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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.


VOM CHRISTLICHEN GLAUBEN

<p>Gemäß offiziell bestätigten Gerüchten leben wir im Atomzeitalter und erfreuen uns einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Das sieht man schon daran, daß es 200 Jahre nach einem Geschehen namens Aufklärung keineswegs als <em>Schande</em> gilt, ein <em>Christ</em> zu sein. Im Gegenteil - der schon recht alte Glaube genießt auf dem freien Markt der Meinungen sogar eine erklärte Sonderstellung. Im Gegenteil - der schon recht alte Glaube genießt auf dem freien Markt der Meinungen sogar eine erklärte Sonderstellung.</p>
<p>Einerseits steht die im Zeichen der Dreieinigkeit daherkommende Weltanschauung unter dem besonderen Schutze des Staates. Die Pflege des Glaubens findet organisiert statt, und die <em>Kirche</em> hat ihren gesetzlich verbürgten Platz im System der weltlichen Macht. Über die historischen Leistungen und den heutigen Nutzen dieser Institution darf deshalb auch nach sämtlichen Gerechtigkeitsstandpunkten gestritten werden, wie eben über alles, was der Staat so anstellt. Man darf die Inquisition verachten und bedauern, daß Waffen für Kriege gesegnet wurden, die verloren gingen. Diskussionsfähig sind auch Stellungnahmen von Bischöfen in bezug auf die guten Sitten der Marktwirtschaft, und die Geldfrage ist auch in Kirchenangelegenheiten mit Zweifeln zu betrachten.</p>
<p>Andererseits darf man dem Glauben selbst und dem Herrn, dem er sich verschreibt, nicht zu nahe treten. Denn gläubige Menschen legen in ihrer Bekenntnis ihre gesamte <em>Ehre</em>. Mit dem seltsamen Hinweis darauf, daß es sich um das allerinnerste und tiefste Anliegen handle, das man in seinem Gott gewidmeten Gedanken verfolge, verlangt ein Christ, von <em>Gotteslästerung</em> Abstand zu nehmen. Christen lassen ihre Glaubensüberzeugung nicht schlecht machen, und wenn es dennoch vorkommt, dann sind sie beleidigt. So sehr hängt ihre Selbstachtung an der Achtung auch anderer vor dem lieben Gott. Nicht ihre Weltanschauung fühlen sie sich zu verteidigen gedrängt, sondern <em>sich</em> in der ganz dicken Bedeutung des Wortes <em>Würde</em>.</p>
<p>Insofern erscheint ihnen sicher auch der Abdruck eines in der MSZ 6/1980 erschienen Artikels über den <em>christlichen</em> <em>Glauben</em> als Blasphemie. Denn die Gleichbehandlung ihrer religiösen Lehre mit jedem anderen "Gedankengebäude", die Prüfung ihres Gehalts, die immer auch mit Ablehnung der gebotenen Weisheiten "droht", <em>ist</em> ja schon die Respektlosigkeit vor dem Höchsten.</p>
<p>Dennoch wird gebeten, von den in solchen Fällen dere Ehrverletzung üblichen Haßtiraden Abstand zu nehmen. Wir wissen nämlich nur allzugut, warum das Gebot der Feindesliebe auch bei Christen nicht zur Ausbildung dieser höchst absurden Kunst geführt hat. Ein paar Argumente über die friedliche Koexistenz von Demut und Selbstgerechtigkeit sind im folgenden nachzulesen.</p>

1. Gott Vater

Wer mit einem Christen darüber Streit führt, ob es Gott auch wirklich gibt; wer gar nach Beweisen seiner Existenz verlangt und sich dann über die aufgeführten Argumente empört, dem ist nicht zu helfen. Er verwechselt nämlich Glauben mit Wissen, legt ausgerechnet an ein Bekenntnis die Maßstäbe der Erkenntnis an und feiert den höchst billigen Triumph, in jedem Hinweis auf Gott, den der Christ geltend macht, die Erneuerung des "bloßen" Bekenntnisses zu entdecken. Statt sich Klarheit darüber zu verschaffen, worin der Glaube besteht, gibt er sich mit der ziemlich einfältigen Auskunft zufrieden, daß die Anerkennung eines höchsten Wesens mit Wissen nichts zu tun hat.

