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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1985 erschienen.

Systematik

Grüner Minister in Hessen
DIE TURNSCHUHGENERATION GEHT IHREN WEG

Sind die Grünen, nach ihrer Koalition mit der SPD in Hessen, durch "Verrat am Wähler und an der Basis" (das fundamentalistische MdL Kuhnert) zu einer "stinknormalen Partei" geworden, oder hat die SPD einer "extremen Bewegung", die "den Staat mit der Fallbirne zum Einsturz bringen" will, den "direkten Zugriff auf einen zentralen Bereich der Politik eröffnet" (diverse CDU-Geiferer)?

Selbstverständlich stimmt keins von beiden. Das wirkliche Leben ist viel trostloser: Die Grünen sind so stinknormal alternativ wie eh und je, jetzt eben in "Regierungsverantwortung". Das verdankt sich den Kalkulationen der SPD, die niemandem als sich selbst, wenn notwendig eben mit Hilfe der Grünen, den "direkten Zugriff" auf die deutsche Politik eröffnen und erhalten will.

Vom "Störfaktor zum Machtfaktor"

Nach den Mißerfolgen des Bemühens, im Saarland und in NRW Landtagspartei zu werden, haben die Grünen aus einer "Abschwungphase" (Antragspapier zur Bundesversammlung), aus einem Zustand heraus, in dem auch "die außerparlamentarische Aktionsfähigkeit darniederliegt" (Otto Schily) und der "Glanz als Protestpartei futsch ist" (W. Schoppe), angeblich die "Flucht an die Macht" (Die Zeit) angetreten.

Wie kommt es, daß laut "Spiegel" "immer mehr Grüne erkennen, daß alternative Politik am besten darzustellen ist, wenn sie auch umgesetzt wird - in Koalitionen mit der SPD"? Wo sich's doch bislang als parteigewordene Beschwerdeinstanz für die staatstreu-kritische Abteilung der Wählerschaft ganz gut leben ließ: als anerkannte - und von den "Altparteien" herzlich angefeindete - moralische Wach- und Schließmannschaft der nationalen Politik. Jetzt will die Partei endlich vom "Störfaktor zum Machtfaktor" werden oder - wie es ein bekannter deutscher Politiker so schön zu formulieren wußte -: "Politik als Gestaltung der Wirklichkeit heißt das Gebot der Stunde!" (Josef Bartholomäus Fischer)

Was immer sich die Grünen als Wahrer der höchsten nationalen Werte - Wald, Heimat, Friede, Leben - bei ihrem oppositionellen Tun ausgerechnet haben mögen, wenn sie die Führer der Republik als verantwortungslos oder unfähig darstellten, den Erfordernissen der gemeinsamen Ideale zu entsprechen, einen Erfolg haben sie jedenfalls erzielt:

- Sie haben es fertig gebracht, daß sich bei all denen, die ihre moralische Begutachtung der Politik teilen, Zufriedenheit darüber ausgebreitet hat, daß die eigene Un-Zufriedenheit in der Politik einen Repräsentanten gefunden hat.

- Dabei bestanden die Grünen nie darauf, den "Realismus" durchzustreichen, daß Politik sich natürlich nicht (immer) nach moralischen Grundsätzen richten kann. Angesichts der "Sachzwänge" der Politik erkannte die grüne Partei neben ihren demokratie-idealistischen stets auch die gültigen Maßstäbe der Politik an, um sich ihnen, dies lautstark problematisierend, stets anzubequemen.

- So ergab sich eine ordentliche Kompetenzverteilung, innerhalb derer Kohl und Co für das notwendige "schmutzige Geschäft" und die Grünen für dessen "saubere" moralische Titel zuständig wurden.

Endlich konstruktiv

Nicht übermäßig verwunderlich, daß diese Verteilung in der politischen Konkurrenz, die noch stets den Erfolg als wichtigstes Kriterium der Anerkennung hat, auf die Dauer gegen die Sachwalter der politischen Ehrsamkeit ausschlägt: Die sind nur "negativ" und reiten immer darauf herum, daß Moral in der Politik nicht ausreichend stattfinde. Ihnen fällt das undankbare Geschäft zu, dauernd erfolgreiche, weil durchgesetzte Politik anzupinkeln. Das nervt einen, wenn man mit seiner Kritik partout konstruktiv "etwas bewegen" will: Lauter schöne alternative Vorschläge, einer "realistischer" als der andere, und doch immer Gegenvorschläge ohne Aussicht auf "Verwirklichung".

