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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1985 erschienen.

Systematik


DER COMPUTER

I.

Wozu ein Computer auch verwendet werden mag: Er ist eine Rechenmaschine. Im Unterschied zum volkstümlichen Taschenrechner und dessen mechanischen Vorgängern, wie sie noch vor wenigen Jahren die Büros bevölkerten, ist ein Computer ein Automat. Er wurde erfunden, um komplizierte und langwierige Berechnungen ohne menschliche Intervention zwischen den einzelnen Schritten durchzuführen. Das heißt, er kann einen vorweg festgelegten Plan der Rechnung auf die jeweils gegebenen Werte anwenden und dabei sein tatsächliches Verhalten noch nach den anfallenden Zwischenergebnissen richten, also etwa Fälle unterscheiden oder in Fehlersituationen anhalten. Diesem Zweck des Computers entspricht seine funktionelle Gliederung, die, wie auch immer variiert und verfeinert, bis heute grundlegend ist. An die Stelle eines menschlichen Rechners, der sich mit einer herkömmlichen Tischrechenmaschine und einem Notizzettel bewaffnet an die Arbeit macht, tritt ein "Leitwerk", das ein "Rechenwerk" sukzessive mit der Ausführung elementarer Operationen betraut und Zahlenwerte von einem "Speicherwerk" festhalten bzw. liefern läßt. Hinzu kommen noch "Ein-/Ausgabewerke".

Dabei ist ein Computer kein Spezialist. Während ein Zigarettenautomat kein Bier verkaufen kann und ein Maschinensystem, das beispielsweise Autos fabriziert, bei jeder Variation desd Produkts größere Umrüstungsarbeiten erfordert, ist die technische Gestalt des Computers, seine "Hardware", unabhängig von der besonderen Aufgabe fixiert, aber schlechterdings für jede tauglich. Entscheidend dafür ist die Konstruktion des Leitwerks. Es muß den jeweiligen bezweckten Gang der Dinge steuern und dabei selber nach einem invarianten Schema verfahren. Dies tut es, indem es die einzelnen auszuführenden Operationen erst aus Daten ableitet, die ihm genauso wie die Zahlen, mit denen gerechnet werden soll, im Speicher übergeben werden. Die Spezifik der Aktivität fällt damit ganz auf die Seite dieser "Software"; insofern ein Computer nicht ein besonderes Rechenverfahren verkörpert, sondern so eingerichtet ist, daß er geeignete Darstellungen solcher Verfahren, "Programme", umsetzt und damit ausführt, ist er eine universelle Rechenmaschine.

Die primitiven Fähigkeiten des Computers, wie komplex auch immer ihr letztendlicher Gebrauch, sind sehr bescheiden. Wenn ein Mensch schriftlich addiert oder multipliziert, benutzt er Zahlzeichen, Ziffern in Stellenschreibweise, und das Rechnen selbst ist ein Manipulieren des äußeren Materials, Ersetzen zweier Ziffern durch eine dritte, Übertragen in eine andere Position, wobei Art und Abfolge dieser Operationen durch Regeln, einen Algorithmus, festgelegt sind. Genauso verfährt ein Computer. Sein Geschäft ist mechanisch und läßt sich deshalb z.B. mit Hilfe von Zahnrädern, deren Stellung und Ineinandergreifen, realisieren. Tatsächlich werden elektronische Bauteile verwendet, insbesondere wegen der damit erreichbaren Geschwindigkeit, und wenn sich dann aus technischen Rücksichten die binäre Form der Darstellung (Schalter auf, Schalter zu) aufdrängt, so belegt das augenfällig die abstrakte, ganz inhaltslose Bestimmtheit als Prinzip der Zahl und des Rechnens.

