung ansieht und entsprechend behandelt, signalisieren die so angefeindeten Kreml-Herren, daß sie eigentlich daran interessiert sind, daß sich "die Systeme" nicht beständig gewaltsam und mit der beständigen Androhung von Gewalt in Frage stellen - daß es also an ihnen nicht liegt, wenn das "Ost-West-Verhältnis" sich ständig verschlechtert. So sieht ihr Gegensatz zu den USA aus, bzw. so sehen sie ihn.
Die politischen Verwalter der "freien Welt" wissen das alles natürlich ganz genau. Und für die Profis des diplomatischen Erpressungsgeschäfts ist die sowjetische Geste ja auch gar nicht anders zu verstehen denn als Versuch, noch einmal, und sei es auch nur zur öffentlichen Bloßstellung, die amerikanische (Nicht-) Bereitschaft zu irgendwelchen Verhandlungsfortschritten zu testen sowie die Bündnispartner zur Stellungnahme zu zwingen und eventuelle Differenzen zur kompromißlosen US-Linie anzustacheln. Sie wissen, daß sie es mit einer Friedensinitiative ihres Gegners zu tun haben - und können das überhaupt nicht leiden. Das sowjetische Interesse an einer Zurücknahme der militärischen Konfrontation ist ihnen ein Ärgernis ersten Grades.
Die westliche Antwort: Friedensangebote - ein widerlicher Anschlag auf unsere Entschlossenheit zum...
Kaum war die sowjetische Offerte auf dem Tisch, sind die regierenden Bündnisnationalisten deshalb so geschlossen wie selten aufgetreten und haben das Moratorium als ein Manöver der Sowjetunion "entlarvt", das man gar nicht hart genug bloßstellen und zurückweisen könne. Der Griff ins bekannte Arsenal diplomatischer Lügen und Frechheiten lieferte die fälligen Argumente.
Den Schein, man werde das Angebot prüfen, immerhin eine Zeitlang Mittel der öffentlichen Heuchelei bei der Ablehnung sowjetischer Vorschläge, zerstört man von allem Anfang an aufs gründlichste. 'Nichts Neues', heißt es erst einmal; 'enttäuschend' und 'phantasielos', läßt das Weiße Haus verlauten, so als könnte man, weil man ein Moratorium zu Breschnews Zeiten schon einmal abgelehnt hat, jetzt deswegen weitergehende Verzichtsofferten erwarten.
'Die Sowjetunion will nur ihre Überlegenheit bei den Mittelstreckenraketen zementieren', tönen die, die nach eigenem Bekunden auf diesem Feld gar kein 'Gleichgewicht' anstreben - schließlich zielt ihre Strategie längst auf mehr und anderes als eine gleiche Anzahl gleichartiger Atomsprengköpfe; schließlich hat die NATO der Sowjetunion längst in und außerhalb Europas ganz andere militärische Drohungen aufgemacht; und schließlich treiben die Amerikaner in Genf gerade die Verhandlungen mit dem unverbrüchlichen Versprechen voran, sie würden jetzt zügig Waffen entwickeln, die das gesamte Angriffspotential der Sowjetunion zerstören und damit unwirksam machen könnten. Umgekehrt wollen die, die den Globus mitsamt dem erdnahen Weltraum zum Schlachtfeld herrichten, den Abzug von taktischen Atomsprengköpfen, die durch schlagkräftigeie Waffen ersetzt worden sind, als freiwillige und bedingungslose westliche Vorleistung zum Rüstungsabbau gewürdigt wissen.
'Mit einer Unterbrechung des Rüstens soll dem Westen nur das Aufstellen von Pershings unmöglich gemacht werden', behaupten diejenigen, die sich von keiner sowjetischen 'Überlegenheit' haben abhalten lassen, mit dem Willen zur Stationierung Erpressungsdiplomatie zu treiben. Als könnten sie nicht mehr rüsten, wie sie wollen, wenn sie auch nur eine Rakete auch nur einen Tag verzögern.