Deshalb schien es einer Mehrheit der Partei im Interesse ihres Überlebens kansequent, fortzuschreiten von der "Nein-sage-Partei zur Jasage-Partei" (ein Delegierter auf dem NRW-Parteitag), die "in den Parlamenten gegebenen Durchsetzungsmöglichkeiten klug zu nutzen, bis hin zur Regierungsbeteiligung" (Antrag zum Parteitag), und endlich aufzuhören damit, "im Parlament zu predigen, daß es fünf vor zwölf ist, und uns zu weigern, Verantwortung zu übernehmen" (der schon o.g. bekannte deutsche Politiker).

Wenn dann noch eine Partei wie die SPD dazu übergeht, die bislang exklusiven Touren der Grünen für sich zu reklamieren ("Arbeit und Umwelt") und dazu auch noch (Aussichten auf) die Regierung hat, werden die ewig negativen grünen Wadlbeißer allzuleicht überflüssig: "Die SPD hat uns unsere Themen geklaut." (W. Schoppe) Wenn also das Wählervolk die "grünen Themen" neuerdings wieder eher bei der sozialdemokratischen Einseiferpartei in gutem Gewahrsam sieht, dann ziehen die Grünen daraus ganz elastisch die Kansequenz, "ihren" Themen eben dorthin hinterherzuhechten und sich dementsprechend bei den Sozis anzuwanzen. Der Vorwurf des Verrats an den Parteiidealen, wie ihn die Fundamentalisten ihrer Mehrheitsfraktion machen, ist tatsächlich ziemlich verfehlt: Immerhin ist eine Regierungsbeteiligung nichts anderes als der Vollzug des basismäßigen "Wählerwillens". Der sieht offenbar - die SPD-Wahlergebnisse auf Kosten der Grünen und Meinungsumfragen galten auf dem entscheidenden Parteitag als unwidersprechliche Argumente - die Vertretung alternativer Ideale im Parlament nicht mehr als ausreichenden Erfolg an, sondern will (Regierungs-)Taten sehen. An die Stelle der vielgerühmten alternativbewegten Basis ist für die Partei nunmehr der demokratische Wechselwähler als Berufungsinstanz getreten. "Das ist ein basisdemokratisches Votum!" (Kerschgens) Selbstverständlich war es auch kein Verrat an den Parteiidealen - merke endlich: das geht nämlich gar nicht! -, daß die grünen Koalitionsfreunde sich mit der Kritik am Ministerkollegen Winterstein (SPD) zurückhielten, als dessen öffentliche Ruhe und Ordnung über Leichen ging. Das ist grüner realpolitischer Realismus, der sich 'gezwungen' sieht, zugunsten höherer Ziele Schwerpunkte zu setzen. Es gilt nämlich, das "...schwierige Experiment einer Durchsetzung ökologischer Politik mit Aussicht auf Erfolg" mit einem Ministerposten anzugehen, und auch durch die Schaffung einer "für die Bundesrepublik historisch einmaligen neuartigen Situation... für die Vertretung der Interessen von Frauen" durch irgendeine Staatssekreteuse für Damenfragen, eben Erfolg und Fortbestand der Partei zu sichern. Wer gegen die Koalition ist, "begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod" (Kerschgens).

Übrigens: Die prinzipientreuen Fundamentalisten verfolgen natürlich kein anderes Prinzip als ihre innerparteilichen Realo-Widersacher - den Erfolg der Partei. Das Zusammengehen mit der SPD ist deshalb weniger ein Problem differierender politischer Zwecke als vielmehr eines der politischen Optik: Das Wiesbadener Verhandlungsergebnis führt nämlich, so der Bundesvorstand, "die Grünen an den Rand ihrer Glaubwürdigkeit" und gefährdet damit ihre "Existenz als eigenständige ökologische und soziale Partei". Wenn die Grüne nur mehr als Alternative innerhalb der gewöhnlichen Parteienkonkurrenz betrachtet würden und nicht mehr als über und außerhalb dioeser stehende "Bewegung", dann, so fürchtet der Vorstand Trampert, würden die Grünen "ohne diese Basisbewegung nicht überleben": "Warum sollte uns jemand wählen, wenn wir Juso-Politik machen?" (Trampert)

