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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1985 erschienen.

Systematik

Klassenkampf in Dänemark
GEWALT STATT LOHN

In allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft wird heute tatkräftig die Ideologie vom "ehernen Lohngesetz" widerlegt, wonach der Kapitalismus seinen Arbeitern das Existenzminimum sichere.

Die Nationalwirtschaften behandeln Arbeiter und deren Lohn als ihren Kampfgegenstand: Lohnsenkungen, direkt und über die Erhöhung der Abgaben an den Staat; Produktion von Arbeitslosen und ihre Benutzung als Reservearmee; flexible Nutzung der Arbeitszeiten; Senkung der sozialen Leistungen usw. Für Aufschwung und Abbau der Staatsverschuldung werden die Arbeiterklassen in jeder Hinsicht - ob Arbeiter oder arbeitslos, ob krank oder Rentner - als zu teuer angesehen. Also heißt das verordnete Gesetz: Billiger müssen sie werden. Dementsprechend werden deren Aktien gesenkt.

So auch im kleinen Staate Dänemark mit seinen fünf Millionen Einwohnern. Für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und den Abbau der Auslandsverschuldung sind dort die Löhne in den letzten zehn Jahren permanent gesenkt worden. Als jetzt die Gewerkschaften eine Lohnerhöhung von zunächst 10, dann 15% forderten (die Inflationsrate liegt bei 5,6%) und die 35-Stunden-Woche, ließen die Arbeitgeber erst gar nicht mit sich verhandeln. Sie erwarteten sich von vornherein eine für sie günstige Regelung durch die dänische Regierung. Auch der Kompromißvorschlag eines staatlichen Schlichters: 4% mehr Lohn und Einstieg in die 35-Stunden-Woche, wurde von den Unternehmern abgelehnt. Dann war Streik, und dann war endgültig Schluß mit dem Schein, in Dänemark dürften die Gewerkschaften mit den Unternehmern um Tariflöhne streiten. Der konnte zwar nie besonders aufkommen - seit 1933 hat der Staat das gesetzliche Recht zur staatlichen Zwangsschlichtung, und von dem machte er immer wieder, zuletzt 1975, 1977, 1979 unter sozialdemokratischer Regierung, Gebrauch -, aber jetzt stellte die konservative Regierung klar, daa es allein von ihr und nur von ihr abhängt, was der Arbeiterklasse zugemutet wird.

"Die Zeiten sind vorbei, in denen die Tarifparteien jede Art von Abkommen aushandel können, ungeachtet der gesellschaftlichen Entwicklung." (Ministerpräsident Poul Schlüter)

Die souveräne Gewalt half der gesellschaftlichen Entwicklung nach, indem sie ein Lohngesetz verordnete, das noch weit hinter dem Vorschlag des staatlichen Schlichters zurückblieb, sich sonst aber streng an die Gesetze des Leistungslohns hielt.

"Das Lohngesetz in Dänemark

Das Anti-Streik-Gesetz, das am vergangenen Wochenende vom dänischen Parlament verabschiedet wurde, sieht vor:

- Lohnerhöhungen für 1985 zwei Prozent; für 1986 1,5 Prozent.

- Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde bei vollem Lohnausgleich ab 1986.

- Steuerpflichtige mit mehr als 150000 Kronen Jahreseinkommen (rund 41000 Mark) müssen 1985 und 1986 acht Prozent des übersteigenden Betrags zwangssparen. Der Betrag wird nicht verzinst und erst ab 1990 in drei Raten zurückgezahlt.

Weitere Maßnahmen: Verteuerung der Konsumkredite und der Darlehen für Hauskäufe; Anhebung der Körperschaftssteuer für Unternehmen von 40 auf 50 Prozent. Dies wird allerdings durch eine Senkung von Sozialbeiträgen und Aussetzung der inflationsabhängigen Lohngleitung kompensiert.

Die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaften: Lohnerhöhungen um fünf Prozent und Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 35 Wochenstunden.

