Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1985 erschienen.

Systematik


DER DEMOKRATISCHE DEUTSCHE MILITARISMUS

I.

Nicht erst durch die patriotischen Veranstaltungen des Herbst 1985, durch sie aber sehr nachdrücklich, erfährt die Nation, daß die Bundeswehr ihr jahrzehntelang gepflegtes Image leid ist. Sie will nicht mehr im Ruf einer farblosen Abschreckungsarmee stehen, und aus berufenem Mund vernimmt der Bürger, daß er seine Wehrmacht nicht mehr als notwendiges Übel ansehen soll, das für die "Sicherheit der Republik" nun einmal in Kauf genommen werden muß. Heute, da sich die Bundeswehr in einem altvertrauten Stil präsentiert, erscheint eine solche Haltung wie eine einzige Schmach, der das Militär in einer wohl nicht ganz astreinen Entwicklungsphase der Republik ausgesetzt war.

Kurz: Heute ist die Bundeswehr schlicht die deutsche Armee, das "natürliche" Machtmittel der Nation. Sie verdient deshalb die Zurschaustellung eines anständigen nationalistischen Wehrpathos.

Bei unseren Freunden in Frankreich und England, schon gleich in den USA, war dies immer gute Sitte; aus Gründen wie "paßt nicht zur Demokratie" ist dort nie auf die selbstverständliche und feierliche Hochachtung vor den Streitkräften Verzicht getan worden. Aus dem einfachen Grund, der wirklich nicht schwer zu erraten ist: Wie sollte Militarismus bei den Siegermächten des Weltkriegs ein Makel sein oder gar den Idealen ihres Staats, für die gesiegt wurde, widersprechen? Dort wären womöglich so widersinnige Titel wie "Armee gegen den Krieg" gleich als Beleidigung aufgefaßt worden. Daß sich dergleichen nicht gehört, wissen inzwischen auch deutsche Politiker und Soldaten - die antimilitaristische Fassade der neu aufgebauten deutschen Wehrmacht gilt ihnen als längst überholte Unart, die unter den traurigen Umständen der Niederlage und unter dem Druck der Siegermächte, zur Volksbetörung vielleicht auch, ihre Dienste getan hat. Eine ungute Sache ist sie aber allemal. Denn diese Art des ideologischen Verkaufs stellt den wirklichen Wert der Wehrmacht in Frage, wenn sie sie verharmlosend befürwortet. Das Kampfmittel für die Belange der Nation gehört nämlich nicht relativiert.

Zur Beruhigung mag den Ehrenrettern des deutschen Militärs nicht nur die Tatsache dienen, daß nun - "endlich" - auch bei der Bundeswehr Sache und Deutung in Einklang sind. Sie können sich auch damit trösten, daß der Aufbau dieser Wehrmacht ungestört von wirklichen Anfeindungen aus den Reihen der Republikaner verlaufen ist. Die antimilitaristischen Scherze aus früheren Tagen waren ein Stück selbstverordneter Staatsideologie - und keineswegs der Leitfaden für Widerstand. Die Bundeswehr entsprach stets dem Zweck eines ganz gewöhnlichen imperialistischen Militärs - und heute darf und soll man sie auch so sehen. Ihre Bewährung hat sie allein darin, daß deutsches Recht nicht zuschanden wird in der Welt.

II.

Wenn der Zweck der Bundeswehr glücklich mit dem Wehrbewußtsein des Volkes zusammenstimmt, so können die Verantwortlichen im Staate auf eine Leistung stolz sein: Sie haben nicht nur ihre Gesellschaft an die Bedürfnisse des Militärs angepaßt, die ja so gering nicht sind; es ist ihnen auch gelungen, eine Haltung im Volk zu stiften, die dem Bedürfnis des Ernstfalls genauso genügt wie der kostspielig aufgebaute Gewaltapparat.

