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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1984 erschienen.

Systematik

"Manöverbehinderungen und Menschennetz"
EINE TYPISCH FRIEDENSBEWEGTE AKTION

Die Friedensbewegung gibt Lebenszeichen von sich. Dem Beschluß ihres Bundeskongresses, als Schwerpunkt geplanter friedensbewegter Herbstaktivitäten eine "Aktionswoche Manöverbehinderung und Menschennetz im Fulda Gap" durchzuführen, folgte eine öffentliche Ermahnung von den "Prominenten" Eppler, Lafontaine, Bastian, Böll und Albertz, sich im September in Osthessen nicht unangemessener Radikalität schuldig zu machen. Das Resultat: ein typisch friedensbewegter Streit.

Ein Netz friedliebender Bürger

Mit ihrer geplanten neuen "Widerstandsform" hat sich die Friedensbewegung eine Steigerung ihrer Menschenketten zu Ostern ausgedacht, die es in sich hat, sozusagen eine Menschenkette im Quadrat.

Der tragende Gedanke des "Menschennetzes" ist die Vorstellung, man könne und man solle sich mit friedliebenden, an den Händchen haltenden Leuten der Kriegsmaschinerie des Staates in den Weg stellen. Das ist nun allerdings eine moralische Phantasie, die ernst genommen auf Märtyrertum hinausläuft. Denn wenn ein Staat seine Kriegsmaschinerie gegen einen anderen in Bewegung setzt, dann ist er zum Letzten entschlossen und Leichen sind dabei einkalkuliert. Für ihren Moralismus will die Friedensbewegung ein Symbol setzen. Den übenden Panzern will sie demonstrativ Menschenleiber entgegenstellen. Und nicht einmal dabei ist an Gegensatz gedacht. Die Aktion ist nämlich auf den demokratischen Konsens mit denen, die die Panzer fahren, und denen, die sie befehligen, berechnet.

Die Aktion ist also Ausdruck des demokratischen Glaubens, die Inhaber der Macht könnten sich über die geballte Versammlung von ein paar zehntausend Leuten nicht einfach hinwegsetzen. Appelliert wird da an letztlich doch gemeinsame Güter und Werte, die es in diesem unserem Lande sehr wohl zu verteidigen gäbe. Nur eben nicht so, wie die Bonner Politik es plant.

Eines ist nämlich auch den Aktivisten der Friedensbewegung nicht verborgen geblieben: Die Kriegsvorbereitungen, die man öffentlich rerfolgen kann, sind ganz schön 'konkret'. Die Aufrufe zum Herbst wimmeln nur so von Detailschilderungen. Ihnen selbst fällt der Vergleich ein, der Westwall wäre ein Dreck gegen die Maßnahmen von heute. Den Schluß von den Kriegsvorbereitungen auf den nationalen Zweck mögen sie daraus allerdings nicht so einfach ziehen. Dafür ist ihr Vertrauen in die guten Zwecke des wirtschaftlichen und politischen Lebens im freien Westen zu groß. Eher schließen sie auf eine unverantwortlich heraufbeschworene Kriegs-"Gefahr" - an die sie im Grunde selber nicht glauben. Wie kämen sie sonst darauf, sich ersatzweise lauter Schädigungen auszudenken, die die Militarisierung "schon im Frieden" anrichte. "Landnahme über Nacht" für die Erweiterung von Kasernen; zusätzliche Belastungen für die "ohnehin schon gestreßte Natur"!

Heimat und Umwelt avancieren damit zu den Hauptleidtragenden einer Kriegsvorbereitung. Die Flurschäden der Bauern, Verkehrsbehinderungen, Zerstörungen an den Erholungsgebieten, das alles wird damit zum Hauptgegenstand der Klage: der Klage darüber nämlich, daß die Politiker das friedliche Leben und Treiben ihres Volkes behindern und zerstören. Worin das besteht, gerade in Zeiten der Kriegsvorbereitung, ist da schon gar kein Thema mehr. Unbehindert möchte man sich seinen patriotischen Pflichten widmen dürfen: Arbeiten, Kinder kriegen, Bäume schützen, Steuern zahlen - also jeder in seinem Stand sein Bestes geben. So sind alle guten Menschen aufgerufen, das Ihre zur Symbolkraft der Aktion beizutragen - vor allem durch ihre Anwesenheit. Schließlich soll ja mit dem "Menschennetz" die "Dichte" 'der militärischen Einrichtungen , in Osthessen dokumentiert werden. Vielleicht kann man sich auch noch auf das Steigenlassen von Luftballons einigen. Wie subversiv das ist, weiß man ja, seit Nena damit in die amerikanischen Top Ten vorgedrungen ist.

Manöverkritik von der Prominenz

Diesem Projekt haben die buntscheckigen Konjunkturritter der Friedensbewegung den Einwand entgegengestellt, das wäre nicht gewaltfrei genug und brächte am Ende das eigene Anliegen in Verruf.

1. Der Menschenbruder im Soldaten

So haben Böll und Co. an "Manöverbehinderungen" z.B. folgendes auszusetzen: Sie "treffen in erster Linie die jungen Soldaten der konventionellen Landstreitkräfte und ihre kaum älteren Vorgesetzten auf den untersten Führungsebenen von Gruppe, Zug und Kompanie. Soldaten also, die ihren Dienst zumeist in gutem Glauben leisten und von uns nicht als 'Gegner', sondern als Mitmenschen angesehen werden sollten, die es aufzuklären und vor dem drohenden Mißbrauch ihrer Dienstbereitschaft zu bewahren gilt."

