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Parteitag der Grünen
WAHLERFOLG VERPFLICHTET
Das meinen jedenfalls die Grünen und eine Öffentlichkeit, die teilnahmsvoll bis hämisch die Nöte bespricht, die dieser Partei aus den 5-15% Wählerstimmen erwachsen. Der Parteitag in Hamburg - genossen und kommentiert wie die öffentlichen Selbstdarstellungsveranstaltungen der immer schon anerkannten Parteien - hatte nur ein Thema: Welche Strategie soll die Partei nach ihren Wahlerfolgen einschlagen - um diese Erfolge zu sichern. Wahrhaftig kein übermäßig grünes oder alternatives Problem!
Ein allseits akzeptiertes Schlagwort machte dabei die Runde,
Das Schlagwort von den "Grünen Inhalten"
die es in die politische Landschaft der BRD "einzubringen" gelte. Kennt man das nicht? Von der FDP zum Beispiel, die noch bei jeder Regierungskoalitioin seit Jahrzehnten das "liberale Element" in Bonn sichert. Von der SPD zum Beispiel, die regiert, mitregiert und opponiert unter dem Firmenschild "Bewahrung sozialdemokratischer Grundlagen". Von den Christpolitikern, die von Hamburg bis München ihre "christlichen Grundwerte" gegen drohende "sozialistische Tendenzen" verteidigen - wenn's sein muß auch mit der SPD. Wer kennt nicht die Elementartugend demokratischer Parteien, sich bei der Anwartschaft auf Wähler und Parlamentssitze mit den anerkannten Titeln und heiligen Werten Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Fortschritt, Freiheit, Heimat... zu schmücken und den Mitstreitern, Gegnern und späteren Koalitionspartnern selbige abzustreiten. Und wahrhaftig: Anerkannt mit gewissen Markenzeichen ihrer Politik sind die Grünen längst. So sehr, daß inzwischen jede Partei "grüne Inhalte " ihr eigen nennt und sich für deren besten, radikalsten, besonnensten, erfolgreichsten Anwalt ausgibt. Wer schützt nicht die Umwelt, rettet den Wald, kann keinem Tier etwas zuleide tun, denkt ans Überleben der künftigen Generationen, sichert den Frieden...?
Freilich hat das noch keine regierende Partei dazu bewogen, auch nur ein Jota von ihrem Kurs abzurücken. Nicht einmal die Titel, unter denen Startbahn West und Atomkraft, Wirtschaftsförderung und Gesundheitspolitik, Rationalisierungssubventionen und Einsparungen am sozialen Netz firmieren, haben sich groß ändern müssen. Was jetzt "grün" heißt, gehörte schon längst zu den gängigen Firmenschildern ordentlicher Politik.
Nur eine Partei hat sich bemüßigt gefühlt, die Frage aufzuwerfen, ob die Verankerung grüner Ehrentitel für politische Verantwortung im öffentlichen Bewußtsein nicht weitere Konsequenzen haben müßte. Die Grünen selbst. In Frage gestellt haben sie i n Gedanken die offizielle Politik - praktisch allerdings einzig und allein sich selbst und ihr Programm. Sie haben sich auf dem Hamburger Parteitag, alternativ wie eh und je, die heiße Frage vorgelegt, ob die bisherige Ausrichtung der Partei und ihr unverwechselbarer programmatischer Idealismus nicht inzwischen ein Hindemis für weitere Erfolge sei, oder ob nicht umgekehrt gerade das programmatische Beharren darauf, daß ihre Politik etwas ganz Besonderes sei; gegen alle anderen Parteien einschließlich der SPD beim Wähler Eindruck macht und nicht aufs Spiel gesetzt werden darf.
