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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1985 erschienen.

Systematik

Faschist Kühnen in Frankfurt vor Gericht
DIE IMMER HEUTIGEN UND DIE "EWIG-GESTRIGEN"

Wenn einem "Neo-Nazi" wie Michael Kühnen von einem demokratischen Gericht im Namen des Volkes der Prozeß gemacht wird, dann werden gute Demokraten ausgesprochen munter. Warum ausgerechnet dann?

Die Gretchenfrage

Da präsentiert der "Führer" der ANS (Aktion Nationaler Sozialisten), gefragt nach seiner politischen Überzeugung, stolz sein Motto:

"Für echt-menschlichen Idealismus gegen konsumistischen Materialismus. Der wahre Sinn des menschlichen Lebens muß dem Volk notfalls mit Gewalt verabreicht werden." Denn: "Gemeinnutz geht vor Eigennutz." (Kühnen)

Und schon nickt der demokratische Richter Lehr und sagt: "Dagegen kann ja niemand was sagen." - Aber - wie halte er, Kühnen, es denn mit Adolf Hitler?

Eine interessante Differenzierung!

Warum hat ein heutiger BRD-Richter wohl nicht den geringsten Einwand anzumelden gegen die Kurzformeln eines faschistischen Staatsprogramms, geschweige denn ein einschlägiges Strafgesetz auf Lager? Daß "der Mensch" seine Interessen und Bedürfnisse dem Nutzen der Staatsgewalt zu opfern hat und darin seinen höheren Lebenssinn verwirklicht - dieses brutale Dogma von der Staatsnatur des Menschen ist offenbar nicht nur sehr vereinbar mit Verfassung, Auftrag und Geist einer Demokratie wie der bundesdeutschen. 'Opfer und Verzicht fürs deutsche Vaterland!' - ist es nicht das aktuelle Staatsprogramm der Wenderegierung, das Richter Lehr da für unangreifbar und untadelig erklärt?

Bleibt also die Gretchenfrage. Warum ist es 1984/85 einem deutschen Staatsfanatiker wie Michael Kühnen verboten, für Hitlers Methode des totalen Staats zu agitieren?

Die wahre Auschwitz-Lüge

"Auch nach Auschwitz schwärmt er noch für AdoLf Hitler."

beginnt die liberale "Frankfurter Rundschau" ihren Prozeßbericht mit einem verständnislosen Kopfschütteln über den 'Ewig-Gestrigen' Kühnen.

Auch nach Vietnam, Chile, Nicaragua... schwärmen sie immer noch für die Demokratie, die heutigen Damen und Herren in den Zeitungsredaktionen! Hat sich vielleicht die FR von irgendeiner Brutalität der imperialistischen Demokratien - die seit Auschwitz ziemlich konkurrenzlos über Leben und Tod, Ernährung und Hunger auf dem Globus entscheiden - davon abbringen lassen, für diese Herrschaftsform Partei zu ergreifen? Von wegen!

Der moralische Fingerzeig aufs KZ strotzt vor Dummhieit und Heuchelei: Wer "vor Auschwitz" guten Gewissens für Adolf Hitlers Politik "schwärmen" durfte - nicht wahr, liebe Menschenfreunde von der FR! -: warum sollte der ausgerechnet an ihrer Vollstreckung in Auschwitz zum Feind dieser Politik werden?!

Lauter Richter ehrenhalber oder Plädoyer Nr. 1: Knast, was denn sonst!

Für Herrn Norbert Leppert von der"Rundschau" ist Kühnen ein Verrückter, der hinter Gitter gehört. Worin seine Verrücktheit bestehen soll, verrät gleich die Artikelüberschrift:

"Von Demokratie hätt er - kurz und markig - 'nichts'." (FR, 19.12.84)