Auch der Wortführer der "Ökosozialisten" beherrscht also die politische Kunst, glaubwürdige Opposition erzbürgerlich zu definieren: Eine Partei braucht für den Wähler ein unverwechselbares Profil, also ein paar Unterschiedchen. Schaden würde ihr allerdings, wenn sie den Rest der Welt damit behelligte, daß es in dieser Republik ein paar Gegensätze auszutragen gibt. Das würde den Wähler überfordern. Der SPD machen die grünen Anschleimbeutel ihr eigenes Parteiinteresse als SPD-Interesse schmackhaft und beschließen fortwährend, ein Landesverband nach dem anderen, ihre Bereitschaft zu Koalitionen mit der SPD.

"Wir müssen deutlich machen, daß der Wechsel nur mit uns möglich ist, da die SPD keine ernsthaften Aussichten auf die absolute Mehrheit hat".

"Die Bonner Kohl-Koalition muß abgelöst werden." ("Spiegel"-Zitate vom NRW-Parteitag)

Doch ihr Interesse kennen die sozialdemokratischen Reserve-Regenten immer noch selbst am besten und lassen deshalb die Grünen auch ziemlich kalt abfahren. Schließlich ist die Koalition in Hessen ihr Mittel, die Grünen für eine SPD-Regierung zu benutzen und/oder sie der Regierungsunfähigkeit zu überführen. Deshalb weisen sie gleichzeitig darauf hin, daß sie mit dem Gesockse weiter nichts am Hut haben, es sei denn, man sei vielleicht dazu "gezwungen", wenn sich die "Interessen der sozialdemokratischen Wähler" (Börner), d.h. das Interesse der SPD an der Regierungsbildung, gar nicht mehr anders durchsetzen lassen.

- Rau "als unser Mann fürs Kanzleramt steht für ein Zusammengehen mit den Grünen nicht zur Verfügung" (Brandt) und ekelt sich so demonstrativ vor denen, daß er sich nicht einmal von ihnen tolerieren lassen möchte (es sei denn...);

- Brandt dagegen hält eine "Tolerierung durch die Grünen für möglich" (Süddeutsche Zeitung);

- Glotz und Börner und Schröder und... halten die Grünen im Bund nicht für "regierungsfähig", wohl aber in Hessen, wo sie ja keinen Schaden anrichten können -

"Auch Minister Fischer muß sich nach Recht und Gesetz richten...", "er wird dialogfähig und dialogwillig sein..." (so der dialogwillige Dachlatten-Börner)

und der SPD die Regierung erhalten.

Charaktermaske in Grün

Logo, daß es für den konsequent durchgezogenen "Marsch in den Arsch von Börner" (Fundi-Plakat) echt harte Pioniertypen und politische Ausnahmepersönlichkeiten braucht, die den Anspruch der demokratischen Ausnahmepartei, nur bei ihr würden die Ideale der Herrschaft und das wirkliche Leben zusammenfinden, glaubwürdig an der eigenen Individualität demonstrieren können: Sie müssen zugleich Garanten sauberer Politik sein und die realistische Bereitschaft zu sachzwangmäßiger Drecksarbeit zeigen. Wie Joschka Fischer dürfen sie nicht Tod noch Teufel, d.h. nicht den "steinigen Weg", die "eisige Zugluft" der Macht, "die Zahl der mächtigen Gegner" noch die "Knochenmühle" eines Ministeramtes fürchten. Weder "Prügel von allen Seiten" noch die Aussicht, "Minenhund" für die Partei zu sein, noch die bange Frage "werde ich Schaden nehmen", dürfen sie abschrecken und auch nicht die schlimmste Gefahr: "die Entfremdung von den eigenen Reihen" (alle Sprüche O-Ton Fischer). Gegen letztere Anfechtung gibt es Gott sei Dank im Dienstwagen ein Autotelefon: "Das braucht man. Man muß doch immer für die Basis erreichbar sein!" In der Abteilung realomäßige kompromißfähig-grüne Amtsausübung hat der neue Minister vor, "den Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen zu suchen und auch gegenüber der Industrie (zu) versuchen, möglichst viel im Konsens zu erreichen." (Süddeutsche Zeitung) Fürwahr, ein gelehriger Mann!

