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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1985 erschienen.

Systematik


TECHNOLOGIE

I

Von all den Künsten und Hilfsmitteln, mit denen die Menschheit früher ihren Lebensunterhalt zu bestreiten suchte, unterscheidet sich die moderne Technik gründlich. Sie macht sich die Naturgesetze bewußt und systematisch zunutze, wendet also die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung an und beruht insofern auf dieser. Populär ist dieser Zusammenhang in dem Gedanken, daß die Naturwissenschaft etwas für die "Praxis" taugt: Die Technik begründet das einzigartige Renommee dieser Abteilung Theorie. Ist bloß die Frage, wie es bei diesem mustergültigen Praxisbezug zugeht.

Jedenfalls nicht so, daß dieses Ideal in Gestalt besonderer Methoden oder Maßstäbe in der Wissenschaft eine Rolle spielte, was auch immer das Selbstbewußtsein der beteiligten Figuren ist. Wenn in der Technik das Wissen über die Natur Anwendung findet, so muß tatsächlich solches Wissen vorhanden sein; der Rekurs des Technikers auf die Naturgesetze wäre zum Scheitern verurteilter Selbstbetrug, Wenn diese nicht ihrem wahren Inhalt nach bekannt wären. Fleißiger "Paradigmenwechsel" und jede Menge "Versuch und Irrtum" könnten nicht mehr als fromme Wünsche dazu beitragen, daß der berühmte Strom aus der Steckdose kommt. Und auch ein "technizistisches Apriori" oder eine "machtförmige Denkstruktur", wie sie kritische Menschen, etwa die Grünen, der Naturwissenschaft attestieren wollen, eigneten sich noch nicht einmal zu einer ordentlichen Vergiftung des Rheins.

"Denn", um einen etwas altmodischen Philosophen der Technik zu zitieren, "der Natur bemächtigt man sich nur, indem man ihr nachgibt, und was in der Betrachtung als Ursache erscheint, das dient in der Ausübung zur Regel."

Der Notwendigkeit wirklicher Kenntnisse, wie sie Bacon vor Beginn der modernen Naturforschung propagierte, wird heute ganz selbstverständlich entsprochen, auch wenn sie keiner mehr wahrhaben will. Zu der einen Einsicht, daß nämlich nicht gegen die Natur verfahren werden kann, gehört dann eine zweite:

Mit der Natur läßt sich durchaus einiges anstellen. Die Erklärung der Naturgegenstände ist von praktischem Interesse, weil sich so herausstellt, daß und wie sie beeinflußt und benutzt werden können. Das Wissen über die Natur handelt von Gegenständen, die abstrakt sind - Raum, Zeit, Kraft werden "betrachtet", und nicht Äpfel oder UFOs, an welchen konkreten Objekten sich ihre Gesetze bemerkbar machen - und in ihren Gesetzmäßigkeiten lauter Verhältnisse eingehen, die ihre Unselbständigkeit, ihr bedingtes Auftreten dokumentieren. Für das praktische Bedürfnis erschließen etwa die Gesetze der Physik die Abhängigkeit von Größen untereinander, die sich der konsequenten Veränderung befleißigen, sobald an einer Stelle eingegriffen wird. Insofern stellen Naturgesetze ihre Gegenstände als eine einzige Reihe gar nicht zufälliger Möglichkeiten dar, die sich durch zweckmäßige Einflußnahme realisieren oder ausschalten lassen.