Genau dies hat offenbar der Republik noch gefehlt. Alles andere steht ihr längst zu Gebote, und es ist auch - nicht zuletzt durch die schönen Friedens- und Kriegsgefahrdebatten der letzten Jahre - bekannt. Daß die Republik vor Waffen starrt - wer wüßte es nicht? Daß die Regierung in bezug auf die Zahl des kriegsübenden Personals nichts anbrennen läßt und jeden Pillenknick mit einer neuen Wehrdienstverlängerung unschädlich macht - wer könnte es überhören, wenn er schon nicht selbst gezogen wird? Rüstungsprogramme, die einerseits bis ins Jahr 2000 entworfen werden, andererseits stets eiliger sind als alles andere - jedermann erfährt täglich ihre guten Gründe! Vorsorgemaßnahmen des Staates für den Ernstfall sind längst Routine. Und bei alledem steht auch noch der Feind eindeutig fest. Die Politik ihm gegenüber ist ein einziger ununterbrochener Sonderfall und beschränkt sich auf lauter Varianten kompromißloser Diplomatie. Und deren Resultate rühmen ihre Verursacher stets als die Ursache für ihre möglichst unbeschränkte Rüstung...

An all diesen Leistungen würde sich die Politik der Nation wahrlich versündigen, würde sie nicht endlich auf einem sauberen Militarismus bestehen. Denn in dem Bereich, in dem deutsche Politiker und Generale für Krieg und Frieden zuständig sind, fehlt es wirklich an sonst nichts. Deshalb dürfen anständige Deutsche jetzt endlich wieder ihre Wehrmacht mit Gefühlen und Vorstellungen verehren, die einen nationalen Gewaltapparat und seine Schlagkraft mit den allerpersönlichsten Rechtsgefühlen der Untertanen zusammenschließen.

Und doch wird diese, an den Vorbehalten vergangener Tage gemessen, erlösende Veranstaltung nicht ausreichen, den freien Gebrauch des nationalen Kampfmittels einzuleiten. Denn dieses Mittel hat trotz seiner ab sofort kräftig zu rühmenden Perfektion einen Mangel: Die vollendete Kriegsbereitschaft der Bundesrepublik ist gar nicht für sie und ihre eigentümlichen Anliegen hergestellt worden.

III.

Mit der Bundeswehr besitzt die westdeutsche Republik eine Armee, die für den Einsatz gerüstet ist und bei der die militärischen Rahmenbedingungen stimmen: Die neue Armee verfügt über ein Waffenarsenal modernster Art, das immer rascher komplettiert wird, dessen Modernisierung immer neue Erfolge des moralischen Verschleißes zu verzeichnen hat. Zur Feuerkraft der Aktiven kommt die Kampfkraft der über drei Millionen Reservisten, die im Ernstfall mobilisiert werden können. Die funktionierende Ökonomie und die wachsende Rüstungsproduktion sind in der Lage, die steigenden Kosten fürs Militär zu tragen und den wachsenden Bedarf an Kriegsgerät zu decken. Das Hinterland der kämpfenden Truppe, der Innere Frieden, läßt kaum zu wünschen übrig, angebliche Lücken im totalen Inneren Frieden schließt die Staatsgewalt. - Gerade was an Klagen über Kleinigkeiten an der Bundeswehr heute Gewohnheit geworden ist, beweist diesen Zustand.

Wenn diese Armee noch nicht zum Einsatz gekommen ist, dann liegt das garantiert nicht daran, daß sich keine Gelegenheiten ergeben hätten und würden, deutsche Interessen mit Waffengewalt durchzusetzen. Westdeutsche Friedenspolitik hat schon manchen kriegerischen Einsatz gutgeheißen, bedauert und ausgenützt, wenn er von Fremden veranstaltet wurde. Daß "wir" und "unsere Sicherheit" von sämtlichen militärischen Untaten der NATO leben, weiß jeder Demokrat.

