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NEUE FREIHEITEN FÜR UNTERNEHMER - VOM DGB ERKÄMPFT
Das Ergebnis der diesjährigen Tarifrunde, des längsten und härtesten Arbeitskampfs seit Bestehen der Republik, ist durch zwei Stichworte hinreichend gekennzeichnet: Flexibilisierung der Arbeitszeit und Lohnpause. Damit wurden die fortschrittlichsten Unternehmerwünsche erfüllt.
Mit einer Lohnpause (= Lohnsenkung) für die nächsten zwei Jahre haben sich IG-Metall und IG-Druck bis auf weiteres von der "Lohnfront" zurückgezogen. Tarifverträge mit Laufzeiten bis Spätsommer 1986 sind das stolze Resultat der diesjährigen Arbeitskämpfe. Die Durchsetzung von Lohnerhöhungen hat der DGB bekanntlich noch nie als seine Aufgabe begriffen eine "Lohnmaschine" wollte er nie sein. Mit der Unterschrift unter die neuesten Verträge sind IG-Metall und IG-Druck noch einen Schritt weiter gegangen. Sie haben sich jetzt auch in aller Form von dem Anspruch verabschiedet, wenigstens einmal im Jahr eine gewisse Kompensation der durch Inflation und betriebliche Leistungssteigerung dauernd garantierten Lohnsenkung durchzusetzen. Eine Lohnsenkung, die in diesem Jahr um lächerliche 3,3% und im nächsten Jahr um ganze 2% "gebremst" werden soll. Und selbst diese prozentuale Erhöhung existiert größtenteils bloß auf dem Papier. Viele Betriehe sind inzwischen dazu übergegangen, die Tariflohnerhöhungen mit außertariflichen "Sonderzahlungen" zu verrechnen - so heißen nämlich beträchtliche Teile des bundesdeutschen Normallohns, die tariflich nicht abgesichert sind.
Flexibilisierung der Arbeitszeit - so hieß das "Angebot", mit dem die Unternehmerseite die Tarifrunde eröffnet hatte. Das "erkämpfte" 38,5-Durchschnittsstunden-Ergebnis erfüllt haargenau diese Unternehmer-Forderung - die durch keine Arbeitszeit-Regelung "behinderte" freie Verfügung der Betriebe über ihr Menschienmaterial.
Ein Vertrag, der nichts anderes zum Inhalt hat als die "Festlegung" der absoluten Handlungsfreiheit eines Vertragspartners ist ein Witz. Die Tarifkommissionen der DGB-Gewerkschaften haben dieses "Kunstwerk" hingekriegt:
"Die tarifliche wöchentliche Arbeitzeit ohne Pausen beträgt 38 1/2 Stunden. Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des Volumens, das sich aus der für den Betrieb festgelegten wöchentlichen Arbeitszeit uon 38 1/2 Stunden im Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten ergibt, durch Betriebsvereinbarung geregelt. Dabei können für Teile des Betriebs, für einzelne, Arbeitnehmer oder für Gruppen uon Arbeitnehmern unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten festgelegt werden.
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann für Vollzeitbeschäftigte zwischen 37 und 40 Stunden betragen... Dabei sind die betrieblichen Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann gleichmäßig oder ungleichmäßig auf 5 Werktage verteilt werden. Eine dauon abweichende Verteilung kann nach Maßgabe betrieblicher Erfordernisse mit dem Betriebsrat vereinbart werden. Die wöchentliche Arbeitszeit muß im Durchschnitt uon 2 Monaten erreicht werden.
Wenn keine andere Regelung getroffen wird, beträgt für Vollzeitbeschäftigte die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bis zu 8 Stunden. Der Arbeitgeber teilt jeweils monatlich dem Betriebsrat die Zahl der Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit zwischen 37 und 40 Stunden und den sich daraus ergebenden Durchschnitt der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb mit..." usw. ("Manteltarifuertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Me tallindustrie")
Mal nachgezählt, wieviele Arbeitszeiten der Mensch laut Gewerkschaft hat?
- Eine "tarifliche wöchentliche Arbeitszeit" - die ist aber gar nicht die wirkliche Arbeitszeit, sondern der Durchschnitt der wirklichen "wöchentlichen Betriebsarbeitszeit" über einen Zeitraum von 2 Monaten.
- Der errechnet sich wiederum aus lauter verschiedenen "individuellen wöchentlichen Arbeitszeiten", die sich selbstverständlich ganz nach den betrieblichen Erfordernissen richten.
- Und die Regelmäßigkeit der "individuellen, regelmäßigen, wöchentlichen Arbeitszeit" besteht schließlich darin, daß sie unregelmäßig auf eine 5 tägige Arbeitswoche verteilt werden kann. Es sei denn, sie wird bei entsprechendem betrieblichen Bedarf auf eine 7-Tage-Woche verteilt.
