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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1985 erschienen.

Systematik

Korrespondenz
"Der Inhalt des westlichen Anspruchs auf Südafrikas Dienste"

Betr.: "Ist die Republik Südafrika in der Krise" (MSZ 10/85, S. 35 ff.)

Zu dem o.g. Artikel habe ich einige Fragen:

Wenn das Demokratieideal, an dem die Zustände in der RSA gemessen und bewertet werden, nur die "moraltriefende(n) Sprachregelungen für die politischen Einwände des Imperialismus gegen die RSA" hergibt, nicht aber der Grund ist, wo ist er dann zu suchen? Nationale Interessen hat die RSA nicht über die Anliegen und Aufträge der demokratischen Welt gestellt, sondern mit der Durchsetzung dieser Interessen Probleme, wie sie z.B. Angola und Mocambique darstellten, zur Zufriedenheit der westlichen Nationen gelöst.

Die MSZ bietet als Grund die "Souveränität" an, mit der die RSA bei ihrer gelungenen Problemlösung zu Werk gegangen ist. Aber ist diese Selbständigkeit nicht notwendig, wenn auch in Zukunft dieser Vorposten des Westens seine Dienste für die Freiheit leisten soll? Oder wird Außenpolitik neuerdings vom Prinzip bestimmt, bei allen Dienstleistungen für den Westen ja unselbständig vorzugehen?

Was ist der Inhalt der "Neudefinition des westlichen Anspruchs auf Südafrikas Dienste?"

P. R., Oldenburg

Die RSA gehört "uns" - aber noch nicht genug!

Die Vorstellung, unser Genscher und Leute wie er hätten vom Leid der Schwarzen in Südafrika Wind gekriegt, die Unvereinbarkeit von Demokratie und Rassismus entdeckt und deswegen ihre diplomatischen Sticheleien gegen Botha und seine Buren-Mafia gestartet diese Vorstellung willst Du sicher nicht vertreten. Wär's den Häuptlingen der Freien Welt um ihre Demokratieideale zu tun, dann hätten sie seit Jahrzehnten viel zu tun gehabt in Sachen RSA. Wenn sie mitten im Sommer '85 das Meckern anfangen, werden sie dafür nicht bloß aktuellere, sondern auch handfestere Beweggründe haben.

Von westlichen Interessen und Plänen, die die südafrikanische Regierung mit ihrem selbstherrlichen Auftreten durchkreuzt oder gestört hätte, ist auch uns nichts bekannt. Das Elend, in das dieser Staat seinen Nachbarn Mosambik gestürzt hat, und seine Kriege gegen Angola passen der Freien Welt ebenso ins Konzept wie die Zufuhr strategischer Rohstoffe, die Schwarze unter weißer Aufsicht gefördert haben. Würde da etwas fehlen, dann hätten die USA und die EG erstens darüber keinen Zweifel gelassen und zweitens schon längst viel härter durchgegriffen. Sie hätten sich nicht damit begnügt, mit unspezifischen Beschwerden und Boykottdrohungen eine genau einwöchige Zahlungskrise über die südafrikanische Republik herauf- (und wieder herab-) -zubeschwören.

Die südafrikanische Regierung kennt ihren Nutzen für die maßgeblichen imperialistischen Mächte auf der Welt. Mit ihrem, selbst nach demokratischen Maßstäben, etwas übertriebenen Antikommunismus will sie erstens eben darauf aufmerksam machen: auf ihre Unentbehrlichkeit; zweitens aber auch gleich darauf, daß Unentbehrlichkeit für die antikommunistische Sache des Westens alles andere als Dienstbarkeit bedeuten soll. Die RSA nimmt sich das Recht heraus - und sie demonstriert es auch -, ihre Rolle in der imperialistisch geordneten Welt und den nötigen Antikommunismus autonom und nach eigenen Maßstäben zu definieren. Dieser Standpunkt hat immerhin bis zur Entwicklung einer eigenen südafrikanischen Atombombe geführt, bei der zwar die bundesdeutsche Industrie manche Hilfestellung geleistet hat, die aber von keiner NATO-Macht in Auftrag gegeben worden ist; ein strategischer Nutzen für den Westen ist da auch nicht recht abzusehen.

Immerhin: Sonderlich gestört hat dieser Standpunkt den Westen bislang doch auch nicht.

Anstoß nimmt man 1985; erstmals kommt dem Gerede über Sanktionen ein gewisses Gewicht zu. Diese Manier, über Südafrika zu befinden, spricht jenseits aller fadenscheinigen Moralismen für sich. Ihre "Botschaft" besteht in einer prinzipiellen, geradezu methodischen Klarstellung der Abhängigkeitsverhältnisse. Dabei wird die Prämisse südafrikanischer Politik, die Unentbehrlichkeit dieses Staates, gar nicht in Zweifel gezogen; das geht aus der Beschaffenheit der tatsächlichen Sanktionen ebenso klar hervor wie aus den begleitenden Mahnungen an die Regierung, jeder Gefahr eines Umsturzes der eingerichteten Verhältnisse besser vorzubeugen - von "Fallenlassen" keine Spur. In Frage gestellt wird die Schlußfolgerung der Buren-Regierung: der Wille, die eigene Wichtigkeit als Recht auf eine selbstdefinierte Weltmachtrolle zu buchstabieren. Das ist erst einmal der ganze Inhalt der wiederholten Beschlüsse diverser westlicher Gremien, die ja allesamt Südafrika nicht schaden, aber zum Ausdruck bringen, daß "man auch anders kann".