- im Unterschied zur demokratischen Justiz, die offenbar von Kühnens Ansichten ziemlich viel hält. Daß einer gegen die Demokratie ist, ist schon das ganze Verbrechen. Aus welchem Grund, ist da ganz zweitrangig, jedes Argument fehl am Platze. Hauptsache, da versagt einer unserem über jeden Zweifel erhabenen Rechtsstaat die Reverenz und huldigt statt Kohl/Vogel/Genscher einem toten Führer. Und schon wird das liberale Gewissen nur noch von einer einzigen Sorge geplagt: ob der Rechtsstaat mit dem Mann auch kurzen Prozeß macht. Wozu haben "wir" denn unsere Gefängnisse. Je mehr 'unzeitgemäße' Nazis dieser Staat in den Knast befördert, um so besser - für ihn und sein Ansehen bei seiner Öffentlichkeit. Für die zählt die Unerbittlichkeit der Staatsgewalt gegen erklärte Staatsfeinde nämlich zu den Gütesiegeln des demokratischen Rechtsstaates. Ein höchstrichterlicher Schuldspruch wegen "verfassungsfeindlicher Propaganda" erscheint da als Inbegriff des edelsten 'Antifaschismus', ja als ein Pluspunkt für eine Obrigkeit, deren Ausländergesetze in der Tat nicht wegen der Juden erfunden wurden. Und die zweifelsfrei verfassungsfreundliche Propaganda der modern-demokratischen Machthaber für Arbeitsdienst, Feindbild und Optimismus sind sowieso von vornherein aus dem Schneider!

Es ist schon stark. Plötzlich beteiligt sich jeder 'verantwortungsbewußte Demokrat', der auf sich hält, an der sinnigen Gewaltdebatte: Knast oder Freispruch für "Neo-Nazis"? Welche Strafe gebührt dem Faschisten Kühnen? Jeder führt sich auf, als wäre er selbst Richter, Staatsanwalt oder Verteidiger (oder alles drei in einer Person) und müßte das faschistische Gedankengut an den geltenden Gesetzen staatsgenehmen Denkens und Handelns messen und aburteilen. So als sei der 'Ungeist' dadurch widerlegt und aus der Welt geschafft, daß man seine Träger als Verfassungsfeinde dingfest macht und bestraft.

Ein völlig unverdächtiger Verteidiger oder Plädoyer Nr. 2: Freispruch!

Bei diesem theoretischen Schauprozeß über rechte Gesinnung hat sich ein unerwarteter Anwalt für Kühnen zu Wort gemeldet. Der Schriftsteller Erich Fried hat angeboten, "jederzeit vor Gericht für Michael Kühnen aussagen zu wollen". Selbst Sohn einer jüdischen Familie, aus Österreich vor den Nazis geflohen, also "Betroffener" und garantiert keiner falschen Sympathie verdächtig, plädiert "diese Symbolfigur der Linken" (FR) für Freispruch. Nicht, weil dem kritischen Humanisten der demokratische Sumpf von Vaterlandstreue aufgefallen wäre, aus dem und auf dem das faschistische Verlangen nach der totalen Ordnung wächst. Nicht, weil er in dem gewaltsamen Gebot der Verfassungstreue den artverwandten Geist zu Kühnens Staatsidealen erkannt hätte.

Im Gegenteil! Der Glaube an demokratische Meinungs- und Gewissensfreiheit, die Ehrfurcht uor dem engagierten Staatsbürger machen Fried blind. So blind, daß er beim Faschisten Kühnen gar nicht mehr dessen politische Gedanken kritisiert, sondern ihm zugutehält, daß er eine Überzeugung hat. Fried trennt nämlich zwischen der Einstellung Kühnens und der Stellung Kühnens zu ihr. Letztere gefällt ihm ausnehmend gut, so daß ihn erstere gar nicht weiter interessiert; wie er zu Protokoll gibt: Er, Fried, habe nach mehr als fünfstündigem "Beisammensein" mit Kühnen den "bestimmten Eindruck gewonnen, daß er zwar (!) Ansichten hat, die ich absolut nicht teilen kann, daß er aber (!) nicht nur ein vorbildlich ehrlicher Diskussionspartner war, sondern auch weit entfernt von jeder Verstocktheit und Unbelehrbarkeit." (FR, 15.12.84) Egal, welcher Sache sich da einer verschrieben hat; daß er sich ihr "subjektiv ehrlich" verschrieben hat, soll politischen Respekt abnötigen - vor ihm als "Mensch".