Die gegenwärtige Inflationsrate in Dänemark liegt bei 5,6 Prozent." (Die Zeit, 5. April)

Darüber hinaus setzte die Staatsgewalt die sogenannten "Lohngleitregeln" außer Kraft, nach denen es der Landesorganisation der Gewerkschaft (LO) bisher erlaubt war, Kollektivverträge über allgemeine Lohnerhöhungen, Urlaub und Sozialleistungen etc., sowie den Einzelgewerkschaften, in den Branchen und Betrieben zusätzliche Leistungen auszuhandeln.

Der Gerechtigkeitsstaat aller Dänen bewies so handfest, daß der Inbegriff der freien Lohnärbeit und des freien Unternehmertums die Gewalt ist und daß der eine der beiden freien Kontrahenten die Gewalt des Rechts als ökonomisches Mittel auf seiner Seite hat. Dann kam Gewaltakt Nr. 2. Als linke Teile der Gewerkschaft gegen den Willen der LO und auch der Sozialdemokraten den Streik fortsetzen wollten, sogar an Generalstreik dachten, wurde das Streiken auf 2 Jahre mit einem Bußgeld von DM 7.- je ausfallende Arbeitsstunde unter Strafe gestellt. Gegen die größten Demonstrationen Dänemarks, die Blockierung von Brücken, des Parlaments - für die Regierung ging in Dänemark schon das Gespenst des Anarchismus um -, trat das Gesetz in Form der Polizeigewalt an. Schließlich mußte der freie Arbeitsmarkt unter Kontrolle gehalten werden. Das dauerte 1 1/2 Tage.

Jetzt wird wieder gearbeitet, zu den Konditionen, die das Gesetz befiehlt. Das ist auch kein Wunder. Wenn der dänische Gewerkschaftsverband für "Ruhe auf dem Arbeitsmarkt" eintritt und dafür am liebsten die Sozialdemokraten an der Macht hätte (die "nicht prinzipiell gegen Eingriffe" der Regierung sind, sie aber "sozial ausgewogen", also lieber selbst machen wollen), und wenn die Verfechter der Fortsetzung des Streiks gegen "Lohndiktat" und für den Sturz der Regierung (zugunsten wessen wohl?) kämpfen wollten, dann ist es um Dänemark nicht schlecht bestellt. Wohlgemerkt: um Dänemärk.

DGB: Anderswo läßt sich schön loben

"Die Gewerkschaften gehen trotz des Streikverbots gestärkt aus dem Arbeitskampf hervor. Rund 350.000 der insgesamt nur 2,4 Millionen dänischen Arbeitnehmer hatten immerhin eine Woche lang für die 35-Stunden-Woche gestreikt. ...

Einen Vorgeschmack auf das Ausmaß der Empörung bekamen Unternehmer und Regierung bereits in den Tagen vor der gewerkschaftlichen Massenkundgebung. Am 18. März hatten Tausende Demonstranten einen Blockade-Ring um das Parlamentsgebäude gelegt, um gegen den Eingriff und für die 35-Stunden-Woche zu demonstrieren. Daß diese Forderung auf der Tagesordnung unseres Nachbarlandes ganz obenan steht, erfuhr die Bevölkerung auch am 26. März in der dänischen Tagesschau. Während der Sendung stürmten plötzlich streikende Arbeiter in das Studio und entrollten ein Transparent, auf dem die 35 Stunden gefordert wurden." (metall, 4. April '85)

Man stelle sich vor, in der BRD streikten 10% der Beschäftigen! Man denke sich aus, der DGB belagert das Parlament in Bonn. Unglaublich. Aber wir sind hier ja auch nicht im Staate Dänemark.

Taz: Erlesene linke Sorgen

"Schlüter hat mit seiner Intervention auf einen Schlag die jahrzehntelang funktionierende Sozialpartnerschaft in Dänemark von seiten der Regierung aufgekündigt. Damit hat er der Auseinandersetzung eine Dynamik verliehen, die er offenbar notfalls mit Polizeigewalt glaubt, in den Griff kriegen zu müssen." (taz, 1.4.)

Sollte er etwa besser mit der gemütlichen Sozialpartnerschaft weitermachen?