Solche Kenntnisse der Naturgegenstände sind Voraussetzungen für die Technik, aber noch nicht diese selbst. Eine Maschine mag auf den simpelsten mechanischen Gesetzen beruhen; was deren konstruktive Anwendung zu einer eigenen und gar nicht kleinen Aufgabe macht, ist die vielfache Wiederholung des Elementaren und die geschickte Kombination der einzelnen Wirkungen, so daß insgesamt der beabsichtigte Zweck ausgeführt wird. Hinzu treten Fragen des Antriebs, der richtigen Dimensionierung, der Realisierung des ganzen Gebildes in geeigneten Materialien, der Ausschaltung störender Effekte wie der Reibung. Der Maschinenbauer muß deshalb auch auf Kenntnisse weiterer naturwissenschaftlicher Fächer wie Thermodynamik oder Elektrizitätslehre zurückgreifen oder sich der Mitarbeit technischer Spezialisten anderer Couleur bedienen. Und schließlich muß er Versuche anstellen und Messungen machen. Während das Experiment in den Naturwissenschaften ein Mittel der Theorie ist, nämlich das Untersuchungsobjekt in seinem gesetzmäßigen Verhalten vorführen soll, ist es in der Technik eine Antizipation des zukünftigen Gebrauchs: Es soll über Daten und Zusammenhänge, die für eine brauchbare Auslegung des Apparats entscheidend sind, Aufschluß geben.

Für all das ist die Wissenschaft von der Technologie zuständig; in ihr wird das Erfinden zu einer Veranstaltung, die sich nicht mehr auf glückliche Einfälle und verbohrte Anstrengungen verläßt. Von diesen Ingenieurswissenschaften sind etliche den Bedürfnissen spezieller Produktionszweige gewidmet; es gibt das Bau-, Brau-, Hütten-, Luftfahrtswesen. Die führenden technischen Disziplinen allerdings kündigen mit ihrem Namen an, daß sie, wie der Maschinenbau, die Universalien der modernen Industrie behandeln, und daß diese, wie in der Elektrotechnik, schon durch etwas definiert sein können, was einmal ein einzelner Gegenstand der Naturforschung war. Innerhalb dieser Fächer werden dann noch Grundlagenforschung und eigentliche Anwendung unterschieden, wobei die erstere auszeichnen soll, daß sie nicht unbedingt und unmittelbar zu nützlichen, nämlich mit Mark und Pfennig honorierten Resultaten führt. Daß sie dafür ihre Funktion hat, ist mit dieser negativen Kennzeichnung aber auch gesagt. Die Verwissenschaftlichung der Technik beschränkt sich nicht darauf, Probleme, die der materiellen Produktion entnommen sind, unter Anwendung der Naturwissenschaft zu analysieren und zu lösen und das Allgenieine daran zu einem Kanon des Know-how auszuarbeiten. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, und die Quelle ihrer größten Triumphe, die Anwendungsmöglichkeiten der Naturgesetze systematisch zu untersuchen und sie, wie es so schön heißt, zur technischen Reife zu führen. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die technologische "Phantasie" ihre Richtung nicht dem Zufall und der Laune des Forschers überläßt. Ein Wissen von dem, was "gebraucht wird", ist da allemal am Werk. Es resultiert aus den Schranken, die in den überkommenen Sphären des Einsatzes der Naturwissenschaft, in der Praxis der Produktion von Mitteln aller Art, hervorgetreten sind. Die einschlägigen "Absichten" entnehmen die Forscher dem Bedürfnis nach Sachen, die man können müßte - und sie übersetzen dieses Bedürfnis in die naturwissenschaftliche Formulierung eines Problems. Umgekehrt ist eine naturwissenschaftliche Entdeckung wie die, daß die Kernspaltung Energie freisetzt, daß gewisse Materialien den elektrischen Strom bedingt durchlassen oder daß die Vererbung an ein paar dicken Molekülen in der Zelle hängt, Anlaß genug für das Urteil, daß daraus "etwas zu machen" sein muß, also z.B. Kraftwerke, Schaltelemente, nützliche Bakterienstämme und vielleicht noch vieles mehr. Scharen von Forschern widmen sich dann der Frage, wie sowas gehen könnte, wie sich die thematisierten Prozesse beherrschen lassen und was sonst noch alles dazu nötig ist.

