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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1985 erschienen.
KRIEGSAKTIONEN IM MITTELMEER
Amerikanische Jagdflugzeuge proben den Einsatz. Gegen ein ägyptisches Verkehrsflugzeug mit palästinensischen Schiffsentführern an Bord. Beim NATO-Partner Italien werden sie in Gewahrsam gebracht. Amerika ist begeistert. Die Deutschen dürfen sich mit-begeistern. Über einen "Sieg der Gerechtigkeit" über "Terroristen", die - so lautet Anklage und Verurteilung für ihr schlimmstes Verbrechen - "die Weltmacht USA gedemütigt" hätten. Die Ehre der NATO-Führungsmacht ist wiederhergestellt. Die USA haben klargestellt: Es ist keine Phrase, wenn sie unter dem Titel "Terrorismusbekämpfung" Krieg gegen alle ihre Feinde erklären. Wo Reagan es für nötig hält, herrscht Kriegszustand.
Diesen Fortschritt hat Amerikas Abfangjägereinsatz überm Mittelmeer in die Weltpolitik eingeführt. Ein Grund zur Freude?!
Der Anlaß
Ein Palästinenserkommando bringt ein italienisches Kreuzfahrtschiff in seine Gewalt. Die "gesamte zivilisierte Welt" reagiert mit "Abscheu und Entsetzen". Denn sie, so will es die verrückte öffentliche Sprachregelung, sitzt letztlich geknebelt und hilflos auf dem entführten Luxusliner. Die wichtigsten NATO-Staaten - und zu allem Überfluß auch noch die Österreicher - haben gefangene Landsleute vorzuweisen, die mit ihrem Paß dafür einstehen, daß im Grunde die "betroffenen " westlichen Nationen ihrer Freiheit beraubt werden sollen.
Noch bevor klar ist, was die Schiffsentführer eigentlich wollen; noch bevor sich der Zweck, geschweige denn irgendein Erfolg ihrer Aktion abzeichnet; "überraschend schnell" geben die Terroristen auf. Nachdem ihnen freies Geleit zugesichert worden ist, setzen sie sich in Ägypten ab. Nach einem Ausflug nach Syrien und wieder zurück nach Port Said sind Schiff und Geiseln wieder frei.
Doch die rechte Freude über das "glückliche Ende" des "Dramas" will im Freien Westen nicht aufkommen. Nicht, weil ein Passagier fehlt - erschossen, wie es heißt, und von dcn Entführern über Bord geworfen -, sondern aus tieferen Gründen, für die der tote Amerikaner nicht mehr als ein Symbol darstellt. Die Weltmacht "muß sich von ein paar Lumpen demütigen lassen"; eine Handvoll "bis an die Zähne bewaffnete Verbrecher verurteilen eine Supermacht zur Ohnmacht".
Eine reichlich absurde Sprachregelung; durch die etlichen hundert täglichen Morde und Entführungen im eigenen Land sieht sich die Souveränität der USA ja schließlich auch nicht in Frage gestellt - wie dann durch Verbrechen in fernen Gegenden?! Doch diese übertriebene Sichtweise war und bleibt erwünscht. Als "Rechtfertigung" nämlich für eine Aktion, die der US-Präsident bereits in Gang gebracht hatte: einen militärischen Einsatz seiner Mittelmeerflotte zur Rückeroberung des Kreuzfahrtschiffs.
Dazu kam es nicht mehr; der Feind kapitulierte zu früh. Ein Glück für die Geiseln - ein Pech für die Ehre der amerikanischen Gewalt. Denn die wollte ein "Exempel". Die Weltmacht hatte sich für "ohnmächtig" erklärt, u m mit einem Gewaltakt klarzustellen, daß das Mittelmeer ihr gehört. Was sich dort tut, will der US-Präsident eben besser unter Kontrolle haben als der New Yorker Bürgermeister seine U-Bahn.
Statt dessen erklärten die Schiffsentführer selber ihre wirkliche Ohnmacht - so eine Scheiße!
"Als die Entführer mit geballten Fäusten und dem Victory-Zeichen als freie Männer das Schiff verließen, war alles Recht, jede Ordnung, die unsere Welt zusammenhält, gedemütigt und tot wie der Mann im Rollstuhl. Wohin würde die Welt jetzt treiben?" (Bild am Sonntag)
Eine besorgte Frage, die Stimmung machen sollte für das "Hapyy End", das inzwischen schon eingetreten war.
