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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1985 erschienen.


WAFFEN UND MORAL

Ausgerechnet das Kriegshandwerk ist seit jeher ein beliebter Stoff für moralische Abwägungen. Dabei geht es nicht nur immer wieder um Himmlers heiße Frage, ob die Jungs bei ihrem dreckigen Geschäft auch sauber geblieben sind.

Auch Strategien und Waffen, die Instrumente des Krieges, werden gerne moralisch begutachtet. Also weder "sachgerecht" danach gewürdigt, wie gut sie taugen für ihren Zweck: den Krieg, in dem jenseits von gut und böse allein die prima und ultima ratio des Staates, die Gewalt, waltet und siegen will und sich selbstverständlich das Recht herausnimmt, ihre Souveränität über das 5. Gebot zu stellen und das Menschenrecht auf Leben, das sie gewährt, auch in Anspruch zu nehmen. Rückschlüsse auf die politischen Interessen, die ein Staat auf der Welt gegen andere Souveräne vertritt, werden aus seinen Kriegsvorbereitungen da aber auch nicht gezogen. Beim moralischen Urteil geht es um die Unterscheidung zwischen üblen und akzeptablen Kriegsmitteln und -methoden. Als käme es bei geplantem Töten und Vernichten entscheidend auf das Wie an, und als würde nicht praktisch sowieso der klassische Grundsatz gelten: Im Krieg sind alle Mittel erlaubt.

Um sich als schlichter Staatsbürger so für den militärischen Gewaltapparat seiner Obrigkeit zu interessieren, muß man schon einige gesinnungsmäßige Voraussetzungen mitbringen. Ohne standhaften Glauben an die Ideologie der Verteidigung geht es nicht: Wo immer die Staatsgewalt Feinde ihrer Interessen ausmacht oder definiert, da muß man böse Kräfte am Werk sehen, die einem selbst höchstpersönlich ans Leder wollen - hier ist das Idealbild von der russischen Soldateska einschlägig, die mordend, plündernd und vergewaltigend durch die Lande zieht - und gegen deren unheilvolles Wirken die eigene Staatsgewalt Schutz bietet. Zwar blamiert sich diese Sichtweise schon an der Tatsache, daß Staatsgewalten Leib und Leben, Hab und Gut ihrer Bürger aufzuopfern pflegen, um dadurch sich zu schützen und ihre Interessen gegen andere Staaten durchzusetzen. Aber Tatsachen allein können eben schlecht den Entschluß widerlegen, der Politik der eigenen Nation grundsätzlich nur gute Zwecke zuzutrauen und dieses Vertrauen in täglicher Enttäuschung aufrechtzuerhalten. Nur auf der Grundlage jedenfalls kann man das Problem kriegen, ob nicht gewisse spezielle Waffen und militärische Pläne die durch und durch unschuldige bundesrepublikanische Linie der puren Verteidigung "unserer Freiheit" gegen den östlichen Angreifer verlassen. Sind weitreichende Tornados und Raketen nicht irgendwie Angriffswaffen? Sieht das Air-Land-Battle-Konzept nicht einen offensiven Schlag "vorwärts" vor, statt nur defensiv ganz "vorne" die Grenze zu verteidigen? In solchen Fragen wird das hemmungslose Zutrauen in die bedingungslos friedliche Politik der BRD "kritisch" auf die Gewaltmittel der NATO angewandt: Ob die auch so beschaffen sind, daß sie nur der Politik dienen können, an die da geglaubt wird?!

Diese absurde "Kritik" ist das Echo der Lüge, die die bundesdeutsche Politik seit Beginn ihrer NATO-Mitgliedschaft und Aufrüstung offiziell gepflegt hat: Der moralisch unanfechtbare pure Verteidigungszweck wäre der Bundeswehr und ihren Waffen quasi als Eigenschaft und Ausstattungsmerkmal zueigen. Praktisch hat sich nie jemand groß um diese Lüge gekümmert. Ein Militär weiß sowieso, daß "Offensive" und "Defensive" Kampftaktiken sind und jenseits von gut und böse. Gut funktionierende Waffen können erst recht nichts dafür, daß sie gut funktionieren, also vorwärts schießen, rollen oder fliegen und nicht bloß "vorne". Und vom Standpunkt der "Vaterlandsverteidigung" tun Rüstungspolitiker nur ihre Pflicht, wenn sie auf denkbar perfekte Waffen Wert legen.

Nun machen sich Leute auf und klagen von Politikern und Militärs mehr Respekt vor deren eigenem moralischen Schwindel ein. Und werden so bloß zum Stichwortgeber für die Einführung von etwas mehr zynischem Realismus in der nationalen Rüstungsfrage.

Die Vorbereitung eines Atomkriegs stellt die Idealisten einer sauberen Kriegsführung vor Probleme neuer Art. Da werden nämlich die letzten eingebildeten Anhaltspunkte für die Unterscheidung zwischen "menschlichem" und "inhumanem " Waffeneinsatz hinfällig. Und auch das ist hier unübersehbar, daß "Verteidigung" überhaupt nichts mit "Schutz" zu tun hat, sondern eben auf "Gegenschlag", auf Vergeltung hinausläuft.

