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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1985 erschienen.

Systematik

Entwicklungspolitik
EIN "UMDENKEN", DAS SICH LOHNT

Ein paar willkürlich herausgesuchte Meldungen:

"Auch 1984 lag die Bundesrepublik Deutschland wieder im Spitzenfeld der Geber von Entwicklungshilfe. ... Der Entwicklungshilfeetat wurde 1984 um 2,5% aufgestockt und stieg damit stärker als der Bundeshaushalt insgesamt. Dieser Steigerung standen allerdings von der Regierung nicht beeinflußbare rückläufige Faktoren gegenüber...

Dennoch wurden die Nettoleistungen der gesamten deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die 1983 8,1 Mrd. DM betragen hatten, 1984 mit ca. 8 Mrd. DM knapp gehalten." (Entwicklungsminister Warnke in "Informationen für die Außenwirtschaft" 5/85)

"Bonn, 24. Oktober. In der diesjährigen Haushaltsdebatte des Bundestages voraussichtlich Ende November wird zum ersten Mal die Frage in den Mittelpunkt rücken, ob, wie und in welchem Umfang die immer stärker aus Entwicklungsländern zurückfließenden Kredite wieder für die Entwicklungshilfe eingesetzt werden könnten. ... Diese neue entwicklungspolitische Streitfrage stellt sich dadurch, daß der Rückfluß von Entwicklungskrediten schneller zunimmt als die deutschen Hlilfeleistungen an die Dritte Welt.

Mittlerweile zahlen einzelne Entwicklungsländer mehr zurück, als sie an neuen Krediten erhalten. Das sind Indonesien, Israel, Marokko, Paraguay und die Türkei. Im Entwurf des Entwicklungsetats für 1986 vermehrten sich die Zahlungen der Entwicklungsländer um 341 Millionen auf 1,25 Milliarden Mark. Davon entfällt mehr als eine Milliarde Mark auf Tilgungen von Entwicklungskrediten und dafür zu zahlende Zinsen. Die Ausgaben für die deutsche Entwicklungshilfe sind im Etat 1986 mit 6,78 Milliarden Mark veranschlagt. Das wäre eine Steigerung um 168 Millionen Mark." (FrankfurteL Allgemeine)

"Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit teilt mit:

Die Bundesrepublik Deutschland hat der Republik Sierra Leone die Schulden aus Krediten der Entwicklungshilfe erlassen. Entsprechend einem in der sierraleonischen Hauptstadt Freetown unterzeichneten Abkommen zwischen beiden Ländern werden Darlehen der finanziellen Zusammenarbeit mit Wirkung vom 30. Juni 1983 in Zuschüsse umgewandelt und die ab diesem Zeitpunkt fälligen Rückzahlungen und Zinsen erlassen. Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet damit auf die Tilgung von 139 Mill. DM zuzüglich Zinsen. Sierra Leone ist das 22. Land aus der Gruppe der LLDC-Staaten (die zu den ärmsten Entwicklungsländern erklärten Staaten), dem die Schulden erlassen wurden." (Bulletin der Bundesregierung, 39/1985)

"Köhler (parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) erinnert daran, daß sich Bonn mit seinen Leistungen für die ärmsten Länder durchaus sehen lassen könne: 1980/81 seien 2,12 Milliarden, 1982/83 sogar 2,44 Milliarden Mark dorthin geflossen. Auch in relativer Betrachtung liege die Bundesrepublik mit Leistungen in Höhe von 0,13 Prozent des Bruttosozialprodukts an öffentlicher Hilfe für diese Ländergruppe (seit 1983) an der Spitze aller Industrieländer (deren Durchschnitt: 0,07 Prozent). Mit dem Schuldenerlaß für die ärmsten Länder habe Bonn auf über 4 Milliarden Mark Zins- und Tilgungsleistungen - vor allem afrikanischer Länder verzichtet." (Die Welt, 16.10.1985)

"Über die künftige entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Simbabwe sind in Bonn dreitägige Regierungsverhandlungen abgeschlossen worden. Danach stellt die Bündesregierung Simbabwe im laufenden Jahr insgesamt 57,35 Millionen DM zur Verfügung: Im Rahmen der Finanziellen Zusammenarbeit erhält das im südlichen Afrika gelegene Partnerland 45 Millionen DM; für Maßnahmen der Technischen Zusammenarbeit sind weitere 12,35 Millionen DM vorgesehen.

Mit den neu zugesagten Mitteln der Finanziellen Zusammenarbeit, die für den Bau von Getreide-Lager-Einrichtungen, die Modernisierung des Landmaschinenbestandes und die Fortführung eines Kreditprogrammes für Kleinbauern bestimmt sind, soll die landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit Simbabwes erhalten und gestärkt werden.

