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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1984 erschienen.

Systematik

Amerika wie es jubelt und kichert
DIE DEMOKRATIE HULDIGT IHREM FÜHRER

Das deutsche Fernsehen hat alles ziemlich unbeschönigt vorgezeigt: Tausende fanatisierter US-Bürger in den besten Jahren und Positionen, mit US-Flaggen als Hüten, Krawatten oder ganzen Gewändern, mit Elefantenrüsseln und Reagan-T-Shirts, jauchzen ihrem Idol zu, wenn es bloß auf einem Riesenbildschirm überdimensional vor ihnen erscheint. Personenkult Marke Stalin? Religiöser Politwahn wie bei Khomeini und seinen rückständigen Untertanen? Reichsparteitag? Nichts dagegen.

Natürlich wird das Idol gekürt; ganze zwei Enthaltungen bei tausenden abgegebenen Stimmen. Da fällt selbst dem Kommentator der Tagesschau der Vergleich ein: "Mit dem Ergebnis hätte sich Reagan auch in Moskau sehen lassen können." Er bezieht dafür Schelte von der CSU, die "Ostblock"-Prozentsätze bei eigenen Wahlen schon seit jeher als selbstverständliche Huldigung für den Gewählten organisiert - und liegt trotzdem noch nicht einmal richtig: Die KP der Sowjetunion bringt ihre einstimmigen Beschlüsse und Wahlen erst nach für journalistische Begriffe todlangweiligen Auseinandersetzungen um Planerfüllung, Beschwerden des werktätigen Volkes und Schlamperei im staatlichen Getriebe zustande und würde nie auf die "Überzeugungskraft" einer Monstershow bauen, zu deren Höhepunkt der Kandidat selbst mit tief gerührter Stimme zu einem oberpeinlichen Film über sein Familienleben das Hohelied auf seine alte Schreckschraube singt: "A wonderful First Lady!"

Je dicker das Eigenlob aufgetragen wird, um so mehr kommen die Anhänger in Stimmung. Beim leibhaftigen Auftritt ihres Abgotts - die Anfahrt wird wieder live auf dem großen Bildschirm übertragen - kreischen sie eine geschlagene Viertelstunde lang. Dann würdigt der Kandidat alle Amerikaner und den Rest der Welt der Mitteilung, daß er so ähnlich wie Gott-Vater mit ihnen allen nur das Beste vorhat; sogar den Russen ist ein Plätzchen in der Welt eingeräumt, wenn sie endlich reumütig in die ausgebreiteten Arme des amerikanischen Weltenherrschers heimkehren. Seine Landsleute brauchen bloß daran zu glauben, daß die Kürzung des Lebensunterhalts der Massen das Beste ist, was denen passieren kann, weil es Amerika nützt: dann sind sie auch schon in dem US-Paradies, das ihnen da als abschreckende Schau vorgeführt wird. Wer sich abschrecken läßt, ist selber schuld; gute, demokratisch-freiheitlich gesonnene Amerikaner sind ohnehin nur die, die das anders sehen.

So wird die demokratische Wahl des mächtigsten Mannes der Welt, des Präsidenten der USA, vorbereitet. Mehr noch: Jeder demokratisch erfahrene Beobachter der Szene weiß und erklärt, daß mit dem hemmungslosen Kult um die Person Reagans und mit dessen entsprechenden Kaiser-Allüren die Wahl schon so gut wie gelaufen ist. Mit der fatalen Wahrheit, daß in der Demokratie die freche Selbstdarstellung als Abgott der Nation das schlagendste Wahlargument ist, haben Demokraten kein Problem - schließlich ist auch das eine Leistung, die ihren Lohn verdient. Sie qualifiziert für den höchsten Job.