Diese Tätigkeit ist nun allerdings zu unterscheiden von dem Zweck, ein numerisches Resultat hervorzubringen, und in diesem Sinne wird der Computer oft als Zeichen verarbeitende Maschine definiert. Man kann mit Hilfe seiner "Bits" (binary digits, Binärzeichen) auch ganz andere Dinge codieren, z.B. Buchstaben oder Merkmale vorgestellter Dinge, und dann durch geeignete Manipulationen an dieser Darstellung, dann z.B. Schriftstücke aufbereiten oder Inventarlisten führen; die Geschichte der Verbreitung des Computers ist auch eine der Entdeckungen, was sich alles auf diese Weise bewerkstelligen läßt. Dabei ist der Umgang des Computers mit Zeichen, laut DIN 44 300 "Elemente einer vereinbarten endlichen Menge" und sonst nichts, nicht zu verwechseln mit dem Gebrauch, den die Intelligenz von Zeichen macht. Für ihn sind sie nicht Manifestationen von Gedanken und Vorstellungen, sondern in ihrem physikalischen Dasein Material einer absolut gedankenlosen Aktivität. Ein Computer transformiert Bitketten in andere Bitketten, wie etwa der Setzer ein Manuskript ein Manuskript ohne Rücksicht auf den Inhalt typografisch umsetzt. Und er tut dies, indem er auf andere Bitketten, die seinem festen Satz von Befehlen angehören, reagiert, so wie eine Telephonvermittlung auf eine gewählte Nummer mit der Herstellung des zugehörigen Anschlusses antwortet.

Dem Prinzip, daß ein Computer ein universeller Rechenautomat ist, gab es in seiner nunmehr 40jährigen Entwicklungsgeschichte natürlich nichts hinzuzufügen; Leistungsunterschiede zwischen modernen und historischen, aber auch großen und kleinen Exemplaren sind quantitativer Natur, betreffen also Merkmale wie Geschwindigkeit, Speicherkapazität, Ausfallsrate usw. und haben nur insofeern Bedeutung für den Kreis der Anwendungen. Typische Geräte schaffen heute einige Millionen Instruktionen pro Sekunde und ähneln, ganz im Gegensatz zu beliebten Bebilderungen des machtvollen Elektronengehirns, in Größe und Gestalt üblichen Büromöbeln. Insbesondere wegen der Fortschritte in der Halbleitertechnik sind sie in einem Preisverfall begriffen, dessen Ausmaß und Dauer in der Geschichte des Kapitalismus ohne Beispiel dastehen sollen, jedenfalls von einem stinknormalen Geldausgeber nie beobachtet werden konnten. Sie erlauben eine Vielzahl von Ein- und Ausgabegeräten, insbesondere die aus Bildschirm und Tastatur bestehenden Arbeitsplätze, und eine eindrucksvolle Fülle gleichzeitiger Arbeiten: Der eine Benutzer entwickelt neue Software, der zweite tippt Kundendaten ein, der dritte spielt Mondlandung, und zu Nutz und Frommen der Geschäftsleitung läuft außerdem noch ein Programm, das über die Aktivitäten der lieben Mitarbeiter Buch führt.

Eine derart "komfortable Benutzeroberfläche" kommt dem Computer nicht von Haus aus zu; im Gegenteil. Um ihn zweckmäßig zu verwenden, sind erhebliche Kenntnisse seiner technischen Details, mathematische Bildung und Erfindungsgabe sowie peinlichste Sorgfalt bei der Bitfummelei erforderlich, mit anderen Worten, akademische Grade und die Qualitäten von Schwachsinnigen. Wollte man das Ding über den Kreis seiner Erbauer hinaus verbreiten und zu einem Geschäftserfolg machen, war es nötig, einen Teil der Arbeiten, die aus dem Gebrauch eines Computers entspringen, wieder an diesen selbst zu übertragen. Statt den Anwender mit der nackten Apparatur zu konfrontieren, wird ihm mit Hilfe der "Systemsoftware" eine wesentlich leichter zu bedienende (aber immer noch universelle) Maschine dargeboten; das heißt, seine Programme werden nicht unmittelbar, sondern durch die Wirkung anderer Programme ausgeführt.

Das "Betriebssystem" übernimmt die Funktionen eines Operateurs und geht dabei weit über das hinaus, was ein Mensch hier zu leisten vermöchte. Es lädt, startet, überwacht Programme, regelt den Gebrauch von Betriebsmitteln wie Speicher oder Drucker und erlaubt erst dei Geschwindigkeit der Maschine durch Mehrprogrammbetrieb (scheinbar gleichzeitig verzahnte Ausführung) auszunutzen. "P r o g r a m m i e r s p r a c h e n" und dazugehörige Übersetzungsprogramme steigern die Produktivität des Programmierers, indem sie ihn vor der schier prohibitiven Mühsal und Fehleranfälligkeit der binären Codierung befreien. An die Stelle der eigentlichen Maschinenbefehle treten zunächst "aussagefähige Namen", die sich ein Mensch besser merken kann als die Bitkombinationen selbst, und des weiteren "höhere Sprachkonstrukte", die aus der Formelsprache der Mathematiker entlehnt oder aus den Erfahrungen und Bedürfnissen des Programmierens heraus erfunden wurden und vom Übersetzerprogramm in komplizierte Gebilde aus Maschinenbefehlen transformiert werden.

