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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1985 erschienen.

Systematik

Der Spiegel
NATIONALER GEIST FEIERT DIE MACHT

Der "Spiegel" ist kritisch. Von den Sternstunden der "Spiegel"-Skandale, die längst gewesen sind, leben Augstein - und seine "Hausmitteilungen" noch heute: Da haben Strauß und Adenauer einen "Abgrund von Landesverrat" gewittert und dem "zersetzenden" Presseorgan die Ehre angetan, daß anerkannte Macher der Politik den "Spiegel" als politische Institution anerkannt haben. Eine Gegnerschaft war das nie - von keiner Seite -; schon immer haben Parlamentarier aller Bänke die Debatten im Bundestag und die Lektüre des "Spiegels" gleichzeitig genossen.

Den offenen Anspruch, das politische Sorgerecht für eine anständig regierte bundesdeutsche Nation zu verkörpern - und das mit Niveau - weiß der "Spiegel" erst dann so richtig gewürdigt, wenn dieser von Amts wegen und manchmal mit Gerichtsverfahren offiziell bestätigt wird. Wer hat den "Spiegel " - egal wie - zitiert? Welcher Politiher "mußte" sich auf ihn beziehein? - Das garantiert "Spiegel"-Schreibern und -Lesern die Bedeutung der kritischen Meinung, die Montag für Montag ihre Käufer findet.

Politik genießen

Mit Gegnerschaft gegen auch nur eine Maßnahme, mit der bundesdeutsche Politiker die Ansprüche von Staat und Wirtschaft an ihr Volk zur Geltung bringen, hat der "Spiegel" seine kritische Haltung nie verwechselt. Was er leistet und wofür er geschätzt wird, ist das Schnüffeln in der Intimität der Macht und das Vermitteln von "Hintergründen", vor denen die nur zu bemerkbaren Taten und unangenehmen Wirkungen der Politik zu uninteressanten Nebensächlichkeiten werden. Diese Vertraulichkeit im berichterstattenden Umgang mit den Großen unterscheidet sich im Prinzip nicht groß von deren Wahlwerbungsmasche, Politik in die Frage aufzulösen, wie gut sie ihren Machern zu Gesicht steht, wie leicht sie von der Hand geht, wieviel Wohlgefühl und Selbstzufriedenheit sie vermittelt. Im Prinzip kommt der "Spiegel" aber, schließlich ist er kein Parteiblatt, Woche für Woche zu spiegelverkehrten Ergebnissen: Eine ziemlich niveaulose, kleinkarierte, karrieresüchtige, nicht selten korrupte Mafia bevölkert das Zentrum der Macht.

Diese schlechte Meinung lebt davon, daß sie die Maßstäbe wahlkämpferischer Selbstbespiegelung der Politiker nicht bloß übernimmt, sondern noch übertreibt. Wenn Wahlkämpfer mit Verweis auf ihre hervorragende Persönlichkeit das Versprechen geben, in ihnen wären die geehrten Herren und Damen Untertanen so prächtig und würdig vertreten wie noch nie, dann sind sie beim "Spiegel" und seinen Lesern an die Richtigen geraten. Die schätzen die Lüge, daß Herrschaft im Grunde eine repräsentative Vertretung der Regiertcn wäre, und erlauben sich Montag für Montag ein freies Urteil darüber, daß die tatsächliche Herrschaft ihren hochgestochenen, kultivierten, geistreichen, geschmackvollen Repräsentationsbedürfnissen nicht genügt. So bleibt man braver Bürger und weiß sich zugleich übers Regiertwerden meilenweit erhaben.

Diese eingebildete Überlegenheit über einen Lauf der Dinge, dessen banale und triviale Hintermänner und -gründe man längst kennt, ist unschlagbar. Sie ist vor allem universell anwendbar. An schlechterdings jedem Stoff kann sie sich beweisen; denn recht betrachtet hat doch alles seine menschlich-allzumenschliche, intrigante, mehr oder weniger würdelose Innenseite. Wirtschaft und Fußball, Politik und Kultur lassen sich allesamt gleichermaßen vorführen: als Betrieb, dessen Betreiber vom "Spiegel" noch in ihren geheimsten Sitzungen belauscht werden.