Die gebremsten Einsatzmöglichkeiten der westdeutschen Armee rühren schlicht daher, daß für die Bundesrepublik die Mitgliedschaft im westlichen Bündnis eine politische Beschränkung der Durchsetzung ihrer souveränen Interessen beinhaltet. Während Großbritannien und Frankreich immer mal wieder rein nationale Kriege führen, sogar die NATO für getrennt definierte Ziele nationaler Verteidigung benutzen, ist es der BRD nicht erlaubt, ihre nationale Kriegskalkulation anzustellen. Die politisch sprichwörtlich gewordene Redewendung aus Bonn steht für diesen Sachverhalt: 'Für die Lösung der Deutschen Frage, die nur im europäischen Rahmen möglich ist, brauchen wir die NATO und einen langen Atem.'

Die Bundeswehr, das Mittel der Nation, kann nicht souverän, nach Maßgabe nationalen Interesses, eingesetzt werden. Ausgerechnet der Staat, der im Unterschied zu seinen Koalitionspartnern außer der internationalistischen Systemfeindschaft gegenüber der Sowjetunion sehr national ausgeprägte Kriegsgründe dieser Macht gegenüber aufmacht, der diese Feindschaft sogar in die Definition seiner Souveränität aufgenommen hat, für den steht seine militärische Macht in keinem unmittelbaren Verhältnis zu seinen imperialistischen Ansprüchen; deren Vollstreckung liegt nicht in seiner Hand. Durch die NATO ist die BRD zu einer keineswegs bescheidenen militärischen Macht geworden, doch ist dieser Macht- und auch Souveränitätsgewinn nicht identisch mit der Endlösung der deutschen Hauptsache. So gesehen war der Brief im "Schlesier", der davon träumte, daß die Bundeswehr Schlesien zurückerobert, nicht weltfremd, sondern eine Reaktion auf den genannten Widerspruch, die es nicht mehr aushielt, ständig die zunehmenden Beschwörungen des deutschen Rechts auf den deutschen Osten zu hören, die gute deutsche Bundeswehr aber stillgestanden zu sehen. Freilich hat der vorpreschende "Schlesier" nicht zur Kenntnis nehmen wollen, daß die Lösung des spezifisch deutschen Anliegens von den Verantwortlichen nie aus den Augen verloren wurde.

IV.

Die Schlagkraft der Bundeswehr reicht aus, um auf einem eindeutig umschriebenen Kriegsschauplatz einem ebenso eindeutig festgelegten Feind einen Krieg zu liefern, der von allem anderen zeugt als von der Ohnmacht des deutschen Militärs. Immerhin mißt dieses Militär sich in seinem Kampfauftrag mit den Machtmitteln der "Supermacht" im Osten, des Warschauer Paktes. Sooft von einer Ohnmacht die Rede ist bei den Befehls- und Liebhabern der deutschen Truppe, kommen sie auch niemals zu dem betrüblichen Schluß, daß die Bundeswehr aufgrund des erdrückenden Übergewichts des Gegners überflüssig und wegwerfbar sei. Im Gegenteil.

Das mit allerlei kundigen Berechnungen beklagte Kräfteverhältnis dient einer Auskunft ganz anderer Art. Gedeutet wird auf die unrealistische Perspektive, die nationalen Ziele durch den Einsatz der nationalen Mittel allein zu erreichen. Dafür sind offenbar die letzteren zu beschränkt. Aufgegeben wird freilich die Kalkulation mit dem Sieg deswegen nicht.

Die schlichte "Folgerung", die der bundesdeutsche Kriegssachverstand seinem Publikum offeriert, erklärt eine Tatsache - die Arbeitsteilung im westlichen Militärbündnis für enorm wünschenswert: Der Einsatz der Bundeswehr verspricht schon Erfolg - so die Botschaft, die von deutschem Boden ausgeht -, wenn er der Unterstützung durch andere Mittel in Freundes Hand sicher ist. Kaum zu übersehen, daß der Originalton Hardthöhe mit der ewigen Leier: "nur im Bündnis", "nur unter dem Atomschirm der USA" etc. die relative Selbständigkeit der Bundeswehr verlangt, die zu ihrer Einrichtung geführt hat und ihren Bündnisauftrag ausmacht.