Weil diese Grundlagenforschung nicht auf partikulare technische Zwecke festgelegt ist, wird sie zu unrecht oft mit der Naturwissenschaft verwechselt. Wahr ist allerdings, daß das meiste, was heute in der Naturwissenschaft betrieben wird, Technologie, also die Erforschung von Anwendungen ist. Chemiker arbeiten schon lange als "Molekularchitekten" (unter dem Titel "chemische Technik" geht es dann um die Beherrschung der Synthesen im industriellen Maßstab), und Physiker bemühen sich z.B. in der Festkörperphysik, ihrem derzeit häufigsten Fach, darum, die von der Quantentheorie gestifteten Klarheiten über die Materie auszunutzen. Aus der beliebten Betrachtung, daß die Naturwissenschaften heute viel weniger Output haben an bedeutenden Entdeckungen und Theorien als vor 50 oder mehr Jahren, obwohl ein Vielfaches an Aufwand getrieben wird, folgt dann auch nicht, daß Wahrheiten über die Natur auf einmal schwerer zu haben sind, sondern daß die Mühe einer anderen Sache, eben der Technologie, gilt. Und daß die Naturwissenschaft, wer hätte das gedacht, im wesentlichen fertig ist.

II

Die technischen Wissenschaften nehmen die wirkliche Produktion vorweg. Ihr Resultat ist die ideelle, im Kopf, auf dem Papier und an Prototypen ausgeführte Beherrschung und Nutzbarmachung der Natur. Undenkbar also ohne ihr gänzlich unakademisches Komplement, bilden sie dennoch zusammen mit den Naturwissenschaften eine separate und selbständige Sphäre gesellschaftlicher Arbeit. Bei dieser Abtrennung von der materiellen Produktion geht es um mehr als bloß um die schlichte Tatsache, daß Gedanken zu fabrizieren etwas anderes ist, als in der Fabrik z.B. Blech zu stanzen - was schon allein der Exklusivität der einschlägigen Karrieren zu entnehmen ist.

Erstens werden die Ergebnisse dieser Wissenschaft als Geschäftsmittel gebraucht. Weil der Konkurrenzkampf der Kapitale mit dem Preis der produzierten Waren geführt wird, hängt der Erfolg ab von der Verfügung über Techniken, die die Kosten senken und die Arbeit produktiver machen helfen. Beständige Umwälzung der Produktionsverfahren und -mittel ist daher Prinzip der Profitmacherei. Zweitens aber ist die Erarbeitung der nötigen Kenntnisse im allgemeinen kein Geschäft.

Einmal vorhanden, kostet eine wissenschaftliche Entdeckung oder eine technische Erfindung keinen Deut, und auch das Patent, mit dem der Staat private Erfindermühen zu belohnen sucht, kann den Widerspruch eines geistigen Eigentums nicht abschaffen: Exklusiver Gebrauch läßt sich nur sehr beschränkt durchsetzen, wo es um Gedanken geht. Hinzu kommt, daß Forschungsprogramme nicht nur kostspielig sind, sondern auch in ihrem Nutzen schwer abzusehen. Es gibt keine Garantie, daß sich überhaupt Erfolge einstellen, erst recht solche, die sich in einem Konkurrenzvorteil niederschlagen. In der Welt des Kapitals fällt das Interesse an der Verfügung über technisches Wissen zusammen mit dem Desinteresse an diesem Wissen selbst und beschert deshalb dem Staat eine seiner edelsten Aufgaben. Als Freund und Förderer des privaten Reichtums organisiert er Naturwissenschaft und Technologie getrennt von der materiellen Produktion, damit sie dort privatissime et gratis angewendet werden können. Als Stätten der Wissenschaft unterhält er Universitäten und Technische Hochschulen, wo die Forschung gleich mit der Lehre kombiniert wird. Denn an der Ausbildung seiner Funktionäre hat das Kapital ein ähnlich zwieschlächtiges Interesse. Und damit der zweite akademische Zweck nicht den ersten zu kurz kommen läßt, werden den Unis noch allerhand Drittmittelprojekte, Sonderforschungsbereiche etc. aufgepfropft, und für besonders wichtige Sachen gibt es noch eigene Forschungszentren sowie staatlich finanzierte Industrieforschung.