Wenn ein Christ umgekehrt Gründe für die Existenz des Höchsten sucht, so findet er sie noch allemal durch die Indienstnahme seines Verstandes für seine Glaubensgewißheit. Einmal kann (= will) er sich die "natürliche Ordnung" nicht ohne ein sie ein erschaffendes und erhaltendes Subjekt vorstellen; ein anderes Mal benötigt er dasselbe Subjekt für eine plausible Vorstellung vom Anfang der Geschichte, vielleicht entdeckt er auch in seinem und seiner Nächsten Treiben keinen Sinn und Zweck, und weil es einen geben muß, kommt ihm Gott gerade recht. Ein Christ vermag solches sogar seiner eigenen Person zu entnehmen und von seinem Glauben an Gott direkt auf dessen Existenz zu schließen. Und moderne Christen bringen diesen "Schluß" auch schon ganz funktionell zuwege: Dann führen sie die Leistung ihres Glaubens - Trost, Hilfe, Orientierung, Schutz vor Verzweiflung etc. - als Argument ins Feld, melden also ganz schlicht ihr Bedürfnis nach Gott an, weil dieser es erfüllt. Damit kommen sie der Sache schon ziemlich nahe, obgleich sie sich dem Verdacht aussetzen, einen "reinen" Glauben nicht zu haben und stattdessen recht konjunkturgebunden auf die schützende Hand des Höchsten zu spekulieren.

Was Leute mit einem echten, das ganze Leben lang gepflegten Glauben mit den "schlechten Christen", denen ihr Herrgott nur gelegentlich einfällt, gemeinsam zustandebringen, ist die Mobilisierung ihrer Einbildungskraft einzig und allein zu dem Zweck, in der Vorstellung eines höchsten Schöpfers und Richters zu einem äußerst schlechten Urteil über sich selbst zu gelangen. Während Gott allmächtig und allwissend ist, ewig und allgegenwärtig den Lauf der Welt bestimmt, beschließt der Christ mit der Entscheidung, an diesen Gott zu glauben und im Verhältnis der freiwilligen Knechtschaft zu ihm zu stehen, einiges über sich. Er legt sich seine Sterblichkeit zur Last, hält sich für ebenso ohnmächtig wie unwissend und bezichtigt sich allen Ernstes, nur ein Mensch zu sein. Dieses "nur" stellt keinen tatsächlichen Defekt, auch keine Wissenslücke und schon gar nicht die wirkliche Ohnmacht eines Individuums vor den sehr handgreiflichen Mächten dieser Welt fest, sondern eine sehr absolute Verdammung der eigenen Menschennatur wird da vollzogen, die ganz allein aus dem Verhältnis zu Gott stammt. Wer bemerkt, daß er etwas nicht weiß oder kann, wird in rationeller Weise selbstkritisch und sucht die Mängel zu beheben, die ihn stören. Wer seine Mißerfolge seiner Unfähigkeit zuschreibt und sich ihrer schämt, läuft mit einem schlechten Gewissen, einem Minderwertigkeitskomplex oder Schlimmerem herum. Wer aber seine Menschennatur verdammt und deren Streben für vergeblich hält, weil er ohnehin nur als Geschöpf und Werkzeug Gottes eine Daseinsberechtigung besitzt, dem ist die Selbstbezichtigung als Sünder als ein Weg eingefallen, mit seinem schlechten Gewissen zu leben. Alles was er tut und läßt, alles was um ihn herum angestellt wird, löst sich entweder in eitel Menschenwerk auf - und des Menschen Dichten und Trachten ist nach Mose I 8,21 böse von Jugend auf - oder hat seinen Sinn in Gottes unergründlichem Ratschluß. Gewöhnlich

beides.

