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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1985 erschienen.

Systematik

Der heiße Herbst des DGB
GUT GEMALT IST GANZ GEKÄMPFT

Beim Treffen mit dem Kanzler hat der DGB gleich angemeldet, daß er aber auch noch gegen ihn demonstrieren dürfen möchte. Denn eine gesellschaftspolitische Kraft wie der DGB muß auch wirken, und das Wirken muß man auch sehen können. Und dafür wiederum ist nichts so wichtig wie ein einprägsames Emblem wie weiland die 35-Stunden-Wochen-Sonne. Mit der neuerlichen Leistung der PR-Werbegraphik-Abteilung des DGB ist der Heiße Herbst schon so gut wie gelungen.

Der DGB hat hier die Ringform angenommen. Die ist auch viel einleuchtender als ein Klotz oder eine Kugel oder ein Dreieck, denn dann könnte ja nichts innen drin sein. So ist die Solidarität drinnen, weil der DGB drumherum ist. Dafür sind die Gewerkschaften da, damit sie zusammenhalten, alles klar. Und dann vermeidet die Ringform ein möglicherweise herabsetzendes Oben und Unten. Von Leder, Textil, Polizei, Nahrung/Genuß, Holz und Kunststoff bis zu Metall und Chemie kreisen alle einmütig um den harten solidarischen Kern. Und glänzen dabei in allen Regenbogenfarben, voll bester Laune und Optimismus gegenüber dem grauen Gebilde, das sich gänzlich asymmetrisch an dieser heilen Welt zu schaffen macht. Warum es da vor sich hinbröselt, ist nicht unmittelbar einsichtig, wird aber von den nächsten Bildern geklärt. Es handelt sich um einen Meißel, der - bei allem sonst im DGB üblichen Respekt vor ehrlicher Arbeit - hier einem häßlichen Handwerk nachgeht: dem bildersprachlichen Spalten.

"1. Bilanz der Regierungspolitik:

Der Aufschwung wurde versprochen. Die Arbeitslosigkeit stieg. 500000 Arbeitslose mehr seit 1982."

Hier hat das graue Ding schon ein Foto zerrissen, so daß ein tiefer Riß durch die Massen geht. Zwar trotten sie massenmäßig unbeeindruckt auf beiden Seiten genauso weiter. Daß die einen aber die Glücklichen sind, die mit Arbeit, sieht man sofort an der Farbe: die ohne sind grau. Alle müßten rötlich koloriert sein! Eine Forderung, hinter die man sich bedenkenlo stellen kann.

"Sozialabbau spaltet: Der Anfang vom Ende des Sozialstaat"

Hier bohrt sich der Meißel in eine andere harmonische Einheit, diesmal in die Backsteinmauer des Sozialstaats, und spaltet die Schwerbehinderten von der Krankheit und die Sozialhilfe von der Arbeitslosenversicherung.

Eine etwas gewagte Anwendung des Spalterbilds. Für Liebhaber des Gemäuers aber allemal logischer als der Verdacht, daß es auch ohne jeden Meißel etwas mit dem kleinen Unterschied von altertümlich: Klassen zu tun hat. Spätestens die Unterschrift macht die Botschaft wieder glasklar:

"2. Bilanz der Regierungspolitik:

Sozialabbau - zunehmende Armut. Aber die Reichen werden immer reicher."

Das "Aber" ist das Werk der Spalter: Keine Spaltung wäre es nämlich, wenn alle gemeinsam, Arme und Reiche, immer ärmer würden.

"3. Bilanz der Regierungspolitik:

Weniger Rechte für die Arbeitnehmer und ihrer Interessensvertretung. Mehr Macht für die Unternehmer."

Nach so viel grauem Unheil heißt es, Hoffnung stiften - es gibt den DGB. Zwischen dem G und B (zwischen dem D und G ist es offenbar von vorneherein aussichtslos!), also zwischen den Gewerkschaften und ihrem Bund wollte das Biest ansetzen. Aber da hat es sich ausgemeißelt. Deutsche Wertarbeit, festgemauert in der Erden. Und dieses Bollwerk verteidigt die Herbstparole:

Schluß mit der Politik für wenige!

Politik ist nämlich eine so grundgute Sache, daß sie gerecht auf alle Häupter verteilt werden muß. Und wenn die in Bonn nur für wenige regieren, dann denkt eben der DGB immerzu an alle. Der Aufruf des großen Vorsitzenden Breit "Argumentiert, demonstriert, kämpft!" ist mit der Bildfassung vorbildlichst verwirklicht. Sie argumentiert - Einheit gut, Spaltung böse -, demonstriert - in allen Regenbogenfarben, technisch reproduzierbar, zur Gestaltung öffentlicher Plätze gut zu gebrauchen - und kämpft. Mit 1. und 2. schon erledigt.