Demokratisches Menschenbild I: Der gute Mensch im Faschisten

Faschismus und Demokratie sind demnach eine reine Charakterfrage. Und da kann Fried dem überzeugten Faschisten Kühnen nur das höchste Lob eines engagierten Demokraten aussprechen: Er glaubt an seine Sache und läßt gleichwohl mit sich reden ohne hinterhältige Berechnung. Daß Kühnen "nicht korrupt" sei, macht ihn dem Antifaschisten Fried gleich "als Mensch" so vertrauenswürdig, daß er "ihm sein Leben anvertrauen" würde. Ein Staatsfanatiker aus Überzeugung ist nämlich ein Idealist, will meinen: ein guter Mensch. Ein Staatsfanatiker aber, der bei Politik auch noch an Geld, Karriere und andere 'niedere' persönliche Beweggründe denkt, ist der eigentlich schlechte Mensch, weil er sich nicht selbstlos einem höheren Gemeinschaftszweck verschreibt. Wie lautet noch die Kritik des seligen Führers am 'korrupten' demokratischen Politiker?

"In eben dem Maße, in dem der Führer nicht mehr an das von ihm Gesagte glaubt, wird seine Verteidigung hohl und flach, dafür aber gemein in der Wahl der Mittel. Während er selbst nicht daran denkt, für seine politischen Offenbarungen ernstlich einzutreten (man stirbt nicht für etwas, an das man selber nicht glaubt)..., bis er endlich den letzten Rest des Führers opfert, um beim 'Politiker' zu landen; das heißt bei jener Sorte von Menschen, deren einzige wirkliche Gesinnung die Gesinnungslosigkeit ist, gepaart mit frecher Aufdringlichkeit und einer oft schamlos entwickelten Kunst der Lüge." (Hitler, Mein Kampf, S. 71 f.)

Bei soviel ausgemachter Charakterstärke will Fried Kühnens ehrliche Überzeugungen denn auch nicht für seine wirklichen Überzeugungen nehmen. Das sind vielmehr "Verirrungen", deren Grund nicht in der staatsbürgerlichen Unzufriedenheit eines Ordnungsfanatikers mit der demokratischen Gewalt liegt, sondern in den Enttäuschungen des privaten Menschen Kühnen und seiner guten moralischen Ansprüche an seine lieben Mitmenschen:

"Ich fand, daß Kühnen symptomotisch ist für eine Verwirrung, die entsteht, wenn man nach Kameradschaft sucht und sie an der falschen Stelle findet." (Fried in taz, 22.12.84)

Dem guten Menschen dämmert nicht einmal mehr, was Kameradschaftsgeist und faschistische Opfergesinnung miteinander zu tun haben, wenn er in Kühnen das unschuldige Opfer eines verständlichen Strebens nach irgendeiner Sorte Geborgenheit entdecken will, die dummerweise und zufällig nicht ohne rechtes Gedankengut als Zugabe zu haben war.

Kein Wunder, daß sich die beiden, laut Fried, menschlich nähergekommen sind. Der kritische Dichter hat nämlich gemeint, den aufrechten Rechten von seiner angeblichen Geistesverwirrung dadurch heilen zu können, daß er ihn an das Bessere in seinem Charakter erinnert: Seine Anhänglichkeit an Familie und Mitmenschen. Dagegen sollen seine politischen Ansichten nämlich einen einzigen Verstoß darstellen. Als ob sich ausgerechnet Familienbindungen und staatsbürgerliche Saubermannsgedanken ausschließen würden. Erich hat Michael erzählt, daß seine Gromutter im KZ vergast wurde. Michael

"hat erzählt, daß seine Großmutter der einzige Mensch in seiner Familie war, der ihn liebgehabt hat,... deshalb (!) schlauche es ihn sehr." (Fried über Kühnen, taz, 22.12.84)

im Falle dieser speziellen Gromutter nämlich.