Geht es einem Sünder gut, so betet er zu Gott und dankt ihm für die unverdiente Gnade, für den so göttlichen Lohn; geht es ihm dreckig, so weiß er dieses als gerechte Strafe für seine menschliche Nichtsnutzigkeit zu würdigen und darum zu bitten, daß trotz allem auch ihm ein kleines Stückchen vom riesigen Kuchen der göttlichen Liebe zuteil werde. In jedem Wechselfalle des Lebens deutet er das, was er mitmacht, sehr selbstsicher aus dem Verhältnis zu Gott, das er sich eingerichtet hat.

Und diese Selbstsicherheit, jene Wirkung, die Christen dem Glauben so standhaft zuschreiben - Trost, Mut und Kraft statt Verzweiflung und Zorn über die irdischen Brüder, die ihm manches einbrocken - ist auch schon der Schlüssel zur Selbstgerechtigkeit, deren Gläubige fähig sind. Im Unterschied zum selbstkritischen Individuum, das nach Gründen seines Scheiterns bei sich ebenso sucht wie um sich herum; im Unterschied auch zum psychologisch mit sich verfahrenden Typen, der sich für eine Flasche hält, verfährt ein Christ sehr gründlich. Seine Selbstbezichtigung will er als allen übrigen Leuten ebenso anstehende Gesinnung verstanden wissen, und für diese Haltung geht er missionarisch hausieren. Und sooft er auf taube Ohren trifft, kann er sich der Genugtuung freuen, die Sündernatur, die allen zueigen ist, zumindest exklusiv zu bekennen. Durch seine Selbsterniedrigung weiß er sich auszuzeichnen, und aus Altem wie Neuem Testamente sind ihm die Geschichten vertraut, in denen die Gottlosen das eine oder andere Ungemach härter und viel gerechter trifft als die Kinder Gottes. Christen, amtierende wie Amateure, verfügen also als Anhänger des rechten Glaubens über das gesamte Repertoire jener niedlichen Gehässigkeiten, die vom blanken Neid bis zur Schadenfreude reichen: Sie müssen sich lediglich die Mühe machen, ihrem gläubigen Gottes- und Menschenbild entsprechende Übersetzungen anzufertigen - und schon hat Gottes Gerechtigkeit mit gutem Grund zugeschlagen.

Christen, amtierende wie Amateure, verfügen aus demselben Grunde über jenes sagenhafte Verständnis und Mitleid für alle geschundenen Kreaturen daheim und in der Ferne, also über die Gefühle, die ihnen die lästige Frage nach dem Grund von Not, Elend und Gewalt ersparen. Sie leiden selbst dann noch mit, wenn ihnen gerade einmal größere Schicksalsschläge nicht beschieden sind.

Nie würden sie sich anmaßen, "aus eigener Kraft" die sehr weltlichen, ökonomischen wie politischen Ursachen klarzustellen, wenn ihnen etwas nicht paßt. Der Glaube an ihren Herrn, der keines Beweises bedarf und auch keine Widerlegung zuläßt, ersetzt ihnen das Wissen wie den Willen, die vonnöten sind, den Machern dieser Welt auf die Finger zu hauen. Daß sie als sündige Menschen nur Ausschuß zustande bringen, als gläubige Sünder aber auf keinen Fall etwas verkehrt machen können, solange sie sich nicht die Frechheit herausnehmen, höchstpersönlich und wegen ihrer menschlichen Anliegen etwas am Weltenlauf ändern zu wollen, ist Christen eine Selbstverständlichkeit. Eher bereichern sie die anderen aufgeherrschten Opfer um ihr eigenes, als daß sie ihren grenzenlosen Opportunismus gegenüber der weltlichen Macht aufgeben, über die sie in Röm. 13,1 die passende Lektion empfangen: "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne die von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet." Und wenn demokratisch erzogene Christen in den Zentren des Imperialismus ihr Gewissen damit beruhigen, daß sie die "Theologie der Befreiung" aus fernen Ländern per edition suhrkamp bewundern, so ändert das gar nichts.