Die Kunst des Belauschens kennt einerseits kein Kriterium außer eben dem der geschlossenen Tür, hinter der ein bürgerlicher Kopf allemal Peinlichkeiten vermutet und natürlich auch entdeckt. So erspart der "Spiegel" sich und seinem Publikum konsequent jede auch nur halbwegs rationale Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig. Von der in die Tat umgesetzten Absicht des Präsidenten Reagan, den Atomkrieg zu einer sicheren Sache zu machen, bis zum nationalen Furz eines deutschen Jungfilmers ist alles eine hingebungsvolle Titelgeschichte wert - überflüssig, daran zu erinnern, daß der US-Präsident natürlich als "Star-Wars-"Filmfigur daherkommt und der Filmschinken als historische Wendemarke -; denn alles ist dem "Spiegel" Anlaß, sich als den überlegenen Aufdecker des Wer-mit-wem, -gegen-wen, des Wie und des Warum-nicht-anders zu genießen.

Diese Kriterienlosigkeit hat aber ihre andere Seite: Nie läßt der "Spiegel" etwas aus, was die Nation, also ihre Führung, wichtig findet; an allen von oben angesagten Anliegen beteiligt er sich auf seine Weise. Bundesdeutsche und andere NATO-Politiker machen anläßlich runder Jahreszahlen am Kriegsende '45 ihre offene Rechnung mit dem kommunistischen Osten deutlich - der "Spiegel" assistiert mit Hintergrundsberichten gleich serienweise über Jalta und die Folgen. Die Politiker des westlichen Lagers machen das "Ende der Entspannung" durch einen neuen Ton der Verachtung gegen den Osten deutlich - der "Spiegel" ist mit Hintergrundberichten über die unfähige "Nomenklatura" zu Diensten. Die Verwalter des "sozialen Netzes" berufen sich für ihre Verelendungspolitik auf die Lasten, die sie unter Titeln wie "Generationenvertrag" und "Solidarität" den Proleten aufgeladen haben - der "Spiegel" rechnet seitenlang vor, wie die Alterspyramide und sonstige Sachzwänge, von denen Blüm und Co. angeblich mal wieder keine Ahnung haben, den Werktätigen drücken. Neben allen Spezial-Abstrusitäten, die man sich in Hamburg leistet, weil das einmal geschaffene Publikum sich sowieso für keine Blödheit zu blöd ist, trifft das kritische Magazin in seiner Originalität noch allemal die Themen, die von berufener Seite angesagt sind. Und nicht einmal aus Versehen reibt es sich an den Zwecken von Nation und Wirtschaft, für die die Massen, die den "Spiegel" gar nicht lesen, als Material verschlissen werden.

Macht = Geist mit schlechen Zensuren

Die Methode, mit der der "Spiegel" eine kritische Distanz zwischen sich und die Macher des von ihm mitgemachten nationalen und weltweiten "Betriebs" legt, kommt gern und häufig in Gestalt der Kunst daher, Gewalt und Geist zu verwechseln. Wenn irgendwer, dann macht der "Spiegel" die demokratische Erz-Dummheit mit, Beschlüsse der Macht wie wissenschaftliche Diskussionsbeiträge, Interventionen der Gewalt wie intellektuelle Gesamtkunstwerke anzusehen - um der Praxis der Staatsgewalt quasi auf gleichem Fuß mit Besserwisserei begegnen zu können. Eine Demokratie beansprucht für jeden Krieg den Ehrentitel einer "Konzeption" für eine "dauerhafte Problemlösung" - der "Spiegel" vermißt Klarheit, Stimmigkeit und die Berücksichtigung von Expertenstimmen, die er ausgegraben oder bestellt hat. Ein freiheitlicher Sozialstaat rechtfertigt jedes Stück Elend durch professorale Gutachten als Teil einer Krisenbewältigungsstrategie - der "Spiegel" weiß von anderen Gelehrten, daß die zugrundeliegenden "Modelle" von 1932 und inzwischen längst veraltet sind. Es versteht sich am Rande, daß nirgends Argumente vonnöten sind, um einer politischen Maßnahme ihre 5 minus - wegen "nicht gemachter Hausaufgaben o.ä. - zu verpassen; als Intellektuellenblatt verläßt der "Spiegel" sich da lieber auf anerkannte Autoritäten, für deren Gewicht Amt und Laufbahn sprechen.

