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Die bundesdeutsche Presse erklärt:
Nicaragua frei zum Anschuß!
Die Sandinisten haben die Kampfansage der USA verdient; Nicaragua ist ein untragbares Problem, das früher oder später gelöst werden muß und wird. So hallt es durch den bundesdeutschen Blätterwald. Von "Bild" über "Frankfurter Allgemeine Zeitung " bis hin zur "Frankfurter Rundschau", zum "Spiegel" und selbst zur "taz" - alle kennen sie sich aus, wenn es um gute oder schlechte, auf jeden Fall aber verständliche Gründe für die Erledigung Nicaraguas durch die amerikanische Weltmacht geht.
Bild
verfährt streng nach dem Motto: Steht nur die Botschaft fest, werden sich die Fakten schon (er)finden lassen:
"Seit dem Sturz des Diktators Somoza 1979 bauten sie (die Sandinisten) eine linksextreme Kaderpartei auf, die weder vor Folter noch vor Mord zurückschreckt. Und während 2,9 Millionen Nicaraguaner in ihrem 130.000 qm großen Land hungern, leben die neuen Comandantes in Saus und Braus." (10.11.)
"Sie sind in die Paläste der früheren Herren eingezogen, fahren in deren Autos, schlafen in denselben Betten, genießen die gleichen Privilegien. Dem Volk aber geht es dreckiger denn je." (4.11.)
Nur gut, daß "Bild" mit dem Stichwort "linksextreme Kaderpartei" Orientierungshilfe bietet. Sonst könnte man glatt auf die Idee kommen, hier sei mit dem Hinweis auf Mord und Folter vielleicht "unser NATO-Partner" Türkei gemeint oder es solle gar einem Reagan sein letztes Festbankett wegen der Hungernden in Detroit vorgerechnet werden. Nein, auch an die Personenwechsel in den demokratischen oder befreundeten diktatorischen Regierungspalästen kann niemand denken.
Hier geht es um ein feindliches Regime, das weggehört. Und das beweist doch wohl, daß dort gefoltert, unterdrückt, gemordet und auf Kosten des Volkes gepraßt wird, oder! Die sandinistische Regierung muß schließlich ein leibhaftiger Volksfeind sein, sonst könnte man das Zuschlagen des Westens ja nicht als Antwort auf die Sehnsucht des Volkes nach Befreiung verstehen:
"Armes, betrogenes, belogenes, hintergangenes Volk von Nicaragua" (4.11.),
bricht es da aus dem Reporter hervor. "Bild am Sonntag" verabscheut bekanntlich ja nichts so sehr wie Politikerprivilegien und Sparbeschlüsse fürs Volk und ist bekanntlich ja schon immer brennend an einer ehrlichen Beseitigung sämtlicher Somozas interessiert. Und wie "Bild" hineingerufen hat, so tönt es aus dem nicaraguanischen Volk heraus:
"'Wenn die Amerikaner nur schon endlich kämen!' sagte mir eine Nicaraguanerin... Auf lange Sicht... wird den Amerikanern gar nichts anderes übrig bleiben als zu intervenieren. Denn ein zweites Cuba können sich die USA in dieser Gegend nicht leisten." (4.11.)
So erfährt man - wie aus dem Munde Reagans selbst - zuguterletzt also noch den wahren Grund für das volksfreundliche Geheuchel: Das NATO-Interesse duldet kein Nicaragua.
Die
Frankfurter Allgemeine
kommt auf umgekehrtem Wege zum selben Ergebnis. Das Schlimme am Sandinismus ist, daß er glatt das Volk auf seiner Seite hat:
"Es ist gelungen, an einem der heikelsten Punkte der Welt ein revolutionäres Regime zu etablieren, das sich zumindest eine gewisse populäre Basis geschaffen hat." (6.11.)
Eine Mehrheit für eine revolutionäre Regierung - was ist denn da los? Muß der Westen bei einer etwaigen 'Befreiungsaktion' da gar Rücksicht nehmen, auch auf die Gemüter seiner eigenen Untertanen?
Nein, denn das amerikanische Regime ist noch viel 'populärer':
Die Mischung von demokratischem Sendungsbewußtsein und klassischer 'projection of power', mag sie auch nicht nach unserem Geschmack sein, hat sich nicht nur bewährt, sie findet auch die Zustimmung der Mehrheit des nordamerikanischen Volkes." (5.11.)