Nach mehreren Dürrejahren wird in diesem Jahr mit Rekordernten gerechnet. Simbabwe hofft, mit Maisexporten iur Verbesserung der Ernährungslage in afrikanischen Nachbarländern beitragen zu können.

Auf dem Gebiet der Technischen Zusammenarbeit unterstützt die Bundesregierung weiterhin Programme einer breit gefächerten ländlichen Entwicklung und Vorhaben der ländlichen Wasserversorgung, die eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung auf dem Lande zum Ziel haben." (Bulletin 83/1985)

Jeder weiß im Grunde, daß nicht der Idealismus von Entwicklung der "Dritt-Welt-Länder" sowie der Hilfe für die armen Staaten und ärmsten Hungerleider in der Bonner entwicklungspolitischen Zentrale regiert. Die Verantwortlichen sind auch so frei, immer wieder klar zu sagen, daß mit der Entwicklungspolitik natürlich auch "deutsche Interessen " verfolgt werden. Und eines von beiden kann es nur sein, beides zusammen geht nicht, solange Geld und Kapital die Bestimmung haben, sich zu vermehren und sich nicht mit der Umdefinition in "Geschenk" selbst aufheben. Aber die Bonner Strategen in Sachen Benutzung der "Dritten Welt" können und wollen es offenbar nicht lassen, ihre diesbezüglichen Aktivitäten als selbstlosen Dienst für die minderbemittelten Länder auszugeben. Dabei sagen die Zahlen und vergleichsweise hohen Zahlen, mit denen sich die Bundesregierung lobt, für sich überhaupt nichts. Man könnte eher auf den Gedanken kommen, daß sie im Vergleich zu sonstigen Haushaltsposten ziemlich mickrig sind, daß die einzelnen "Hilfen" an die und die Länder Kleckerbeträge darstellen. Die Schuldenerlasse verlieren ob der einkommenden Tilgungs- und Zinszahlungen auch schwer an Großzügigkeit. Genauso kommen einem die Hilfen auf dem ländlichen Sektor ziemlich beschränkt vor, es sei denn, man glaubt daran, daß es darum ginge, einfache Schwarze mit Lebensmitteln zu versorgen. Vor allem aber können die Zahlen und ländlichen Projekte nur ihre moralische Wucht entfachen, wenn man vergißt, was alles wegen und mit der Entwicklungspolitik läuft und erfolgreich gelaufen ist.

Kleine Ursache - große Wirkung

Die 223,2 Mrd. DM "Nettoleistungen" an die Entwicklungsländer im Zeitraum von 1950 bis 1983, wovon mit gutem deutschen Grund 177,3 Mrd. DM "bilaterale Leistungen" waren, haben für die Bundesrepublik zu durch und durch positiven Ergebnissen geführt.

Eine Entwicklung hat in den Ländern der "Dritten Welt" stattgefunden, wenn auch nicht die, welche die Ideologie von der Entwicklungshilfe meint und die sich die politischen Führer besagter Länder gewünscht hätten: Die ruinierte überkommene Wirtschaft ist mit Entwicklungshilfe in eine solche überführt worden, die für die betuchten kapitalistischen Nationen produziert, exportiert, importiert und ihr Geld einrichtet. Mögen die Entwicklungsländer auch etwas anderes im Sinn gehabt haben, als sie auf den Reichtum der kapitalistischen Staaten setzten, der Zustand ist der ökonomische Zwang für diese Länder, Wirtschaft und Haushalt ganz auf die Geschäftstüchtigkeit der kapitalistischen Metropolen ausrichten zu müssen, wobei die Gewinnbilanz eindeutig einseitig ist.

Energie-, industrielle und landwirtschaftliche Projekte, welche die Bundesrepublik mit langfristigen Krediten in Entwicklungsländern gebaut oder gefördert hat, das bißchen Infrastruktur, das die Länder bekommen haben, die sogenannte "finanzielle und technische Zusammenarbeit" und was an "weitsichtiger" Nahrungsmittelhilfe gelaufen ist - das alles hat nicht dafür getaugt, daß die Wirtschaft dieser Länder Fortschritte machte dergestalt, daß sie außenwirtschaftlich ein wenig mithalten könnte. Trotzdem sind die Projekte nicht in den Sand gesetzt, mögen auch manche von ihnen ungenutzt in der verödeten Landschaft herumstehen; für die Bundesrepublik sind sie nicht nutzlos gewesen, genauso wenig wie die Kredite, die heute erlassen werden. Deutsche Firmen haben an den Projekten verdient, deutsche Banken an den Krediten, die sie 'privat' gegeben haben. Die Infrastrukturmaßnahmen sind immerhin Bedingungen - für deutsche Firmen, in Entwicklungsländern "direkt" zu investieren, im großen Stil, um den Abtransport von Rohstoffen gleich selbst zu organisieren oder Halbfertiges dort für den europäischen Markt zu vollenden, im Kleineren, um an dem mehr oder weniger bißchen Markt in den Ländern der "Dritten Welt" zu profitieren.