Das an die Verwendungen des Computers gern geknüpfte Fehlurteil, es handele sich um eine intelligente Maschine, findet an seinem durch die Systemsoftware vermittelten Erscheinungsbild eine Stütze. Namentlich bei den Programmiersprachen kann man sich einbilden, daß der Computer verstehe, was man ihm in den ihm eigenen Worten sage. Dabei handelt es sich um ein Werkzeug des Programmierens, so "soft" es auch sein mag, das heißt, um ein Mittel, dieses Geschäft für das Subjekt zu erleichtern. Wenn für Programmiersprachen Elemente verwendet werden, die auch in richtigen Sprachen ihre Bedeutung haben, so darf man sich doch nicht gerade diese denken, und die Bedeutung für oder besser Wirkung auf den Computer, die der Programmierer lernen muß, ist von derselben Qualität wie die des Knopfdrucks, mit dem man den Strom abschaltet. Deshalb gibt es bei Programmierneulingen stets die Enttäuschung, daß der Kasten, der so schön aufs Wort hört, nicht tut, was man gemeint hat, und noch die ältesten Hasen müssen sich über die Folgen banaler Schreibfehler ärgern, die ein Mensch auch beim dritten hinsehen einfach überliest.

Als potentieller Alleskönner ist der Computer an sich zu nichts nutze; er benötigt Programme. Das Programmieren besteht darin, zu dem Zweck, dem ein Computer dienen soll, einen Algorithmus anzugeben und in einer Programmiersprache zu fixieren; das heißt, die jeweilige Vorgabe, was die Maschine leisten soll, muß übersetzt werdden in ein Verfahren, wie sie es tun kann und soll. Die berüchtigte Schwierigkeit dieses Geschäfts, bei dem auch nicht laufend das Pulver erfunden wird, besteht darin, sich überaus komplexe und verschlungene Abläufe vorzustellen und ein Urteil über deren Effekt zu bewahren bzw. zu bilden. Mit dem Computer kommt so eine neue Sorte geistiger Arbeit in die Welt und des weiteren die "Softwarekrise", die nach allgemeiner Meinung noch bis ins nächste Jahrtausend den Engpaß der schönen Technik bildet. Das Problem ist weniger ein Mangel an Personal als dessen Neigung, einen eigenen Kopf zu haben, wenn es sich denselben schon so "kreativ" zerbricht. Die Antwort auf das halbkünstlerische Gebaren dieser Leute heißt "egoless programming" und beinhaltet neben rigider Führung, Arbeitsteilung und Kontrolle die womöglich computergestützte Variation und Kombination früher erarbeiteter Programmstücke.

II.

Das typische Urteil über den Computer lautet, daß er die geistigen Fähigkeiten des Menschen erweitere, genauso wie die stoffumwandelnde Maschinerie sein körperliches Vermögen ausdehnte. Dieses Urteil täuscht sich über die Natur sowohl dieses Arbeitsmittels wie der Arbeitsprozesse, denen es dient.