Lohnform: Flexibilität Wann und für wielange ein Arbeiter anzutreten hat, um auf seinen Lohn zu kommen, ist diesem Wahnsinnswerk bei bestem Willen nicht zu entnehmen. Regelungen wie der 8-Stunden-Tag oder die 40-Stunden-Woche gehören für bundesdeutsche Arbeiter spätestens ab April 85 der Vergangenheit an. Egal, an welchen Wochentagen, für wielange und in welchem Wochenrhythmus die Belegschaften anzutreten haben, der Betrieb ist auf jeden Fall im Recht. Denn die Nicht-Festlegung der Arbeitszeit wurde zum neuen Tarifvertragsprinzip erklärt.
Diese Aufhebung des alten Normalarbeitstags ist angesichts der Rationalisierungserfolge deutscher Unternehmen nur konsequent. Durch die zielstrebige Modernisierung seiner Produktionsanlagen hat sich das Kapital längst vom individuellen Geschick oder der "Tagesform" seiner Lohnarbeiter unabhängig gemacht. Unter Anwendung arbeitsanalytischer und -synthetischer Erkenntnisse wurde eine Maschinerie geschaffen, die dem menschlichen Inventar des Produktionsprozesses bis ins kleinste jeden Handgriff und das Tempo, in dem er ausgeführt zu werden hat, vorgibt. So sehen heutzutage rentable Arbeitsplätze aus. Sie sind so teuer, daß sie bei entsprechender Auftragslage erstens keine Minute stillstehen dürfen. Zweitens hat an diesen Produktionsanlagen immer die technisch festgelegte Höchstleistung gebracht zu werden. Was bei schlechterer Auftragslage geradezu ihren Stillstand "erzwingt". Den Arbeitern in diesen Zeiten einfach eine geringere Leistung abzuverlangen - das wäre eine Sünde gegen die Rentabilität.
Nachdem das Kapital über eine pro Stunde im voraus festgelegte Arbeitsleistung verfügt, wird die Anpassung der Produktion an die aktuelle Geschäftslage über den freien, variablen Abruf von Arbeitsstunden organisiert.
Um dieses Ideal in die Tat umzusetzen, haben die Unternehmer nicht auf den flexiblen DGB-Arbeiter mit der zweimonatlichen Durchschnittsarbeit gewartet. Arbeitszeiten von mehr als 50 oder weniger als 30 Wochenstunden, 3 bis 7 Tage die Woche, im Schichtdienst und außerhalb der festgelegten Zeiten sind in bundesdeutschen Fabriken schon längst an der Tagesordnung. An das Wechselbad von Überstunden und Kurzarbeit neben- oder sogar in derselben Abteilung hintereinander durften sich die Arbeiter auch schon gewöhnen.
Durch den neuen Tarifvertrag wird dem Kapital keine einzige Maßnahme neu erlaubt, die ihm vorher verwehrt worden wäre. Es kostete allenfalls ein paar Zuschläge, ein paar Abfindungen oder das sowieso dauernd laufende Gespräch mit dem Betriebsrat - und schon lief alles.
Bloß heißt das alles andere, als daß das neue Vertragswerk überflüssig und folgenlos wäre. Sein Fortschritt besteht gerade darin, daß all das, was Betriebe als - immer erlaubte - Ausnahme praktiziert haben, offiziell zur jetzt gültigen Normalität erklärt wird.
Die neue Rechtslage lautet schlicht und einfach: Alles, was den Unternehmen in die Planung paßt, ist grundsätzlich erlaubt. Das erspart Sondervergütungen wie Überstundenzuschläge und Kurzarbeitsausgleich genauso wie lästige Genehmigungsverfahren und Umstände mit dem Betriebsrat.
Betriebsräte gefordert: Die Gewerkschaft bittet zur Schicht!
Der Betriebsrat läßt sich nämlich jetzt viel schöner einsetzen: für die betriebsdienliche Vorausplanung der flexiblen Arbeitszeiten übers Jahr und für die Regelung der Ausnahmen vom 38,5/2-Monats-Durchschnitt. Im Nachhinein darf er dann seinen Taschenrechner bedienen und einen Schnitt errechnen, der dann eventuell rein rechnerisch über längere Zeiträume ausgeglichen werden darf, kann, muß...
Denn das war das einzige, was die Gewerkschaft festgelegt haben wollte - der Ort, an dem in Zukunft die Arbeitszeit festgelegt wird, ist der Betrieb mit seinen Betriebsräten. Figuren, die sowieso dem Betriebswohl verpflichtet sind und, selbst wenn sie wollten, über keinerlei Druckmittel verfügen, etwas gegen das Unternehmen durchzusetzen.