Export aus den Entwicklungsländern, Import in sie, das sind ohne Frage profitliche Mittel der deutschen Wirtschaft. Die ironischerweise "Nehmer"-Länder (im Unterschied zu den größzügigen "Geber"-Ländern in Europa) genannten und mit Entwicklungshilfe bedachten Staaten exportieren gezwungenermaßen am liebsten alles, was auf ihrem Territorium gefunden oder ein wenig bearbeitet wird, um an Devisen heranzukommen. Dieses Notprogramm ist für die Schuldentilgung da, was das Ziel, die Auffüllung des Staatshaushalts erst recht kläglich aussehen läßt. Darin hat das Selbstlob der Bundesregierung, wieviel sie doch mit ihrem so offenen Markt (fast zollfrei) aus den Entwicklungsländern importiere, seine real existierende Grundlage.

"Die Einfuhren der Bundesrepublik aus den außereuropäischen Entwicklungsländern (ohne OPEC-Staaten) stiegen auch 1983 um 0,5 Mrd. DM auf 37,7 Mrd. DM. Da die Ausfuhren in diese Länder im gleichen Zeitraum um 1,6 Mrd. DM auf 38,1 Mrd. DM gestiegen sind, ergab sich 1983 mit 0,4 Mrd. ein geringer Ausfuhrüberschuß der Bundesrepublik. Dies bedeutet jedoch nicht eine Änderung der Politik der Bundesregierung im Handel mit Entwicklungsländern (mit Ausnahme von 1981 und 1983 waren seit 1977 Salden zugunsten der Entwicklungsländer zu verzeichnen). Die Bundenregierung setzt sich weiterhin für eine Marktöffnung zugunsten der Entwicklungsländer ein, hält aber auch Liberalisierungsschritte insbesondere wirtschaftlich fortgeschrittener Entwicklungsländer für erforderlich.

...

Bemerkenswert ist der erneute Anstieg der Einfuhren bei Halb- und Fertigwaren von 19,1 Mrd. DM im Jahre 1982 auf 20,0 Mrd. DM im Jahre 1983. Ihr Anteil betrug damit 52,9% der gesamten Importe aus den genannten Ländern. Aufder anderen Seite ging der Anteil der Rohstoffimporte der gewerblichen Wirtschaft dagegen von 6,8 Mrd. DM auf 5,9 Mrd. DM und damit auf 15,6% der gesamten Einfuhren zurück (im Vorjahr 18%). Nachdem die Einfuhr von Nahrungs- und Genußmitteln (einschließlich Rohstoffe der Ernährungswirtschaft) seit 1977 anteilmäßig stetig zurückgegangen war, stiegen seit 1982 die Einfuhren dieser Waren aus den außereuropäischen Entwicklungsländern (ohne OPEC) auf 11,6 Mrd. DM im Jahre 1983. Diese Tendenz deutet auf ein Erstarken der für viele Entwicklungsländer sehr wichtigen Agrarproduktion und -verarbeitung hin." (Memorandum der Bundesregierung zur DAC (Development Assistance Committee) Jahresprüfung 1984/85)

Ein schönes Beispiel dafür, daß Handelsbilanzüberschüsse oder -defizite nichts darüber aussagen, wer dabei den Schnitt macht. In diesem Fall ist die Sache so, daß die anorganischen und organischen Rohstoffe der Entwicklungsländer gar nicht anders können, als an die "Geberländer" nach Europa ausgeliefert zu werden, von deren Bedarf und Preisfestsetzung es abhängt, was den Entwicklungsländern an Devisen zukommt für Schuldentilgung und Import. Und so sicher, wie hiesige Geschäftsleute mit dem "hohen" Import aus den Entwicklungsländern gute Geschäfte machen, was Halb- und Fertigwaren anbetrifft (deren Preis man ja nur ansieht, daß sie billig sind, nicht aber wieviel Gewinn Entwicklungsländer damit machen), so sicher ist es, daß die Länder der "Dritten Welt" mit ihrem Ausverkauf ihre Importe aus Deutschland und Europa nicht bezahlen können. Umgekehrt liegt vielmehr die Tendenz darin, daß steigende Importe auf den gern geöffneten deutschen Markt zunehmende profitliche Geschäfte deutscher Exporteure bedeuten. Auch heißt die Zunahme des Exports an Nahrungsmitteln erst mal nur dieses selbst. Daß mehr Nahrungsmittel von den Entwicklungsländern importiert werden, weiß ja heute jedes Kind, und daß die Hungernden zunehmen, auch.