Eigentlich nichts Neues
Dieses taktische Verhältnis zur eigenen Politik und ihren Idealen ist nicht neu. Es war der Ausgangspunkt bei der Entscheidung, als Partei anzutreten und sich wählen zu lassen, um in den Parlamenten mitzuentscheiden - kurz: um an der Politik teilzunehmen, soweit man dazu prozentmäßig betraut wird. Da stoßen nicht jetzt plötzlich idealistische Politikverbessere auf die von allen Seiten gegen sie ins Feld geführten harten Realitäten politischer Praxis. Wie man es mit der SPD halten, ob man sie in die Regierungsverantwortwng hieven solle, so man könne, was dann aus der Opposition gegen den NATO-Doppelbeschluß, gegen Atomkraft und Startbahn West werde - solche aparten Gewissensprobleme und Richtungsstreitigkeiten wälzen die Politikbewegten werbewirksam seit der Bundestagswahl '83, seit den Zeiten eines 'Raketenkanzlers' Schmidt also, da sie noch ganz als unverbrauchte Alternative von ehrlichen Amateurpolitikern mit sachverständigem Unter- und idealistischtm Überbau gehandelt und gewählt wurden.
Nicht einmal das Problem, wieviel vom eigenen Programm man in aller Öffentlichkeit zur bloßen Makulatur, zum bloßen Aushängeschild für die unverwechselbare Einzigartigkeit grüner Unterstützung einer SPD-Regierung erklären müsse, ist jetzt erst aufgekommen. Die Zusammenarbeit in Hessen hat schließlich inzwischen schon ein erstes vorläufiges Ende gefunden - und das erklärtermaßen nicht wegen Börners Taten, nicht wegen Flugplatz, Hoechst-Schmwtz, mageren Bildungs- und Sozialposten; nicht wegen Nukem und Alkem, die auch Grüne der Bundeskompetenz zuschlagen; sondern allein, weil sich die SPD-Regierung geweigert hat, aus diesem Anlaß demonstrativ ihre energiepolitischen Programmgrundsätze für überprüfungswürdig zu erklären. Das Taktieren mit "Essentials" des eigenen Programms, das Mauscheln in Parlament und Partei, die Unterscheidung zwischen Wahlversprechen und Alltagsarbeit in den Entscheidungsgremien haben die von der Macht angeblich so abgestoßenen grünen Politiker längst gelernt - so sie es überhaupt erst lernen mußten.
Neu ist es also wirklich nicht, wenn der grüne Alternatiwerein sich selbstkritisch
Die Frage nach der politischen Verantwortung
angesichts erfolgreich bestandener Wahlen stellt. Und schiefgehen konnte bei den in Hamburg vorgetragenen Alternativen eigentlich auch kaum etwas.
"Sind wir nicht zu radikal?"
fragten die sogenannten "Realos". Ist zuviel grüner Dogmatismus nicht ein einziges Hindernis, um erfolgreich ins parlamentarische Geschehen einzugreifen? Keine Angst! Wer die eigenen Alternativen so selbstkritisch in Frage stellt, gehört sicher nicht zu den Radikalen im Lande. Der hat den 'Sachzwang' verantwortlicher Opposition längst gefressen: Mitregieren, wo man kann und wo's nottut. Der braucht auch nicht an Parteifreunden zu verzweifeln, mit denen man ganz konstruktiv darüber streiten kann, ob man nun offiziell, stillschweigend oder unter Protest die SPD an die Regierung bringt oder zu einer großen oder sonstigen Koalition von CDU/FDP/SPD die demonstrative Opposition macht. Schily, Fischer und Co. teilen das fundamentalistische Interesse an "Glaubwürdigkeit" und "Politikfähigkeit" der Partei vor ihren Wählern; deswegen heißt ihr Rezept 'Mitmachen'. Die Verträglichkeit mit der SPD gegen die jetzige Regierung demonstrieren: Das bringt mindestens ebensoviel moralischen Kredit wie es Prinzipientreue kostet. Der Wähler verlangt es einfach:
"Die Wähler, die nicht über das Klassenbewußtsein eines Thomas Ebermann verfügen, würden sonst " (wenn die Grünen nicht "Verantwortung " übernehmen) "Lafontaine wählen, und die 20.000 Hoechst-Arbeiter, denen Bahro ihren (!) Chemie-Müll ins Tor zurück stecken will, würden ihm den doch um die Ohren schlagen." (Joschka Fischer)
Erfolgreich Dabeisein ist schließlich das Fundamentalgesetz politischer Moral.