Allgemein gilt für die Beziehung des Computers zum Geist, daß seine Domäne die ganz gedankenlosen Tätigkeiten sind, die aber auf seiten eines Menschen, der sie ausüben soll, allerhand Einsatz seines Hirns verlangen, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Kenntnis und Beachtung von Regeln. Auch diese Tätigkeiten sind beim Menschen, als Verrichtungen seiner Vorstellungskraft und seines Verstandes, anderer Natur als die Prozesse in einem Rechner. Sie lassen sich aber durch Schaltungen darstellen, ohne das Ergebnis zu verfälschen. Die Leistungsfähigkeit von Computern liegt also nicht daran, daß sie das Denken gelernt hätten, sondern hat ihren Grund in einer Eigentümlichkeit der theoretischen Leistungen, die bei der Rechenmaschine so gut aufgehoben sind. Das Gedächtnis ist zwar kein Speicher, sondern abstraktes Vorstellen von Sachverhalten, die man hinsichtlich ihnen wesentlicher Merkmale und Bestimmungen einmal zur Kenntnis genommen, also eben 'gedacht' hat. Fürs Gedächtnis sind die gehabten Gedanken aber ein verfügbarer "Stoff", die getätigten Abstraktionen verwendbare Vorstellungen, nicht jeweils von neuem zu denken, sondern für allerlei theoretische Tätigkeiten "abrufbar". Die Mathematik ist zwar keine "Mechanik des Geistes", sondern die Erkenntnisleistung, die Abstraktion der Quantität in den ihr eigenen Bestimmungen zu entwickeln. Jede erkannte mathematische Regel - daher auch jedes mathematisch darstellbare Naturgesetz und jede daraus abgeleitete Technologie - läßt sich aber im Gedächtnis "aufbewahren" als vorstellungsmäßige Anweisung fürs Kombinieren quantitativer Bestimmungen. Das Rechnen lernt jedes Kind an seinen Fingern; und deren abstraktes Vorstellungsbild ist immerhin so vollständig zum Medium für die Anwendung einfacher mathematischer Regeln im abendländischen Alltag geworden, daß mancher gebildete Mensch sich das Rechnen überhaupt nur im Dezimalsystem vorstellen kann. Umgekehrt erlaubt die Deckungsgleichheit von mathematischem Wissen und abstarktem Vorstellen etwas in jeder anderen Wissenschaft so Unmögliches wie mathematische Genies.

Das "Elektronengehirn" mit seinen binären Schaltkreisen macht ernst mit der von jedem Kind und jedem Rechengenie geübten Bequemlichkeit, die Mathematik in der Gestalt begriffsloser Kombinationsregeln zur Anwendung zu bringen. Und diese Bequemlichkeit hat ganz außerordentlich das Bemühen beflügelt, die verschiedenartigsten Gedächtnisinhalte - z.B. die Vokabeln verschiedener Sprachen - in eindeutigen Zahlenwerten darzustellen und ihre jeweils zweckmäßige Anwendung in Kombinationsregeln für diese Zahlenwerte zu "übersetzen".

Das Ergebnis heißt zurecht "Datenverarbeitung": Es geht um das Aufbewahren, Zurverfügungstellen und Verknüpfen eigentlich numerischer und ähnlich abstrakt aufgefaßter Information. Sie operiert nicht mit Schlüssen, sondern Prüfungen auf Gleichheit und Ungleichheit; ihr Element ist nicht das Urteil, sondern der "Datensatz", d.h. eine Kombination von Angaben wie Name, Beruf, Gehalt, Steuerklasse. Brauchbar sind solche Fähigkeiten des Computers in den verschiedensten Umständen; als epochemachend gilt er aber in einer Produktionsweise, in der immaterielle Produktion weitgehend identisch ist mit solcher Datenverarbeitung. Der Zweck der kapitalistischen Produktion, der abstarkte Reichtum, der Wert, hat nicht nur die elementaren geistigen Potenzen als Maschinensteuerung und -kontrolle von der körperlichen Arbeit getrennt, sondern auch die unmittelbare Produktion mit einem Drumherum von gigantischen Ausmaßen versehen. Das betriebliche Rechnungswesen verkörpert in seiner Selbstständigkeit wie in seinen Inhalten den Standpunkt der Profitmacherei gegenüber der eigentlichen Fertigung; es wird gekauft und verkauft und überhaupt furchtbar viel Geld furchtbar viel gezählt mit all den feinheiten des wann und wo, für was und wen, die erst über einen gelungenen Überschuß entscheiden.