Die schlagkräftigste konventionelle Armee, die je auf deutschem Boden gestanden hat, ist dazu ausersehen und dementsprechend ausgestattet, eine militärische Teilaufgabe n der NATO- Kriegsführung wahrzunehmen. Dafür taugt sie ausgezeichnet, darauf ist sie stolz, davon läßt sie sich auch nicht abbringen. Schon gleich gar nicht mit dem Verweis darauf, sie könnte selbständig ja noch nicht einmal die politischen Ansprüche der Nation einlösen.

V.

Mit ihrem Charakter als Teil- Streitmacht der NATO hat sich die Bundeswehr auch vom ersten Tage an von jenem antiquierten und bescheidenen Programm emanzipiert, das rührselige Gemüter "Sicherheit und Verteidigung des Vaterlandes" nennen. Von dieser Vorstellung verabschieden sich auch jene, die sie vortragen, um sie dann rasch um ein "nur im Rahmen..." und ein paar Systemfragen wie "Freiheit oder Sozialismus" zu ergänzen. Auch sie künden nur von einem.

Die verteidigenswerte gute deutsche Republik ist mit Waffen vollgestopft, weil sie sich an einer großen Auseinandersetzung zwischen West und Ost beteiligt. Das Konzept der nationalen Armee ist fester Bestandteil einer weitergehenden, übergeordneten, globalen Kriegsführung. Deshalb durfte und sollte die BRD eine "Mittelmacht" im Herzen Europas werden. Und deshalb steht der Dienst der Bundeswehr am nationalen Anliegen des deutsch eingefärbten Europa dauernd hinter ihren Leistungen für das Bündnis. Die deutsche Wehrmacht verteidigt und erstreitet für ihre Nation alles über den kleinen Umweg, der sie auf die Pflichten innerhalb der NATO-Perspektive festlegt.

Der bundesdeutsche Militarismus hat das nicht nur begriffen. Sondern auch akzeptiert. Allerdings nicht ohne den wesentlichen Zusatz, daß das nationale Sonderinteresse, das so gut m Bündnis aufgehoben ist, als "unsere" militärpolitische Rolle zur Geltung gelangen muß.

VI.

Im Umgang mit diesem Widerspruch ihrer militärpolitischen Macht stand und steht von vornherein fest, daß es "zum Bündnis keine Alternative" gibt. Aber auch nicht zu der Tatsache, daß die BRD militärisch abhängig von der Atom-Macht USA ist, ihre Aufgabe in der NATO unterhalb der atomaren Auseinandersetzung liegt, zugleich aber wegen der atomaren Waffen der Krieg der konventionellen deutschen Streitkräfte wichtig, wenn auch wieder nicht entscheidend ist. Anders als die Franzosen und Briten, die sich mit ihrer atomaren Bewaffnung eine, wenn auch nur relative, gewisse Unabhängigkeit von der nordamerikanischen Großmacht bewahrt haben, sind die Westdeutschen keine Atommacht. Sie können und wollen keinen Einfluß nehmen auf die atomare Aufrüstung der USA, die tatsächlich ohne ihr Zutun und ganz unabhängig von ihren nationalen Wünschen abläuft. Das SDI-Programm der Amerikaner ist dafür ein aktuelles Beispiel. Freilich ist es dem westdeutschen Militärgeist nicht gleich, welche Wirkung die atomare Aufrüstung für den wichtigsten NATO-Pfeiler in Europa hat und wie sie dessen Einsatz tangiert. Da möchten sie dann schon mitreden. Die BRD hält sich aber sonst an die Devise, sich als bester Freund der USA, ganz auf die Strategie der Atom-Macht USA einzustellen, von deren Überlegenheit für die Bundeswehr alles abhängt.

