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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1985 erschienen.


NATIONALER DOLCHSTOSS

Noch in der Nacht werfen deutsche Zeitungen ihre Titelstory um: "Neue Berlinkrise". Der Bonner Krisenstab unter Führung des Kanzlers stellt ein Ultimatum an den DFB. Ganz Deutschland entdeckt, daß Neuberger kein Karl Heinz Förster, sondern nur ein windelweicher Fußball-Vertreter ist:

"...um sich dann der eiskalten Erpressung der drei Funktionäre aus Rußland, Bulgarien und der CSSR: Mit Berlin keine EM für Deutschland! saft- und kraftlos zu beugen." (Bild am Sonntag)

Der MAD schaltet sich ein: Verdacht auf Spionage und Sabotage. Neubergers häufige Fußball-Reisen in den Osten sind sportlich kaum zu erklären. Einen wichtigen Hinweis in dieser Sache gibt die Alternative Liste Westberlin, die zusammen mit allen anderen demokratischen Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus eine Lanze für die alte deutsche Reichshauptstadt bricht. Jetzt kommt der AL zugute, daß einer von der Liste sich mal vor 15 Jahren mit Neuberger in Ostberlin getroffen hat. Die Deutsche Bischofskonferenz verlängert ihre Frühjahrskonferenz; neuer Tagesordnungspunkt: "pila interrupta" (Communique). "Hermann, der Entrüster" (BamS) fordert Polizeischutz an. Fritz Walter versteht überhaupt nichts mehr... Sind denn die Deutschen verrückt geworden? Nein, sie können nur 1985 ihren groß deutschen Hals nicht mehr voll genug kriegen. Aber meine Herren Deutschen vom Kanzler abwärts, da müssen Sie sich schon entscheiden. Entweder Sie können noch nicht, wie Sie wollen. Dann setzen Sie aber auch den Westberlinern keine Flausen in den Kopf, sondern sagen ihnen, daß sie jetzt noch nur übers Fernsehen die Siege miterleben können (sonst fangen die gleich wieder mit Hamsterkäufen an). Oder aber Sie lassen die Förster-Brüder mit Panzerunterstützung und Briegel als Nachhut einen Korridor nach Westberlin durchtreten, damit die Verhandlungen mit der UEFA leichter werden.

Unser Kompromißvorschlag, damit die völkerverbindende Wirkung des Sports nicht völlig auf den reinen Fußball runterkommt:

"Gesamtdeutschland vor, noch ein..."

Die Bundeswehr beeilt sich mit ihren sportlichen Übungen. Dann kann die BRD-Westberlin-Auswahl das EM-Endspiel gegen die Regionalliga Schlesien endlich im Uwe-Seeler-Stadion in Moskau austragen.

Schließlich liegt auch unsere sportliche Zukunft in einem freien Europa ohne Grenzen.