Der Computer kann es einem Menschen ersparen, seinen Kopf auf ganz mechanische Weise anzustrengen, wo das Nachdenken eher stört und zu Fehlern führt, und die Maschine übertrifft hier die Intelligenz lässig im Umfang der bewältigten Aufgaben. Daraus folgt nicht, daß tatsächlich irgendeinem Menschen irgendetwas erspart bleibt. Dank seiner Universalität legt ein Computer weit weniger als andere Maschinerie schon technisch fest, w i e an und mit ihm gearbeitet wird. Namentlich im wissenschaftlichen Bereich findet man, daß der rechenautomat als Organ und Werkzeug einzelner oder kooperierender Subjekte fungiert. Sie bedienen sich seiner souverän gemäß ihren wechselnden Zwecken; schreiben Programme selber oder wählen sie aus vorhandenen Bibliotheken; lassen rechnen oder benutzen die Elektronik als Karteikasten oder Vehikel der Kommunikation mit Kollegen, und sie ziehen es oft vor, ihre Publikationen gleich selbst mit einem Textsystem statt einer Sekretärin die endgültige Form zu geben. Das glatte Gegenteil trifft man in den Niederungen der Wirtschaftswirklichkeit; wenn sich das Kapital des Computers bedient, so folgt, daß viele Leute den Computer bedienen. Das Grundprinzip aller kapitalistischer Produktion, daß nämlich "nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet" (Karl Marx), ist hier so handgreiflich wie in der industriellen Fertigung. Der ordinäre Bildschirmarbeiter, ob er nun Buchhalter oder Lagerverwalter war oder einen solchen ersetzt, sieht sich mit einem laufenden Programm konfrontiert, das ihm den Tag hindurch vorschreibt, was er zu machen hat. Nämlich den vom Programm benötigten Input, Daten oder gelegentlich Kommandos eines "Menues" in die Tastatur zu geben. Die Maschine subsumiert hier den Arbeiter als ihren Handlanger. Sie befreit ihn nicht von der Arbeit, sondern nimmt seiner Arbeit den Inhalt; erspart ihm Routinetätigkeiten, um ihm eine noch viel einförmigere und damit umso quälendere Routine aufzuzwingen; räumt Hindernisse und Friktionen aus dem Weg und eliminiert damit jede Abwechslung und Pause. Statt einer Erweiterung seiner geistigen Fähigkeiten erlebt er seine endgültige Verblödung und trägt noch allerlei Augen-, Rücken- etc. Beschwerden davon.

Erfunden wurde der Computer für den Staat, insbesondere seine militärische Abteilung, und die ist noch heute, wo jede Klitsche auf Computer umstellt, der größte Sponsor und Motor der technischen Entwicklung. Zum Geschäftsmittel wurde der Computer durch die simple Entdeckung, daß sich seine automatische Arbeitsweise statt für die langen Berechnungen, wie sie bei der Fabrikation von Atombomben und Artillerietabellen anfielen, auch genausogut für die Reihe kleiner Berechnungen, wie sie zum Beispiel in der Lohnbuchhaltung vorkommt, verwenden läßt. Die kommerzielle Datenverarbeitung beginnt damit, die überkommenen isolierten Tätigkeitsfelder des Rechnungswesens an den Computer zu übertragen; es gibt Programme für Gehaltsabrechnung, Kundenkonten etc. und die entsprechende Datenhaltung. Integration heißt das Ziel fortan. Die verschiedenen Bereiche arbeiten mit denselben Daten, und an die Stelle von Dateien, die wie klassische Akten unter einem Verarbeitungsgesichtspunkt organisiert sind, treten Daten- Banken, die eine Vielzahl solcher Sichtweisen erlauben. Die überkommene Arbeitsteilung wird obsolet; der typische "Vorgang", der von einem Schreibtisch zum nächsten wandert, kann ohne große Ansprüche an seinen Bearbeiter in einem Schritt erledigt werden, und dank der dem Computer einverleibten Fähigkeiten kann der Systemanalytiker die Informationsströme und Verarbeitungsflüsse eines Unternehmens ganz ohne Rücksicht auf die in einem Spektrum von Berufen festgeschriebenen Fähigkeiten entflechten und neuordnen. Das Papier, charakteristisches Mittel der Büroarbeit und zugleich Inbegriff ihrer Diskontinuität, wird in doppeltem Sinne zur Randerscheinung; und was noch in Briefform nach außen fließen muß, erledigt die moderne Schreibkraft mit ihrem Textsystem: kaum Verzögerung mehr durch Fehler, Revisionen und Kopien fürs Archiv, und statt dessen jede Menge fertiger Bausteine, deren Auswahl der Sachbearbeiter womöglich schon selber besorgt. Die bloß ideelle Einheit manufakturmäßig geteilter Büroarbeit (ähnliches gilt für den Bereich Konstruktion) erhält leibhaftige Existenz in einem Computer, der mit seiner zentralen Datenhaltung und einem System von Programmen eine Fülle von Detailtätigkeiten an Sichtgeräten oder auch Kleincomputern treibt und zusammenfaßt. Die Analogie zur Dampfmaschine als zentraler Beweger der alten Fabrik oder auch zum modernen Fließband ist deutlich, und eben weil die Unterwerfung des Arbeiters unter die Maschine und die Überflüssigmachung seiner Geschicklichkeit in der materiellen Produktion schon vollendet ist, findet der Computer hier zögernder Verwendung und wirkt nicht mehr revolutionär. Eigentliche Roboter, wiewohl Lieblingsikonen der Ideologie von der Abschaffung der Arbeit, sind relativ seltene Erscheinungen, beschränkt auf Fälle, die sich weniger durch die Tätigkeit selbst als deren für einen Menschen widrige Umstände empfehlen. Ein Roboter äfft einen Arbeiter nach, der, indem er eine Maschine bedient, auf seine natürlichen Potenzen reduziert ist, auf Wahrnehmung, Muskelkraft und Koordination seiner Gliedmaßen, der also ganz einfache, unausgebildete Arbeit leistet. Aber für einen Computer gilt die Hierarchie der Berufe nicht: Es ist unendlich schwer, ihm zum Beispiel beizubringen, Schrauben aus einer Kiste zu greifen. Weit größere Bedeutung hat er, oft in spezialisierter Form, für die Vervollkommnung konventioneller Maschinen oder Produktionssysteme, die nicht auf der Nachahmung menschlicher Tätigkeit, sondern ganz objektiver Analyse der bezweckten Stoffumwandlung beruhen. Als Organ der Prozeßsteuerung, ob in Erdölraffinerien, Papierfabriken oder Flugzeugkanzeln (und in allem möglichen militärischen Gerät), leitet er aus Meßwerten die nötigen Korrekturen ab und bringt sie selbstständig auf den Weg. Und auf Werkzeugmaschinen verpflanzt, vererbt er ihnen seine programmierte Flexibilität und erübrigt die fachmännische Einstellung nach Zeichnungen und Maßen. Wie im Büro, so fungiert der Computer auch hier, wo er die bereits vorhandene Automatisierung perfektioniert, als verselbständigtes Hirn der jeweiligen Aktivität, und deshalb bemüht man sich fleißig, die fundamentale Scheidung von Büro und Fabrikation zwar nicht aufzuheben, aber doch einem ganz neuen Maß von Integration zu unterwerfen: Die ideelle Lagerhaltung kooperiert automatisch mit der leibhaftigen Bewegung von Beständen, Konstruktion und Kapazitätsplanung gehen direkt über in die Maschinensteuerung.

