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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1985 erschienen.

Systematik

Bonner Charaktere: Rita Süssmuth
DER NEUE GEISSLER IST EINE FRAU

Selten ist ein neuer Minister von allen Seiten mit derart vielen Vorschußlorbeeren eingedeckt worden wie Frau Prof. Dr. Süssmuth.

Die dafür allenthalben strapazierten Gründe: Der Rita ist erstens ein Weib, zweitens Wissenschaftlerin, hat drittens bisher noch kein Staatsamt ausgeübt, viertens dafür um so mehr polit-christlichen Gremien vorgesessen und will fünftens alles für die Frauen tun kurzum: Sie ist "Fachfrau von hohen Graden" (taz), eine Anwältin der Frauen.

Na, und?

Der bundesdeutschen Öffentlichkeit reichten solcherlei kolportierte "Eigenschaften" für ein einhelliges Lob freilich voll aus. Daß es sich bei diesen sehr offensichtlich um lauter waschechte Vorurteile handelt - von wegen Frau = weich, Professor = Geist, kein Staatsamt = Unschuld, alles für Frauen = gut! -, stört da nicht. Im Gegenteil: Diese Technik der Vorstellung einer exquisiten Politikerpersönlichkeit taugt - gerade weil kein einziges Wort über Amt und Politik laut wird - ganz ausgezeichnet für die ebenso offensichtliche Absicht, per se und vorab die Politik der Ministerin zu adeln! Klar, daß Kohl und Geißler mit ihrem Mut zur süßen Rita weidlich auf diesen Effekt spekuliert haben; und von der "Welt" bis zu "Emma" haben alle gern daran mitgestrickt.

So wurde Frau Süssmuth dem staunenden Publikum flugs als "Unbekannte mit gutem Ruf" (Süddeutsche Zeitung) vorgestellt: Da also alle die sie nicht kennen, nur Gutes über sie zu berichten wissen, war das Interesse an Deutschlands neuer Familienverwutzerin mit diesen Auskünften auch schon befriedigt und positiv beschieden. Ja, gerade Kohls scharfzüngigste Kritiker sahen sich durch dessen Griff nach Prof Rita in ihrer Sehnsucht nach gebüldeten Machthabern so sehr gebauchpinselt, daß sie dem Kanzler mannauf-frauab zu diesem "absoluten Glücksgriff" gratulierten und plötzlich zu rätseln begannen, ob diese Entscheidung nicht ihr Bild von der "Birne" korrigieren müsse...

Na bitte!

Wer mag da noch daran denken, daß diese habilitierte Androgyne immerhin einem Heiner Geißler im Amte folgt, der seine Auserwählte grinsend als "würdige Nachfolgerin" präsentierte: Und wer mag da selbst der nüchternen Feststellung, daß "Geißler vor seinem Abgang die politischen Weichen für die Frauen- und Familienpolitik gestellt hat" (taz), zumindest den ebenso simplen Hinweis entnehmen, daß die neue Geißlerin dessen Geschäft halt fortführen wird?

Nichts von alledem; darauf kommt es explizit nicht an. Man/frau will sich vielmehr die Attitüde leisten, "lovely Rita" (Emma) als "neue Hoffnungsträgerin" zu stilisieren - und gibt darin ganz nebenbei zu Protokoll, daß das Naserümpfen über den "Chauvi" und Frauenfeind Geißler eh nie anders denn als bloße Stilkritik an dessen Familienpolitik gemeint war (was Alice Schwarzer mit ihrem TV-wirksamen Patscher an Heiners Knie kürzlich sinnfällig demonstrierte).

Was diese Fachfrau sich bisher an Klöpsen geleistet hat, wird nach eben diesem Schema gewürdigt. Z.B. ihre Stellungnahme zum Paragr. 218. Die Süssmuth hat ja - ganz im Sinne ihrer selbstgewählten Rolle als "Frauenministerin" - sehr schnell kundgetan, was sie an ihrer bevorzugten Klientel schätzt und zu befördern gedenkt:

"Wir wissen, daß ungeborenes Leben menschliches Leben von Anfang an ist. Jedenfalls ist alles, was nach der Nidation an Eingriffen erfolgt, Tötung menschlichen Lebens. Das Gesetz sagt ganz deutlich, daß alles zu tun ist, was dem Schutz des menschlichen Lebens dient, und daß der Staat verpflichtet ist, menschliches Leben zu schützen."