Das Vorbild
Was von der Lüge amerikanischer Ohnmacht zu halten ist, hatte die israelische Luftwaffe gerade eine Woche zuvor klargestellt. Dank brüderlicher Hilfe der US-Flotte im Mittelmeer hat sie ein Viertel in Tunis mit PLO-Büros und -Unterkünften drin "ausradiert". Für die 50 bis 100 Toten gab es kein demokratisches Bedauern; kein westlicher Journalist hat sich die Mühe gemacht, sie auch nur genauer zu zählen. Die Glückwünsche zu der "gelungenen Aktion" aus Washington stellten klar: So stellt sich der US-Präsident tatsächlich "Terrorismusbekämpfung" und "Nahost-Frieden" vor. Die diplomatische Pflege internationaler "Freundschaften" - immerhin hat es mit Tunesien einen ziemlich treuen Vasallen des Westens getroffen, der von Präsident Reagan selbst zur Aufnahme evakuierter PLO-Kämpfer aus Beirut überredet worden war! -; das umständliche Erpressen und Aushandeln von Verträgen: All das ist den USA heutzutage zu langwierig; das schafft nur Schwierigkeiten für die Ansprüche der Weltmacht. Bomben setzen die besseren Fakten; da endet das diplomatische Getue, und die Nationen müssen sich klar entscheiden - oder brauchen sich gleich gar nicht mehr zu entscheiden, sondern bloß noch stillzuhalten, wenn die Weltmacht auf ihrem Boden ein wenig Krieg führen läßt.
Die BRD hat - wenn auch nicht buchstäblich - mitbombardiert. Dafür stand unser vornehmer Bundespräsident ein. Daß er direkt nach Israels Bombenüberfall seinen Besuch im "heiligen Land" antrat, wußte er sehr weltkundig zu rechtfertigen: In dieser Weltgegend gäbe es ohnehin nie eine "klinisch saubere Situation". Welch gelungenes Bild für etliche Dutzend Leichen in Tunis - nämlich: für unser tiefes deutsches Verständnis dafür, daß solche Leichen, made by Israel, allemal unter die "Späne" gehören, die nun einmal fällig sind, wo weltpolitisch "gehobelt" wird. Und wie passend wenige Tage später sein Kommentar zu dem entführten Kreuzfahrtschiff: Es sei ein uiwidersprechliches Beispiel, wie nötig "internationale Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung" sei.
"Den Terrorismus bekämpfen!" - diese Parole haben die NATO-Mächte plus Israel in die Welt gesetzt als eine pauschale Kriegserklärung. Dem braven Volk daheim wird damit jede Kriegsaktion "erklärt", sprich: moralisch schmackhaft gemacht. Und der gesamten Staatenwelt wird damit ein kriegerisches Verhalten angekündigt, wann und wo immer die westliche Weltmacht sich "erniedrigt und beleidigt" sehen will.
Die Glanztat
Anfang Oktober im Mittelmeer hat die westliche Weltmacht genau das gewollt. Sie hat anläßlich der Schiffsentführung die Gelegenheit gesucht, die Eindeutigkeiten des erklärten Kriegszustandes voranzutreiben; militärische Fakten zu setzen, die das Ende aller diplomatischen Rücksichten bedeuten.
Die Gelegenheit war da - mit dem Start des Flugzeugs, das die Schiffsentführer in die PLO-Zentrale nach Tunis bringen sollte. Die Aktion selbst verlief noch nicht einmal blutig - Tunesien hat befehlsgemäß die Landung verweigert, und der Pilot war auf Ägyptens Anweisung gefügig. Der Wirkung tut das jedoch keinen Abbruch. Die Souveränität Ägyptens, immerhin der wichtigste Verbündete des Westens in Nordafrika, wurde mit diesem Schlag lächerlich gemacht. Unmißverständlich und unbeschönigt haben die USA ihren Vasallen so vorgeführt, wie sie ihn ohnehin sehen: als ein Stück Umfeld der souveränen Macht und militärischen Gewalt Amerikas, das nur ja nicht störend auffallen darf. Kaum daß Reagan in gemessenem Abstand seinem Mubarak zur Imagepflege einen Sonderbotschafter geschickt hat - daß es ein Unterstaatssekretär war, der die Friedensgrüße überbrachte, ließ Mißverständnisse über eine amerikanische Höflichkeit gar nicht erst aufkommen. - Die anderen arabischen Staaten, die ja immerhin mit der PLO ein palästinensisches Anrecht auf einen eigenen Staat unterstützen, wurden bei der ganzen Aktion erst gar nicht in Betracht gezogen. Und die Sowjetunion, die als deren Schutzmacht in der Region präsent ist und ihr Recht auf Teilnahme an einer politischen Lösung reklamiert, wurde schlicht als nicht-existent, als ein völlig überflüssiger Nicht-Beteiligter behandelt.