III.

Mit dem Titel eines "Jobkillers" wird dem Computer und seinen diversen Einkleidungen zugeschrieben , in beispielloser Weise Arbeit überflüssig zu machen und de facto abzuschaffen. Damit bestände an und für sich Grund zum Jubel; denn wo Arbeit nicht nötig ist, muß Reichtum herrschen. Aber dieser Schluß existiert heutzutage noch nicht einmal mehr als naier Ingenieursoptimismus: Die Technik dient so hohen Zwecken wie der nationalen Konkurrenzfähigkeit und läßt für die Menschheit nichts zurück als Probleme. Insbesondere das Problem, daß die Mehrheit der Leute zu nichts mehr nutze ist, aber leider nicht in persona abgeschafft werden könne, sondern Betreuung brauche. Der harte Kern der Jobkillerei spielt bei solchen Menschheitsfragen keine Rolle, die Tatsache nämlich, daß mit dem Arbeitsplatz seinem Inhaber der Lebensunterhalt genommen wird. So wenig diese Konsequenz die Wirkung eines technischen Geräts sein kann, so wenig ist es überhaupt wahr, daß der Computer per e Einfluß auf die Arbeitswelt hätte. Dies bleibt seinem Herrn und Meister vorenthalten. Die Anwendung des Computers durch das Kapital soll Kosten senken, d.h. nicht Arbeit überhaupt, sondern bezahlte Arbeit einsparen, Arbeit als Anspruch auf Lohn. Dieser Rationalisierung genannte Zweck hat zwei Konsequenzen. Erstens werden Arbeiter freigesetzt, ob sie nun massenhaft auf die Straße fliegen oder "bloß" entdecken müssen, daß das Wachstum ganz ohne Nachfrage nach Personal blendend vorankommt. Die Beweisführung, daß, was vom Computer an Arbeit verdrängt wird, auch durch ihn wieder Arbeit erhalte, ist eine apologetische Milchmädchenrechnung: Es handelt sich bei solcher Nachfrage nicht nur um ganz andere Berufe, sondern es werden auch nicht an der einen Stelle Lohnkosten gespart, um sie als Teil der Maschinenkosten an anderer Stelle zu zahlen.