Mit der Freiheit der Wissenschaft, ihrer Lösung von allen besonderen Interessen, sichert der Staat Objektivität und schrankenlose Entfaltung der Naturerkenntnis und damit deren Funktionalität für die Konkurrenz der Kapitale. Allerdings erscheint es ihm heute zu wenig effizient, die Forschung bloß im allgemeinen zu fördern, zumal die "reinen" Wissenschaften ohnehin nicht mehr so furchtbar viel zu tun haben. Er treibt deshalb Forschungspolitik. Neben die alten Ordinarienherrlichkeit, die immer noch genügend Raum läßt für Spezialitäten und Neuheiten ohne erkennbaren Nutzen, tritt die Konkurrenz der Wissenschaftler: Ergebnisse produzieren, um Geld ergattern zu können, und Geld ergattern, um Ergebnisse produzieren zu können, heißt das Lebensprinzip wissenschaftlicher Einrichtungen, gewissermaßen die Grundfigur des Fortschritts heute. Zusammen mit der Beobachtung der ökonomischen Konkurrenz hilft dieses Prinzip den Politikern entscheiden, wohin die nötigen Sach- und Personalmittel fließen sollen.

Dabei weiß sich der Staat selbst als Großverbraucher von Technologie und verschafft seinen Bedürfnissen in der Forschungspolitik die gehörige Geltung. Der Gang der Geschäfte hat gewisse sachliche Voraussetzungen, die ohne staatliches Engagement nicht zugleich rentabel und zum Wohl der gesamten Wirtschaft produziert werden können: Unter so allgemein menschlichen Titeln wie "Energie" oder "Kommunikation" werden sie ein nationales Anliegen. Die BRD hatte sogar einmal einen Atomminister. Allererste Priorität hat natürlich unsere "Sicherheit". Egal, ob derzeit und im Weltmaßstab sich wirklich genau die Hälfte aller Natur: und Ingenieurswissenschaftler den Kopf für militärische Zwecke zerbricht, wie fleißige Friedensforscher ausgerechnet haben: Es gibt keinen Bereich, der sich dem Interesse von Strategen entzöge, so daß es nur konsequent ist, wenn die ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Dem Fortschritt der Wissenschaft schadet das offenbar ebensowenig wie den Bedürfnissen der Wirtschaft. Gerade weil "Machbarkeit" das einzige Kriterium bei Rüstungsprojekten ist, findet die Technologie hier Entfaltungsmöglichkeiten, die die traditionellen Formen der Freiheit der Wissenschaft in den Schatten stellen.

