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In Genf soll wieder über Rüstungskontrolle gesprochen werden
NEUE VERHANDLUNGEN - WORÜBER UND WOZU?
Gerade ein Jahr ist er alt: Der Beschluß des Bundestages, endgültig Ernst zu machen mit dem "eurostrategischen Gleichgewicht" und die Stationierung amerikanischer Pershing II-Raketen und Cruise Missiles in der BRD in Angriff zu nehmen. Damals war das für die Sowjetunion das Signal, die Verhandlungen über "Rüstungsbegrenzung" abzubrechen.
Zum 1. Jahrestag gab es
Eine Erfolgsmeldung: "Die Russen verhandeln wieder!"
Der Kanzler strahlte aus allen Kanälen: Alle Befürchtungen über eine langdauernde "Vereisung" der "Ost-West-Beziehungen" wären widerlegt. Zweifel an der Verhandlungsbereitschaft der USA wären sowieso schon immer unzulässig; jetzt wären sie endgültig ins Unrecht gesetzt. Hartgesottene Christen, bis an die Zähne bewaffnet, würden von den Kommunisten in Moskau als Gesprächspartner immer noch eher respektiert als windelweiche Sozis. Die deutsche Presse gab ihrem Kanzler in unterschiedlichen Tonlagen recht: Wenig, aber immerhin - das Verhältnis zwischen den "Supermächten" "taut auf", "erwärmt sich", und wie die demokratische Bildersprache es immer schöngefärbt haben will. "Vorsichtiger Optimismus" ist angesagt.
Warum ? Sowjetunion und USA haben sich darauf geeinigt, ihre Außenminister Anfang Januar in Genf darüber verhandeln zu lassen, welche Unterabteilungen atomarer Aufrüstung zum Gegenstand künftiger Verhandlungen gemacht werden könnten. Die offiziell verordnete Erleichterung über diesen "ersten Fortschritt" - "Sie reden wieder miteinander!!" - ist reichlich kindisch. Sie ist auch dann verkehrt, wenn sie von der SPD aus jedermann durchsichtigen Konkurrenzgründen in furchtbar viel Skepsis eingewickelt und mit dem nationalistischen Vorbehalt versehen wird, auf "unsere" Interessen, die der "Mittelmacht" BRD und Europas überhaupt, würde da sicher mal wieder zu wenig geachtet. Der Glaube an einen, und sei es noch so kleinen, "Entspannungs"-Erfolg lebt nämlich von dem Irrtum bzw. der von oben lebendig erhaltenen Lüge, es gäbe einen Gegensatz zwischen Verhandlungen und einem weltpolitischen Kriegskurs; "miteinander zu reden" würde auf alle Fälle den Übergang dazu behindern, "aufeinander zu schießen". Dabei wird dieser Aberglaube ausgerechnet durch die frohen Erfolgsmeldungen des Kanzlers und seiner Kollegen ziemlich offen dementiert.
Denn das kann im Ernst niemand als Milderung der jahrelang verschärften Feindseligkeit gegen das sowjetische "Reich des Bösen" mißverstehen, wenn der gesamte Westblock sich jetzt öffentlich über ein
"Zu-Kreuze-Kriechen der alten Herren im Kreml"
freut. Voller Häme lauthals vorzurechnen, die Russen hätten angesichts amerikanischer Härte ihre Sturheit aufgeben müssen; sie hätten "eingesehen", daß sie der freiheitlichen Aufrüstung nicht standhalten könnten, und deshalb ihren Verhandlungs-"Boykott" fallenlassen: das ist nicht bloß eine Propagandalüge, sondern gehört zu den größeren diplomatischen Ohrfeigen.
Der freiheitlichen Öffentlichkeit von "Bild " bis "Spiegel" bleibt diese Frechheit auch nicht verborgen; und sie scheint ihr sehr zu gefallen. Sie setzt jedenfalls immer noch eins drauf und steuert "Gründe" dafür bei, warum die Russen gar keine andere Wahl hätten, als kleinlaut "an den Verhandlungstisch zurückzukehren": Ökonomisch wären sie so ziemlich am Ende; technologisch auch, einem Wettrüsten speziell im Weltall wegen ihrer Schlamperei und Rückständigkeit nicht gewachsen. Wie Leninsche "Fäulnis"-Theoretiker fallen die Anbeter kapitalistischer Effektivität in Sachen Gewaltapparate über die Sowjetunion her und bescheinigen ihr beste Aussichten für den alsbaldigen Zusammenbruch - die Propaganda von der östlichen Überlegenheit, der durch noch viel mehr Aufrüstung erst noch beizukommen wäre, geht daneben ungerührt weiter.
Die Sowjetunion setzt dagegen Dementis in die Welt, die dem westlichen Triumphgeschrei eher Recht zu geben scheinen als den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nein, ihre Raketenwaffe sei jedem westlichen Überfall gewachsen - darf der Kommandant ihrer Raketenstreitmacht melden. Nein, ökonomisch könnten sie durchaus mithalten - dafür wird die 12%ige Erhöhung des Wehr-Etats nachdrücklich bekanntgemacht. Und vor allem: Nein, ihre Diplomaten kehrten nicht zu den unzumutbaren, deswegen abgebrochenen alten Verhandlungen zurück, sondem hätten endlich die USA zu funkelnagelneuen Verhandlungen rumgekriegt.