Das Fehlen bzw. die Fragwürdigkeit entsprechender Insignien des Sachverstands will selbstverständlich bei den politischen Figuren vermerkt sein, deren Gewaltausübung alle Merkmale eines sehr guten Besinnungsaufsatzes vermissen läßt - damit eben dies auch recht bemerklich wird. So entdecken die Eliteschreiber der Nation in der Sphäre der Politik immerzu ihren sprühenden Intellekt wieder, nämlich schlecht vertreten, und können dabei eine Pershing nicht mehr von einer Meinung und die staatlich verwaltete wirtschaftsdienliche Armut nicht mehr von einem Problemaufsatz unterscheiden.

Natürlich werden die "Spiegel"-Macher über dieser Tour nicht zu Idealisten des politischen Betriebs. Die geistigen Autoritäten, die sie jeweits in Anschlag bringen, um einen gewalthabenden Kleingeist zu blamieren, sind sehr berechnend ausgesucht und zurechtgebogen. Sie stehen für den Maßstab, den der demokratische Verstand stets als den letztlich alleingültigen kennt und anerkennt, nämlich den des Erfolgs.

Am angeblich mangelnden Scharfsinn rechnet den "Spiegel" den diversen Repräsentanten der Nation und ihrer Anliegen vor, daß sie an den problematischen Aufgaben scheitern müssen, denen sie schon intellektuell so wenig gewachsen seien:

Geistvolle Politik = Nationaler Erfolg

In der Anwendung des Erfolgskriteriums ist der "Spiegel" frei bis zur Weltfremdheit und zugleich linientreu bis in die Nähe faschistischer Wunschträume. Der US-Luftwaffe darf nicht ein Raketenschuß danebengehen - sonst bekommt gleich der Präsident mit seinem gesamten Aufrüstungsprogramm die Note "zum Scheitern verurteilt". Dasselbe gilt sowieso für das neue Raketenabfangprojekt der USA - aus dem nun wirklich ganz weltfremden, absichtsvoll naiven Grund, weil ein paar amerikanische Städte wohl doch dran glauben müßte ; das hat der "Spiegel" sich von "Fachleuten" beweisen lassen. Dem deutschen Finanzminister darf kein Ressortkollege eine Million mehr abknöpfen als vorgesehen - sonst ist sein "Sanierungsprogramm" gleich im Eimer. Dasselbe gilt für das Ansehen der BRD in der Welt, wenn der dicke Genscher einmal nicht mit ehrlicher Begeisterung von besuchten Potentaten empfangen wird. Am christdemokratischen Kanzler leidet der "Spiegel" bitterlich, weil diese provinzielle Figur von Reagans cleveren Leuten und sogar, entsetzlich, von einer Maggie Thatcher im Streit um deutsche Milliarden für EG oder NATO aufs Kreuz gelegt wird, in seinen Akten und Kabinettssitzungen keine souveräne Ordnung hält und überhaupt "die Zügel schleifen läßt", statt tatkräftig "die Probleme" anzupacken. Von seinen Untertanen muß ein Staatsmann jede Menge Vertrauens- und Verehrungspunkte kriegen, wenn er vom "Spiegel" nicht gewarnt oder gar politisch totgesagt werden will. Einmal gegen Strauß nicht durchgesetzt, stempelt Kohl auf Lebzeiten zum Versager - auch wenn die nächste "Spiegel"-Ausgabe die fortschreitende Vergreisung des Bayern diagnostiziert, weil Kohl ihn doch einmal ausgetrickst hat...

Kritik = eitle Kumpanei mit den Mächtigen

Das inhaltsleere Ideal des reibungslosen Erfolgs und puren Gelingens, auf dem der "Spiegel" bis zum Erbrechen meist hämisch oder süffisant herumreitet - 'nicht mal mit Grenada ist die US-Army problemlos fertig geworden!' -, entstammt wahrhaftig nicht nur der methodischen Absicht, den Regierenden und sonstigen wichtigen Leuten dünkelhaft am Zeug zu flicken - auch wenn es sich oft genug in diesem Sinne verselbständigt; es reicht ja allemal für die hingerotzten Charakterstudien, die nichts als den demokratischen Fehlschluß vom Erfolg bzw. Mißerfolg einer wichtigen Person, gemessen an deren eigenen Maßstäben, auf die Persönlichkeit enthalten. Es hat aber durchaus auch seine handfesten Inhalte. Und die heißen: die deutsche Nation; ihre unbedingte Geltung in der Welt; der unbedingte Erfolg ihrer Wirtschaft; ihre würdige Repräsentation. Die nie abzustellende Nörgelei, die Attitüde bodenloser Unzufriedenheit, das genießerische Verteilen schlechter Noten, das alles schlägt immer wieder unversehens um in das zugrundeliegende banale Prinzip: in hemmungslosen Nationalismus. Da leiden Augstein und die Seinen wirklich, wenn sie sich zu der Einschätzung entschlossen haben, daß deutscher Größe, deutscher Würde, deutscher Mark und deutscher Kunst in Gestalt erfolgloser Repräsentanten ein Nachteil entstehe - objekhv ist dieser Maßstab ja ohnehin nicht. Umgekehrt ist damit klar, was der "Spiegel" noch im häßlichsten Repräsentanten der deutschen Nation verehrt. Nie wirft selbst die dümmste Birne auch nur den leisesten Schatten eines Verdachts auf das Amt, das er bekleidet; auf die Macht, die er ausübt; auf die "Probleme", denen er sich - angeblich so birnenförmig - widmet; auf die demokratischen Verfahren, die ihn an die Macht gebracht haben.