"Sind wir nicht zu anpaßlerisch?"
fragen die "Fundis" zurück. "Müssen wir nicht für unsere Glaubwürdigkeit unserem Dogma von der Verführungskunst der Macht treu bleiben und uns gerade von der SPD gebührend absetzen?" Auch dieser Flügel braucht sich keine übermäßigen Sorgen zu machen. Allein durch dies aparte Problem unterscheiden sich die Grünen doch gebührend von den 'etablierten' Parteien. Im übrigen ist den Fans einer Fundamentalopposition ihre Prinzipienfestigkeit auch nur deshalb eingefallen, weil sie unzufrieden damit sind, daß man sich für eine SPD-Mannschaft verschleißen könnte, die selber von gar nichts abrückt, ihren grünen Förderkreis aber dabei laufend schlecht aussehen läßt.
"Sie (die SPD-Politiker) werden Euch in ihrer freundlichen Umarmung ersticken." (eine Delegierte)
Dieser Gefahr beugen sie - sehr realistisch und ganz parlamentarisch - vor, wenn sie nun den Verdacht in die Welt hinausposaunen, womöglich wären sie selbst der parlamentarischen Taktiererei schon zu sehr verfallen.
Der salomonische Kompromiß,
den die streitenden Parteigenossen in Hamburg geschlossen haben, So faul er beiden Seiten erscheinen mag oder nicht, ist deshalb eins auf alle Fälle: konsequent und ganz auf der taktischen Linie. Überall dort, wo man sich von Zusammenarbeit mit der SPD Parteierfolge ausrechnet, die SPD unterstützen; überall dort, wo man besser auf Abgrenzung setzt, sich von ihr abgrenzen. Das mag zwar manchen widersprüchlich und zumindest unentschieden erscheinen. Aber die Macher der Partei, die ihren Kritikern am liebsten mit der Frage kommen, was die denn eigentlich "konkret" wollten, rechnen sich und ihren potentiellen Wählern gerade diese Unentschiedenheit als Vorzug vor: So geht es eben zu in einem lebendigen, diskussionsfreudigen, undogmatischen Polithaufen! Einerseits äußert sich der Stolz politisch Etablierter, wenn der 'rechtsgemäßigte' "Fundi" Trampert das Grundproblem der Grünen so formuliert:
"Vor zwei Jahren waren wir noch 'Spinner', 'Chaoten', 'Molukker', aber das hielt unser Wachstum nicht auf. Heute wollen alle von uns regiert werden."
Andererseits weiß der 'linksextreme' "Realo" Jo Müller zu schätzen, was man an den fundamentalen Debatten hat:
"Nur dieses Gemisch macht uns doch wirklich attraktiv."
Das Problem: Die Konkurrenz schläft nicht!
So einig sie sich sind: Täuschen tun sie sich beide - was das Regieren und die wirkliche Attraktivität angeht. Gerade weil sie so alternativ darauf aus sind. Denn wenn sie in den oberen Politiketagen mitmischen und dabei immer und überall die bessere politische Moral präsentieren; wenn sie im Namen einer Antiatompolitik in Hessen mit der SPD bündeln; wenn sie im Saarland im Zweifelsfall Lafontaine bei der "Drecksarbeit" behilflich sind (in welchem Dreckhaufen eigentlich?) und zugleich Gewissen demonstrieren; wenn sie in Bonn sämtliche Werte der Wende einklagen und ewig das rechte demokratische Bemühen um bürgernahe Politik vermissen; wenn sie sich immer und überall um das oppositionelle Image ihrer Partei besorgen - dann füllen sie genau den Rahmen aus, den ihnen die anderen Parteien vorgeben: Eventuell den Mehrheitsmacher zu spielen. Und wenn sie den nicht spielen, dann erweisen sich ihre Wahlprozente sehr rasch als reichlich belanglos - gemessen an den taktischen Künsten eines Börner oder der FDP. Ansonsten dürfen sie sich an sämtlichen gültigen Werten der Politik abarbeiten, die da heißen: Regierungsfähigkeit, gute parlamentarische Sitten, gekonnte parteipolitische Berechnung und persönlicher Karrieresachverstand.
Die berühmten "grünen Inhalte"
gehen darüber keineswegs vor die Hunde. Ihre Sachwalter werden schon wissen, was ihre Vereinsfarbe fordert. Offenbar sind sie gar nichts anderes wert, als den parlamentarisch-demokratischen Geschäften einer immer normaleren Partei zum Aushängeschild und Werbemittel zu dienen.