Das "Problem" verdient eine Lösung. Einerseits ist die Zustimmung in Nicaragua so sicher gar nicht. Ein so erklärter Gegner von Hunger und Diktatur wie die FAZ findet deshalb auch die Gewährsleute für die wahre Stimmung im Volk Nicaraguas:
"'Unter dem Diktator Somoza hatten wir wenigstens genug zu essen', sagen Gesprächspartner aus allen sozialen Schichten. 'Jetzt erleiden wir eine neue Diktatur und müssen außerdem hungern'." (13.11.)
Bekanntlich helfen die Contras und ihre CIA-Hintermänner dem Volk unermüdlich bei der Kaffeernte, an der sie ihre neuen Herren immer hindern wollen. Andererseits sind sie auch in der Verführung des Volkes sehr hinterhältig vorgegangen, die Kommunisten, und wollen uns mit Zugeständnissen und unkommunistischen Eigenarten Sand in die Augen streuen. Da sei die FAZ vor:
"Zum Beispiel ist... die Beteiligung eines Teils des Klerus und der gläubigen Katholiken ein besonders schlauer Zug." (6.11.)
Beten, sich auf christliche Moral und Nächstenliebe berufen und sich den Segen der Kirche geben lassen, das steht nur den USA-Führern zu. Da kennt die FAZ ihren Papst.
"Nicaragua wird äußerlich anpasslerisch sein wie ein Chamäleon... Aber es wird an seinem eigentlichen Ziel festhalten und... auch seine hintergründige Hauptaufgabe erfüllen: einen Keil zwischen Europa und die amerikanische Schutzmacht zu treiben." (6.11.)
Auf gut Deutsch: Egal, was die Sandinisten machen, sie sind verurteilt. Ein deutsches Weltblatt läßt aber auch kein bißchen Distanz zum Gewaltprogramm der Führungsmacht aufkommen, sondern entdeckt den Feind überall mit.
Die Beseitigung des Sandinismus tut not! hetzt die FAZ vielstimmig: Erstens ist die Invasionsdrohung der USA und der von ihnen angeheizte Guerillakrieg eine reine Erfindung seiner Opfer, die sich bemühen,
"eine Kriegsatmosphäre aufrechtzuerhalten, die die Bevölkerung zur Loyalität anhalten und ausländische Sympathisanten beeindrucken soll." (14.11.)
Zweitens spekulieren sie längst darauf, abgeschlachtet zu werden, weil sie, "sich ein amerikanisches Eingreifen sogar wünschen könnten, um als 'Helden im Kampf Lateinamerikas gegen den Imperialismus' in die Geschichte einzugehen." (15.11.)
Drittens, damit sich keiner täuscht, noch einmal im Klartext:
"Für die Amerikaner gibt es keine andere Wahl, als mit irgendeinem Mittel zu verhindern, daß das Nachbarland zum Panamakanal zu einer sowjetischen Dependance wird." (15.11.)
Man erinnere sich, wie verständnisvoll die FAZ dem russischen Einmarsch in Afghanistan gegenüberstand: 'Den Russen blieb einfach keine andere Wahl, als zu verhindern, daß ihr Nachbarland Afghanistan zu einer US-Dependance wird'!
Die
Süddeutsche Zeitung
hat auch begriffen, daß Reagan sich selbst durch seine Gewalt gegen die Sandinisten zur Eskalation gezwungen sieht. Verteidigen sich die doch glatt!
"...werden sie (die Russen) sich gezwungen fühlen, die Lieferung von Defensivwaffen zu verstärken. Reagan würde nichts anderes übrigbleiben, als den Druck weiter zu steigern - und damit die Abneigung gegen seine Politik..." ( 13.11.)
Viel Angst vor der liberalen Weltöffentlichkeit braucht Reagan nicht zu haben. Die begrüßt nämlich jede Gewalt bis zur Invasion als Friedenspolitik gegen kommunistische Gewalt:
"Für seinen legitimen Wunsch, ein zweites Cuba oder die Gewaltanwendung in Mittelamerika zu vermeiden, kann Washington nur auf Unterstützung rechnen, wenn es selbst nach einer friedlichen Lösung sucht." (13.11.)