Die USA, die auf der Weltrangliste der Technologieproduzenten ganz oben stehen, und selbst erst den Maßstab dessen setzen, was als Spitzen-, Schlüssel- und Zukunftstechnologie zu gelten hat, haben umgekehrt die alte Welt in Sachen fertiger naturwissenschaftlicher Kenntnisse ganz einfach beerben können. Die letzte Generation großer Theoretiker wurde sogar noch massenhaft in persona importiert und fand gleich beim Bau der Atombombe Beschäftigung. Abends haben diese altmodischen Geistesriesen dann, was lag näher, über den "Utilitarismus" amerikanischer Wissenschaftsauffassung diskutiert. Wissen hat dort nützliche Information oder Know-how zu sein, und weil diese Erwartung paßt zum Vorliegen einer entwickelten Naturwissenschaft, läßt sie sich auch praktizieren. Erstens, indem man die Herren Wissenschaftler mit der Devise "publish or perish" zum Konkurrieren anhält. Die Masse bringt's, wobei der output zwar manchmal nur Ausschuß, aber das nicht weiter tragisch ist wer weiß, wann man auf diese oder jene "idea" mal zurückgreifen will. Zweitens ist man bei der Wahl von Zielen nicht zimperlich und bei der Bereitstellung der Mittel nicht kleinlich. Sachen, von denen noch niemand sagen kann, ob und wie sie technisch gehen, werden ganz einfach politisch für notwendig gehalten und beschlossen, und dann tritt der amerikanische "Pioniergeist" in Gestalt ganzer Wissenschaftlerheere und unter generalstabsmäßiger Planung den Beweis an, daß die Führung schon richtig liegt mit ihren Initiativen. Der Verteidigungsminister ist dort ganz selbstverständlich die allererste Adresse für Forschungsförderung. Aber egal, ob die zahllosen Papers, die die heutige wissenschaftliche Informationsflut ausmachen, oder die Riesenprojekte, die mal wieder ein letztes Abenteuer der Menschheit einleiten, per Kontrakt mit dem DoD selbst zustande kommen oder ob eine eigene Atom-, Weltraum- etc. Behörde geschaffen wird: Der Anspruch, technologisch führend zu sein, ist ein Stück praktizierter Feindschaft gegen die Sowjetunion und hat mit ökonomischer Konkurrenzfähigkeit oder nationaler Ehre nur dies zu tun, daß diese sich obendrein noch einstellen.

Diesseits des Atlantiks hat der amerikanische Stil nicht nur hemmungslose Bewunderung und neidisches Naserümpfen hervorgerufen, sondern vor allem den Nachahmungstrieb beschäftigt. Dabei merkten die Staaten, die bis zum Zweiten Weltkrieg noch führend in Sachen Wissenschaft und Technik waren, daß die Reform von Universitäten und anderen ehrwürdigen Institutionen nicht genügte. Der Erfolg der Ami-Methoden beruht auf der dortigen Wirtschaftskraft, sei es, daß der Betrieb der auf einigen Gebieten nötigen Versuchsanlagen immense Kosten bereitet, sei es, daß die effektive Durchführung mancher Projekte eine enorme Zahl an Wissenschaftlern verschiedener Provenienz zu mobilisieren erfordert. Die europäischen Staaten haben sich deshalb immer wieder zu Gemeinschaftsunternehmen entschlossen. Die öffentliche Begründung solcher Kooperation hat sich inzwischen von den Idealismen völkerverbindender Wissenschaft wegentwickelt zur demonstrativen Aufzählung ökonomischer und strategischer Vorteile. Dabei ist die Etablierung militärischer Argumente jetzt hierzulande voll im Gange. Der geschmäcklerischen Kritik daran, daß die ganze schöne "High Technology" unter kriegerischem Vorzeichen das Licht der Welt erblicken soll, wird mit dem Verweis auf den unausbleiblichen "spin-off" geantwortet, der Mutterns Küchentechnik bereichern wird. Abgesehen davon, daß spin-off-Argumente immer gelogen sind (im übrigen sind sie unter-, nicht übertrieben), gehen beide Auslassungen gleichermaßen an der Sache vorbei. Ist man nun dafür oder dagegen, daß die Russen fertig gemacht werden?

III

Der technische Fortschritt besteht aus den Apparaten, die zu den bereits im Gebrauch befindlichen Eßbestecken, Lötkolben und Volksempfängen hinzuerfunden, konstruiert, in mehreren Exemplaren produziert und in Dienst genommen werden. Mehr ist nicht über ihn zu sagen, und wer sich in ihm auskennen will, möge sich mit der Wirkungsweise und den Leistungen von Taschenrechnern, NC-Maschinen und Düsenjägern befassen. Leider wird aber viel mehr über ihn gesagt, noch dazu von Leuten, die sehr wohl "Wesentliches" zu Gehör bringen möchten, ohne sich in Akustik auszukennen.