Das fand Erich wiederum so rührend, weil er sich Faschisten immer nur als Un-Menschen vorstellen kann und will, die keine Gefühle haben. Dementsprechend kritisierte Erich nicht etwa die faschistischen Überzeugungen seines "jugendlichen Diskussionspartners", sondern nützte Kühnens Omaliebe für einen glorreichen Appell mittels höflicher Anfrage:

"Michael,... willst du nicht zugeben, daß in deiner Theorie (!) Lücken (!) klaffen." (taz, 22.12.84)

Sollte der Chef der ANS einfach übersehen haben, daß es außer seiner eigenen auch noch andere liebe Gromütter gibt? Das müßte doch zu korrigieren sein. Zumal Herrn Fried ungeheuer "positiv beeindruckt hat", daß Kühnen "für die SA, aber nicht für die SS" ist (taz, s.o.). Es lebe der Unterschied in Sachen faschistische Sturmtrupps!

Bei soviel Entgegenkommen konnte es ja nicht ausbleiben, daß in Frieds Herzen Mitleidsempfindungen aufkeimten:

"Kühnen (ist) ein armer Hund, der jetzt wieder eingesperrt wird, und (!) der überhaupt keine Chance hat, an die Macht zu kommen." (taz, 22.12.84)

Der Arme! Tritt doch glatt unbeirrt für ein Staatsprogramm ein, das heutzutage im Konkurrenzkampf um die Macht hoffnungslos unterlegen ist! Bei den Helmuts und Vogels!

Demokratisches Menschenbild ll: Der Faschist als böser Mensch

Die "Frankfurter Rundschau" gibt sich sauer auf die von ihr so geschätzte "Symbolfigur" Fried. Der ist, so Meinungsmacher Leppert, tatsächlich reingefallen auf die trickreiche Verführungsmasche Kühnens. Sein Argument: Kühnen kann erstens kein "ehrlicher", unverstockter Mensch sein, weil er doch ein Nazi ist. Kühnen ist zweitens eine besondere Sau, weil er noch nicht einmal ehrlich zu seinen Vberzeugungen steht. Beweis: Vom Gericht "zur Rede gestellt, weicht Kühnen gern aus" - sprich: er taktiert in der Wahl der Mittel zum Zwecke seiner Verteidigung, will also noch nicht einmal für seine Überzeugung ins Gefängnis gehen. Fazit und Schuldspruch: "Peinliches Schmierenstück" eines "kühl berechnenden Täters" (FR, 19.12.84) - kein wahrer politischer Idealist, sondern ein ganz gemeiner Opportunist!

Man sieht: ob Freispruch oder Schuldspruch - im Maßstab der Beurteilung sind sie sich einig, die freiwilligen Beisitzer der demokratischen Gerichtsbarkeit. Dafür sorgt ein Menschenbild ganz von alleine, das in seinem Staatsfanatismus ziemlich systemneutral zu sein scheint, was Demokratie und Faschismus anbetrifft.

"Pflichterfüllung, das heißt, nicht sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit zu dienen. Die grundsätzliche Gesinnung, aus der ein solches Handeln erwächst, nennen wir - zum Unterschied vom Egoismus, vom Eigennutz - Idealismus." (Helmut Kohl, Ronald Reagan, Papst Wojtyla und/oder Adolf Hitler: Mein Kampf, Seite 327?)

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Kaum steht ein Faschist auf dem Prüfstand der FDGO, schon stehen insbesondere die kritischen Fanatiker derselben Schlange, um sich freiwillig um die Integrität der gültigen Staatsmacht zu sorgen. Fried will Kühnen für sie gewinnen; die FR fordert Flagge zeigen; und ein linker Rechtsanwalt namens Cobler meint im 'Pflasterstrand': Solange rechtsradikaler "Schwachsinn" politisch ungefährlich und medientheoretisch noch nicht "schlüssig" nachgewiesen ist, "welche Wirkung derartige Texte haben", sollte die BRD-Demokratie sie ebenso wie linke Ansichten und "Texte" großzügig dulden und gerade durch ihre Toleranz ihre fraglose Souveränität beweisen.

Wohl dem Staate, der lauter Kritiker daheim hat, die auf ihn nichts kommen lassen!