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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1985 erschienen.

Die Gewerkschaften machen mobil
FRIEDEN, FRIEDEN ÜBER ALLES!

Für den Frieden wird manches getan.

Die Herren in Bonn z.B. erklären un unterbrochen, der Friede sei durch sowjetische Waffen bedroht; sie rüsten, was die nicht gerade bescheidenen Staatsmittel hergeben, und versichern, sie sicherten den Frieden, in dem sie den Ostblock mit immer neuen Waffen bedrohen...

Kritische Bürger warnen die Politiker im Namen Deutschlands und der Menschheit vor deren eigener Rüstung, halten Atomraketen für keine ordentlichen Verteidigungsmittel und bilden Ketten von guten Menschen um Kasernen und Raketenbasen; sie lassen sich widerstandslos wegräumen, stricken, singen, unterschreiben, beten für den Frieden, das Überleben der Menschheit und mehr Verantwortung bei den Politikern...

Die Gewerkschaft hält ersteres für in Ordnung, gegen letzteres aber hegt sie den Verdacht der ungebührlichen gewaltsamen Einmischung in die Verantwortung guter deutscher Politiker. Und genau das läßt sie die Republik wissen.

Bekenntnisse zu den Segnungen des Friedens

"Wahrer Frieden... allein bietet die Gewähr für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, Demokratie, Respektierung der Menschenrechte, Gewerkschaftsrechte und sichere Arbeitsplätze." (Aufruf zum 1. September 1985)

"Frieden ist die elementarste Voraussetzung für den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt und für die Schaffung einer menschenwürdigen Welt." (Wahlprüfsteine 1983)

Ausgerechnet wenn demokratische Führer im Namen des Friedens ein Rüstungsprogramm nach dem anderen beschließen, wenn sie dafür dem Volk Gehorsam, Bescheidenheit und ein sozialstaatliches Härteprogramm ohnegleichen verordnen, wenn sie für die Verteidigung von Freiheit und Demokratie unübersehbar Leib und Leben verlangen, ausgerechnet dann fällt den Gewerkschaften gleich gar nichts mehr gegen die Republik ein. Frieden halten sie, bloß weil's kein Krieg ist, für den Inbegriff alles Guten und Schönen. Das wollen sie nicht bemerken, daß gerade der gegenwärtige Frieden die Gewähr, wenn nicht gar die elementarste Voraussetzung für flottes Rüsten und jede Menge Arbeitslose bietet. Mitten in den Kriegsvorbereitungen entdeckt die Gewerkschaft im Frieden ein wahres Eden all ihrer schönen Ideale, die sie sonst in kritischer Manier im Munde führt. Da kennt sie keine Parteien und kein oben und unten, keine Profite und kein soziales Elend mehr, sondern nur noch ein einiges und einziges nationales Gemeinwesen, dessen normaler Gang als Grundlage jeden Fortschritts verteidigt werden muß. Gegen wen eigentlich? Gegen die Kriegsgefahr - und näher gegen die Feinde der Demokratie, die die Politiker längst beim Namen genannt haben: "Wer Pershing sagt, muß auch SS20 sagen".

Gegen die braucht es jede Menge Militär.

Deshalb leistet die deutsche Arbeitervertretung die aufrichtigsten

Treueschwüre zu Bundeswehr, NATO und Verteidigung der Nation

"Kein Zweifel..., daß Bündnis, NATO und Bundeswehr unverzichtbar sind." (Quelle 12/83)

"Bundeswehr und Gewerkschaften... haben - jede auf ihrem Gebiet - eine unverzichtbare Funktion für unseren demokratischen Staat... ihre Aufgabe, unseren freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat zu eralten." ( Bundeswehr und Gewerkschaften. Sieben-Punkte-Erklärung von Bundeswehr und DGB)

Bei ihrem Bekenntnis zur offiziellen bundesdeutschen und westlichen Lesart von Friedenssicherung beschwört die selbsternannte Fortschrittskraft eine eigentümliche Gemeinsamkeit aller aufrechten Demokraten: die Gemeinsamkeit von Arbeits- und Soldatendienst nämlich. Wie sie sich zum Kämpfer an der inneren Front erklärt, so versteht sie umgekehrt die Bundeswehr als demokratische Errungenschaft nach außen. Schließlich sind beidesmal die Arbeiter gefragt. Das beflügelt die Funktionäre, im Namen der Betroffenen die Verantwortung der Politiker hochzuhalten durch lauter

