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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1985 erschienen.

Systematik

Kulturnotizen
"Paris, Texas"


FILM-KUNST

1.

Ledriger Endvierziger (Typ: "lonely cowboy") landet kurz vor der midlifecrisis bei lebenslustigem, blutjungem Blondie (Typ: Nasti Kinski). Ob das gut geht? Das fragt er, Travis, sich auch und macht ihr ein Kind - als Beziehungskitt. Jetzt geht die Sache erst recht in die Hose. Sie flieht mit Kind vor ihm - in die Großstadt (Typ: "Beton, Kälte, Entfremdung, Verderbnis"). Er flieht allein vor sich - in die Wüste (Typ: "loneliness, Entbehrung, Sühne, Selbstfindung"). Sie gibt das Kind bei Verwandten und sich in der peep-show ab. Er gibt Verstand und Sprache im brennend heißen Wüstensand ab.

Ende? Nein! Was ist mit dem Kind? Wohin gehört schon ein Kind? Zumal eines, welches nicht um seiner selbst willen gemacht worden ist ? Zur Mutter, zur Mutter selbst wenn sie peept! Es muß ihr noch einmal geschenkt werden, von ihm. Diesmal aber echt, rein. Ohne Kalkulation auf Erdbeermund-Nasti. Und so zerrt der Drehbuchautor den Vater aus der Wüste. Was gar nicht so einfach ist, weil der immer wieder umdreht; jubelt ihm den blonden (!) Bengel unter und bringt Nasti sein letztes, sein größtes Opfer: den Sohn.

Vorletzte Einstellung: Blondes Kind liegt blonder Mutter im Arm. Letzte Einstellung: Der Vater reitet auf seinem Chevy zurück in die Wüste - bei Sonnenunter- oder -aufgang.

2.

Kunst ist das, weil man erst nach zwei Stunden erfährt, worum es in dem Film eigentlich geht. Drittletzte Einstellung: In der Einzelkabinen-peep-show ("Trennung") offenbart sich der Ledermann per Kabinentelefon ("Entfremdung") der peep-Mutter, was diese irgendwann mitbekommt und dann mit ihrer Version des Dramas und viel vermanschtem make-up ("Fassade bröckelt") die Moralbrühe vom Alten komplettiert.

3.

Was vorher im Film passiert? Erst stolpert der Cowboy-Dödel endlos lang und stumm wie ein Fisch ("Sprachlosigkeit") immer geradeaus durch die Wüste. Dann hackt sein Bruder, der - im Unterschied zum Besucher des Filmkunsttheaters - nicht mitbekommt, wie beredt die Sprachlosigkeit von Travis im Grunde ist, endlos auf ihm rum, er solle doch die Schnauze aufmachen. Das macht der schließlich auch und quasselt dann endlos und ohne jede Rückblende.

4.

Prädikat: besonders wertvoll.

"Die rote Flut"

UNTER NIVEAU

Da dreht ein stramm rechter Ami-Regisseur einen schnörkellosen Hetzfilm gegen die Sowjetunion. Da läßt er - ganz wie die C-Propaganda - Europa grünem Neutralismus zum Opfer und den Russen anheimfallen; da fällt der Iwan - getreu dem Dogma von der Aggressivität der Sowjetkommunisten - dank Nicaragua- und Cuba-Agenten ins verweichlichte Ami-Land ein, hinterhältelt; sengt und mordet. Da spielt eine Bande Schulkinder die Freiheitshelden, hinterhältelt, sengt und mordet in Western-Rächer-Manier für die gute Sache. Da liefert einer das gewohnte Kriegsfilmmuster vom Kampf Mann gegen Mann, Gut gegen Böse, fürs Zuschauergemüt säuberlich unterscheidbar gemacht, gerade weil beide die gleichen Mittel anwenden. Da nennt einer - ganz auf der Reaganschen Kreuzzugslinie - die Guten und die Bösen auch noch bei ihren seit vierzig Jahren gültigen politischen Namen. Und schon erkennen amerikanische Kritiker darin einen kunstvollen Beitrag zur politischen Kultur im Mutterland der Freiheit:

"Ein faszinierendes Werk ist der Film Die rote Flut. In der Art einer rechtsgerichteten Version für Erwachsene von Hemingways Wem die Stunde schlägt handelt es sich um eine Allegorie, die geschickt entworfen wurde, um die Moral des Vietnamkriegs umzudrehen. Die USA werden von kommunistischen Truppen besetzt (Kubaner und Nicaraguaner im Dienste der Sowjets), und amerikanische Teenager als Helden und Heldinnen ziehen sich in die Berge von Colorado zurück, um eine Guerilla-Truppe aufzubauen. So sind, jetzt Amerikaner der Vietcong, die kleinen Leute, die underdogs, die für ihr eigenes Land kämpfen. Die Sowjets sind jetzt die unterdrückende Großmacht (wie die Amerikaner in Vietnam), die Eroberer mit überlegenen Kräften und den todbringenden Kampfhubschraubern. So liegt die Schuld bei den Sowjets, und über das amerikanische Kinopublikum kommt eine eigenartige, sublime Absolution." (Das US-Nachrichtenmagazin "Time " (Nr. 1/85 ) in seinem Jahresrückblick unter dem Titel "Man ist wieder stolz auf Amerika.")