Die Bedürfnisse der grünen Moral auf dem Ministersessel sind erfüllt, wenn das alles vom Standpunkt eines "Anwalts der Umwelt", in Übereinstimmung mit dem Amtseid (aber bitte ohne sonstige religiöse Formel!!) und überhaupt unter "buchstabengetreuer Anwendung der Gesetze" geschieht, bei deren Gültigkeit "die Industrie" bislang Luft, Wasser und Mahlzeit versaut hat.

Für die Abteilung persönliche Repräsentanz grüner Glaubwürdigkeit hat Fischer noch einiges mehr vorzuweisen:

- Er trägt Turnschuhe (von deren Umwelt- und Gesundheitsschädlichkeit er anscheinend noch nichts gehört hat), rasiert sich taktisch klug und besitzt zwei Paar Jeans, die er als Minister auf die immer noch enorm glaubwürdige Zahl von fünf aufstocken will;

- ganz früher hat er einmal ein paar Steine in die richtige Richtung geworfen, heute steht er total ehrlich zur "Gewaltfreiheit", nicht so "taktisch wie unsere Fundamentalisten". Von der "Vergötterung des Gewaltmonopols des Staates" hält er "aber auch nichts". (Klar, "Vergötterung" braucht's ja auch nicht gleich bei einem, der stolz darauf ist, einmal ein richtiger, toller "Straßenkämpfer" gewesen zu sein!)

- Einerseits nennt er die Übernahme eines Stückchens Macht nicht beim Namen, sondern, wie ein gewöhnlicher Politiker, "Verantwortung", sich einen "Bürdenträger" und mag sich vom "Stern"-Interviewer auch nicht zu seinem Karrieresprung gratulieren, sondern "Beileid" wünschen lassen; andererseits kann er aber in seinem Verein Punkte machen, indem er - ganz grüner Mensch in seinem Widerspruch - wieder "total ehrlich" seine Psyche ellenlang heraushängen läßt, um darzutun, wie er als politischer "Triebtäter", als "Politiker aus Leidenschaft" affengeil auf einen öffentlichen Posten und die zugehörige Beachtung ist: "...nach meiner Zwangs(!)rotation... ziemlich schmerzhaft, nicht mehr an vorderster Front zu handeln und gehandelt zu werden." (Fischer im "Stern")

Jetzt steht er wieder hoch im Kurs, und die Art, wie er die innerparteiliche Opposition abserviert, findet nicht nur die liberale Mannschaft von "Spiegel", "Stern" und "Zeit" gekonnt.

Seinen fundamentalistischen Kritikern im Vorstand hat er bereits eine "Diskussion über die Frage" angedroht, ob sie die "Partei mit ihren verschiedenen Strömungen wirklich repräsentieren" (Spiegel). Zumindest handelt es sich bei ihrer Kritik nach seiner Auffassung "um einen grünspezifischen Vorgriff auf die Kampagne am 11.11. um 11.11 Uhr" (Stern). Im übrigen muß Joschka sich sehr "wundern", daß der Bundesvorstand die hessische Koalition kritisiert, wo das doch "auch die CDU" tut. Solche Anleihen bei Geißler und Co. - bezüglich des Verfahrens, wie man Kritiker unter Absehung von ihren Einwänden fertigmacht, indem man sie der Komplizenschaft mit dem Feind beschuldigt - machen ministrabel. Solche durch Amt auch noch beglaubigte Könnerschaft bringt Fischer das Kompliment ein, tatsächlich "ein echter Vollblutpolitiker" zu sein. Das hat er auch noch gern, dieser Joschka, und daher auch verdient, handelt es sich bei diesem Kompliment doch unserer Kenntnis nach um ein Synonym für - mit Verlaub, Herr Minister! - ein echtes Arschloch.