Verbeugungen vor den zuständigen Herren

"Falls bis Herbst 1983 Verhandlungsergebnisse im Sinne einer von beiden Seiten unterschriebenen Vereinbarung über Mittelstreckenwaffen in Europa nicht vorliegen, ist nach Prüfung des Verhandlungsstandes von Bundesregierung und Bundestag verantwortlich zu entscheiden." (Breit)

"Die wiederaufgenommenen Genfer Verhandlungen müssen endlich zu konkreten und sichtbaren Rüstungskontroll- und Abrüstungserfolgen führen... Weltraumvertrag von 1967, ABM-Vertrag... Salt II-Abkommen... Bundesregierung ihren Beitrag zu einer neuen Sicherheitspolitik leisten..." (Aufruf zum 1. September 1985)

So befördern Breit und Co. den von Bonner Politikem so gern gepflegten Schein, bei den diplomatischen Manövern, welche die bekannten Rüstungsfortschritte gegen die Sowjetunion begleiten und nur noch die westliche Entschlossenheit für den Gegner verdolmetschen, ginge es um die Beschränkung der Waffenkonkurrenz, und das wäre ein ureigenstes bundesrepublikanisches Anliegen. Deutsche Politiker, SPDler insbesondere und SPDler in der Opposition erst recht, das sind die selbstverständlichen Adressaten - für die Aufforderung von seiten der Gewerkschaften, die schwere Last der Entscheidung über Raketen entschieden wahrzunehmen, die nationalen Interessen bei der westlichen Verteidigung nicht zu vernachlässigen und beim Rüsten die Rüstungsdiplomatie nicht zu kurz kommen zu lassen. Die Regierung unbehelligt ihre Gewältmittel vermehren lassen, die SPD zu ihrem parlamentarischen Nein zum Stationierungsbeschluß beglückwünscht und gemeinsam mit ihr die Abrüstungsideale hochhalten, so demokratisch abgewogen unterstützt der DGB die Frontstaatpolitik und das politische Entscheidungsmonopol über Krieg und Frieden. Daran darf es aber auch nicht den geringsten Zweifel geben. Deshalb wird von den Gewerkschaften ein

Entschiedener Kampf gegen falsche Friedensfreunde

geführt:

"Für mich sind der DGB und die SPD Garantie für Friedenspolitik genug; ich brauche dazu keine Friedensbewegung." (Rappe )

"Wir brauchen keine neue Friedensbewegung. Wir brauchen noch mehr Kraft für die älteste Friedenskraft: die Gewerkschaften." (Döding)

Protest, der sich nicht zu den politiktreuen Grundsätzen des DGB bekennt und nicht das Monopol der Gewerkschaften auf Politikerermahnungen anerkennt, der hat mit dem allertiefsten Mißtrauen der Arbeitervertreter zu rechnen. 'Vereinnahmen und Disziplinieren' heißt da die gewerkschaftliche Devise, damit in den Reihen der Gewerkschaftsjugend und -aktivisten ja keine Illusionen über den Stellenwert kritischen Gedankenguts sich breitmachen. So werden die Funktionäre aktiv, wo sich auch nur dem Schein nach Protest gegen die Politik regt, und legen ihn auf brave deutschnationale 'Ausgewogenheit' gegen Ost und zwischen West fest.

Erfolgreich, wie die kurze Geschichte der Friedensbewegung zeigt, hat sich die gewerkschaftliche Friedenskraft dafür eingesetzt, daß von den kritischen Regungen der Friedensbewegung nichts anderes mehr übrig bleibt als der Wunsch nach einer SPD Regierung. Kritik, wie sie sich nach Gewerkschaftsauffassung gehört, kommt dennoch nicht zu kurz; sie ist bei ihr bestens aufgehoben. Neben der Zustimmung zu Rüstungs- und Sparhaushalten, neben der Mitbestimmung über die billigen Leistungen deutscher Wertarbeiter und neben der Mitwirkung bei (nicht nur) deutscher Rüstungsproduktion und (nicht nur) ihren Exporterfolgen gibt sie zum Besten, was sie sich besser wünschen könnte. Sie verkündet

Ideale menschenfreundlicher Politik und Wirtschaft

"Waffen statt Nahrung, das vergrößert das Elend der Ärmsten der Armen noch mehr..."