Westdeutschen Kommentatoren ist dieser Höhepunkt demokratischer Kultur ein wenig peinlich. Ein gebildeter Mensch besteht da doch gerne darauf, daß "die Sache", das Regieren, eine weit seriösere, gewichtigere, vornehmere Angelegenheit sei als das amerikanische Tingeltangel; auf alle Fälle ganz anderen Aufgaben gewidmet und höheren Maßstäben verpflichtet. Und vergißt über diesem Glauben nur zu gerne, womit da der mächtigste Mann der Welt seine Selbstdarstellung bestreitet. Nämlich damit, daß er das ist, und daß seine Politik auch gar keinen anderen Inhalt und Maßstab hat als die Entschlossenheit, das zu bleiben. Das ist bereits die ganze "Sache" um die es geht; auch in sämtlichen "ernsten Fragen" auf die Ronald Reagan nach Meinung skeptischer Gutachter "die Antwort schuldig geblieben" sein soll. Die Armut, die der feiernde Kongreß "vergessen" hätte? Reagan weiß und verkündet, daß die Mehrung des nationalen Reichtums ohne ihr Wachstum nicht geht. Die auswärtigen Probleme, für die Reagan keine Lösung eingefallen sein soll? Der Präsident weiß und verkündet, daß "Weltprobleme" genau die Affären sind, die seine Regierung, im Namen und im Interesse amerikanischer Macht und kapitalistischen Reichtums, zu welchen erklärt. Die Weltkriegsgefahr, über die die Republikaner sich leichtfertig getäuscht hätten? Da weiß und verkündet der Präsident erst recht unmißverständlich, daß diese "Gefahr" zusammenfällt mit dem amerikanischen Anspruch, unbestrittene, dem Osten überlegene Weltordnungsmacht zu sein; sie ist deswegen sachgerechterweise auch von diesem Standpunkt aus einzuschätzen - als eine Frage zweiten Ranges hinter dem Führungsanspruch der USA.

Und alles das verkündet Reagan am wirksamsten und angemessensten eben durch den hemmungslosen Führerkult um die eigene Person. Dieser Kult ist die Botschaft: Eine amerikanische Regierung mißt sich bei ihren Geschäften und Vorhaben an nichts und niemandem als - an sich selbst. So paßt das - in jedem anderen Fall zutiefst peinliche - Theater haargenau zur "Sache": dem unbedingten Willen der US-Regierung, ihrem nationalen Auftrag, es dahin zu bringen, daß ihre politische Macht an keiner fremden Staatsgewalt und an keinem inneren Hindernis eine Schranke findet. Und umgekehrt treibt genau die Politik, die am erfolgreichsten die nützlichste Armut stiftet, die größten "Weltprobleme" schafft und den Weltfrieden zur Disposition stellt, logischerweise die dümmsten und grellsten Formen politischer Selbstdarstellung und Bewunderung hervor. Je bunter und absurder, desto anschaulicher die Gewißheit, daß eine Nation, die so viel anrichtet wie die USA, dazu dann ja wohl auch ein abgrundtiefes Recht haben muß. So fallen in der mächtigsten Demokratie der Welt Führerkult und Staatsprogramm eben tatsächlich zusammen.

Der Präsident scherzt mit seiner Gefolgschaft

Stilistische Bedenken gegen das Herumfuhrwerken der amerikanischen Weltmacht: das ist eine demokratische Albernheit - und noch dazu blamiert sich die an der Tatsache, daß unangefochtene Macht auch noch für guten und schlechten Geschmack die Maßstäbe setzt. Da hat Präsident Reagan doch neulich zur Erprobung der Mikrophone für einen Fernsehauftritt mit den Reportern und Technikern herumgealbert und statt "one two - three" das durchgesagt, "was Sie doch alle von mir erwarten: Soeben habe ich ein Gesetz unterzeichnet, das die Sowjetunion für vogelfrei erklärt. In 5 Minuten beginnt die Bombardierung."

Pikiertes Naserümpfen über diese "Entgleisung" hierzulande: Mit Entsetzen Scherz zu treiben, das ginge denn doch zu weit! Gleich meinten alle westeuropäischen und vor allem westdeutschen Apologeten der NATO versichern zu müssen, mehr als ein - unangemessener! - Scherz sei aber auch ganz gewiß nicht dran an Reagans Äußerung; die absolute Angriffsunwilligkeit, ja -unfähigkeit der NATO stünde nach wie vor außer Zweifel. Was natürlich auch und erst recht die aufgeregten Kritiker der Reaganschen Amtsführung und seines Humors nicht bestreiten wollten: Ihre gekünstelte Empörung über die Ungeheuerlichkeiten, die man sich da in Washington als besseren Herrenwitz erzählt, - als hätte ausgerechnet Reagan je aus seinem Herzen eine Mördergrube gemacht -, ist nichts als eine Bekräftïgung des offenkundig nicht sehr fest geglaubten Glaubensartikels, die seriöse Politik der NATO könne es auf die Ausschaltung der Sowjetunion nie und nimmer abgesehen haben.

Echt ist an der ganzen Aufregung sowieso nur der Ärger über die untergeordnete Rolle, die Westeuropa offenbar in Reagans Weltbild spielt, so daß er sich über alle Empfindlichkeiten seiner Bündnispartner glatt hinwegsetzt.