4. Die neuen Rekorde an der Hunger- und Hungertoten-Front sind lediglich eine kleine Nebenwirkung erfolgreicher Entwicklungspolitik. Millionen Hungernde gibt es bekanntlich bei jedem Wetter, was ja auch logisch ist: Großzügige industrielle, landwirtschaftliche, energiewirtschaftliche Projekte nehmen den Bauern die Grundlage ihrer Subsistenzwirtschaft; die Geldwirtschaft vervollständigt die Ruinierung; Nahrungsmittel werden exportiert, die eingeführten kann niemand bezahlen usw. Gegen diese Nebenwirkung guter deutscher Entwicklungspolitik kann dann die deutsche Hungerhilfe neue Mitleidserfolge erringen. Aber natürlich muß man aufpassen, daß die sich nicht schließlich überhaupt nicht mehr selbst helfen wollen, wenn "wir" immer gleich mit "Soforthilfe" da sind.

Entwicklungehilfe denkt um - auf ihren Erfolg

Gescheitert ist da nichts, es sei denn, man sieht die Sache vom Standpunkt des Idealismus aus, der sich so hartnäckig um die deutsche Entwicklungspolitik rankt. Die Kritik der Wenderegierung an der bisherigen Politik, mit der sie die neuen Schwerpunkte ihrer Entwicklungspolitik begründet, verrät etwas anderes als: Alles falsch gemacht! Entwicklungsminister Warnke rauft sich nicht, wie der Kleine Mann vielleicht, die Haare darüber, daß man so viel Geld bei unfähigen Negern verpulvert hat (obwohl ihm dieser Standpunkt auch geläufig ist).

"Entwicklungsländer wie Industriestaaten haben - wenn auch auf unterschiedlichem Niveau gleichermaßen über ihre Verhältnisse gelebt. Von den Entwicklungslandem sind häufig unter Mithilfe westlicher Banken und Entwicklungshilfeinstitutionen zu ehrgeizige oder zu wenig rentable Investitionen durchgeführt worden. Die Krise in Afrika südlich der Sahara hat schwerwiegende Versäumnisse in der ländlichen Entwicklung und in der Agrarpolitik zahlreicher Staaten der Region deutlich gemacht." (Bulletin 30/1985)

Warnke bekundet hier lediglich seinen Willen, die erreichte Abhängigkeit und Benutzung dieser Länder mit weniger Einsatz deutscher (Staats-)Mittel fortführen zu wollen. Wenn Warnke verfehlte Preispolitik der Entwicklungsländer anprangert -

"Dort, wo die Erzeugerpreise gegen die Kräfte des Markts so niedrig festgesetzt werden, daß die Bauern keinen Anreiz zur Leistung, keinen Anreiz zur Produktion über den eigenen Bedarf hinaus haben, dort wird unsere Hilfe nutzlos verpuffen." (Bulletin 71/1983) -,

dann hat er nicht aus Erfahrung gelernt, daß höhere Preise viel mehr Menschen satt machen. Er erklärt, daß die deutsche Entwicklungspolitik an die "Nehmerländer", die in der kapitalistischen (Weltmarkt-)Konkurrenz keine Chance haben, höhere Ansprüche stellt: Sie sollen sich gefälligst den heilenden Kräften freier Marktwirtschaft unterwerfen. Dann sind die Deutschen auch bereit, mit ihnen weiter Geschäfte zu machen. Und wenn der Minister die bisherige Nahrungsmittelhilfe kritisiert, dann nicht deshalb, weil er ein Rezept gefunden hat, wie Neger und Indios nicht mehr verhungern.

"Nahrungsmittelhilfe hat, wenn sie nicht nur als vorübergehende Katastrophenhilfe im Einzelfall eingesetzt wird, böse Folgen. Nehmen Sie die Turkana im Norden Kenias, eines Landes, das ich im letzten Monat besucht habe. Die Turkana waren Viehzüchter. Seit Jahren erhalten sie nun Nahrungsmittelhilfe, und inzwischen spricht man davon, daß sie deshalb zum langsamen Untergang verurteilt sind. ... Stamm seinen Stolz verloren... nicht mehr arbeiten..." (Bulletin 71/1983)

Nein, Warnke meint nur, daß Verhungernde noch lange kein Grund sind, "unser" hart verdientes Geld sinnlos an sie zu verschleudern. Der Anspruch lautet: Auch Nahrungsmittelhilfe soll sich lohnen und wird in Zukunft noch schärfer an diesem Gesichtspunkt bemessen.

