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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1985 erschienen.

Systematik


DIE REGEL ALS AUSNAHME

Mitte Januar Smog-Alarmstufe 3 erstmals in der BRD, Eine rege öffentliche Debatte, in der alles vorkam - nur mit keinem Wort Gründe, Verursacher und Opfer der dicken Luft. Dies alles zusammen tauchte immer nur als ein und dasselbe auf: "Das Ruhrgebiet" und seine Bewohner - gemeinsam Betroffene einer bedrohlichen Lage?

Wofür Smog und Smog-Alarm nicht alles gut waren! Fürs Umweltbewußtsein, denn "die Umwelt" (wer?) ist in Gefahr. Für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, denn sie hat bundesweit die schärfsten Werte. Für Politiker wie Farthmann, denn der "bullige Minister im dunkelblauen Pulli" (Bild) konnte tatkräftig Besonnenheit und besonnene Tatkraft und "mutige Entscheidung" (Bild) beweisen. Für die Opposition, denn sie konnte "Versäumnisse" anprangern. Aber der Smog war auch schlecht. Schlecht nicht für die Leute, sondern fürs "Image des Reviers" als "Ruß-Land" (I-gitt!), wo "die Briketts den Tiefflug üben" (Westfälische Rundschau); wo das Image (nicht die Luft!) gerade in "das Revier - jenseits von Rauch, Ruß und Hochöfen" geändert werden sollte. So ein Pech!

Es durfte kräftig geschimpft werden. Auf die "übertriebene Vorsicht" und "Profilierungssucht" von Politikern. Auf die "mangelnde Koordination" der Katastrophenpläne. Auf die "Unvernunft der Autofahrer". Auf die "Verwirrung in den Krisenstäben". Eben auf alles, was den Alarm und seine notstandsmäaige Abwicklung anging. Und auf garantiert unbeeinflußbare Größen wie jene Wetterlage, die mittlerweile jeder auf fachmetereologisch buchstabieren kann.

Der Smog: eine Frage der politischen Berechnung

Der dümmste, unschuldigste und gerade deshalb am ausgiebigsten strapazierte Verantwortliche war ein Herr namens 'Wetter'. Der hat nämlich, wie die Landesregierung stündlich über ihren Sender verlauten ließ, "bedingt", daß all die bekömmlichen Ausdünstungen von Kohle und Stahl nicht, wie sonst, zum Teil aufs Umland verteilt wurden, sondern komplett die Luft von Duisburg, Essen und Dortmund anreicherten. Das ist nicht vorgesehen, was allein schon daran leicht zu erkennen ist, daß es die Smog-Verordnung gibt. Also wurde und wird mit der sogenannten Ausnahme ständig gerechnet.

Daß der Dreck in der Luft eine Frage der Berechnung ist, durfte der Ruhrbürger durch einen Zufall erfahren. Just Mitte Januar trat eine irgendwann vorher beschlossene Änderung der Grenzwerte in Kraft, von denen ab das Atmen als gefährlich gilt, und körperliche Anstrengung eingeschränkt werden soll. Die dauernde Gefährdung nicht nur der Atemwege ist also als der selbstverständliche Normalfall unterstellt - eben mit den revierüblichen 0,5 mg Schwefel statt den jetzt ausnahmsweise selbst als Durchschnittsmittelwert gemessenen 1,8 mg. Meßstationen auf dem Werksgelände von Thyssen und Hoesch, Veba und den Kokereien gibt es sowieso nicht. Davon redet auch niemand, weswegen es schon die nur nicht bemerkte Wahrheit war, wenn vom Fernsehen befragte Bürger bekannten, ohne den Alarm hätten sie vom Smog gar nichts gemerkt. Wie auch, wenn der am Arbeitsplatz sowieso übliche Dreck als im Grünen gemessener Durchschnittsdreck gestern als normal und heute als gefährlich eingestuft wird.

Der Smog: eine Klassenfrage

Die einen müssen sich einstellen:

- Sie müssen das eigene Gefährt stehen lassen und sich in den öffentlichen Nahverkehr begeben, der natürlich prompt zusammenbricht. Denn zur Arbeit müssen sie ja:

"Arbeitnehmer sind, selbst bei einem generellen Fahrverbot, nicht entschuldigt, weil sie auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen können." (WAZ)

- Sie müssen deshalb auch einmal auf ein paar Stunden Schlaf verzichten, um morgens pünktlich zu sein. Denn die Zeit haben sie ja, und sie kostet auch nichts.

- Sie müssen sich Lohnabzug gefallen lassen, einen Tag Zwangsurlaub nehmen wie bei Karstadt, einen unverhofften freien Samstag bei Fahrverbot einplanen wie bei Opel, betrieblich beschlossene Ausfallzeiten demnächst nacharbeiten, auch wenn sie im Betrieb waren.

- Sie müssen sich klarmachen, daß Arbeit keine besser zu unterlasscnde körperliche Anstrengung im Sinne der Smog-Verordnung ist.

Die anderen können sich einstellen:

- Sie können die Produktion weiterlaufen lassen. Sie können, wenn das Gewerbeaufsichtsamt tatsächlich auf Einschränkung dringt, wie die Hüttenwerke "technische Notwendigkeiten" dagegen geltend machen. Oder auf sog. "schwefelarme Brennstoffe" ausweichen, die es ansonsten in 'normalen Zeiten' gar nicht gibt. Oder wie die Kokereien einfach weiterfeuern, was die Öfen halten. Was "nötig" ist, macht eben keinen Dreck.