"...glücklicherweise kann die endgültige Bestimmung und der Gebrauch von Waffen nicht vorhergesehen werden... Die bundesdeutsche Rüitungsindustrie befindet sich in einem 'Teufelskreis'... Die Rüstungsbranche steuert einer krisenhaften Entwicklung entgegen... Die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie können nur sicherer werden, wenn statt Waffen für den Tod mehr Produkte für das Leben hergestellt werden." (Gewerkschafter 9/84)

Ausgerechnet den Verantwortlichen für Staat und Wirtschaft, den Herren der Rüstung und den Profiteuren der Rüstungsproduktion soll eine alternative Wirtschafts- und Außenpolitik in ihrem ureigensten und im Arbeiterinteresse schmackhaft gemacht und. die Möglichkeit - "Die Umstellung ist möglich " - solch menschenfreundlicher Wandlungen vor Augen geführt werden. Und weil Gewerkschaftsfunktionäre berufsmäßig noch jeden Scheiß in die Gewerkschaftswährung 'Arbeitsplätze' umrechnen, fühlen sie sich zu dem Extra-Beweis herausgefordert, daß ihre Friedenspropaganda ausnahmsweise keine Arbeitsplätze gefährdet. So teilt die Gewerkschaft selbst hier noch die Idiotie, jede Produktion diene dem Beschäftigten, den sie mit einem Arbeitsplatz ausstatte, und die Abschaffung der Waffenherstellung sei ausgerechnet deshalb gar nicht so einfach. Wer freilich staatsdienliche und wirtschaftsförderliche Arbeitsplätze anpreisen will, der akzeptiert längst, daß Rüstung ein Geschäft und Staatsanliegen par excellence ist. Der läßt auch keinen Zweifel daran, daß seine Alternativen ein bloßer propagandistischer Moralismus sind. Das Nebeneinander von gewerkschaftlicher Friedenspropaganda, mit der dieser Verein sich als kritisches nationales Gewissen profiliert, und von konstruktiver Mitbestimmung der Betriebsräte in Rüstungsbetrieben gehört daher zu den Eigenheiten dieser Friedensmannschaft. So gehen staatliche Rüstungsaufträge, Rationalisierungen in der Rüstungsindustrie, deutsche Außenpolitik und Waffenexporte reibungslos über die Bühne.

Zum Lob der Gewerkschaft und zur Befriedigung aller kritischen Gemüter aber zelebriert der DGB

Einmal jährlich öffentliche Friedensliebe

1. September 1983:"Antikriegstag des DGB. Nie wieder Krieg! Abrüstung ist das Gebot der Stunde!"

1. September 1984: "Antikriegstag des DGB. Nie wieder Krieg! Abrüsten statt Aufrüsten."

1. September 1985: "Antikriegstag des DGB. Nie wieder Krieg! Rüstet endlich ab!" "Gewaltfrei für die Sicherung des Friedens". Hauptredner: Willy Brandt.

Im 'Nachrüstungs'- und Friedensdiskussionsjahr 1983 hat sich die älteste deutsche Friedensbewegung gegen die Demonstrationen der jüngeren Konkurrenz zusätzlich "Fünf Mahnminuten für den Frieden am 5. Oktober" unter dem Motto: "Es ist fünf vor Zwölf" einfallen lassen - als Mahnung an die Regierung, ihre Sache auch ja gut zu machen, und als Absage an die Debatte über Generalstreik und Widerstandsrecht. Fünf zusätzliche Schweigeminuten zu dem traditionellen Versprechen, daß deutsche Arbeiter unter gewerkschäftlicher Obhut garantiert das ganze Jahr über die Schnauze und sozialen Frieden halten. Auch und gerade dann, wenn es um die letzten und härtesten Zwecke freiheitlicher Politik geht.