Machen eigentlich jemals die Befehlshaber der staatlichen Gewaltmaschinerie die Drecksarbeit selber? Kriegt man es nicht immer mit Mensctien zu tun - in gewissen Berufsständen -, wenn man gegen staatliche Maßnahmen Protest anmeldet? Bölls Menschlichkeitsmache macht jede Kritik tot, weil ja immer irgendein herzensgutes Mitglied unserer Volksgemeinschaft seine Uniform bekleckert sieht. Mehr noch, an der Dienstbereitschaft des Berufsstands 'Kämpfer im Staatsdienst' haben die Dichter und Denker des neuen deutschen Pazifismus ihr Wohlgefallen. Einen rechten Gebrauch dieser Tugend - für wen und gegen wen eigentlich -, Soldaten, die sich fürs Heimatland aufopfern, das können diese Lehrmeister sich durchaus vorstellen. War da mal was in Richtung Kriegsdienst verweigern oder so?

Der Herr Friedensforscher Mechtersheimer, Exponent einer anderen Fraktion, hält dafür, daß "gewaltfreie Behinderung von Manövern" gerade das passende Mittel für genau das gleiche hohe Ziel sei: nämlich eine "Chance, jungen Soldaten bewußt zu machen, daß ihr Auftrag, das Land zu verteidigen, durch NATO-Strategie und Bewaffnung zu einem Vernichtungsauftrag pervertiert ist." Dafür also soll der Protest gegen die Kriegsvorbereitung gut sein: Zum Hochhalten der Parole 'Für deutschautonome, grenznahe Heimatverteidigung gegen die bösen Russen und überhaupt jede Fremdherrschaft'! Offenbar kein Zufall, daß eine deutsche Friedensbewegung dabei landet!

2. Das "Prinzip absoluter Gewaltfreiheit"

Aber damit der Bedenken noch nicht genug. Wie vereinbar ist "Manöverbehinderung mit dem Prinzip absoluter Gewaltfreiheit": "Nicht vereinbar!" heißt der Beschluß der Herren Albertz etc., "Durchaus vereinbar!" die Antwort von Gollwitzer und Co., da es eine "legitime Widerstandsform gegenüber einer Politik des atomaren Holocaust" ist. Sofern dabei "absolute Gewaltfreiheit selbstverständlich" ist - versteht sich.

Es ist schon eigenartig: "Gegenüber einer Politik des atomaren Holocaust" (den die NATO ihrem Systemfeind bereiten will!) wird die Friedensbewegung von ihren Wortführern ausgerechnet auf ihre eigene "absolute Gewaltfreiheit" (inklusive bei "zivilem Privateigentum") als wichtigsten Programmpunkt verpflichtet. Und der Dissens der beiden Lager geht darum, wer sich zu Recht auf diesen höchsten moralischen Saubermannstitel berufen darf - als ob eine Welt, in der das NATO-Bündnis das Sagen hat, sich danach richten würde! Und wo doch die Ordnungsgewalt selbst klarstellt, daß es für die Behandlung der "Manöverblockierer" auf deren tatsächliches Verhalten gar nicht ankommt. Dem Präsidenten des Bundeskriminalamts Boge ist schon allein die "frühzeitig erfolgte und öffentlichkeitswirksame Diskussion" der Blockadevorhaben Indiz genug dafür, daß von "Zwischenfällen" mit "militanten Gruppen" auszugehen sei. Er ist also entschlossen, mit seiner Truppe inneren Frieden zu schaffen und teilt das der Öffentlichkeit als Warnung vor den Demonstanten mit.

So ist damit zu rechnen, daß die Ordnungstruppen den Aufpassern auf einen gewaltfreien Nicht-Protest praktisch Recht geben werden. Die Gollwitzers und Bölls tun jetzt schon alles, um hinterher sagen zu können, sie hätten rechtzeitig gewarnt. Die Lafontaines und Epplers rechnen gleich noch ein Stück weiter. Sie ergreifen die Gelegenheit, den schlechten Ruf allzu intensiver Verbrüderung mit einer undurchsichtigen Friedensbewegung auszuräumen. Sie haben den friedensbewegten Haufen für die SPD abgegrast. Mit dem kläglichen Rest machen SPD-Vorständler sich nicht mehr gemein.

Friedensbewegung soll eigene Manöver durchführen

Einen möglichen Schlichtungsvorschlag zur Beilegung dieser brüderlichen Kontroverse hat laut FR vom 15.8 der künftige Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Pastor Wolfgang Raupach, vorgelegt: Er "hat der Friedensbewegung empfohlen, militärische Manöver nicht zu behindern, sondern eigene 'manöver' durchzuführen ... eine konstruktive Alternative zu Manöverbehinderungen könnte es sein, wenn Friedensgruppen selbst eine Art Manöver Möglichkeiten der sozialen Verteidigung einer Ortschaft vorführen und damit zeigen, welchen Widerstand die Bevölkerung bei der Besetzung durch fremdes Militär leisten könne."