- Sie können, wenn denn doch einmal irgendein Geschäft eingeschränkt wurde, sich Schadenersatzansprüche ausrechnen, wie Farthmann schon in Aussicht gestellt hat:

"Ich rechne auch mit Regreß-Forderungen. Aber das ist mir die Gesundheit der Bürger wert."

Der Arbeitsminister vergaß hinzuzufügen, wer für die "Gesundheit" der von ihm umsorgten Bürger zur Kasse gebeten wird.

- Sie können schließlich, wenn sie denn doch aus irgendwelchen Gründen eine Abteilung abschalten, daraus eine von Funk und Presse gratis kolportierte Werbeaktion machen.

Die Smog-Gewinnler

Da sind in erster Linie die Politiker. Sie reiben sich auf in Sorge um die Bevölkerung, tagen stundenlang in Krisenstäben und treffen eine schwere Entscheidung nach der anderen. Dann sagen sie Parteitage ab und fahren auch mal mit der Straßenbahn ins Amt; sie haben Umweltbewußtsein. Kurzum: Sie sind die Verantwortung in Person. Für das Entstehen der "Lage", für die Wetterlage zumal, können sie natürlich nichts, da sind sie ohnmächtig. Aber ihre ganze Befähigung zu Machthabern mit der geballten Heuchelei, die dazugehört, beweisen sie in der generalstabsmäßigen Durchführung der großangelegten Katastrophenübung fürs Revier. Daß dadurch auch nur ein Kubikmeter Luft sauberer würde, behaupten noch nicht einmal sie. Aber gerade so taugt der Smog für eine 1a-Propaganda für die Sauberkeit der Politik.

So hob ein munterer Parteienstreit darum an, wer am meisten vom Dreck im Ruß-Land und anderswo profitiert. Wie gesagt, die SPD hat die schärfsten Werte und damit die beste Vorsorge für das "kostbare Gut" Luft getroffen, wie Ministerpräsident Rau stolz vermerkt. Dem Tandler umgekehrt hat der notorisch weiß-blaue Himmel, der keine Smog-Verordnung braucht, eingegeben, daß die Sozis an Rhein und Ruhr gleich zwei Fehler gemacht haben: Erst haben sie den Bau von sauberen Atomkraftwerken, deren Gift man nicht riecht und sieht, versäumt und so notwendig die Luft verpestet. Also statt Smog demnächst auch im Revier zur Abwechslung einmal lieber Strahlenalarm, der ist wenigstens wetterunabhängig! Zweitens aber haben sie dann auch noch unnötigerweise Alarm gegeben. Die Luft in München sei auch nicht besser als die in Essen, tönte NRW-Farthmann zurück. Das wird die Essener aber gefreut haben. Bleibt zu erwähnen, daß auch die grüne Opposition nicht schläft: Sie fordert Nulltarif im Nahverkehr bei Smog-Stufe III. Ansonsten sieht sie sich als Obermahner und -befürchter natürlich vollauf bestätigt.

Profitiert hat allemal die Krisenmoral der Bevölkerung. Ruhig, gefaßt und gelassen habe sie die Anordnungen befolgt, wird berichtet - als den Normalfall hingenommen hat sie den Dreck offenbar sowieso. Dann bereitet auch der Alarm keine Schwierigkeiten. "Da haben wir schon Schlimmeres durchgemacht", prahlen Revierbürger vor Fernsehkameras und in Leserbriefen mit ihrer stahlharten Opfermoral. In der Presse werden alle Übergänge zur Kriegsberichterstattung von der Smog-Front gemacht. So will die Öffentlichkeit beobachtet haben, daß sich am Wochenende ganze "Familien" ins Sauerland "abgesetzt" haben. Deserteure! In der "WAZ" darf sich eine Frau erinnern:

"Wie im Krieg"

sei es auf den Straßen beim Alarm gewesen. Und gleich weiter:

"Kein Problem"

Alles im Griff, alles paletti! Das bißchen "dicke Luft" wirft doch einen Ruhrpottler nicht um. Soll der Russe ruhig kommen!

Zu einer solchen Notgemeinschaft Revier, die für ein paar Tage ausgerufen wurde, gehört natürlich ein 'innerer Feind', gegen den zügellos gehetzt werden kann. Er war schnell gefunden:

Das Umwelt-Schwein der Woche: der "private Autofahrer"

Daß seine Benzinkutsche nur zum geringsten Teil an der Produktion von Schwefeldioxid beteiligt ist (ca. 3%) - egal! Daß er sein Gefährt in der Regel nicht aus Jux bewegt, sondern um zur Arbeit zu kommen - egal! Er ist störrisch und uneinsichtig. Sein Hauptcharakterzug: Er denkt an sich, statt ans große Ganze des Reviers. Er ist eigennützig statt gemeinnützig. Man muß ihn zur Vernunft zwingen. Damit die Schornsteine weiterrauchen: für Thyssen, Krupp und Hoesch, für die Arbeitsplätze, fürs Ruhrgebiet, für Deutschland. Dafür kommt uns kein Dreck zu teuer!