VII.

Die nationale Chance sieht der gar nicht selbstlose bundesrepublikanische Wehrwille in der Aufgabe, die ihm von jeher im Bündnis zugedacht ist: an vorderster Front des westlichen Militärblocks einem Angriff der Russen mit konventionellen Mitteln zu begegnen, ihn aufzuhalten. Die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien, hatten sich das ursprünglich als Verzögerung gedacht, die den nötigen Zeitgewinn für einen machtvollen Gegenschlag verschaffen sollte. Auf Ermüdung des Angriffs setzte dieser Plan, so daß dann die USA... usw. Frankreich hat immer noch den Rhein als seine Verteidigungslinie angesehen, und England weiß wohl zu unterscheiden zwischen seiner Inselfestung und dem Eisernen Vorhang. Die westdeutschen Militaristen, denen dabei Deutschland zu wenig gewichtig und zu "betroffen" vorzukommen schien, haben mit der Forderung nach Übererfüllung dieses ihres NATO-Auftrags einen Sprung nach vorn gemacht, also der deutschnationalen Seite ihres Verteidigungswillens ein gutes Stück Wachstum beschert. "Vorneverteidigung" heißt die spezifisch deutsche Kriegsdoktrin, die die Bundeswehr im Rahmen der NATO durchsetzte und mit der sie zum Motor des "Rüstungswettlaufs" in Europa wurde. Mit dem bescheidenen Argument, daß die Bundesrepublik das erste, am meisten betroffene und gefährdetste "Schlachtfeld" sei, dem obendrein noch bei viel Volk der Raum abgehe, plädierten die deutschen Sicherheitsspezialisten erfolgreich dafür, daß erstens die konventionellen Streitkräfte der Bundeswehr mit den allermodernsten Mitteln ausgestattet würden, in ihrer Wucht vergleichbar mit taktischen Atomwaffen - daß zweitens atomare Mittelstreckenraketen die Tiefenschärfe des westdeutschen Schlachtfelds zu erhöhen hätten: "Nachrüstung"; und daß drittens (das geschieht, seit es die Bundeswehr gibt) der Nachschub an amerikanischen Soldaten schneller vonstatten gehe (Unterkünfte sowie Depots sind gestellt). Daß die zweite und dritte Staffel des Warschauer Pakts fern im Hinterland des Gegners angegriffen wird, ergibt sich schon aus dem Prinzip der Vorneverteidigung, welche Offensiven schon um des Heimatschutzes willen selbstredend verlangt, und soll auch heute noch etwas anderes sein als "Vorwärtsverteidigung".

Selbstverständlich sind diese Korrekturen an der ursprünglichen NATO-Strategie nicht ohne Folgen für das Verständnis im Bündnis geblieben. Die nützliche Beteiligung der Bundeswehr am Bündniszweck ist mit einer sachdienlichen Einbeziehung deutscher Militärs in die Planungs- und Entscheidungsgremien der NATO verbunden. So sind wir auf dem Gebiet der internationalen Kriegskunst durch unsere Armee wieder wer - und unsere Politiker nehmen sich beim Umgang mit dem Hauptfeind ganz nationale Frei- und Frechheiten heraus.

VIII.