Diese Zeitgenossen leiden in der Konstruktion von gewichtigen Urteilen in Sachen "Fluch und Segen" der Technik nicht im mindesten an der Tatsache, daß sie Laien sind. Auch von der einmal durch Marx konstatierten Trennung der geistigen Potenzen der Arbeit von dieser und denen, die sie tun, haben sie noch nie etwas vernommen - dergleichen leuchtet ihnen allemal als "Arbeitsteilung" ein. Die gehört zur "Gesellschaft", der modernen zumal, und von einem kapitalistischen Verhältnis zwischen Wissenschaft und Produktion ist in ihren Problematisierungen des technischen Fortschritts nicht die Rede.

Der geht indes flott voran, da es für die maßgeblichen Instanzen, die mit Geld und Macht rechnen, sehr auf die Anwendung aller Mittel ankommt, die die gesellschaftliche Abteilung Technologie liefert. Was von den Fachleuten für machbar erklärt wird, bleibt garantiert nicht im Reich der Möglichkeiten eingeschlossen. Es wird gemacht. Darauf drängen Manager in den wohnlichen Fabriken, weil sie wissen, was für Gefahren der moralische Verschleiß eines Produktionsverfahrens für die Kassen des Unternehmens bringt. Darauf bestehen Politiker in ihrer Sorge um den Geschäftserfolg von ebendenselben Unternehmern, da sich die Verfügung über technische Mittel oder eine "Rückständigkeit" auf diesem Feld in der "Bedeutung" ihrer Nation weltweit niederschlägt. Und schon gleich liegt diesen netten Menschen der "technische Fortschritt" am Herzen, wenn es um die Waffen geht, die die Anliegen eines Staates eigentlich erst zum überzeugenden Argument reifen lassen.

Daß all diese ehrenwerten Männer soviel Technologie wie möglich bestellen und finanzieren, sollte ihnen niemand zum Vorwurf machen. Wer an ihren Vorhaben nichts auszusetzen hat, braucht nämlich auch nicht an der Wahl und Produktion von Mitteln die Stirn in Falten zu ziehen. Erstens heiligt der Zweck jedes Mittel, das eines ist. Zweitens sieht man dem Einsatz technischer Mittel sehr wohl den Zweck an, dem er - aber nicht "die Technologie" - dient. Drittens ist es daher ziemlich albern, Mittel und Zweck dennoch wieder ganz in einen Topf zu werfen, wenn gelegentlich eine Wirkung, die über den ausgiebigen Gebrauch von Technik zustandekommt, als störend empfunden wird. Dieser Kunstgriff widerspricht nämlich der Logik und macht eine ganz bedeutsame "Technik" der moralischen Weltanschuung aus, die bekanntlich ein "ganzes Nest gedankenloser Widersprüche" ihr eigen nennt.

Die Gedankenlosigkeit wäre freilich locker abzutun, verriete sie nicht wieder einmal die Gemeinheit ihrer Liebhaber. Geradezu sinnfällig dargeboten wird letztere von denen, die sich "Verantwortliche" nennen und das stets als Erteilung eines Auftrags, aber gerade nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen wollen. Wenn in Feiertags- und Jubiläumsreden ausgerechnet Politiker in die Rolle des Warners schlüpfen und der Technologie zum x-ten Male die Besinnungsaufsatzfrage auferlegen, so ist mit der Schöpfung eines Subjekts dieses Kalibers schon einiges bekanntgemacht. Das Mittel, über das die Staate lenker so souverän gebieten, darf da schon einmal als Instanz Revue passieren, vor der sich unterschiedslos alle verneigen oder fürchten sollen. Der allenthalben bekanntgemachten "Betroffenheit", die aus wirklichen wie vorgestellten Wirkungen von unternehmerischen wie staatlichen Maßnahmen resultiert, wird eine fragwürdige Reverenz erwiesen: Was euch bedrückt, so lassen sich die säkularen Prediger vernehmen, ist eine Frage der Technologie, ihrer Auswirkungen und unserer Fähigkeit, mit ihr fertig zu werden.