Und eben weil zweitens der Angriffspunkt der Rationalisierung der Lohn ist, heißt ihr Resultat profitablere Ausnutzung der Arbeit. Tätigkeiten, die nicht jeder ausüben konnte, werden jetzt von billigen ungebildeten Kräften erledigt. Wenn die Maschine die Arbeit erleichtert, so erlaubt sie auch deren intensivere Verausgabung, ja dient als Mittel, diese zu erzwingen. Mit der alten Arbeitsteilung verschwindet manche technische Notwendigkeit der Kooperation, und dem Kapital eröffnen sich neue Freiheiten, Zeit und Ort der Arbeit nach seinen eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Die ganz andere Sorge aufgeklärter Zeitgenossen gilt ganz direkt der Fähigkeit des Computers, große Datenmengen nutzbar zu machen. Bei betrieblichen Informationssystemen, bei Banken, Versicherungen und vor allem beim Staat befürchtet man, daß der "verdatete Bürger" Objekt von Maßnahmen wird, die ihm nicht passen können. Dabei wird die Legitimität solcher Institutionen und Interessen nicht bestritten, und Kritik an ihnen kommt gar nicht erst auf. Der absurde Gedanke, mit dem ganz wohlmeinend Bedenken angemeldet werden, heißt Aushöhlung besethender Rechte durch technischen Wandel oder auch Machtverschiebung, die eigentlich nicht so gemeint war. Beispiele dafür lassen sich ernsthaft nicht geben - es soll ja nicht bös gemeint sein -, und deshalb erfolgt regelmäßig ein Übergang zu den Möglichkeiten, die ein Hitler heute hätte.

Der Staat gebraucht Computer natürlich nicht zur Machtverschiebung - er hat schon die Macht -, sondern um die Wahrnehmung seiner Aufgaben, die ihm niemand bestreiten will, zu verbessern. Ein schul-, wehr-, steuer-, und sonstwie -pflichtiger Bürger ist schon immer in mannigfacher Weise verdatet gewesen. Und was für die guten Bürger gilt, gilt für die schlechten erst recht, und für die Verbrecher und Kommunisten waren jede Menge Akten und Karteien nötig. Was neu ist, ist die Leichtigkeit, solches Material verfügbar zu machen und zu verwalten. Datenbanken und Computernetze sparen nicht nur Zeit und Kosten, sondern vergrößern auch den Erfolg mancher Anfrage und Informationen, die, weil räumlich und organisatorisch getrennt, nie aufeinander bezogen worden wären, finden jetzt ganz automatisch zueinander.

Das Unbehagen am Computer argumentiert mit einem Quidproquo: Negative Wirkungen, die die Anwendung des Geräts hat, werden als die seinen aufgefaßt. bloß weil sie ohne es nicht existierten. Der Fehler dieses Arguments ist der der Maschinenstürmer zu Beginn der Industrialisierung - bloß bekämpften diese in der Maschinerie, also falsch, das Kapital, während heute von solcher Gegnerschaft nichts mehr zu spüren ist. Die Sorge um die Zukunft ohne Arbeit, aber mit allwissendem Großen Bruder ist eine Manier, die Gegenwart für sehr gemütlich zu befinden. Deshalb fällt es solchen Mahnern nicht im Traum ein, die Zwecke zu kritisieren, die sich mit dem Computer realisieren, und sie gehen konsequent dazu über, n ihm selbst bedenkliche Züge zu entdecken. Er ist keine "menschengerechte" Technik. Zu kompliziert und voller Eigenleben, kann er nicht wirklich verstanden und beherrscht werden. Und an der Möglichkeit des "Kriegs aus Versehen" soll man ermessen, was es heißt, sich auf die Dinger einzulassen. Als ob diese Möglichkeit nicht zuallererst eine kriegerische Situation voraussetzte!

Genauso schlimm wie der "Computer, der durchdreht", ist der "Computer, der nur funktioniert". Bloße Rationalität und Logik werden ihm attestiert, als ob diese Attribute, die ihm übrigens nicht zukommen, zu einem Vorwurf taugten. Was ihm, weil "vorprogrammiert", abgehen soll, sind Kreativität, Problembewußtsein und innere Werte. So hat das Ding immerhin das Gute, die Arbeitsplätze von Pfaffen, Professoren und anderen Fernsehstars zu garantieren. Wir meinen allerdings: Auch daran ist nicht der Computer schuld.