'Propagandatricks!', verkünden die westlichen Propagandaminister. 'Da soll der Widerstand gegen die Stationierung im Westen geschürt werden!', sagen die Oberdemokraten, die jede abweichende Meinung als Wehrkraftzersetzung bekämpfen und sich durch nichts und niemanden heeindrucken lassen.
'Die wollen den Westen spalten; Gefahr im Verzug!', unken Politiker und Presse und beweisen mit solchen einhelligen Beschwörungen, daß es in der Freien Welt linientreuer und geschlossener vorangeht, als sie es der Sowjetunion mit ihren "Satelliten" und der Staatspresse drüben immer vorwerfen.
Da fällt der Bundesregierung ein, der Stationierungsstop heiße ja gar nicht, daß keine Raketen und Abschußrampen mehr produziert würden, so als hätten die Russen gleich ihre Rüstungsindustrie stillzulegen, wenn ihre diplomatische Geste ernstzunehmen sein solle. Nur die wirkliche Entwaffnung ist für die westlichen Waffenbeschaffer ein Anlaß zur Überprüfung der eigenen Position, bedeutet man also dem Gegner.
Öffentlich mahnen die Regierungen und ihre freien Sprachrohre sich ein ums andere Mal zur Vorsicht vor dem Angebot, so als sei da ein abgefeimter und undurchschaubarer Schachzug ins Werk gesetzt worden, um den Westen matt zu setzen dem man nur mit dem entschiedensten 'Nein!' seine vernichtende Wirkung nehmen könne. Unverständnis, Häme, Empörung, Enttäuschung, alles wird da arbeitsteilig öffentlich inszeniert - als könne man gar nicht oft genug klarstellen, daß man sich aber auch nicht ein bißchen beeindrucken oder gar umstimmen läßt.
Im Gegenteil! Das Interesse der Sowjetunion an den Genfer Verhandlungen wird zum schlagenden Beweis dafür umgebogen, daß sie nicht "ernsthaft" verhandeln wollen, sondern es nur darauf anlegen, die im Westen beschlossene Schwächung ihrer Position zu vermeiden. 'Die brechen "das Vertrauen", indem sie Vorschläge, die sie schon vor längerem in Genf vorgelegt haben (die die USA dort also schon abgelehnt haben), auch noch veröffentlichen, statt zu begraben. Das läßt für die künftigen Verhandlungen nichts Gutes erwarten', heißt es; 'die Russen halten sich noch nicht einmal an die Gesetze der westlichen Geheimdiplomatie!'.
Der Sowjetunion wird also die denkbar schroffste und undiplomatischste Abfuhr zuteil: "Dümmliche Verhandlungsweise" (Nitze). "Wenn sie Einfrieren wollen - fein. Es reicht nicht." "Augenwischerei". Wie wenn es Zweifel an der ungebrochenen Feindschaft geben könnte, nehmen die westlichen Friedenspolitiker die Offerte zum willkommenen Anlaß für die Versicherung, daß Verhandeln nichts anderes heißen kann als hart sein und bleiben, und daß kein einziges diplomatisches Entgegenkommen der Sowjetunion den Westen zu irgendeiner Gegenleistung bewegen kann. Sie erheben den sowjetischen Vorstoß in den Rang einer alles entscheidenden "Probe" auf die "Standfestigkeit des Bündnisses" und dringen darauf, daß sie durch bedingungslose Ablehnung und demonstrative Geschlossenheit in der Feindschaft bestanden werden muß. Die Propagandisten von Freiheit und Menschenwürde wollen das sowjetische Angebot als einen einzigen Auftrag zu noch mehr Rücksichtslosigkeit verstehen, und diesen Willen gestalten sie zu einem ganzen Ritual ihrer Feindbildpflege aus, nach dem Muster: Von denen drüben ist eben nichts anderes zu erwarten als - das eigene längst feststehende Urteil, daß alles, was sie tun, untragbar ist, und daß dagegen nichts hilft als illusions- und erwartungslose Härte.
