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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1984 erschienen.


PROTOKOLLFRAGEN EINER HAFTVERSCHONUNG

Wo wir Erich Honecker hinlassen

Er kommt, bei jeder Gelegenheit betont, zu einem Arbeits- und nicht zu einem Staatsbesuch, was ja auch gar nicht ginge, wo wir doch die DDR nicht als so etwas wie einen anständigen Staat betrachten können. Deshalb kommt es wiederum furchtbar darauf an, auf welches Stückchen deutschen Bodens Honecker seinen Fuß setzen darf.

"Die Regierungsparteien wollen es vermeiden, daß Honecker Bonner Boden betritt,... daß der deutsche Bundeskanzler bei einem eventuellen Besuch der DDR im Gegenzug auch dem Regierungssitz Ost-Berlin einen Besuch abstatten müßte, was die DDR ihrer Meinung nach unzulässig aufwerten würde."

Nun legt aber dummerweise

"die DDR offenbar Wert darauf, daß der Aufenthalt des Staatsratsvorsitzenden in der Bundesrepublik nicht als eine Art Verwandtenbesuch in Saarbrücken erscheint."

Also muß man ihn schon irgendwie empfangen.

"Honecker, so wird argumentiert, könnte außerhalb Bonns auf dem Flughafen Köln-Wahn landen und über die Autobahn an der Bundeshauptstadt vorbei nach Gymnich weiterreisen."

Aber das wäre auch schon ein Ausverkauf deutscher Rechtspositionen, deshalb kommt er jetzt, wenn er kommt, nach Brühl, was bekanntlich bei Bonn, aber nicht n Bonn liegt, und nicht ins große sondern ins kleine Schloß, damit er auch ganz genau merkt, wofür wir ihn halten:

"Nun wird Bundespräsident von Weizsäcker Honecker im Barockschloß Falkenlust empfangen und damit doch eine Nähe zum offiziellen Bonn andeuten. Honecker wird demnach wie jene Staatsgäste 'in Brühl' festlich empfangen, allerdings nur im kleinen Jagdschloß und damit um eine Nuance von den anderen unterschieden."

Hoffentlich haben die Bonner Protokollchefs auch die restlichen Details gut durchgeplant. Nicht, daß nachher Honecker im Neuen Deutschland verbreiten läßt, er habe etwa mit Kohl gemeinsam auf einem Sofa, also in gleicher Höhe gesessen.

Das weiß man ja, mit welcher Raffinesse Ostberlin Protokollfragen ausnützt, um seine ungehörigen Rechtsansprüche als legitimiert dastehen zu lassen. Dagegen müssen wir "sachlich", "vernünftig" und "in aller Gelassenheit" auf Klarheit bestehen.

Warum wir Honecker, wenn er kommt, nicht gleich verhaften lassen

Das würde uns die DDR ja nun doch übelnehmen. Außerdem kann man einem Bundeskanzler schlecht zumuten, die uns zustehenden deutschlandpolitischen Zugeständnisse in einem Gefängnis auszuhandeln. "Andererseits" handelt es sich dabei um ein schwieriges rechtspolitisches Problem: Wir sind ein Rechtsstaat, der sich um seiner Glaubwürdigkeit willen keine politisch motivierte Gesetzesbeugung zuschulden kommen lassen darf. Wir haben eine "Rechtskultur":

"Das Strafgesetzbuch gilt für alle Deutschen; Bewohner der DDR sind Deutsche, auch der Staalsratsvorsitzende; und wenn ein Deutscher aus derDDR in die Bundesrepublik kommt, unterliegt er hier nach dem Legalitätsprinzip der Strafverfolgung...

Gegen Honecker könnten sich etwa im Zusammenhang mit dem Schießbefehl an der Berliner Mauer und der Zonengrenze strafrechtliche Vorwürfe richten. Es liegt auf der Hand, daß ein den innerdeutschen Beziehungen dienender Besuch von diesen Besonderheiten 'freigestellt' werden sollte, andererseits daß eine Verhinderung von Maßnahmen der Strafverfolgung durch Einzelweisungen kein guter Beitrag für die Rechtskultur der Bundesrepublik wäre...

Mitglieder der diplomatischen Missionen und der konsularischen Vertretungen sind nach dem Gerichtsverfassungsgesetz 'exterritorial'. Eine weitere Bestimmung erstreckt diese 'Exterritorialität' auf Staatsoberhäupter. Im Falle Honeckers bringt diese Vorschrift aber keine Erleichterung, denn Honecker ist zwar ein Staatsoberhaupt, aber sicherlich kein 'ausländisches'...

Also muß für einen Besuch Honeckers eine besondere Regelung getroffen werden. Sie soll so aussehen: 'Alle Personen, die sich auf Einladung der Bundesregierung im Gebiet der Bundesrepublik aufhalten, sind von der deutschen Gerichtsbarkeit ausgenommen'. Entsprechendes soll auch für die Begleitung solcher Gäste gelten."

Sonst müßte man eventuell Frau Honecker verhaften, und das würde er sicherlich auch übelnehmen.

Obwohl es höchst gerecht und geboten wäre

"Wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte mitteilte, will der frühere politische DDR-Häftling Rolf Kulike trotz des Drängens westdeutscher Behörden seine Strafanzeige gegen Honecker wegen Freiheitsberaubung nicht zurückziehen. Kulike, der zwischen 1976 und 1984 drei politische Haftstrafen mit einer Gesamtdauer von sechs Jahren und sechs Monaten in der DDR verbüßte, hatte am 21. März dieses Jahres Strafanzeige gegen Honecker gestellt."

Er hat ja im Prinzip recht. Bloß darf man nicht übersehen, daß für solche Verfahren gegen regierende Staatsoberhäupter einige besondere Voraussetzungen gegeben sein müssen. So konnte man z.B. die in dieser Rechtsmaterie Maßstäbe setzenden Nürnberger Prozesse auch erst führen, nachdem man das Deutsche Reich militärisch dazu veranlaßt hatte, seine Repräsentanten für ein Verfahren zur Verfügung zu stellen.

Und nachdem es in der DDR nicht üblich ist, gegen BRD-Politiker Gerichtsverfahren nach DDR-Recht zu eröffnen - etwa wegen der Verfolgung Andersdenkender mit Berufsverboten, Existenzschädigung durch "Marktwirtschaft" oder Körperverletzung durch den Schießbefehl westdeutscher Polizisten -, ist es relativ unwahrscheinlich, daß Erich Honecker sich einsichtig zeigt und sich selber stellt.