Mit der Bundeswehr setzt die Nation bei ihren stets proklamierten und stets zum Aufschub verurteilten Sonderrechten auf die effektive Beteiligung n einem siegreichen Weltkrieg. Die militärpolitische Rolle im Bündnis hatte nie den Charakter einer aus nationaler Vorsicht gebotenen Behinderung der amerikanischen oder gemeinsamen Fortschritte hin zur Siegesfähigkeit. Wo die spezifisch deutschen Interessen, die dann auch gleich europäisch heißen, zur Sprache kommen, wird Stärke gefordert und eine extra deutsche Stärke dazu. Dabei geht es zunächst darum, die militärische Einheit zu perfektionieren - also die Kooperation zwischen den Soldaten der Teilstreitkräfte der NATO und das Zusammenwirken des entsprecheriden Geräts zu befördern. Auf Vorschläge, die diese Abteilung Frieden in Freiheit" betreffen, verstehen sich "deutsche Kanzler und Generale seit der Gründung vor 30 Jahren prächtig. Ihre Anregungen erschienen den Freunden in Übersee immer so nützlich, daß sie sich durchsetzen konnten. Nicht minder erfolgreich waren die deutschen Lotsen in Sachen Militarisierung ihrer Wirtschaft, auf dem Felde der Rüstungsproduktion, die dem Willen zur Überlegenheit im Krieg das Material liefert.

Aus dem gewachsenen Gewicht der Bündnis-Streitmacht Bundeswehr, deren Aufrüstung weitergeht - schließlich mißt sie ihre Bedeutung daran, was sie zum Sieg über die östliche Großmacht beisteuert -, leiten die Führer dieser Wehrmacht inzwischen wieder das politische Programm ab, das sie schließlich auch noch ins Bündnis eingebracht haben. Die speziellen nationalen Belange, jene Grenzen, die wir anerkennen, so lange wir ihnen das Trennende noch nicht genommen haben, werden als der rechtmäßige Ertrag unserer weltpolitischen Anstrengungen gefordert und gefeiert. Das national erwünschte Ergebnis der global angelegten Rechtsfindung lautet "freies Europa", in welchem Deutschland alte Rechte wiederbekommt. Der Sieg soll so aussehen, daß dieses Resultat zustandekommt: Der materielle Lohn, den die Nation einstreicht, wenn sich ihre Untertanen ihrem Militarismus zur Verfügung stellen, winkt in jeder Debatte der famosen 80er Jahre. Und in gewissen aufgeklärten Kreisen der Republik ist es wegen der deutschen Friedenspolitik kein Tabu, über die europäische Kapital"hilfe" der Zukunft nachzudenken

IX.

Mit der militaristischen Volksbetörung, die dem Verhältnis von Volk und Wehrmacht seine Wende beschert, führt die Regierung einen offenherzigen Kampf gegen ein Wörtchen, das im Zusammenhang mit der Bundeswehr lange genug die Geister benebelt hat. Das Wörtchen heißt "nur" und dient der Verniedlichung der nationalen Kriegskunst. Aus den Widersprüchen, die die deutsche Wehrmacht auszeichnen, verfertigen ihre kundigen Beobachter teilnahmsvoll lauter Botschaften, die von der Harmlosigkeit des Vereins mit Zwangsmitgliedschaft künden. "Nur"

- ein von den Siegermächten zugestandenes Militär

- konventionell bewaffnet

- für begrenzte Aufgaben tauglich

- den grundgesetzlich vorgeschriebenen Zielen verpflichtet, in denen "Krieg" nicht vorkommt.

Bei einer gewissen Sorte Sprachkünstler steht die Verharmlosung sehr eindeutig für das Bedauern, das sie angesichts des "nur" überkommt. Anderen liefert es Trost und Beruhigung, wenn sie wieder einmal befürchten, die Geschichte - die doch so schlecht ausgegangen ist - könne sich auf ihre Kosten wiederholen. Beiden Abteilungen ist zu sagen, da sie es fertigbringen, sich vorsätzlich über die Natur der republikanischen Wehrmacht zu täuschen. Die einen, weil sie ihren Vergleich mit einem widerspruchslosen, frei zur deutschen Verfügung stehenden Militär in die Diagnose "Schwäche" münden lassen. Das sind die, die gar nicht genug Waffen und Soldaten kriegen können - nicht wenige von ihnen haben in den letzten Jahrzehnten in Bonn am Rhein gewohnt. Die anderen, weil sie denselben Vergleich in die Diagnose "nicht so schlimm, minder gefährlich" übersetzen. Vom Vorurteil des zweiten Lagers haben die ersteren folgerichtig ausgiebigen Gebrauch gemacht - eine Zeitlang war es eben nützlich, Demokratie gegen Krieg zu stellen und so zu tun, als wäre die Übernahme einer Teilaufgabe im Krieg die Verhinderung des ganzen Projekts! So ist die dreißigjährige Geschichte der Bundeswehr mit Hilfe eines Wörtchens auch die Geschichte interessierter Lügen über sie.