Sehr viel höflicher ist die US-Regierung mit ihrem NATO-Partner Italien übrigens auch nicht umgesprungen. Ohne jede Rücksicht auf dessen diplomatische Rücksichten und politische Berechnungen hat sie den Herren Craxi und Co. Verbrecher zur Aufbewahrung überstellt, die die gar nicht haben wollten. Der eigenen Souveränität, amerikanischem Begehren gegenüber, hat der italienische Premierminister selber so sehr mißtraut, daß er die mitgefangenen PLO-Größen nach Jugoslawien hat ausreisen lassen, bevor die Amerikaner sie sich holen konnten. Über den Streit, ob so viel Eigenmächtigkeit für Italien überhaupt noch drin ist - im Zeichen der notwendigen "internationalen Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung", die Reagan und sein deutsches Echo von Weizsäcker ausgerufen haben -, hat die Regierung sich auseinander- und wieder zusammensortiert: Craxi hat die Ehre Italiens gerettet, Spadolini die "Freundschaft" zu den USA modernisiert.
Jedem kritischen Vergleich ihrer Aktion mit den berühmten "Normen des Völkerrechts" sind die USA diesmal selber zuvorgekommen. Sie haben den Vergleich angestrengt, um die Prioritäten klarzustellen. Natürlich war's gegen das Völkerrecht, das ägyptische Flugzeug zu klauen. Aber das ist keine Blamage für die USA, sondern fürs Völkerrecht. Ideologisch wurde öffentlich 'Völkerrecht' gegen 'Rechtsempfinden' abgewogen und letzteres gefeiert. Nichts mehr von der alten Heuchelei, die USA wären der selbstlose "Weltpolizist" irgendwelcher höheren Rechtsnormen und Ordnungsideale.
Rechtlich ging die Aktion vom USA-Standpunkt aus in Ordnung, weil die Nation sich neulich, voriges Jahr erst, durch ein kleines Gesetz selber erlaubt hat, die ganze Welt als Fahndungsbereich für die eigene Staatsgewalt anzusehen und zu behandeln. Wenn schon Weltpolizist, dann tragen die USA ihr eigenes Recht als höchste Ordnungsnorm in alle Welt hinaus. Wenn das Völkerrecht nicht dazu paßt - um so schlimmer für das Völkerrecht!
Politisch ist damit klargestellt, daß die Grundlage aller internationalen Sitten, Gebräuche und Heucheleien, die Souveränität anderer Staaten und der formelle Respekt davor, für die USA nicht zählen. So etwas gehört zu den Bedenklichkeiten, die den Kriegszustand mit dem Ehrennamen "Terrorismusbekämpfung" nur behindern; also ab damit in die Rumpelkammer der weltpolitischen Verfahrensweisen.
Eigentlich eine unscheinbare Aktion - aber spätestens das gewaltige nationalistische Brimborium um die "entführten Entführer" hat klargestellt, daß hier weit mehr passiert ist als ein listiger Streich. Wo in den Sphären der öffentlichen Sprachregelung nationale Moral vor Diplomatie geht, da wird in der internationalen Praxis eine Neusortierung der Staatenwelt in Gang gesetzt. Eine Sortierung vom Standpunkt des härtesten nationalen Egoismus: des Anspruchs auf bedingungslosen Erfolg der eigenen Gewalt, die als Militär um den ganzen Globus herumfuhrwerkt.
"Es gibt keinen Frieden, so sprach Gott, für die Bösen" - und: "Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb": So gibt "Bild am Sonntag" den amerikanischen Standpunkt wieder. Wo die Berufungsinstanzen fürs Zuschlagen so heilig werden, da ist es bis zur Kriegserklärung nicht mehr weit.