Zweierlei Moral - zu ein und derselben Sache. Denn daß die NATO alles aufwendet, um sich die Mittel für eine erfolgreiche Vertilgung der Sowjetunion zu beschaffen, ist schließlich ein ganzes Raketenstationierungsjahr lang breit diskutiert - und auch diesseits des Atlantik für der Weisheit letzter Schluß befunden worden. Ebenso die gemeinsame Bündnis-Strategie, sowjetische "Übergriffe" im Ernstfall mit Waffengewalt bis zum Atombombeneinsatz zu "vergelten". Und was die Politik betrifft, den Sowjets alles und jedes - jeden Verbündeten, jeden Stützpunkt, ja unter dem beliebten Titel "Unrechtsregime" schon ihre bloße Existenz - als eigentlich nicht hinnehmbaren "Übergriff" vorzurechnen, herrscht bekanntlich erst recht die große Einigkeit im westlichen Lager. Reagans Prophezeiung vom nahen Ende des Weltkommunismus, plus Weinbergers Versprechen, dafür zu sorgen, daß das "mit einem Winseln und nicht mit einem Knall" passiert, haben jedenfalls keine Auflösungstendenzen in der NATO, sondern deren Festigung zur Folge gehabt. Wie unterscheidet sich denn auch Reagans bisweilen etwas blumig formuliertes Weltherrschaftsprogramm von so hochmoralischen, und erzvernünftigen Ansprüchen wie der bundesdeutschen "Rechtsposition", Deutschland gehöre "wiedervereinigt", und zwar zu den Bedingungen des Westens - ?! Der Bonner "Traum" von einem "wiedervereinigten Europa" und Reagans "Umdeutung" des in Jalta abgesprochenen Weltkriegsergebnisses drücken diese Einigkeit in der Sache doch auch wohl idiotensicher genug aus.

Der Unterschied zwischen westdeutscheuropäischer "Besonnenheit" und amerikanischer Brutalität ist also tatsächlich bloß einer des politischen Stils - bezeugt aber alles andere, als daß Reagans "Scherze" eigentlich nicht so gemeint wären: Der US-Präsident nimmt die Politik, auf der die NATO beruht, die Stra tegie, die sie dafür vereinbart, und die Waffen, die - sie dazu angeschafft hat, "amerikanisch" locker. Er schätzt sie als eine Grundlage der Macht, über das Existenzrecht anderer Staaten von ganz oben herab zu befinden, er schätzt diese Macht als Grundlage für das moralische Recht seiner Nation, der Welt ihre Maßstäbe vorzuknallen. Ihm gefällt die Verachtung des großen Konkurrenten und Gegners Sowjetunion, die er sich deswegen erlauben kann. Und diese Verachtung hat er mit seinem "Scherz" ausgedrückt. Völlig klar, daß die "Betretenheit" seiner Partner und deren peinlich berührtes Getue ihm völlig unverständlich geblieben sind. Denn daß die Sowjetunion durchaus wissen soll, wie sehr die verbündeten Demokratien sie verachten: auch das hält Reagan durchaus zu Recht für eine gemeinsame Leitlinie der NATO-Diplomatie.

Die westeuropäischen, vor allem die bundesdeutschen Mitmacher dieser Politik und Diplomatie halten es nur in einem Punkt mit einer anderen Masche. Sie bevorzugen die Heuchelei unüberbietbarer Friedensliebe, um die Sowjetunion nach Kräften ins moralische Abseits zu befördern. Dafür verbieten sie sich - meistens! - manche öffentliche Lustbarkeit in Sachen Feindbildpflege - ohne deswegen das gemeinsame Bild vom Feind auch nur eine Sekunde aus den Augen zu verlieren.

Ihnen ist jedenfalls der Dreh eingefallen, auf Reagans amerikanische "Unhöflichkeit" gegen die Sowjetunion noch eine hochmoralische westeuropäische Frechheit draufzusetzen. Als die Sowjetregierung sich durch Reagans Fröhlichkeit programmgemäß beleidigt fühlte und ihrer Empörung Ausdruck gab, war für die "kritischen" Freunde der USA wieder alles klar: Das war die eigentliche diplomatische "Entgleisung". Wer unserem Ronald einen Scherz s o verübelt und gleich auf die politische Linie des westlichen Friedensbündnisses schließt, der muß selber ein Bösewicht sein und ganz Schlimmes im Schilde führen.

So kommt man auch hierzulande der Sache näher, von der der US-Präsident so locker plaudert.