Die jüngste Reaktion des Präsidenten Botha auf die einschlägige Commonwealth-Deklaration bestätigt das von der anderen Seite her: Mit der verhaltenen Androhung eines Chrom-Lieferboykotts will er, ebenso methodisch, sein souveränes Recht geltend machen, aus der Wichtigkeit seiner Republik eine ebenbürtige Autonomie abzuleiten. Die demonstrative Gelassenheit der westlichen Kundschaft relativiert wiederum nicht die Wichtigkeit von Chrom als industriellem Rohstoff, sondern den Respekt, den Botha da einfordert.

Offenbar geht es also tatsächlich, zwei bis drei Jahrzehnte nach der Liquidierung des Kolonialismus, um das "Prinzip", daß nützliche Partner des Imperialismus ihre Außenpolitik als ein ausgesprochen unselbständiges Geschäft zu betreiben haben. Nicht, als ob bislang Selbstherrlichkeit genehmigt gewesen wäre. Fortschritte hin zur Anwendung reichlich kolonialistischer Maßstäbe auf die Souveränität dritter Staaten durch die verbündeten imperialistischen Demokratien sind allerdings unverkennbar. Die USA, ähnlich ihre Hauptverbündeten, lassen es nicht nur störenden "Regimes" gegenüber geradezu demonstrativ am Willen zum Schachern und friedlichen Übervorteilen, also an diplomatischem Einvernehmen fehlen. Auch ihre abhängigen Kreaturen, diplomatisch: befreundete Partner, konfrontieren sie nach Bedarf mit einer gewaltsam hergestellten "Lage", ohne sich groß die "Mühe" einer erpreßten "Verständigung" zu machen - siehe z.B. den Umgang der USA mit den "prowestlichen" Araberstaaten Ägypten und Tunesien sowie dem NATO-Partner Italien in den letzten Wochen, oder auch die "Bewältigung der Schuldenkrise" durch die "Weltwirtschaftsmächte", die völlig unberührt von elementaren Interessen "befreundeter" Staaten durchgezogen wird. Es ist, als gehörte das Verhandeln, die Herstellung von "Einvernehmen" mit nützlichen Partnern, für die maßgeblichen Weltpolitiker inzwischen zu den Umständlichkeiten, mit denen die vereinigte Freiheitliche Weltmacht sich im Grunde gar nicht aufhalten darf, um mit der Weltordnung voranzukommen. Und das ist keine bloße Stilfrage, sondern die Konsequenz eines Standpunkts der Machtvollkommenheit im anspruchsvollsten Sinn: des politischen Willens, sich von nichts und niemandem abhängig zu machen, nur noch die durch die eigene Gewalt geschaffenen Fakten anzuerkennen, die letzten strittigen Macht- und Zuständigkeitsfragen allein durch Einsatz der eigenen Mittel aus der Welt zu schaffen. Also will der Imperialismus auch nicht mehr fremde Souveräne als Mitmacher aus eigener Berechnung, sondern gleich deren Länder, Reichtümer und sonstigen Mittel als fraglos verfügbare strategische Hilfsquellen. Die aktuelle demokratische Ideologie bespricht diesen Standpunkt übrigens als "Führung", die nottut und die eine Weltmacht allen anderen Staaten und vor allem ihrer eigenen Ehre schuldig ist.

Mit dem Standpunkt der Buren-Regierung Südafrikas, der Nutzen ihrer Republik für den Westen sei eine Eintrittskarte in den Klub der maßgeblichen Mächte, verträgt dieser "Führungsanspruch" sich nicht. Mehr Inhalt als diese prinzipielle Unverträglichkeit zweier Standpunkte hat die Kontroverse zwischen der RSA und den demokratischen Weltmächten - einstweilen - nicht; strategische Streitfragen wären doch sofort auf dem Tisch. Aber dieses Prinzip hat Inhalt genug. Es schließt vor allem die schrankenlose Verfügbarkeit all der Mineralien ein, die nicht zufällig "strategisch" heißen; verfügbar auch ohne diese Schranke "übertriebener" Preisvorstellungen eines Rohstoff-Monopolisten; dies erst recht in dem absehbaren Fall, daß der Bedarf der westlichen Rüstungswirtschaft an gewissen Kostbarkeiten steigt, während gleichzeitig die Sowjetunioin, in vielen Angeboten einziger wichtiger Konkurrent der RSA, womöglich doch einmal ihre strategischen Verteidigungsinteressen über die Devisenfrage stellt. Dann erst recht will die Freie Welt sich keinen Partner leisten, der da auch noch ein bißchen mitentscheiden dürfen will, bloß weil man ihn braucht.

Einem Freund, was die RSA ja ist, wird diese Richtlinie mit noch ziemlich theoretischen Boykottdrohungen klargemacht. Bothas Einfall mit dem Chrom, dessen Ablieferung er komplizieren könnte, samt Rückzieher zeigt, daß er verstanden hat.

Daß der neue imperialistische Standpunkt sich als Menschenrechtsinitiative vorträgt: dafür können Südafrikas Schwarze nichts. Die haben auch todsicher nichts davon.