Das Verfahren wird um keinen Deut vernünftiger, wenn es nicht "von oben", sondern in kritischer Absicht angewandt wird. Daß ausgerechnet "die Technik" und ihr unaufhaltsamer Fortschritt für die Vermehrung der Arbeitslosen verantwortlich zeichnen sollen, ist auch dann nicht einzusehen, wenn es eine traditions- und umweltbewußte Gewerkschaft behauptet. Zu bewältigen gibt es jedenfalls am technischen Erneuerungswesen überhaupt nichts; bestenfalls könnte man gelegentlich fragen, wieso die Technik, die doch noch die ausgefallensten Bedürfnisse zu bedienen gestattet, partout nicht zur Erleichterung der Arbeit und des Lebens der "sozial Schwachen" auf dem Globus taugt. Solche Fragen ventilieren moderne Gewerkschaftler nur noch in Gestalt von verkehrten Antworten. Die erste lautet, daß allemal die Mikrochips die schönen Arbeitsplätze vernichten, wozu sich wunderbare Fotomontagen verfertigen lassen, die die Titelseiten fortschrittlicher wie anderer Illustrierten zieren. Die zweite Antwort dementiert die erste und lautet "Wir sind keine Maschinenstürmer!" So wird einerseits dem Bedürfnis Genüge getan, die ökonomischen und politischen Subjekte der sozialen Ärgernisse zu entlasten und mit "der Technik" einen geschäftsführenden Trendsetter ins Amt zu setzen, mit dem "wir" uns herumschlagen. Andererseits wird diesem problemstiftenden Wesen nicht nur manche Gefahr, sondern auch einiges an Gnade attestiert, so daß "wir" mit ihm leben müssen und dürfen. Das Fazit des mühsam breitgetretenen Zauberlehrlingsgedankens ist dann entsprechend unausweichlich: Das Mittel "Technik" wird haargenau so fortentwickelt und benützt, wie es die maßgeblichen Instanzen bislang auch schon handhabten.

Seitdem sich brave Leute dazu aufgerafft haben, sich von der Unwirtlichkeit ihrer kapitalisierten Umgebung unheimlich betroffen zu wähnen, ist die Technik auch in Sachen "Umwelt" schwer in Verruf geraten. Neben ihren von oben hastig und berechnend ins Werk gesetzten Fortschritten laufen nun Leute herum, die von unten energisch "auf sie verzichten" und ihre Flucht aufs Öko-Plumpsklo für eine Überlebensstrategie halten. So kommt keiner dem anderen in die Quere, und selbst die komplementären Lügen über die Signatur unseres Zeitalters - der "wissenschaftlich-technische Fortschritt", einmal als Plus, das andere Mal als Minus, darf als das Kennzeichen heutigen Menschelns fungieren - kommen friedlich-koexistent ins Gespräch. Es hat schon etwas Faszinierendes an sich, ein paar Jährchen nach Bronze- und Steinzeit eine "Gesellschaft" nach einem Produktionsmittel zu taufen!

In Beherzigung des Lehrsatzes, daß eine Sache um so mehr zum Philosophieren taugt, je weniger sie sich dazu eignet, ist auch das weltweite Kriegshandwerk von der humanistischen Besinnung auf die Tücken des Geräts nicht verschont geblieben. In Verkennung der Tatsache, daß Waffen andere Funktionen beschieden sind als z.B. einer Feuchtigkeitscreme, wird ausgerechnet dem technischen Fortschritt im Bereich Kriegsführung die Ehre erwiesen, erstifte mit seinen wohlkalkulierten Wirkungen nun endgültig auch den Zwang zum verantwortlichen Nachdenken. So erschlägt wieder einmal die Verantwortung jeden vernünftigen Gedanken, wenn die tiefsinnige Frage an den täglich bestellten und vermeldeten Fortschritt angelegt wird: "Dürfen die das?" - und auch die negative Antwort eine Dummheit nach der anderen bemüht, was nicht verwundert. Die Argumente, die da mit der Errechnung des Kältetods und dem computerausgelösten Waffengang in die Zirkulation gekommen sind, zehren ja allesamt von der Vorstellung eines unwidersprechlichen bzw. unwünschbaren Diktats, das vom Mittel ausgeht. Während die zu Zauberlehrlingen ernannten Verwalter der Rüstung sich zwar mit deren Technik nicht auskennen, wohl aber ihre Wirkungen zu schätzen wissen, kommen die warnenden Stimmen mit ihrem Respekt und ihrer Angst - vor dem Zeug - daher. Und lassen sich von Naturwissenschaftlern, die die Verantwortung immer erst bei nationalen und Menschheitsfragen überfällt, sogar grob kundig machen. So wissen sie alle inzwischen, wie das Verstrahlen geht - und Philosophen diskutieren mit Präsidenten und Militärs über die Verantwortung des Naturwissenschaftlers.