Es gehört zu den dreckigen Witzen der Weltgeschichte, daß die Deutschen in Bonn ihre unverschämten erhöhten Ansprüche an die Entwicklungsländer, ihren schon in Gang gesetzten Plan, daß Entwicklungshilfe von allem ungeschäftsmäßigen Fluidum total zu befreien sei und dem Prinzip lohnender Benutzung konsequenter zu folgen habe, in der Form der falschen Kritik an der Entwicklungshilfe vortragen können, die ab Realschule aufwärts hierzulande so beliebt ist: Entwicklungshilfe scheitert oder hat böse Folgen, weil sie diese ureigenen Länder befremdet; ihnen mit Dingen kommt, mit denen sie überfordert sind; nicht auf ihre besondere wirtschaftliche und kulturelle Identität eingeht; sie anpassen will, anstatt sich ihren spezifischen Anliegen, unter die Arme greifend, anzupassen; sie überfordert, anstatt sie, wie sie nun einmal sind, zu fördern usw. Das Beste wäre doch, wenn die sich auf ihre identische Neger- oder Indio-Tour bei ihrem Bemühen, etwas Eigenes aus ihren Hütten zu machen, ein wenig helfen ließen. Das Entwicklungshilfeministerium weiß, wie man solche Ideologien wendet. Das einfache Prinzip von Entwicklungspolitik: Lohnt sich's oder lohnt sich's nicht? sieht dann so aus:

"Mangelnde Selbsthilfe... Überforderung... an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeplant... selbst am Entwicklungsprozeß beteiligen... armuts- und grundbedürfnisorientiert... zielgruppenorientiert... Kreditgarantiegemeinschaften ... Förderung von Handwerk und Kleinindustrien... sektorübergreifend... schrittweises Vorgehen... muß es zwischen der 'Jembe', der kurzstieligen Hacke Ostafrikas, und einem 80-PS-Schlepper Zwischenstufen wie den Ochsenpflug geben... von gewissen natürlichen Grenzen nicht abkoppeln... sind jene Entwicklungsstrategien gescheitert, die den Faktor Kapital in den Vordergrund stellten und den Menschen vergaßen..." (Warnke, Bulletin 71/1983)

Dort, in Afrika z.B., wo der deutsche Kapitalismus in Gestalt seines Imperialismus im Verein mit den anderen kapitalistischen Metropolen Land und Leute so gründlich umgewälzt hat, daß den mittellosen Schwarzen kaum mehr etwas einfallen kann, wie sie ihr Überleben gestalten sollen, will die deutsche Entwicklungspolitik mehr auf die "schöpferischen Kräfte der breiten Bevölkerungsschichten" setzen, wie sie erklärt. Die Absicht, auf Grundlage der erreichten Abhängigkeit die erfolgreiche Benutzung billiger zu gestalten und dementsprechend rücksichtsloser das Menschenmaterial in diesen Ländern in ihrer Scheiße wühlen zu lassen, kommt mit der zynischen Ideologie daher, das wäre die rechte Entwicklungshilfe, die der "Entfaltung des Einzelnen" diene. So als hätte man aus Fehlern gelernt und wolle die auf der Hand liegenden Folgen bisheriger Entwicklungspolitik aus der Welt schaffen:

"Weltwirtschaftliche Rezession, Schuldenkrise und Hungersnot haben Schwachstellen und Fehler in der Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungspolitik von Entwicklungsländern wie Industrieländern offengelegt. Dies alles hat international zu einer Ernüchterung geführt und eine Überprüfung der Wirtschaftspolitiken und der Entwicklungszusammenarbeit zwischen westlichen Industrieländern und Entwicklungsländern ausgelöst. Die Bundesregierung trägt diesen Prozeß des Umdenkens aktiv mit und hat ihre Entwicklungspolitik neu orientiert. Wir planen für die Zukunft weitere Steigerungen der Entwicklungshilfemittel. Wichtiger als die Steigerung der Mittel ist jedoch die Steigerung der Wirksamkeit unserer Hilfe. Immer noch versickern Gelder von Projekten mit zweifelhaftem Erfolg. Um das zu ändern, müssen in den Entwicklungsländern Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Initiative und Schaffenskraft des einzelnen freisetzen, statt sie durch staatliche Gängelei zu ersticken." (Warnke in: Informationen für die Außenwirtschaft 9/1985)

Das erreichte Benutzungsverhältnis soll mit weniger Aufwand aufrechterhalten und weiter ausgebaut werden. Nichts anderes verbirgt sich offensichtlich hinter dem so harmlos klingenden Programm "Steigerung der Wirksamkeit unserer Hilfe". Die Erhöhung des Entwicklungshilfeetats absolut (sieht man einmal von dem Einkommen aus Schuldentilgung und Zinszahlung ab) steht dazu nicht in Widerspruch, sondern beweist nur, in wie vielen Ländern der "Dritten Welt" die Bundesrepublik mittlerweile mitmischt und absahnt.