Originalton Geißler? Na klar! Aber auch doch wieder ganz anders - weil lovely Rita es sagt. Daran ändert offenbar auch nichts, daß sie freimütig darüber plaudert, in solchen "Fragen" bis in die letzte moralische Faser hinein "sehr rigoros" zu sein, sich also vorbehaltlos zu jenem brutalen Standpunkt bekennt, den der Paragraph 218 den Frauen gegenüber gültig macht: So verschwenderisch wir freiheitlichen Politiker auch mit dem "geborenen Leben" unserer Untertanen zu kalkulieren pflegen, so kleinlich wollen wir das behandeln, was wir "ungeborenes Leben" getauft haben - und beide Male reklamierein bzw. praktizieren wir nichts anderes als unser uneingeschränktes und exklusives Verfügungsrecht über Leben und Tod.

Aber immer gehört der Bauch den Weibern, aber wenn's drin gescheppert hat, steckt er voller Paragraphen - meint Geißlers Braut und winkt freundlich mit dem Gesetzbuch. Dessen Bestimmungen hat sie ganz flott auswendig gelernt: Gerade weil Kinder hierzulande häufig ein Problem sind (warum, weiß übrigens jeder), ordnet der Gesetzgeber an, daß dieses Problem nicht zu gelten hat. Als Produktion von zukünftigen Untertanen wissen Süssmuth und Co ein munteres Treiben in Deutschlands Schlafzimmern nämlich viel zu sehr zu schätzen, als daß sie dessen Folgen irgendwelchen persönlichen Überlegungen überlassen wollten. Gebären ist Dienst an der Nation (und dem entzieht sich keiner so schnell aus Motiven, die als "kleinlich" und "verantwortungslos" gegeißlert werden) - so lautet die Parole der Fans schwarz-rot-goldenen Nachwuchses!

Daß der Staat werdende Mütter damit natürlich erst recht in Not bringt, ist erstens beabsichtigt und zweitens willkommene Geschäftsbasis für all jene pfäffischen Sprüche, mit denen die Süssmuth derzeit so aufdringlich hausieren geht:

"Wir müssen ein Bewußtsein für werdendes Leben schaffen... Beratung muß als Beratung zum Leben erfolgen... Die Bedingungen müssen so geändert werden, daß Frauen nicht aus wirtschaftlicAer Not abtreiben." (Sie denkt da an die Stiftung "Mutter und Kind", die Almosen für die rechte Gebärstimmung ausstreut)

Kunststück! Schließlich hat der Paragr. 218 schon längst ein "Bewußtsein für werdendes Leben" geschaffen: daß frau sich nämlich eine Menge Scherereien einhandelt, wenn sie das sich ankündigende "freudige Ereignis" gar nicht lustig finden will!

Auf dieser Grundlage, die eine Abtreibung ebenso riskant wie teuer macht, breitet Süssmuth ihr Ideal aus, Deutschlands Frauen das Kinderwerfen so sehr als ihr zutiefst natürliches Bedürfnis aufzuschwätzen, daß die Strafandrohung überflüssig werde. So schmarotzt eine "Beraterin zum Leben" nochmal zusätzlich von der Wucht ihres eigenen Paragraphen.

Kennen tut diese Oberratgeberin also materielle Gründe mehr als genug, Papa Staat keine Kinder schenken zu wollen - anerkennen will sie davon keinen einzigen. Ein christlich-ministerialer Propagandafeldzug für das hemmungslose "Ja zum Kind": Das ist das oberste Recht, welches frau '85 zukommt! Und dies nun im besonderen, weil es eine Geschlechtsgenossin ist, die jenes unsägliche Recht repräsentiert - ein Rassismus, den Süssmuths Rita genüßlich ausnutzt:

"Aber die Tatsache, daß es überwiegend Männer sind - nicht immer die jüngeren Familienväter -, die über die Frage der Abtreibung reden, da wird mir erhebliche Selbstdisziplin abverlangt, um nicht explosiv zu werden."

Nicht zu vergessen allerdings, daß kurz danach bereits das ebenso natürliche Recht der Frau auf Doppelbelastung folgt, sich für Familie und Beruf aufzureiben. In dieser Hinsicht vermag Rita Süssmuths Lebenslauf (soweit bekannt) durchaus Vorbildfunktion zu übernehmen: Zur Frau geboren, katholisch getauft, Bildung studiert, Geschichtsprofessor geheiratet, eine Tochter gemacht, angeblich nie abgetrieben, angeblich in Dortmund Pädagogik gelehrt, an die Macht berufen - und Gatte Hans macht immer noch den Abwasch.