Mit dem Entschluß, an Gott zu glauben, hat ein Christ seinen Verstand jedoch keineswegs aufgegeben; vielmehr beschäftigt er ihn damit, seiner gläubigen Weltsicht zu dienen. Und deswegen sind all die alten und neuen aufklärerischen Versuche vergeblich, einem Christen die Widersprüche m Glauben vorzurechnen, um die Absurdität seines Gottes- und Menschenbildes herauszustellen. Der Verstand der Gotteskinder läßt sich nicht für die Widerlegung des Herrn Zebaoth bemühen, weil er von Anfang an damit beschäftigt ist, gerade das "Unglaubliche" faßbar zu machen. Wer also daherkommt und meint, Gott hätte sich in Myriaden von Sündern nicht gerade ein feines Ebenbild auf die Erde gesetzt; die Menschen seien nie so, wie er sie haben will, so daß der höchste nie zufrieden mit ihnen ist, sie strafen und zurechtbiegen muß; die Menschen würden die gottgegebene Vernunft immer wieder für sich einsetzen statt für ein gottgefälliges Leben, ihren Geist also als Mittel der Sünde mißbrauchen etc. etc. - der rennt beim gläubigen Menschen offene Türen ein. Mit Zweifeln dieses Kalibers ist nämlich der Glaube von Anfang an befaßt, und die gläubige Phantasie hat in der heiligen Schrift die Antwort auf solche Fragen längst zur Hand. Schon im ersten Buch Moses wird die Sache mit dem "Baum der Erkenntnis", von dem der Mensch nicht essen soll, klargestellt. In Mose I. 6,6 "reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen."

Und überhaupt gehört der gläubige Umgang mit den Zweifeln zum Glauben vom ersten Tage an, da ein verständiger Mensch eben seinen Entschluß, mit Nicht- Wissen seine Lage zu deuten, rechtfertigen muß.

2. Gott Sohn: Die Offenbarung

Der Verstand eines gläubigen Menschen hat mehr zu leisten als der eines Heiden. Einerseits wird er genauso für die Abwicklung der irdischen Geschäfte benötigt wie der jedes anderen, der arbeiten muß und sich einteilen, heiraten und wählen, bisweilen auch Krieg führen darf; andererseits hat er die zusätzliche Aufgabe zu bewältigen, all die mittelprächtigen Erfahrungen des irdischen Daseins als Werk und Willen Gottes zu deuten. Und so sehr die Mühen seiner irdischen Wanderung bei einem Christen das Verlangen nach dem absoluten Geist wachhalten, bei dem er trotz allem gut aufgehoben ist, so heftig beuteln sie ihn auch mit Zweifeln an der Sicherheit seines Glaubens. Da vergeht mancher Tag, an dem einem Sünderlein statt eines Bekenntnisses die Frage einfällt, ob ihn Gott nicht vergessen habe; oder schlimmer noch: er gerät angesichts der Ungerechtigkeiten, die gerade rechtschaffenen Menschen wie ihm angetan werden, in Versuchung zu lästern. Da trifft es sich gut, daß schon die Vorfahren moderner Christen dasselbe Problem hatten und seine Lösung dazu: Gott antwortet auf die quälenden Fragen der zweifelnden Geschöpfe mit der Einlösung eines Versprechens, daß er sich offenbaren werde, wenn es an der Zeit sei. Der Glaube erfährt eine nicht zu unterschätzende Unterstützung vom zweifelnden Verstand, der die Logik von Gott, dem Herrn, dem Mensch, dem Knecht, fortspinnt, der mit der neutestamentlich mehrfach verbürgten christlichen Offenbarung alle Bedenken bezüglich der Existenz und des Wirkens Gottes zerstreut. Also hat Gott uns seinen eingeborenen Sohn gesandt...