"Hilfe zur Selbsthilfe" - konkret

Dies ist das Programm der "neu orientierten" deutschen Entwicklungspolitik:

"Entwicklungspolitik bleibt Hilfe zur Selbsthilfe. Um wirksam zu sein, setzt sie Eigenanstrengungen und geeignete Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern voraus, was nach Auffassung der Bundesregierung vor allem bedeutet:

- bevorzugte Förderung der Landwirtschaft mit besonderem Akzent auf Nahrungsmittelversorgung

- mehr rentable Investitionen, die ihre Folgekosten voll decken

- Zurückdrängen staatlicher Wirtschaftstätigkeit mit geringer Effizienz zugunsten der Privatinitiative nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen

- Beseitigung von Preisverzerrungen einschließlich Korrektur überbewerteter Währungen

- Beteiligung aller Bevölkerungsschichten am Entwicklungsprozeß." (Memorandum der Bundesregierung zur DAC Jahresprüfung 1984/85)

1. Sogenannte "Monsterprojekte" (Staudämme, Kraftwerke, Eisenbahnen, Flug- und Seehäfen etc.) werden heute kritisiert. "In Zukunft (wird) mehr Wert auf Rehabilitierungen und Erhaltung früherer Investitionen gelegt." (6. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregierung, 1985). Den Entwicklungsländern wird also der Idealismus von "Industrialisierung" bestritten, der bisher gefördert und an dem verdient wurde. Die Konzentration auf "landwirtschaftliche Entwicklungshilfe", und darin auf das Kleinbauerntum ist als Einschränkung der Entwicklungshilfe zu lesen. An der Größe oder dem vorbildhaften Charakter einer rationell betriebenen "Musterfarm" liegt es ja wohl nicht, daß die Schwarzen immer weniger zu beißen haben. Die Plantagen, die für den Export nach Europa produzieren, werden ja auch nicht dichtgemacht. Positiv bedeuten die Mini-Projekte zur Unterstützung der kleinen Bauern, daß diese sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen haben: Auf schlechten Böden, mit verfeinerter Hacke und etwas Saatgut aus der deutschen Entwicklungshilfe sollen sie für den Markt produzieren können, am besten gleich für den Export nach Europa, weil das dem Staat dort hinten Devisen für den Import bringt. Und dabei sollen sie sich und was an Schwarzen sonst noch herumlungert auch noch "selbstversorgen". Über den Erfolg dieser konkreten Hilfe besteht keinerlei Illusion:

"...wird die Agrarproduktion zunächst nur langsam auf relativ angehobene Agrarpreise reagieren, weil die Landbevölkerung verarmt und die Kapitalausstattung der Landwirtschaft ausgezehrt ist. ... wird aus innen- oder sozialpolitischen Gründen zeitweilig eine Rationierung und direkte Subventionierung des Nahrungsmittelkonsums der unteren urbanen Einkommensklasse erforderlich, welche die Landflucht bremsen sollte." (Hartmut Brandt, Studie der Afrika-Abteilung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Berlin, in: Tagespiegel, 6.10.1985)

Der Imperialismus hat mit seinem Kapital die ländliche Selbstversorgung ruiniert. Jetzt wird an die Bauern der wahnwitzige Anspruch gestellt, ohne Mittel, vor allem ohne Kapital, nach kapitalistischen Prinzipien zu produzieren und so die Nahrungsmittelversorgung wiederherzustellen. Man kann sicher sein, daß "alle Bevölkerungsschichten" an diesem Entwicklungsprozeß "beteiligt" werden.

2. Deutsche Entwicklungspolitik hat nämlich für das Programm der Reduzierung des Aufwands bzw. der Erhöhung der Ansprüche an die Entwicklungsländer selbst ein Rezept entdeckt, das den privaten einzelnen Negern so richtig entgegenkommt: "Marktwirtschaftliche Grundsätze" sollen herrschen. Ausgerechnet in Entwicklungsländern, wo, wie es selbst ihre ideologische Bezeichnung noch ausdrückt, fast alle Mittel und Bedingungen fehlen, um im Innern marktwirtschaftlich wirtschaften und außenwirtschaftlich mit den kapitalistischen Staaten konkurrieren zu können. Aber für die deutsche Entwicklungspolitik, die die Benutzung der abhängig gemachten Länder "wirksamer" gestalten will, verpaßt das marktwirtschaftliche Priniip den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) eine Initialzündung. Angeblich "verzerrte Preisverhältnisse" müssen weg, also die Lebensmittelpreise müssen erhöht werden, damit der Bauer ohne Kapital mit Gewinn verkaufen kann an die - ja, an wen eigentlich -, an die erhöhte Zahl der Hungernden etwa, die vorher bei verzerrten Preisen wohl "überkonsumiert" haben? "Abwertungen" auf "realistische Wechselkurse" hin sind vonnöten (die finden sowieso regelmäßig statt), damit die Staaten dort nicht überimportieren, aber schwer exportieren können und die Neger nicht meinen, sie hätten mehr Geld in der Tasche. Zynismus oder das Wesen des Gelds unfreiwillig auf den Begriff gebracht?