Schon jault aber auch die ganze deutsche Kritikermeute vom "Spiegel" bis zu "aspekte " entrüstet auf: Das ist kein Beitrag zur p olitischen Kultur in unserem Lande. Das ist

'Primitiv' und 'schwachsinnig'

"... erschießen Geiseln, verbrennen Bücher, vergewaltigen Mädchen..." (Hellmuth Karasek im "Spiegel")

Das weiß ein Filmkritiker hierzulande: So sind sie denn doch nicht einfach, die Russen; so schlicht feindbildlich mag man sie nicht gezeigt bekommen, mögen Wehrgesinnungsprüfer auch immer noch die vergewaltigte Schwester ins Feld führen. Vor kommunistischer Versklavung, stalinistischer Diktatur und östlicher Unkultur gilt es bei uns mit "Niveau", nämlich mit tiefsinnigen Gleichnissen und Bildern zu warnen, man darf nicht einfach die John-Wayne-mäßige gewalttätige Beseitigung des Übels feiern. Archipel Gulag, Fahrenheit 451 und Holocaust - das ist nobel- und oskarwürdig und befriedigt das Problem- und Kulturbewußtsein, beispielsweise eines Hellmuth Karasek.

'Naive schwarz-weiß-Malerei'

"Milius' jugendliche Helden sind ein Ausbund an Sauberkeit, Intelligenz und Opferbereitschaft, während ihre sowjetischen Gegenspieler sich durch viehische Brutalität und durch Dummheit auszeichnen." ( Süddeutsche Zeitung)

"Natürlich sind die amerikanischen Schuljungen ihren erwachsenen Gegnern haushoch überlegen..." (aspekte)

Wie hätten wir's denn gerne ? Die Russen auch gut, schlau und selbstlos? Vielleicht sie als einzige? Oder alle ein bißchen gut und böse; tragisch verstrickt; hin- und hergerissen zwischen Vaterlandspflicht und Neigung; ganz viel: Krieg pervertiert Menschlichkeit; Freund-Feind alles durcheinander und furchtbar? Wenn stürmische Westler-Liebe und ein Pariser Spitzenunterrock den bolschewistischen Untertanengeist und die Herzenskälte von Ninotschka Garbo besiegen, dann ist das garantiert geistreicher Lubitsch. Wenn aber eine tapfere Ami-Crew gegen russische Primitivlinge ballert, dann ist das unter deutschem Kulturniveau.

'Undemokratisch'

"...ein Führer muß her... Auf dem Wege zum Endsieg lernen die Highschüler so sämtliche Tugenden, die man als Demokrat in einem Krieg gegen Russkis und Rothäute aus Kuba braucht." (Spiegel)

Soldatengeist auf der Leinwand, da entdeckt ein feinsinniger Europäer einfach nicht die demokratischen Qualitäten, sondern nur unzivilisierte Perversion von democracy, made in USA. Birnenverächter glauben eben wirklich daran, daß Politik eigentlich doch geistige Führung ist (sein müßte).

'Unrealistisch'

"...wehrkraftzersetzend. Denn was braucht der Westen, was braucht die freie Welt Raketen, Neutronenbomben und Laserkanonen, wenn es doch reicht, daß ein paar Schüler nach der Schule statt zum Football zum Partisanenkrieg gehen?" (Spiegel)

"Ein atomarer Overkill hat in Milius' Phantasie keinen Platz." (Süddeutsche Zeitung)

Solche Bebilderungen eines siegesgewissen Kampfeswillens mag man überhaupt nicht. Kundige Geister stehen da schon lieber auf das gruselig-absurde Szenario eines Day after und genießen daran die dumme Vorstellung, der Krieg sei eine sinnlose Katastrophe, in die die Menschheit nur aus lauter Unvemunft hineinschliddert. Das heißt dann 'Realismus'.

Ein repräsentatives Machwerk des gültigen Antikommunismus

wollen die Kritiker den Film gleichwohl nicht nennen. Dafür halten Kulturmenschen der Politik zuviel an Herrschaftskultur zugute - selbst der eines amerikanischen Präsidenten, dem solche Leute sonst gern seine primitive Westernmentalität und ein naives Freund-Feindbild vorwerfen:

"Noch beklemmender als die Naivität dieser moralischen Mobilmachung ist, daß so ein Film überhaupt Geldgeber und Verleiher finden konnte... Ex-Außenminister Haig, Aufsichtsrat bei MGM, war von dem fertigen Werk begeistert." (die "Süddeutsche" fassungslos) "Ausgerechnet zu einer Zeit, da die USA neuen Verhandlungswillen signalisiert haben, bringen sie einen solchen Film in die Kinos." ("aspekte" enttäuscht) "Wäre der Film nicht so ätzend bescheuert, wäre er ein Signal für den martialischen Geist der Reagan-Ära. Aber so? Das dann doch nicht." ("Spiegel", wie immer differenziert, ironisch und erhaben)

Eins wissen sie alle: So geistlos kann es nicht zugehen in der Politik. Der Erfolg in Berlin und anderswo war durchschlagend: Demonstranten störten den 'verfassungswidrigen' und 'kriegsverherrlichenden' Film. Er wurde abgesetzt.

Merke: Vom (Kriegs)spielzeug bis zum (Kriegs)film - die deutsche Kultur muß rein bleiben! Deutsche Jungfilmer und freiwillige Selbstkontrolle marsch, marsch!