Der deutsche Schnörkel: Wir wissen die perfiden Russen am besten zu nehmen
Was Wunder, daß auch die so gern gepflegte deutschnationale Sondersprachregelung von der Rettung der Entspannung, deutschem Vermittlungsbemühen und Glauben an Verhandlungserfolge höchstoffiziell der demonstrativen Einigkeit zum Opfer gebracht wird. Von Genscher bis Ex-Kanzler Schmidt, dem Nachrüstungserfinder, ein einziger warnender Ruf, sich von den Russen nicht täuschen zu lassen. Und aus dem kritischen Munde der Opposition war der Vorschlag zu vernehmen, man solle das Moratorium doch annehmen, um die Chancen für einen Vertrag zu vergrößern, der den Abbau aller SS 20 beinhalten könnte. So europäisch-sondernational läßt sich das Verlangen nach sowjetischer Entwaffnung auch vortragen - von den 'Abrüstungsexperten' Ehmke und Bahr eben.
Reagans Gesprächsbereitschaft: Eine Geste der Unversöhnlichkeit
Ganz auf dieser Linie liegt die vielbesprochene Gegenofferte, die Präsident Reagan gleichzeitig mit der Zurückweisung des sowjetischen Moratoriums gemacht hat: das Angebot, sich demnächst vielleicht doch einmal mit Gorbatschow zu treffen. Und wie wenn das schon des Entgegenkommens zuviel sei, folgt seit Tagen eine Leier von frechen Klarstellungen, daß jede Erwartung an so ein Treffen verfehlt und geradezu eine Ermunterung der Sowjetunion zu Unverschämtheiten sei. Ein unverbindliches 'Kennenlernen' - noch vor einiger Zeit als nutzlos bezeichnet sei nicht dasselbe wie ein Gipfel, den man jetzt mit dem neuen Mann nicht veranstalten könne. Da brauche es Ergebnisse, also sowjetische Wandlungen. Kaum ist so ein Treffen gönnerhaft erwogen, gilt es auch schon als ein Entgegenkommen, das die Russen zu leicht als sachliches Zugeständnis mißverstehen könnten. Prompt wird nachgeschoben, man wolle vor allem auch über Menschenrechtsfragen reden. Und als sei der feindlichen Dar- und Klarstellungen immer noch nicht genug, gibt Reagan seinerseits ein Zeitungsinterview, das den kleinen Unterschied zwischen ihm und Gorbatschow noch einmal so richtig schlagend klar werden läßt: Reagan
"bezweifelt, daß ein möglicher Gipfel zu einem Wendepunkt in den amerikanisch-sowjetischen Gesprächen führen kann. Schließlich gehört Gortatschow bereits seit vier Jahren dem Politbüro und seit 14 Jahren dem Zentralkomitee der KPdSU an. Da die sowjetische Regierung ein Kollektiv ist, kann es einen größeren Richtungswechsel nur mit dem Einverständnis des Politbüros geben, das die letzte Entscheidungsbefugnis hat."
Ein interessanter Vorwurf an einen angeblichen "Diktator"! Doch immerhin auch Reagan hat weltöffentlich seine fundierte Gesprächsbereitschaft versichert:
"Ein mögliches Gesprächsthema mit Gorbatschow ist die Erschießung des US-Majors Arthur Nicholson durch einen sowjetischen Wachposten am 24. März in der DDR..."
Wandelt Euch gefälligst und laßt unsere Spione spionieren! Solches 'Kennenlernen' gilt als Entgegenkommen Reagans und wird wohl wieder einmal den letztendlichen Beweis liefern, wie schwer es doch für die Großmächte ist, miteinander ins Gespräch zu kommen.