Und wenn sich trotz SZ-HiIfe wieder einmal nur die Lösung finden läßt, daß der Frieden gestiftet werden muß, dann weiß das Weltblatt mit Herz fürs nicaraguanische Volk jetzt schon den Grund: In diesem Lande ist manches faul.
"Statt demokratische Vielfalt zu ermöglichen, verstärkt das Regime die Gefahr eines Bürgerkriegs... 'Ich muß im staatlichen Supermarkt oder auf dem schwarzen Markt kaufen, und dazu reicht der Lohn einfach nicht', klagt eine Arbeiterin der Stadtreinigung, die im Park neben den schwerbewachten Villen der Comandantes, der sandinistischen Parteiführer, die Blätter zusammenkehrt..." (2.11.)
Die neuen Herren sind schuld, wenn ihr Volk ausgehungert und mit 'Bürgerkrieg' überzogen wird. Siehe "Bild" und FAZ!
Der Spiegel
sieht das haargenau so. Nur macht er den Sandinismus lieber "aus der Sicht der sandinistischen Revolution" fertig. Vor ihren eigenen Zielen sollen sich die Regierenden in Nicaragua hoffnungslos blamiert haben:
"Die Revolutionswirtschaft im sechsten Jahr - das ist Bchlamperei, Desorganisation, Devisenmangel... Uniformierte Sandinisten, die sich mit US-Zigaretten oder Whisky eindecken, gehören zum Bild: Auch die Revolution hat bereits eine neue Klasse... Das Land befindet sich fünf Jahre nach der Revolution und dem Sturz Somozas am Rande des Zusammenbruchs. Zumal der Krieg gegen die Contras im Lande und die ständige Angst vor einer Invasion amerikanischer Truppen die Wirtschaft und Politik des Landes lähmen." (29.10)
Nichts klappt in ihrem Plan, wie der "Spiegel" - bekanntlich heißer Fan einer sozialistischen Planwirtschaft - bemängeln muß. Und rastloser Kämpfer für eine 'klassenlose Gesellschaft', der der "Spiegel" nun mal ist, stört ihn an den Sandinisten natürlich furchtbar, daß sie eine 'neue Klasse' haben - eine Klasse von Rauchern! Die trinken auch noch Whisky - welch schreiender Widerspruch zum Ziel, den Schlächter Somoza abzuschaffen!
Daß Nicaragua mit Wirtschaftsboykott und Krieg systematisch ruiniert wird, spricht dem "Spiegel" zufolge also nicht einfach gegen die imperialistischen Macher. Nein, da sind die Betroffenen schon selbst schuld an ihrer schlechten Lage: Bei soviel Schlamperei und Korruption ist es doch kein Wunder, daß das Land einem Krieg nicht standhält. Kann so ein marodes Regime etwas anderes erwarten als sein baldiges Ende? Zumal sie doch damit rechnen müssen, daß die Amis mit ihrer Cowboy-Mentalität auch nicht den Augstein zum Präsidenten haben!
Die
Frankfurter Rundschau
mag in den politischen Ansprüchen der USA auf Lateinamerika gleich gar keinen Grund für das amerikanische Vorgehen entdecken. Nein, an dem sind die verständlichen Sorgen der USA als weltweit attraktiver Heimstatt für alle Opfer von Armut, Umsturz und Bürgerkrieg schuld:
"...jede Erichütterung dort (in Mittelamerika) äußert aich in Strömen von Flüchtlingen, die immer... in den USA enden. Eine Destabilisierung Zentralamerikas gibt den USA Schreckenavisionen... Aber natürlich kann die Regierung einer Supermacht nicht zum Kampf gegen Flüchtlinge aufrufen. Deswegen steigt der Elefant lieber auf den Stuhl und schreit und tritt gegen 'kommunistische Revolutionäre'. Das versteht jeder." (12.11.)
Das versteht auch die FR, die Amerika unter der Last der Ex-Somozisten und Contras, Exil-Kubaner und Schweinebucht-Invasoren, mexikanischer Saisonarbeiter und anderen Sub-Proletariats schier zusammenbrechen sieht.