Und noch einmal anders herum gewendet, relativiert sich mit dieser Verehrung deutscher Politik auch ziemlich die Verachtung ihrer Macher. In all seinem Genörgel hält der "Spiegel" sich so genau wie kein anderes Blatt an den stockkonservativen demokratischen Grundsatz, daß eine Person als Person so wichtig ist wie ihre Macht und ihr Einfluß. Für den "Spiegel" fängt der erwähnenswerte Mensch an mit dem anerkannten Erfolg, den er in seinem Metier aufzuweisen hat; der Politiker also mit seinen ersten Wahlerfolgen; und mit den Erfolgen wächst, bei aller Süffisanz, der Respekt. Die Hierarchie, die sich der "Spiegel" so zurechtgemacht hat, malt sich in all ihren Nuancen in den Interviews ab, mit denen das Blatt glänzt. Deren ganze Kunst besteht - außer im Hausarchiv, das es gestattet, jeden Interviewten mit allen erdenklichen eigenen Äußerungen zu konfrontieren - in einer lückenlosen Abstufung von Ehrfurcht und Frechheit: von den Gesprächen mit den anerkannten Großen, denen die "Spiegel"-Fritzen in Frageform Stichworte zur Selbstdarstellung überreichen, bis zu denen mit Möchtegern-Machthabern, die mit Fragen, die schon die ganze Aussage über den Interviewten darstellen, vorgeführt werden. Wer nichts zu sagen hat, der hat auch nichts zu sagen: Keine deutsche Zeitung oder Zeitschrift handhabt diesen demokratischen Personenkult so eindeutig wie Augsteins Magazin.

Der Respekt vor der Macht wie vor ihren Inhabern ist also allemal in jeder Hinsicht bekräftigt, wenn die "Spiegel"-Schreiber anfangen, Machthaber und Repräsentanten der Nation zu bedauerlichen Fehlbesetzungen hinzustilisieren. Kein Wunder, daß diese Stilisierung immer etwas Gekünsteltes behält, solange der Betreffende nach den praktischen Maßstäben der Demokratie Erfolg, nämlich die Macht hat. Sicherlich, der "Spiegel" behält es sich selbst bei der Registrierung der größten Wahlerfolge, die ihm einerseits ungeheuer imponieren, andererseits vor, daraus doch Mißerfolgsprognosen abzuleiten - und sei es nur die ganz und gar lächerliche, ein so gutes Ergebnis sei gewiß nicht zu wiederholen. Dabei ist aber nur allzu kenntlich, nach welchem banalen Kriterium darüber entschieden wird, ob einer einen guten oder schlechten 'Spiegel' bekommt. Zufrieden ist dieses politische Organ des bundesdeutschen Intellektuellen mit einem Machthaber genau dann und in dem Maße, wie der bei der Ausübung seiner Macht eine überzeugende Selbstsicherheit zur Schau stellt; und überzeugend ist solches Führertum, wenn der Betreffende für seine Schau auf den "Spiegel" und seine Gemeinde Wert legt. Einem Staatsmann, der sich für ein Interview hergegeben und dabei die Bemerkung eingeflochten hat: "Ich selbst lese den 'Spiegel' mit großem Interesse und Gewinn!", der braucht so leicht keinen Verriß mehr zu fürchten. Und wie schnell hätten das "Birnen"-Gerede und Augsteins besoffene Invektiven ein Ende "fände nur der deutsche Kanzler sich dazu bereit...! Ein Kanzler, der das Volk einseift, hätte auch die staatskonforme Betreuung des Intellektuellenstandes zu würdigen. Dann hätte "Birne" Format.