Mit der Arbeitszeit-Frage wollen DGB-Gewerkschaften eben genauso wenig zu tun haben wie mit dem Lohn. Dafür haben sie sich für den Rest der 80er Jahre ein neues Betätigungsfeld geschaffen: Schulungen für Betriebsräte, die den Jahrhundert-Tarifvertrag "mit Leben füllen sollen" und zu diesem Zweck in die Kunst der verschiedenen "Durchschnittsrechnungsarten" eingewiesen werden.
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Übrigens, die Kampagne der Gewerkschaft, die zu diesem Tarifergebnis führte, stand unter dem Motto: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Ausgerechnet durch dieses Machwerk, das der DGB nach wie vor einen "Durchbruch in Richtung 35-Stunden-Woche " nennt, sollten mehr Arbeiter eingestellt werden! Wie könnte das denn gehen, daß mehr Leute gebraucht werden, wenn ihre Benutzung von sämtlichen Schranken befreit wird und noch enger am betrieblichen Bedürfnis ausgerichtet wird?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Arbeiter dermaßen reibungslos ganz nach der aktuellen Geschäftslage mal länger dabehalten oder tageweise nach Hause geschickt werden, dann können Unternehmen doch wohl mit einer noch weiter "ausgedünnten" Belegschaft kalkulieren. Nach dieser Tarifrunde ist also eines klar. Die Arbeitslosen werden mehr.
Erste Erfolge des Tarifvertrags
Da zählt die IG Metall in ihrer ersten August-Nummer als segensreiche 'Wirkungen des Tarifvertrages' sämtliche Einstellungen auf, die irgendwelche Metallbetriebe der Republik seit Streikende vorgenommen haben: Hier "15 zusätzliche Arbeitnehmer"; dort die Entlassung fertiger Azubis abgewendet, in einem dritten Fall "54 befristete Arbeitsverträge in Dauerstellen umgewandelt" und so weiter. Das alles soll erstens großartig sein - so als wären diese Arbeitsplätze das reine Zuckerschlecken, als würde dort klotzig verdient, und als wäre damit die große Trendwende zugunsten der Arbeitslosen eingeleitet. Und zweitens will die Gewerkschaft jede Einstellung als Erfolg der gewerkschaftlichen Solidarität gewürdigt wissen. Warum: Ganz einfach: Die Betriebsräte hätten mit den Unternehmern stattdessen ja auch mehr Überstunden für die Belegschaft ausmachen können. Mit solchen Vergleichen kann die Gewerkschaft sich leicht alles und jedes als Erfolg in die Tasche lügen: den Lohn - es hätte ja noch weniger sein können; jede Entlassung - es hätten ja noch mehr sein können; jede Überstunde - es hätten ja auch ganze Sonderschichten sein können; usw. usf.
Die IG Metall geht weiter in den Vorruhestand
Auch hat sie sich von der Vertretung der Stahlarbeiter abgemeldet. Und zwar gleich auf über zwei Jahre: Bis Ende August 1986 hat sie in Sachen Lohn "alles klargemacht", in Sachen Arbeitszeit bis Anfang 1988. Wenn schon für die Metaller nichts rausgekommen ist außer "flexibler Arbeitszeit", dann können die Stahlarbeiter mit noch weniger hochzufrieden sein! Hinterlassen - bis zum Wiedersehen in zwei bis vier Jahren - hat die Gewerkschaft den Stahlarbeitern einen enormen Scheißhaufen:
- eine "38-Stunden-Woche", die aus der "gewohnten" Voll-Konti-Schicht mit tatsächlich mindestens 42 Stunden pro Woche besteht - und aus ein paar zusätzlichen unbezahlten Freischichten, die sich jeder, wenn er Lust und einen guten Taschenrechner hat, am Jahresende in seiner Phantasie auf die "Durchschnittswoche" umrechnen darf.
- Überhaupt keinen Lohnausgleich für steigende Preise, Mieten usw. in diesem Jahr. A b Anfang 1985 humpeln die Löhne mit einem Aufschlag von 3, 3 Prozent, also an der Grenze des Lächerlichen, hinter dem Anstieg aller Lebenskosten her. Dieser Lohn liegt dann wieder volle 1 8 Monate fest. Als Bombon gibt es a b Juli 1986, kurz ehe die Gewerkschaft sich zur nächsten tarifrunde wieder zurückmeldet, einen nominellen Zuschlag, der nur als Frechheit zu bezeichnen ist: von 2 Prozent!
Das Ganze: ein einziger Ausverkauf - mit dem die Stahlindustrie ihre Erfolgsbilanzen auf Jahre hinaus sicher hat; für die Arbeiter dagegen noch nicht einmal eine Garantie, daß diese auf Jahre hinaus verschlechterte Existenzgrundlage erhalten bleibt.
Die Arbeiter können gar nichts falsch machen, wenn sie diese Gewerkschaft gleich ganz in Pension schicken.