"Eine Politik niedriger Erzeugerpreise für Nahrungsmittel heißt keine Nahrungsmittel." (Warnke, Bulletin 42/1984)

Vielleicht hilft eine Meldung aus Indien, den schweren Satz von Warnke zu verstehen: "Weizen in Hülle und Fülle, aber die Inder hungern. Der Staat läßt Getreide eher verrotten als es umsonst zu verteilen." (Bonner Rundschau, 23.10.1985) Nun gut, der bundesdeutsche Anspruch ist wenigstens deutlich und klar: Stellt euch auf die Hinterbeine, liebe Entwicklungsländer, dann nutzen wir das schon aus!

"Nur wenn Afrika wirtschaftlich wieder zu Kräften kommt, kann es für uns wieder jener attraktive Partner für Handel und Privatinvestitionen sein." (Warnke, ebenda)

Geradezu süß die Aufforderung des Staatssekretärs im Entwicklungsministerium, Rudolf Sprung, an die Verantwortlichen der Entwicklungsländer, denen bei jedem deutschen Kredit genau vorgeschrieben wird, was sie zu tun haben:

"Diversifizieren Sie also! Erweitern Sie Ihre Produktpalette!" (auf der 21. Übersee-Import-Messe 'Partner des Fortschritts')

3. Entwicklungspolitik schlägt die Schneisen, damit deutsches Kapital geschäftstüchtig nachstoßen kann. Die Bereitung der "Rahmenbedingungen" in den Entwicklungsländern durch die deutsche Politik ist derart fortgeschritten, daß nun logisch das entwicklungspolitische Ideal aufkommt und von den Verantwortlichen in Bonn auch seine Realisierung betrieben wird, die öffentlichen Mittel für die Entwicklungsländer quasi gegen Null zu senken in dem Maße wie deutsche Unternehmen und Banken mit Geschäften, Krediten, Handel mit, Investitionen in den Entwicklungsländern, Dienstleistungen etc. zulegen.

"Die Bedeutung der Dynamik des privaten Sektors für das Wachstum der Wirtschaft wird immer mehr erkannt. Die Bundesregierung sieht einen Schwerpunkt in der Aufgabe, kleine und mittlere Unternehmen in den Entwicklungsländern zu stärken. Hierfür spielen privatwirtschaftliche Kooperation und Förderung privater Direktinvestitionen eine wichtige Rolle. Förderungswürdige Direktinvestitionen der privaten Wirtschaft vermitteln neben Risikokapital vor allem auch technisches Wissen und unternehmerische Erfahrung. Sie beschleunigen die Diversifizierung der Wirtschaft und den nötigen Strukturwandel;...

Die Bundesregierung kann und will private Investitionen nicht direkt, sondern nur indirekt beeinflussen. Zielrichtung ist, die Risikoschwelle für Privatinvestitionen in den Ländern der Dritten Welt herabzusetzen und den Anreiz, auch in ärmeren Entwicklungsländern zu investieren, zu vergrößern..." (Memorandum)

Was in den sogenannten "Schwellenländern" gang und gäbe ist, daß private Banken und Unternehmen den Ländern den Riesenanteil an Entwicklungshilfe verpassen, während das Entwicklungsministerium sich mit Slumsanierung, Stadtentwicklung und Umweltschutz begnügt, soll auch für die ärmeren Länder werden. Gegenwärtig wirbt die Bundesregierung beim deutschen Mittelstand und bietet sich für dessen Investitionen, in Afrika z.B., als Hilfe an: Aufgabe der Entwicklungspolitik: "Investitionsförderung" und "Investitionsschutz" durch den "Abschluß zwischenstaatlicher Verträge". Idealziel: Das Entwicklungshilfeministerium macht quasi Außen- und Wirtschaftspolitik. Die hergestellten Voraussetzungen sind dafür nicht schlecht. Die Herren der Entwicklungsländer haben gelernt, was ein "policy-diologue" ist, auch wenn ein deutscher Politiker daherkommt, und wer bei diesem "Dialog der Partner" sagt, was für ihre "Dritt-Welt"-Staaten das Beste ist.