"Darf er sich und seine Werke zum Mittel machen, wenn der Kram solche Gefahren mit sich bringt?", wird verkehrt gefragt. Und da ohnehin die Entscheidung vom Mittel ausgeht, verhindert die Atombombe schon ein paar Jahrzehnte den Krieg. Die Logik eines falschen Gedankens nimmt da die Gemüter offenbar so mächtig in Beschlag, wie sie es von der Technik behaupten, in bezug aufs "Leben"... Eines fällt an den gewichtigen Zweifeln an der Technologie und ihren Fortschritten allerdings auf. Da machen sich Dichter und Denker an einem Ohnmachtsgedanken zu schaffen, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, den Ausschluß von der Verfügung über die Technik, von der Entscheidung über den Einsatz und die Entwicklung- dieses Mittels zu deuten, statt zu erklären. Die Deutung schreibt dem Mittel Leistungen und Gefahren, Tendenzen und Wirkungen zu, die es garantiert nicht in sich hat. Die Erklärung fängt damit an, daß man sich auf die gar nicht so schwierige Suche nach den maßgeblichen Zwecken begibt, denen dieses Mittel untergeordnet ist. Es ist nämlich voll im Einsatz und verhilft seinen Nutznießern zu Reichtum und Macht, so daß diese in eigenem Interesse gut daran tun, sich selbst auch noch als Gefangene des "Sachzwangs" auszugeben, den die Technik gebietet. Daß auch sie von Technologie herzlich wenig vestehen, sieht man an den Lügen, mit denen technische "Konsequenzen" für Fabrik, Landschaft und Krieg "deduziert" werden. Wenn sie dabei von Fachleuten sekundiert werden, dann zahlt sich kein technischer, sondern ein politökonomischer Kunstgriff des Kapitalismus aus: die Trennung des forschenden und konstruierenden Handwerks von seinem Einsatz und den Entscheidungen, die die schönen Apparate für die Mehrung von Geld und Gewalt in Stellung bringen. Die Einmischung, die von seiten der Technologie schaffenden Zunft zu vernehmen ist, ist deswegen auch keine. Entweder gefallen sich ihre Vertreter darin, den maßgeblichen Nutznießern ihrer Werke einen kräftigen Dank abzustatten. Dafür, daß sie außer einem bezahlten Beruf auch noch das Kompliment verliehen kriegen, auf sie käme es schwer an. Dann rechtfertigen sie fachmännisch-verantwortlich die Entscheidungen, die "ohne sie nicht" möglich wären. Oder sie betränen ihre Verantwortung und fragen sich und die Welt, ob ihr Dienst nicht besseres verdient hätte als das, was immerzu herauskommt. Dann sind sie reif für die kritischen Debatten über den technischen Fortschritt den sie ethisch fundiert mit industrieller Reservearmee, Schadstoffen im Rhein und Weltraumwaffen verwechseln.

Ein Artikel über Technologie ist also kein Beitrag zur "Lösung der Probleme des technischen Fortschritts".