Dabei ist es sowieso eine absurde Milchmädchen-Rechnung, zu meinen, die Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion wäre der Vorbote eines nahenden Zusammenbruchs; eine historische Lüge ist es, ausgerechnet die Sowjetunion hätte sich bislang nur unter Druck zu "substanziellen Vereinbarungen" bewegen lassen - die Verfechter dieser Lüge pflegen selbst, ungerührt, die alten "SALT"-Verträge zu zitieren, die dem US- Senat zu "substanziell " waren. Aber um wahr oder falsch geht es ohnehin nicht, wenn Diplomatie und Öffentlichkeit des Westens polemisch über einen "Zusammenbruch" der sowjetischen "Verweigerungshaltung" jubeln und für die Zukunft "endlich effektive Rüstungskontrolle und Abrüstung" versprechen. Was so zur Sprache gebracht wird, sind recht eindeutige politische Absichten der NATO-Mächte.
Die Schwächung der Sowjetunion, über die Kohl und seine freie Öffentlichkeit wie über einen fertigen Erfolg strahlen, ist
Das Programm des Westens
für die neue Verhandlungsrunde - insofern ist die tatsächlich die genaue Fortsetzung der "gescheiterten" Verhandlungen vom vorigen Jahr. Die hatten der Klarstellung gedient, daß die NATO sich um keinen Preis von dem Ziel abbringen läßt, West-Europa mit einer verkleinerten Zweitausgabe der amerikanischen Atomraketen-Streitmacht auszustatten, also für eine zweite strategische Total-Bedrohung der Sowjetunion von NATO-Territorium aus zu sorgen. "Eurostrategisches Gleichgewicht" hieß das damals und bedeutet ein Plus für die NATO, gleichgültig, wieviele SS 20 die Sowjetunion schon hat oder noch dagegen setzt. Eben wegen dieser Aussicht, als Atommacht gleich doppelt "aufgewogen" zu werden und dazu auch noch "Ja" sagen zu soUen, hat die sowjetische Regierung die Genfer Verhandlungen vor einem Jahr abgebrochen.
Inzwischen sind noch schönere "Aussichten" für die Sowjetunion hinzugekommen. Präsident Reagan hat eine Weltraumrüstung in Auftrag gegeben, die das Ideal verwirklichen soll, die Sowjetunion atomar zu entwaffnen. Der Besitz einer solchen Waffe wäre tatsächlich fast gleichbedeutend mit einem gewonnenen Weltkrieg Nr. 3. Gleichzeitig perfektioniert die NATO in Mitteleuropa ihre Fähigkeit, den Ostblock "konventionell" zu entwaffnen. Dieses Programm läuft unter "Rogers-Plan" und ist nicht auf eine ferne Zukunft angelegt: Der Tornado und ähnliche "Wunderwaffen" sind bereits realisierte Bestandteile dieses Programms.
Von all dem sollen die neuen Verhandlungen keinerlei Abstriche machen; so war und ist "Rüstungskontrolle" von NATO-Seite nie gemeint. In den Vorverhandlungen darüber, welche - schon vorhandenen oder zukünftigen - Atomwaffengattungen überhaupt als Verhandlungsgegenstand in Frage kämen, wird
Ein Test ganz anderer Art
unternommen. Auf die sowjetische Bereitschaft nämlich, die schon erreichten und die geplanten strategischen Vorteile der NATO hinzunehmen - ein "Test", den die sowjetische Diplomatie noch vor einem Jahr negativ hat ausgehen lassen. Ein neuer "Versuch" steht an.
Mit seinen Programmen für lauter "strategische Gleichgewichte" gegen die Sowjetmacht; mit seiner Aufrüstung; mit seiner Weltpolitik, die härter als je zuvor die Staatenwelt in eigene Vasallen und einige wenige, mit Drohungen und Gewalt überzogene "Freunde" der Sowjetunion scheidet: Mit all dem hat der Freie Westen seinem sowjetischen Feind längst die alte "Geschäftsgrundlage" des weltweiten Umgangs miteinander aufgekündigt. Drr Westen erkennt die Sowjetunion nicht mehr formell als gleichrangige Macht mit weltweiten "Zuständigkeiten" an; und er tut alles, um zu keiner Rücksichtnahme mehr gezwungen zu sein. Die westlichen "Sicherheitsinteressen" sollen absoluten Vorrang haben vor den sowjetischen; in der Weltpolitik soll ein NATO-Monopol auf "Zuständigkeiten" und Gewalt herrschen; - und das soll die Sowjetunion sich friedlich gefallen lassen.
Damit ist der Inhalt angegeben, um den es bei dem angekündigten Verhandlungsstreit um den Stoff für mögliche Verhandlungen über Grundfragen des militärischen Kräfteverhältnisses auf der Welt tatsächlich geht. Die Sowjetunion soll sich abfinden mit der neuen "Geschäftsgrundlage" ihrer Außen- und Sicherheitspolitik, die die NATO-Mächte ihr diktieren wollen; sie soll anerkennen, daß sie nichts mehr zu melden haben soll.
Mit ihrem vorgezogenen Erfolgsgeschrei tun die NATO-Führer so, als wären sie sich sicher, die Sowjetunion würde ihnen den Gefallen tun und ihren Anspruch auf Einfluß und Sicherheit in Washington abliefern. Reagan und Kohl wissen es mit Sicherheit besser. Ihre Erfolgsmeldungen sind also ein wenig anders zu verstehen. Sie verkünden darin ihre Entschlossenheit, die Sowjetunion zu einer nachrangigen Macht zu machen. Was auch immer das kostet.