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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1985 erschienen.

Systematik


DIE POLNISCHE FREIHEITSSTATUE LECH WALESA

Lech Walesa, ehemaliger Anführer eines "heiligen Kampfes für Brot und Freiheit", hat auch vier Jahre nach Verhängung des Kriegsrechts, nach der erfolgreichen Eliminierung seiner Organisation und der konsequenten Indienstnahme ihrer Anhänger durch die Kirche seinen Dienst nicht quittiert. "Vom Sieg der Ideale des August 1980" mehr denn je überzeugt, stellt er die polnische Regierung mindestens einmal die Woche ins moralische Abseits.

Als wäre er immer noch der Chef einer mächtigen Gewerkschaft, die mit der Regierung wegen praktischer Zugeständnisse im Clinch liegt, begibt er sich von einem illegalen Treff zum anderen, gibt dem Begleittroß westlicher Journalisten Pressekonferenzen, ruft zu Streiks auf oder verurteilt das Treiben Jaruzelskis. Nicht, daß er jemals mehr beweisen wollte, als daß die polnische Regierung ihre Existenz moralisch verwirkt habe, weil sie sich nicht einem gläubigen, westlichen Freiheitsidealen verpflichteten Nationalismus verschreiben wollte. Nur hat der Staat inzwischen diese Aufforderung, sich der Muttergottes zuliebe freiwillig nach Sibirien zurückzuziehen, unter handfestem Einsatz von Polizei und Justiz abschlägig beschieden.

Wenn also Walesa täglich neu "darauf brennt zu kämpfen", dann hat er sich dem reichlich abgeschmackten Zweck verschrieben, die Lebendigkeit des Geistes von Danzig symbolisch vorzuführen. Strategie und Taktik und Oppositionsbewegung stellt er alles selbst, in seiner Person: die ständige Demonstration seiner Genugtuung, daß er sich seinen Traum einer polnischen Nation unter göttlichem Patronat nicht nehmen läßt. "Indem wir des Paters Popieluszko gedenken, beweisen wir heute erneut, daß 'Solidarität' lebt." Ein Gütesiegel besonderer Art, das Walesa da seinen Aktivitäten bescheinigt: Durch sein bloßes Vorhandensein ist die Regierung beständig ins Unrecht gesetzt.

Das reicht, ein Lebenswerk daraus zu machen. Montags ein Aufruf zum Streik, weil die Parlamentswahlen noch immer nicht demokratisch genug sind - ob jemand den Aufruf befolgt, darauf kommt es nicht an. Dienstags die Ankündigung eines "illegalen Vorbereitungstreffens" - wollen doch mal sehen, ob die Polizei sich demaskiert und zuschlägt. Mittwoch Pressekonferenz, Thema: Der Fahneneid enthält einen Hinweis auf den Warschauer Pakt. Die Welt muß endlich mal erfahren, daß Polen sein Militär für eigenständige Aufgaben benötigt, wovon es die sowjetische Knechtschaft aber dauernd abhält. Donnerstag steht ein Prozeß auf dem Programm, bei dem ein inhaftierter Mitstreiter stolz bekundet, er wolle sich lieber im Gefängnis opfern als sich sein Polen "sinnlos" kaputtmachen zu lassen. Freitag ist Fasttag: Da desavouieren sich die fleischfressenden Parteibonzen sowieso - bei Walesas gibt's nämlich gebackene Makrele. Samstags kann er auch durch Arbeitsverweigerung nicht seine demonstrative Verhaftung zu provozieren versuchen, also muß es die Übergabe eines furchtbar illegalen Dokuments an die Journalisten auch tun: Walesa klagt die Regierung an, den Dialog mit ihm zu verweigern.

Und sonntags: Da geht ein guter Pole in die Kirche und hört sich Hetzreden gegen seine Regierung an. Wenn Stimmung aufkommt, gibt's hinterher noch eine Demo, bei der die Regierung allemal schlecht abschneidet. Sonst kann man auch noch Blumen an Popieluszkos Grab streuen: Das geht rund um die Welt.

Wenn man wie Walesa so begeistert seine ganze Persönlichkeit einsetzt, um an sich die Schlechtigkeit des Regimes vorzuführen, bleibt einem nicht einmal mehr der gemütliche Geburtstag im Familienkreis. Lechs Ehrentag ist nationaler Feiertag und gehört den Oppositionsfreunden in Gott. Messe, eine Rede zum Thema "Gott soll den Polen eine freie Heimat wiedergeben" und anschließender Marsch durch Danzigs Altstadt. Aber auf der anderen Seite ist so ein "Leben für den Widerstand" ja auch in allen Hinsichten bestens abgesichert. Durch die Kirche, durch die Regierung, die Walesa einfach nicht einsperren und zu einem ganz perfekten Freiheitsmärtyrer machen will, und durch die westlichen Nutznießer, die die Verrücktheiten von Walesa und Co. in ihrer freien Presse entsprechend ausschlachten. Jeder Furz, den Walesa von sich gibt, wird da ehrfurchtsvoll kolportiert, mit dem Markenzeichen "illegal" oder "eingeschmuggelt" versehen und als Beweis für untragbare Zustände sofort verstanden. "Walesa" ist das abrufbare Zitat, daß Polen dem Westen nicht gleichgültig sein kann und prinzipiell nach Einmischung seitens unserer politischen Führung schreit.