Es wäre ja auch ein Wunder, wenn man mitten in der BRD Woche für Woche ein Massenblatt absetzen könnte, das alle Branchen des nationalen Eifers als intriganten Betrieb der Lächerlichkeit preisgeben würde. Der "Spiegel" hat zwar nichts anderes zu erzählen; das macht ihn so langweilig. Sein ganzes Genöle ist aber unmißverständlich von tiefster Parteilichkeit für den Betrieb diktiert, dessen Innenleben er so liebevoll-besserwisserisch auspinselt: für das Gelingen von Macht und Reichtum, Moral und Unterhaltung, innerem und weltweitem Erfolg der Nation. Und seine Attitüde der Distanz und der intellektuellen Verachtung ist ein einziger fortwährender Antrag auf wohlwollend akzeptierte Kumpanei mit den Mächtigen, die umgekehrt den "Spiegel" gerne mit "Informationen" und ihren Sorgen beliefern. Das macht den "Spiegel" so maßlos konstruktiv.

Kritischer Imperialismus

"So steht Weinberger einer Streitmacht vor, die gut sein mag für großvolumige, strategische Drohgebärden, die es aber gerade noch schafft, eine Operation a la Grenada zu führen - sie bedeckte sich nicht einmal hier mit Ruhm."

Da weiß der "Spiegel" es besser: Jede neue Aufstockung der amerikanischen Rüstung macht die Amis immer nur ohnmächtiger - nur Reagan und Weinberger kriegen das nicht mit. Nicht einmal den Blitzkrieg in Grenada haben sie anständig hinbekommen - trotz aller Atombomben und MX-Raketen.

Feindbild gespiegelt

Auch im "Spiegel" regieren in Rußland vorwiegend, zumindest bis vor kurzem, kranke Greise, und das macht doch alles über die Überholtheit eines Systems klar, das nur aus Ritualen lebt.

"Auch Beerdigungen prominenter Politiker sind rituelle Wiederholungen. Stets erklingt Chopins Trauermarsch, als gäbe es keine andere Trauermusik... Rituale sind es ja, die in der Sowjet-Gesellschaft Tugenden bewahren, welche politischen Wandel unvorstellbar machen: Ordnung um jeden Preis, Sicherheit, Traditionsliebe - das sind die Themen der nationalen Feiertagsliturgie."

Da ist noch jede hiesige Politikerrede über die Grundwerte der Demokratie samt ihren zwei, drei Geboten und Verboten von prickelndem Abwechslungsreichtum. Und so schlecht kann ein Kohl in den Augen des "Spiegel" gar nicht sein, als daß russische Politiker nicht vor ihm blaß aussehen. Hier zählt das lebensvolle Naturell eines Politikers, drüben der stumpfe Dienst am Staat.

"Eine Führungskraft muß nicht, wie im Kapitalismus, gesund und dynamisch sein. Wichtig ist vielmehr Treue zur kommunistischen Idee und zur Partei, Patriotismus und nicht selten Heldentum im Großen Vaterländischen Krieg."

Kein blühendes Geschäftsleben von Konkursen und spannenden Geistesblitzen erfolgreicher Unternehmer - da hat Flötotto seine Waren doch glatt per Versand an den Mann gebracht! -, keine spannenden und zur Besorgnis Anlaß gebenden Arbeitslosenzahlen, nein

"graue Gleichförmigkeit beherrscht den Alltag, Übersichtlichkeit des Lebens ist die Folge - aber auch fürchterliche Langeweile. Die Überschriften in der Presse sind von lähmender Eintönigkeit: 'Die Jugend zum Kommunismus erziehen'."

In so einer Welt hätte der "Spiegel" kein Publikum, wenn er seine ganze geistige Phantasie darauf verwendet, sein einfältiges Hurra für das Gelingen der Politik negativ, also als Anspruch, der erst noch verwirklicht gehört, vorzutragen:

"Im Westen geschätzte Werte wie Spontaneität, Phantasie und Selbständigkeit zählen kaum."