X.

Die nicht zu überhörenden Richtigstellungen zur Sache, die spätestens mit der " Nachrüstungsdebatte" übers Land gingen, haben der Bundeswehr nicht viele Feinde eingebracht. Statt dessen haben sich lauter patriotische Liebhaber zu Wort gemeldet und sich an einer nationalen Wehrdebatte beteiligt. Virtuos gehandhabt wird in solchen echt deutschen Veranstaltungen die Kunst im Umgang mit dem "nur", an das eine ganze Friedensbewegung gegen alle sachlichen wie argumentativen Anfechtungen glauben will.

"Ist die Bundeswehr echt deutsch und unabhängig?" Oder den USA "untergeordnet", mithin nichts für "uns, unser Volk?" - lautete der eine Dauerbrenner. Weder der leise Fingerzeig, daß gerade in militärischen Dingen Volk und Staat so gut auseinanderzuhalten gehen wie aktiv und passiv, Gehorsam und Befehl, konnte da etwas ausrichten - noch der Wink, daß ganz nationale Strategien nicht gemütlicher sind als Bündnisaufträge. Die sich zunächst wie Pazifisten aufgeführt hatten, machten sich gegen diese Verwechslung stark und meinten, den deutschen Soldaten gegen eine amerikanische Gefechtsfeldvorschrift in Schutz nehmen zu müssen. Andere versuchten sich an dem alten Spielchen "Grundgesetz contra Regierung", während die meisten in enorm dumpfes Warnen vor den Gesundheitsschäden des Krieges verfielen, die bei dessen Planung ganz bestimmt nicht übersehen werden. Was dann noch an "alternativer Verteidigung" geboten wurde und schnell mit "geht nicht und nützt nichts" dem ideengeschichtlichen Papierkorb anvertraut werden konnte, war schon leicht absurd. Für die hauptamtlichen Betreiber der Bundeswehr war das ganze Spektakel nicht nur eine Gelegenheit, gegen Wehrkraftzersetzung und fünfte Kolonnen zu Felde zu ziehen. Sie konnten auch die für deutsche Staatsmänner höchst erfreuliche Feststellung machen, daß die Widersprüche der Bundeswehr nicht nur sie, sondern auch das Volk zu Worten und Taten beflügeln. Der Probleme der Bundeswehr haben sich alle angenommen, die da sachkundig patriotisch für den einen oder anderen Weg plädiert haben. Und selbst das trotzige Protestgetue, das in dem Vorwurf gipfelte: "Mit diesem Schritt verlaßt Ihr aber das 'nur', an dem ich hänge!", schaffte nicht den Übergang zum nüchternen Befund, die Bundeswehr sei eine imperialistische Wehrmacht in einem Bündnis, in das sie hineinpaßt wie der Staat, dem sie dient.

So werden auch die nächsten Fortschritte der deutschen Aufrüstung wie gehabt begründet werden - sie sind die notwendige Konsequenz unserer nationalen Interessen im Bündnis aus unserer Lage! Fehlen dürfte freilich angesichts der wachsenden Anteilnahme im Lande, am Für und Wider der Mittel, das überholte "leider"! Für Leute, die sich in der Weise um die Wehrkraft ihrer Nation sorgen, daß sie Amateurstrategen werden und sich wehrkundlich mit Vor- und Nachteilen vertraut machen, tun es auf die Dauer eben die Vorteile unserer Stärke. Die stellt man mit einem kräftigen Hurra vor.