Entwicklungspolitik sorgt eben dafür, daß Deutschlands Wirtschaftskraft und Ansehen in aller Welt steigt. Etwas anderes war nie vorgesehen. Komisch ist nur, daß ein ganz normaler Redakteur, der ähnliches bemerkt, immer noch meint, Entwicklungshilfe wäre eigentlich etwas anderes.

"Die Fixierung auf ein Generalproblem der Bundesrepublik aus dem Blickwinkel unserer Arbeitsplatzsorgen läßt Auswahl und Bewertung von Projekten ins falsche Fahrwasser geraten. Einmal wächst die Versuchung, Geschäfte und Kooperationsvorhaben, die zur ganz normalen Exportpolitik oder allgemeinen industriellen Zusammenarbeit gehören, als spezifisch entwicklungsfördernd auszulegen, womit sich Entwicklungsgelder dafür einsetzen lassen. Dadurch erscheinen gewöhnliche Industrieansiedlungen urplötzlich als Hilfe, Lieferungen von Industrieerzeugnissen als Beitrag zur Entwicklung. Bei genauer Betrachtung handelt es sich um eine Umwegsubventionierung für die eigene Industrie." (Michael Frank, Süddeutiche Zeitung vom 19.8.1985)

Aber was denn sonst? Auch Entwicklungspolitik ist ein Stück deutsches Wesen, an dem die Welt genesen soll.

"'Made in Germany', das ist in Afrika auch heute noch ein Gütesiegel. Das ist Pfund, mit dem wir wuchern können. Es jedoch mit einem Ruhekissen zu verwechseln - das wäre fatal. Dann würden uns in Afrika die Engländer, die Franzosen und die Japaner die Butter vom Brot nehmen." (Warnke, Bulletin 42/1984)

Seit geraumer Zeit ist das Stichwort "Beschäftigungswirksamkeit" für die Bundesrepublik, wie auch immer verdeckt unter dem Gequatsche von "Partnerschaft" und "Zusammenarbeit", in die deutsche Entwicklungspolitik eingeführt worden, also die etwas umständliche Betonung der Tatsache, daß Entwicklungspolitik gefälligst den Interessen der deutschen Wirtschaft zu dienen habe. Das war nie anders. Nur hat man in Bonn, um deutschem Interesse zum Durchbruch zu verhelfen, bisher einige Milliarden hinlegen müssen, um in der Konkurrenz mit den anderen kapitalistischen Staaten den Durchbruch zu schaffen. Auf der Grundlage dieses Erfolgs, Entwicklungsländer im Griff zu haben und Reichtümer aus ihnen zu holen, werden die bisherigen Kosten als fehlgeschlagene Ausgaben kritisiert, die deutsche Entwicklungspolitik heute nicht mehr nötig hat. Wer es unbedingt will, kann das auch deutschen "Neo-Kolonialismus" nennen, weil das an der Sache nichts ändert.

7 Klassiker deutscher Entwicklungspolitik

1.

"Wir dürfen uns draußen nicht von den Amerikanern oder Briten, von Franzosen oder Japanern die Butter vom Brot nehmen lassen." (Warnke am 9. Dezember 1983)

2.

"Auch die öffentliche Entwicklungshilfe war nicht ohne Sünde. Manches an den Realitäten vorbeigeplante Großprojekt, mancher 'weiße Elefant' wurde in den Busch gesetzt." (Warnke am 6. April 1984)

3.

"...unser Volk lebt vom Export. Deutschland ist ein armes Land. Unser einziger Rohstoff ist die Kohle..." (Warnke, auch am 6. April)

4.

"Es jedoch mit einem Ruhekissen zu verwechseln - das wäre fatal. Dann würden uns in Afrika die Engländer und Franzosen und die Japaner die Butter vom Brot nehmen." (Warnke, immer noch am 6. April 1984. Die Amerikaner fehlen im Vergleich zu 1983, "draußen " ist durch "Afrika" ersetzt.)

5.

"...Produktberatung afrikanischer Anbieter, denn Qualität und fehlende Ausrichtung auf den deutschen Geschmack stehen oft dem Export verarbeitender Erzeugnisse entgegen." (Warnke, schon wieder am 6. April)

6.

"Sie (die Bundesregierung) leistet Entwicklungshilfe aus moralischer Verantwortung wie aus politischer und wirtschaftlicher Weitsicht, nicht aber als 'Tributpflicht'." (Warnke, am 13. März 1985)

7.

"Entwicklungspolitik ist keine Politik des schlechten Gewissens." (Warnke, daselbst)