Der unwürdige Führer

"Das ist Kohls Erfolgsrezept in diesem Landtagswahljahr: erst zu sagen, 'ich bin kein blinder Optimist', und dann hemmungslos Optimismus zu verbreiten. Mit der lästigen Realität, mit den Schwierigkeiten, in denen die Bundesrepublik nach zweieinhalb Jahren CDU-Herrschaft steckt, pflegt sich der frohe Kanzler der höchsten Arbeitslosenzahl seit der Währungsreform nicht zu beschäftigen, nicht mit dem Rekord von Firmenzusammenbrüchen, nicht mit der akuten Gefahr, daß die Rentenversicherung pleite geht."

Der Mensch macht allen täglichen Meldungen aus Bonn zum Trotz einfach nichts, und das verkauft er als Politik:

"Die Wahlstrategen der Union haben nur ein Ziel: trotz aller Schwierigkeiten mit Arbeitslosen, Pleiten und Renten frohe Zuversicht zu verbreiten."

So absichtsvoll verwechselt das Organ kritischer Meinung die Taten der Politik mit schlechter Meinungsmache. Dabei wäre zumindest der "Spiegel" so leicht zu gewinnen: Kann dieser Oggersheimer nicht wenigstens einmal sein Wabbelgesicht in Sorgenfalten legen, um als deutscher Politiker Statur zu beweisen:

"Die Tragik der Bonner Komödie liegt in der... Tatsache, daß die Konservativen es nicht geschafft haben, einen Kanzler zu nominieren und zu küren, damit er auch als Kanzler regiere. Sie schafften es nur, einem Helmut Kohl den Bubenwunsch zu erfüllen, Kanzler zu sein."

So laßt sich die Kritik des "Spiegel" an der Unwürdigkeit des heutigen Vertreters deutschen Geistes im Regierungssessel darin zusammen, daß er in ihm nicht die deutsche Führergestalt sehen kann, für die es historische Vorlagen gibt. - Nein, nicht den Führer aus Braunau (leicht auszudenken, wie "Spiegel"-Schreiber diesen Provinzler "kritisiert" hätten), sondern den Macher aus Hamburg, der Kant und Popper zitierend auch noch Klavier spielen konnte - zur "Nachrüstung" und zum "Sparprogramm".

Ein trunkenes Geschäft

"Der Film von Liebe und Anarchie, wie er im Originaltitel in Anspielung auf das ausgelaugte Genre Liebesfilm heißt, ist der seltene Fall eines gelungenen, mitreißenden Polit-Films, ein Werk voller Gewalt und Leidenschaft, voller Triebe und Melancholie. Gut passen diese Dinge bei Lina Wertmüller zusammen...

Denn Politik, suggeriert die Wertmüller in ihrer Groteske, ist ein krauses, trunkenes Geschäft. Für Männerhände viel zu gefährlich."

In der Kultur entdeckt der "Spiegel" seinen geistigen Anspruch so sehr verwirklicht, daß die Schreiber für den hinteren Teil des Blattes auch auf die Pose der Distanziertheit verzichten: Im höchsten Schwachsinn bekennen sich die hier meist namentlich zeichnenden Rezensenten so "mitreißend" zur eigenen Besoffenheit, daß es einer Sau graust.

(Durch-)Blick in die Welt

"In Harlem ist alles möglich - auch strahlende Wiedergeburt inmitten einer verwesenden Stadt, sogar: daß aus Schwarz plötzlich Weiß wird. In Harlem übertrifft die Wirklichkeit jede Phantasie."

Sex, Crime, Rassenhaß und Gewalt - ein einziger Genuß an den Freuden demokratischen Lebens, zumal auch der letzte Nigger sich in Harlem Luxus leisten kann.

"So spielt auch der Tod in der Welt der Schwarzen eine ganz andere Rolle als in der Gesellschaft der Weißen: Für den armen Neger ist sein Tod oft die einzige Gelegenheit für echten Luxus. Den besorgen die zahlreichen Bestattungsinstitute und ihre Besitzer, die in der Hierarchie von Harlem zu den meistgeachteten Bürgern gehören."

Den Vorwurf 'Rassist' braucht der "Spiegel" von seinen Lesern nicht zu befürchten - die nehmen das alles von Thai-Mädchen bis zu Hungerleichen in Äthiopien als ihr Vorrecht eines Durchblicks, wie es in der Welt zugeht. Von der primitiven Masse wissen sie sich abgehoben: Dank "Spiegel", der ihnen als Titelgeschichte zum neuesten Hollywood-Schinken ein anspruchsvolles Programmheft liefert.