Leben und Lehre Jesu sind zwar für die Stabilisierung der Glaubensgewißheit eine prächtige Sache, weisen aber einen nicht zu übersehenden Mangel auf: Man muß an sie glauben, an die Werke des Gottessohnes, der in Menschengestalt die christliche Entsagung und ihr Gelingen vorführt! So angenehm es für ein christliches Gemüt auch sein mag, den "abstrakten Gott" - den er sich nicht vorstellen kann und von dem er sich keine Gipsabdrücke machen darf - um eine Figur ergänzen zu können, die seiner Anschauung zugänglich ist und eine detaillierte Biographie aufweist, so unleugbar sind doch die zusätzlichen Anstrengungen, die dem Gläubigen aus der Geburt, den Teach-ins, den Wundern und der Passion Christi erwachsen. Die Evangelien sind nämlich via et ratione ausgetüftelt und bieten deswegen dem Verstand des Gläubigen auch manchen Stolperstein:

- Als Erlöser der Menschen, der ihnen zeigt, wie sich die schlechte Menschennatur besiegen läßt durch die freiwillige Annahme der Knechtsgestalt, ist Gottes Sohn ein Mensch. Nur als solcher vermag er die Leiden auf sich zu nehmen, die als Vorbild der Selbstverleugnung dienen können, die sonst so schnell niemand zuwege bringt.

- Dies hat als erstes Konsequenzen für die Vorstellung, die sich die Gläubigen von der Geburt Christ zu machen haben: das irdische Dasein von Jesus fängt gleich mit einem Wunder an, das die Theologen zu ihren schönsten Geheimnissen zählen.

- Die nächste prüft den Verstand als Mittel des Glaubens nicht minder hart; daß Jesus kein gewöhnlicher Mensch ist, sondern mit der Allmacht Gottes ausgestattet, will auch bezeugt sein. Schließlich steht er seinen Mann für das anbrechende Reich Gottes, für die Bezwingung der Sünde und für die Erlösung von ihr. Also tut Jesus gelegentlich ein Wunder zum Beweis der Allmacht Gottes

- und wird prompt vom Zweifler im Gläubigen mißverstanden. Der nämlich hält die Wunder gern für einen guten Grund zu glauben - und so sind sie überhaupt nicht gemeint. Wunder setzen Naturgesetze außer Kraft, sind also Kritik des Menschengeistes, der sich einbildet, sich ein bißchen auszukennen in der Welt und davon profitieren zu können. Da ist es schon eine Ungeheuerlichkeit, wenn Menschen auf Wunder scharf sind zum Beweis dafür, daß Jesus glaubwürdig ist, also überzeugt sein wollen. Das mußte der Herr klarstellen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht" (Joh. 4,48) weist er die nur bedingt Gläubigen, die Rationalisten unter den Gotteskindern, zurecht.

- In seiner Passion führt er, ganz Mensch, den anderen Menschen den rechten Umgang mit ihrer Endlichkeit vor: die Selbstverleugnung ist der Weg zur Erlösung; so geht die Überwindung des Fleisches durch den Geist! Freilich versetzt Gottes Sohn den Gläubigen als verständigen Leuten damit den nächsten Schock: Statt eines Sieges über die Endlichkeit bemerken sie zunächst einmal eine Niederlage, Gottes Sohn ist tot - und das darf er nicht sein. Also geht's in die Verlängerung, in der auferstanden wird: "Tod, wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg!"

- Der Glaube an die Auferstehung gehört also auch noch dazu, will man der göttlichen Liebe teilhaftig werden, was bei den berechnenden Kreaturen, für die Jesus das alles durchsteht, zu allerlei irrigen Vorstellungen über das Leben nach dem Tode führt. Immer wieder vergessen sie, daß - Auferstehung des Fleisches hin und her - der gläubige Geist auf seine Kosten kommt und der Himmel kein Erholungscenter mit freiem Eintritt ist. Immer wieder lassen sich Christen, ungeübt von der Logik der Heilsgeschichte, von ihrer materialistischen Phantasie leiten und malen sich das ewige Leben als Ansammlung sämtlicher irdischer Genüsse abzüglich des hienieden dazugehörigen Ärgers aus...

