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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1985 erschienen.
Die Sache und ihr Verstand
ÜBERFLÜSSIGE RATSCHLÄGE FÜR NOCH BESSERE AUSBEUTUNG
Armut und Reichtum bedeuten in einer "Marktwirtschaft" wie der bundesdeutschen nicht einfach Unterschiede im Maß der Genüsse, die sich einer leisten kann. Solche Unterschiede beruhen auf eine Gegensatz in der Art und Weise, Geld zu verdienen und zu verwenden; einem Gegensatz, der die Differenz in den Summen, über die jeweils verfügt wird, ganz von selbst hervorbringt.
Allen maßgeblichen Machern "unserer Marktwirtschaft" und ihren sachverständigen Beratern ist diese Wahrheit, jenseits aller Verteilungs- und Gerechtigkeitsideologien, geläufig und selbstverständlich. Die Könnerschaft der einen, der Sachverstand der andern besteht ja in gar nichts anderem als der Bomiertheit und dem Erfolg, mit dem sie sich in Theorie und Praxis auf der maßgeblichen Seite besagten Gegensatzes betätigen.
Das jüngste Beispiel aus den Gefilden der "marktwirtschaftlichen" Theorie hat soeben der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" mit seinem
"Jahreswirtschaftsbericht '85"
geliefert (die folgenden Zitate aus der Kurzfassung). Es handelt sich da um ein Dokument hemmungslosen Blödsinns, weil die Parteinahme für Kehl und das bundesdeutsche Kapital als fortwährendes "Hurra!" vorgetragen wird.
In diesem Sinne geben die "Weisen" erstens solidarische Ratschläge an die Praktiker des kapitalistischen Geschäftslebens; Empfehlungen, die alle ungefähr ven folgendem Kaliber sind:
"Wer im Wettbewerb mithalten will, darf nicht auf die Gunst der Stunde warten, welche die Auftragsbücher füllt. Der größere Teil der Unternehmen... hat erkannt, daß sich Märkte nur mit eigenen Anstrengungen halten und ausbauen lassen. Der hohe Dollarkurs ist sicher zum Glücksfall für manches Unternehmen geworden. Bewahren lassen sich die Gewinne aus dem Export freilich nur, wenn sie alsbald in neue Produkte und neue Fertigungsverfahren investiert werden und so für festen Stand sorgen, wenn der Wind des internationalen Wettbewerbs wieder steifer weht." (Punkt 31)
Die Empfehlung hätte des geneigten Lesers Oma auch noch hingekriegt, mögen manche meinen. Na und? Was hat man sich von zufriedenen Sachverständigen des Geschäftemachens denn anderes erwartet:
Zweitens reimt der "Rat" aber, und das erfordert durchaus wissenschaftliche Ausbildung, wirklich alles und jedes auf den Refrain "Löhne runter!" - sachverständig ausgedrückt: "Zurückhaltende Lohnpolitik". Als wäre da ein Mißverständnis möglich, definiert das Gremium:
"Zurückhaltende Lohnpolitik heißt, hinter solchen (kosten-) neutralen Lohnsteigerungen zurückbleiben, um mehr Produktion und Beschäftigung rentabel werden zu lassen. Sie ist also allemal auf eine geringe Steigerung der Reallöhne eingestellt, unter Umständen auch auf die Möglichkeit, daß die Reallöhne nicht steigen, in schwierigen Situationen sogar darauf, daß sie sinken."
Auf diese schöne Reallohnsteigerung von "allemal" über "unter Umständen" zu "sogar" folgt ein Dementi, da mit der Dialektik von "nicht" und "nicht allgemein" die Kurve kriegt:
"Entgegenzutreten ist daher abermals dem Mißverständnis, daß zurückhaltende Lohnpolitik ihrem Wesen nach vor allem darauf abziele, eine auf Dauer angelegte Umverteilung von den Lohneinkommen zu den Gewinneinkommen zustande zu bringen. Das trifft nicht zu" - da haben sie recht, wissen aber gar nicht, warum! -, "jedenfalls nicht in dieser Allgemeinheit. Über die Höhe der Gewinne, zumal der dauerhaften, wird im Wettbewerb entschieden." Und dabei haben Lohnsenkungen ihre Rolle zu spielen, nicht so, daß die Unternehmer ein paar Kröten von ihren Lohnarbeitern noch mit auf den Kopf hauen dürften! "Lohnpolitik bei Unterbeschäftigung soll darauf abzielen, daß mehr Unternehmen, mehr Betriebe, mehr Betriebsabteilungen erwarten (?), mit mehr oder neuer Produktion auf ihre Kosten zu kommen (!)". (aus Punkt 52)
Selbstverständlich hat dieser Refrain sein stereotypes Seitenthema; die "Sorge um die Arbeitslosigkeit". Über deren Grund, Zweck und "Bewältigung" - ein nennenswertes Sinken prognostizieren die "Weisen" nicht - ist mit den ständigen Aufrufen zur Lohnsenkung schon alles gesagt; eben deswegen darf ihre Erwähnung nirgends fehlen. Natürlich wäre der Sachverständigenrat weder sachlich noch verständig, ginge er in seinen Ratschlägen nicht davon aus, daß es sich bei der Arbeitslosigkeit nicht um ein wirkliches, ökonomisches Problem handelt, sondern um eine moralische Anfrage aus dem Reich der höheren Werte. So gelingt ihm folgende lyrische Sumpfblüte zum Thema:
"Über der Erinnerung an die unguten Nebenfolgen einer Zeit anhaltender Übernachfrage am Arbeitsmarkt wird leicht vergessen, welchen Gewinn die Zeit eines hohen Beschäftigungsstandes gebracht hat, weit über das Wirtschaftliche hinaus, Gewinn an Unabhängigkeit der Menschen, an Oberwindung von Existenzangst, an Ansehen und Würde der Arbeitnehmer in den wirtschaftlichen Beziehungen, an Zustimmung zu der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung, in der wir leben." Hier muß der DGB-Mann im Rat sich ausgeschwafelt haben! "Der Sachverständigenrat hat in einem früheren Gutachten einmal davon gesprochen, daß die Gesellschaft den Test ihrer Reife auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt, wenn sie sich nicht zutraut, das Ziel eines ohen Bechäftigungsstandei wirklich ernst zu nehen, etwa weil es auch Probleme gibt, mit denen ohne hohen Beschäftigungsstand leichter fertig zu werden ist (!!). Er sieht auch unter stark erschwerten Bedingungen seinen Auftrag weiterhin darin, solcher Einstellung entgegenzuwirken." (aus Punkt 46)
Auf sein Anliegen Nummer Drei braucht der Rat der Weisen nicht erst hinzuwirken; er braucht nur in empfehlende Worte zu fassen, was "die WVirtschaft" ohnehin längst tut, nämlich rationalisieren, was das Zeug hält - so daß massenhaft Leute überflüssig werden. Aber wie schön er's in WVorte faßt:
"Gegen Resignation
Wir haben uns den Handlungsmöglichkeiten zuzuwenden. Auch wer eine Senkung des Kostenniveaus in der Volkswirtschaft nicht als eine hinreichende Bedingung für einen hohen Beschäftigungsstand ansieht, braucht nicht zu bezweifeln, daß sie sehr wichtig ist." Stimmt; braucht er wirklich nicht. "Hauptmöglichkeit für Kostensenkungen ist die Steigerung der Ergiebigkeit menschlicher Arbeit, die Steigerung der Produktivität."
Zitieren wir zu Ende; dann haben wir gleich den vierten Hauptpunkt des marktwvirtschaftlichen Sachverstands vor uns:
"Nicht zu vernachlässigen ist daneben die Möglichkeit einer Senkung der Kosten der Staatstätigkeit einschließlich der Kosten der Beschaffung der Mittel hierfür durch öffentliche Abgabenregelungen." (Punkt 51)
Im Klartext: Die Steuern runter, die die Firmen als Kosten verbuchen. Schließlich hat der Staat mit seinen Einnahmen wie mit seinen Ausgaben der Ertragskraft und dem Wachstum seiner Privatunternehmen zu dienen und darf nicht mit seinem Dienst dafür zugleich Behinderungen schaffen.
Fertig ist der idyllische Klassenstaat - fehlt nur noch
Der imperialistische Ausblick
Und da findet der Sachverständigenrat schließlich doch noch ein langes, ekelhaftes Haar in der sonst so vortrefflichen Suppe. Der Anbetung des US-amerikanischen "Modells" -
"..., insbesondere der kraftvolle Aufschwung in den Vereinigten Staaten hat der Welt neuen Mut gegeben" ( aus Punkt 2 ) -
folgt der Ärger über den überlegenen Konkurrenten:
"Es gehört zum berechtigten Teil der verbreiteten Klagen über die Vereinigten Staaten, daß sie, obwohl (?) Führungsmacht, eine Wirtschaftspolitik treiben, die wegen ihrer Defizitfolgen bei den Staatshaushalten nicht verallgemeinerungsfähig (ach so!) ist." (aus Punkt 60);
und weil sich gegen den nichts machen und empfehlen läßt, ziehen ersatzweise unschuldige Finanzmagnaten den Zorn der Weisen auf sich:
"Hingegen ist es nicht in Ordnung, daß desorientierte (1.) Kapitalanleger mit ihren Anlageentscheidungen Wechselkurse erzeugen, die nur sie selbst - in ihrer Desorientiertheit (1.) - noch angemessen bzw. akzeptabel finden, die aber zugleich Daten setzen für den Handelsverkehr, mit dem die Desorientiertheit (3.) der Kapitalanleger voll auf Exporteure und Importeure durchwirkt, ... mit der Folge einer Desorientierung (4.) bei Investitionsentscheidungen, die sich an erwartete Export- und Importbedingungen knüpfen und knüpfen sollen." (aus Punkt 68)
Ernstlich anrufen mögen die Sachverständigen den Staatskommissar gegen doppelt und dreifach desorientierte, sprich: antinationale Finanzkapitalisten - man hört förmlich den DGB die Feder führen! - aber doch nicht. Ihr Heilmittel gegen alle Übel dieser Welt, auch das ausländisch-vaterlandsvergessene Finanzkapital, fassen sie im letzten Punkt (88 - "Für dynamischen Wettbewerb") zusammen. Und dort im letzten Satz, der bloß deswegen (deswegen aber auch überhaupt) nicht lächerlich ist, weil die geballte Wucht des bundesdeutschen Klassenstaats dahintersteckt:
"Es ist mehr als Anpassung erforderlich. Wir müssen Wettbewerbsvorsprung gewinnen."
Anzupassen haben sich gefälligst die anderen, die Amis ein bißchen ausgenommen. An wessen Wesen soll die Welt genesen?!