Ein kritischer deutscher Beobachter der Weltpolitik leistet sich Zweifel am gewünschten Erfolg einer 'Invasion'. Er kennt nämlich bedenkliche Folgen:
"Die absehbare 'Eiszeit' zwischen den Weltmächten nach einer US-Intervention in Nicaragua würde ebenso den innerdeutschen Dialog erschweren oder gar zum Stillstand bringen." (13.11.)
"Abrüstung würde vollends aus dem Vokabular der beide. Großmächte verschwinden." (10.11.)
Und er kennt vor allem ihre Nutznießer, die nur auf einen westlichen Fehler lauern:
"Nutzen davon haben die Ideologen des 'real existierenden Sozialismus', die in kaltem Machtkalkül ihre Chance erkennen, im Vorgarten oder Hinterhof der westlichen Führungsmacht neben Kuba einen zweiten Brückenkopf einzurichten." (13.11.)
Als ob die USA ausgerechnet in ihrem auch von der "Rundschau" anerkannten 'Vorgarten' ihren Anspruch auf Uerfügung je mit guten Gründen, vornehmer Menschenachtung und materieller Überzeugungskraft und Achtung vor demokratischen Idealen durchgesetzt hätten!
Natürlich beherrscht die FR bei allen Fragen nach den besten Methoden demokratischer Weltherrschaft auch die 'realistische' Botschaft: Eine Weltmacht, die auf Sieg kalkuliert, scheut vor einer Invasion nie und nimmer zurück. Sie findet sogar gute Gründe: Invasion, um sich die Freiheit eines lässigen Kriegs aufrechtzuerhalten!
"Die Regierung in Managua irrt sich nicht, wenn sie eine bevorstehende US-Intervention befürchtet. Ein solches Landeunternehmen wäre aber für die USA kein Spaziergang, sobald Nicaragua über Migs und Flugzeugabwehrraketen verfügte. Dies macht die Lage jetzt so explosiv." (13.11.)
Auch in den kritischen Redaktionsstuben ist also die US-Botschaft angekommen: Verteidigungswaffen in Sandinistenhand sind untragbar!
Genau vierzehn Tage im November hielt die gekünstelte Aufregung über eine drohende Invasion die Kommentatoren auf Trab. Seitdem ist erst einmal wieder Ruhe. Denn jeder weiß Bescheid, kennt die westlichen Ansprüche und Rechnungen, kennt die Schuldigen und Feinde. Die freie Meinung steht bereit, über eine US-Invasion den Kopf zu schütteln und alle guten Gründe und Stilfragen wieder aufzuwärmen. Bis dahin wird der Fortgang der Zermürbung Nicaraguas mit lauter Gewaltmitteln unterhalb eines regelrechten Kriegs für ein Allerweltsvorgang gehalten, den man mit Routinemeldungen bedenkt.
die tageszeitung
möchte bei der Kritik Nicaraguas nicht abseits stehen:
"Einen der schwerwiegendsten Fehler in diesem Wahlkampf stellt der Mangel an bürgerlichen Freiheiten dar... Ein weiterer Fehler, der dem Image der Wahlen schwer geschadet hat, ist die Fortführung der Pressezensur." (3.11.84)
Wenn die TAZ sich bemüht, die Wahlen so darzustellen, daß ihrem Image auf jeden Fall geschadet wird, dann tut sie das natürlich nur, um Nicaragua zu helfen. Ach, hätten die Sandinisten den Contras doch mehr Freiheiten gewährt, dann hätten sie sich nicht "Sympathien verspielt"; dann hätte die TAZ nicht in die allgemeine Hetze mit einstimmen müssen! Klar, das braucht ein Bauer in Nicaragua: Wenn ihm die Contras sein Feld verwüstet und die Angehörigen ermordet haben, dann muß er unbedingt das Recht genießen, diese Mannschaft als respektable Opposition im Fernsehen bewundern zu dürfen! Andernfalls fällt es einem TAZler einfach schwer, etwas gegen den imperialistischen Krieg einzuwenden.
Man sieht: Auch das alternative Blatt der Nation versteht sich auf gleichgeschaltete Propaganda. Der nationaloppositionelle Denksport geht eben auch sehr einfach. Es gilt, den Anstand der Opfer genau zu überprüfen und nachzusehen, ob ein Staat, der sich den imperialistischen Abhängigkeiten entzieht, auch und gerade mitten im Krieg den imperialistischen Knigge einhält.