Die Evangelien als Zeugnisse der Offenbarung tun auf jeden Fall gut daran, nicht nur das zu berichten, was zu glauben ist an Taten und Leiden Christi; sie stellen in kundiger Weise, stets der Widerspenstigkeit des menschlichen Verstandes eingedenk, auch die Fehler klar, die man im Kampf zwischen Glauben und Zweifel so machen kann. Da gilt es mancher Versuchung standzuhalten, mit der kleingläubigen Beweissucht fertigzuwerden usw., kurz: die Passion Christi hat als vorgemachte Selbstaufgabe ohne die Spur jeder Berechnung geglaubt zu werden, und nur das gläubige Schaf Gottes ist in der Lage, eine korrekte Interpretation des Weltgeschehens

und seiner Stellung in ihm vorzunehmen, also ein christliches Leben zu führen. Dieses spielt sich zuallererst im

3. Geist der Gemeinde

ab. Den Gläubigen und nur ihnen erscheint der Geist des Herrn. "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen...", da ist auch der Herr präsent. Das ist ausnahmsweise kein Wunder, sondern sehr (tauto-)logisch. Diejenigen, die sich unter Berufung auf die Offenbarung der Bewahrung des Glaubens annehmen, stehen für die Präsenz und die Lehre Gottes, des Vaters und des Sohnes gerade, sind also vom Heiligen Geist erfüllt. Dessen Niederkunft, das Zeichen der Vollzugsmeldung, ist zwar auch wieder an die Vorraussetzung des Glaubens geknüpft, aber wen stört das schon? Die Existenz der gläubigen Zeugen beweist den Glauben und tradiert den Beweis Gottes in der Welt und für sie. Das war von Anfang an klar, daß sich der Glaube selbst beweist und seine Anhänger feierlich erklären, daß der Menschengeist das Ganze ohnehin nicht faßt.

Und auf diesem Widerspruch sollte man auch nicht übermäßig herumhacken, denn Menschen sind es schon, die unter Aufbietung ihres Geistes ihren Gottesdienst abwickeln. Sicher, argumentiert und überzeugt durch richtige Gedanken über die Welt wird nicht in der Kirche, sondern die gläubige Einstellung wird gefeiert und besungen, weil jeder froh ist, daß er seinen Glauben hat. Aber selbst zum gemeinschaftlichen Genuß des Glaubens an die Dreifaltigkeit, zur selbstgerechten Demonstration, daß man im richtigen Verein ist, bedarf es einiger Verrenkungen geistiger Art. Christen müssen ja bei der Feier der Einsicht, daß ihre Menschennatur nicht viel wert ist, sogar aufpassen, daß ihr Bekenntnis nicht allzusehr mit dem kontrastiert, was sie außerhalb des Gottesdienstes tun, und vor allem die Sünderhaltung ohne den offensichtlichen Wunsch, sich in aller Demut auszuzeichnen, vorführen (schon Jesus hat dazu kundig Stellung genommen!). Wenn sie daran denken, dann dürfen sie sich auch kräftig im Gebet erniedrigen, in der Predigt beschimpfen und trösten lassen sowie am Gesang erbauen. In der Exekution der Sakramente laufen sie dann zu ihrer höchsten Form auf. Sie werden der Gnade Gottes teilhaftig - und müssen schon wieder höllisch aufpassen, daß sie sich nicht einbilden, sie können sich qua Teilnahem an dem Hokuspokus irgendetwas verschaffen. Wo sie sich einbilden, daß sie sich das nicht einbilden, da hebt ein fröhlich Taufen von Babies an, aber nicht von unschuldigen Kindern, denn die "Erbschaft", die sie übernommen haben, können sie nicht ausschlagen. Da wird aus dem Verhältnis der Geschlechter ein Gottesdienst, und nur so steht ein Christ zu dieser peinlichen Sache des Fleisches. In der Beichte erreichen Christen die Spitze ihrer Heuchelei, indem sie durch Reue und Buße ihre bösen Taten auf innerliche Weise ungeschehen machen, was freilich nur die Leistung Christi ist. Sonst wäre man ja auch nicht im Abendmahl der unio mystica fähig, durch die man den Geist des Herrn auf sehr natürliche Weise Einzug bei sich halten läßt.