Die moralische Skepsis gegenüber dieser aparten Sorte Kriegsplanung wurde jahrzehntelang mit der Auskunft bedient, gerade wegen der Unmöglichkeit, sich gegen die grausamen Wirkungen der Atombombe zu schützen, sei dies die moralischste aller Waffen. Das Problem der Atomkriegsplaner, vom atomaren "Schlagabtausch" weg- und zu einer "regulären" Atomkriegsführung hinzukommen, wurde in die trostreiche Lüge übersetzt, Atomwaffen wären überhaupt zu offensiv, um jemals eingesetzt zu werden: Sie würden den Krieg verhindern, dessen Instrumente sie sind, wären also "überhaupt keine Waffe mehr."

Der offizielle Rang dieser Lüge hat die Atomkriegsstrategen und -rüstungsexperten selbstverständlich nie gehindert, immer neue "Optionen" atomarer Kriegsführung auszuhecken und vorzubereiten. Dem Ideal der "Kriegsverhinderung dwch Abschrekkung" entnehmen sie korrekterweise den Auftrag, den Feind immer glaubwürdiger mit entsprechend zurechtgemachten Atomwaffen bedrohen zu können. Militärisch gesehen ist die "Abschreckung" erst dann perfekt, wenn die eigene Seite tatsächlich in der Lage ist, den Gegner effektiv am Einsatz seines Vernichtungspotentials zu hindern - wenn sie also ein Monopol auf erfolgreichen Atomkrieg errungen hat. Zum Ideal der Kriegsverhinderung paßt die Einrichtung immer besser handhabbarer Atomkriegs-"Szenarios" natürlich schlecht. Und über dieser Entdeckung haben die Freunde einer moralisch einwandfreien Verteidigungsplanung nicht ihren Glauben an das Ideal der Undurchführbarkeit von Atomkriegen, sondern ihren Verstand verloren.

Das erste Symptom dafür ist die um sich greifende Fachsimpelei über Schubkraft und Reichweite von Raketen, Zielgenauigkeit und Vorwarnzeiten. Wie die Strategen reden sie daher - bloß ohne deren sachliche Freude und Kritik an der Leistungsfähigkeit ihres Arsenals. Die strategischen Kalkulationen mit Präventivschlägen gegen feindliche Gewaltmittel, "abschreckenden" Terrorangriffen auf Städte usw. sollen einen entscheidenden moralischen Unterschied an der Atomkriegsrüstung und -vorbereitung hergeben: "Erstschlag" b öse - weil, wer ihn führt, eben ein atomares Gefecht gewinnen will; "Zweitschlag" gut - weil er den Erstschlag "abschreckt", also den Krieg verhindert.

Und diesen Unterschied möchte man gar noch an der technischen Beschaffenheit verschiedener Raketensorten ausmachen können - als wollte man einen physikalischen Indizienprozeß wegen Abweichung von der "Abschreckungsdoktrin" führen.

Der gewünschte Beweis ist natürlich leicht zu haben; und das wirft neue Fragen auf. Genaugenommen zwei:

- Hat die Regierung womöglich vergessen, was sie uns doch bis gestern noch immerzu erklärt hat: Wie unendlich gefährlich der Atomkrieg ist, so daß man eben deswegen davor sicher ist? Hat sie natürlich nicht. Sie hat nur immer stiUschweigend dazugedacht, daß die "unendliche Gefährdung" ein bißchen einseitig sein, nämlich den Gegner treffen muß. Mit der Mehrheit ihres tugendhaften Volkes war sie sich darin auch immer schon stillschweigend einig. Jetzt kommt eine moralische Minderheit daher, nimmt den kleinen Schwindel für bare Münze und beschwört in apokalyptischen Bildern die Atomkriegskatastrophe, die nach alter Ideologie von sich selber "abschrecken" soll. Inzwischen verfassen emsthafte Journalisten in ihrer Freizeit fiktive Tagebücher vom atomaren Weltuntergang in Mittelhessen. Wissenschaftliche Clubs ermitteln die Lebensbedingungen nach 10, 100, 1000... Atombombenexplosionen und steuern zur guten alten Abschreckungs-Ideologie den Befund bei, daß es den Kakerlaken hinterher am besten geht. Die "Die-ins" finden allerdings schon weniger Zuspruch...

- Oder hat die Regierung nicht daran gedacht, daß sie selber und ihr Herrschaftsbereich bei einem atomaren Gefecht zuallererst draufgehen würden? Hat sie natürlich schon. Deswegen tut sie ja alles, damit die atomaren Abteilungen des Krieges im Feindesland stattfinden und bei deren Durchführung nicht gleich alles kaputt geht. Angesichts solch eindeutiger Siegesprogramme kommen skeptische Menschen mit Liebeserklärungen an das Stück Heimat daher, das sie als Schlachtfeld in Gefahr sehen. Erwachsene Menschen machen sich mit Begeisterung fachkundig über die Chancen einer alternativen, umweltschonenden Verteidigung - da die sein muß, will man ja nie und nimmer bestritten haben. Und Leute, die mal "links" waren und gegen den Nationalismus kritisch eingestellt, messen ihre Regierung daran, ob sie gegen ihren grßen Verbündeten auch mal auftrumpft und wenigstens auf einem "Zweitschlüssel" für die neuen Pershings besteht. Dann käme es für die moralische Würdigung dieser Waffen vielleicht doch nicht gar so sehr auf ihre Schubkraft an. ...

So stirbt vor lauter nationalem Moralismus mitten in der Weltkrieg III - Friedensbewegung sogar der Pazifismus aus. Seine Stelle nehmen die Aufrüstungsideologien von gestem ein - und die Regierung entnimmt daraus ihre Propaganda-Stichworte für die Aufrüstung von morgen.