So sind gläubige Christen das lange schöne Kirchenjahr über mit dem Repetitorium von Leben und Lehre Christi beschäftigt und reden sich an dessen Vorbild die Verachtung des Materiellen, Weltlichen und Natürlichen ein, daß einem schlecht davon werden kann. Selbstverständlich werden auch Christen die Welt, und was sie in ihr tun nicht los. Aber dazu reicht ihr Geist schon aus, daß sie von ihrem stinknormalen Leben abstrahieren, es als bloße Durchgangsstufe und Bewährung im Glauben auffassen und alles ein bißchen anders betrachten.

4. Christ und Welt

Die Distanzierung von der Kirche, die Anklage gegen ihre Werte, die lockeren Späße über Pfaffen und Nonnen - all das taugt nichts ohne die Kritik am Glauben. Christen, die sich um die Verbesserung ihrer weltlichen Glaubensbüros dann schwer engagiert bemühen, sind die einschlägigen Vorwürfe keineswegs fremd. Warum sollten sie auch die professionelle Verwaltung ihres gläubigen Opportunismus - die schließlich "Menschenwerk" ist - in jeder Hinsicht gut finden? Es kann ihnen gar nicht verborgen bleiben, daß ihre Ideale von einem gottgefälligen Miteinander, von caritativer Hilfe und friedlich-gewaltloser Politik Ideale bleiben. Insofern ist es keineswegs verwunderlich, wenn sie zur endgültigen Rettung ihres gläubigen Gewissens gelegentlich kritisch werden. Sie wollen nämlich den mit ihrer Glaubenskonstruktion erdachten Sinn, jenen ideellen Ertrag des Mitmachens unbedingt erhalten.

Leider müssen wir ihnen bezüglich dieser Seite ihres guten Willens einen Irrtum zur Last legen. Er besteht in der Annahme, daß die Organisation einer "privaten" Demutshaltung etwas anderes sein könnte als ihre Benützung. Mehr als amtlich vertretene Aufrufe zu eben der Haltung, auf die Christen ansonsten so merkwürdig viel Wert legen, kommt da nie heraus. Und der zynische Opportunismus der Kirche gegen alle möglichen Sorten weltlicher Macht ist nur die konsequente Vertretung der untertänigen Ansprüche auf ein sinnvolles Leben im Geiste Jesu. Zwischen der Politik der Kirche und dem "eigentlichen Glauben" besteht nicht der geringste Gegensatz - die amtierende Moral ist nämlich nur die Durchsetzung des Menschenbilds, zu dem sich die Gläubigen erniedrigen. Über die damit verbundenen Opfer sollten sich diejenigen nicht aufregen, die ansonsten auf kein Opfer verzichten wollen. Die Kosten der Moral brauchen den doch nicht zu erschrecken, der die Moral hat.

Also:

Nach einem glaubensgemäßen Miteinander in Familie, Beruf und Staat zu streben, ist die eine Sache. Daß es sich aufgrund massenhafter Bereitschaft zur harmoniestiftenden Bescheidenheid nicht einstellt, ist eine ganz andere. Christliche Politiker tun da unser Bestes.

Die von den weltlichen Mächten geschaffenen Opfer um sein eigenes ergänzen, diese sehr praktische Caritasübung, wird auch weiterhin erlaubt und genehm sein. Ob dadurch ein Opfer - in der "Dritten Welt" oder sonstwo - verhindert wird, ist schon aufgrund der Reihenfolge des Tatablaufs äußerst zweifelhaft.

Und in der Frage der Raketen, die verantwortungsbewußte Politiker aufstellen lassen, brauchen Leute garantiert keine häßlichen Töne verlauten zu lassen, die meinen "der Mensch" habe nicht das Recht zu töten und schon gleich gar nicht in so großem Ausmaß. "Der Mensch" bestellt ja gar nicht das Tötungsgerät, so daß ihm Zeit bleibt, für den Frieden zu beten.