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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.
KULTURNOTIZEN
Octavio Paz
Der mexikanische Diplomat und Essayschreiber erhält am 7. Oktober in der Paulskirche den Friedenspreis der Buchhändler. Wie immer eine zeitgerechte Wahl. Don Octavio: "Die Welt bewegt sich, aber wohin? Hat dieses Hin und Her, wenn schon nicht einen Sinn, wenigstens eine Richtung?" Die 'Richtung' 'bewegt sich' für Paz voll hinein in die Scheiße, wenn sich nicht die Antikommunisten aller Länder vereinigen und die USA endlich erkennen, daß gerade für diese Richtung in der "Dritten Welt" ein bislang verkanntes und mißhandeltes Potential vorhanden ist: "Um ihre Feinde zu besiegen, müssen die Vereinigten Staaten... die anderen, die der Westen ausgeschlossen hat, zurückgewinnen." Der Geist aus dem "Hinterhof" der USA meldet sich hier zur Stelle in Gestalt eines mexikanischen Hidalgo, der "für die Mehrheit der Menschheit" spricht, die, "so arm sie sein mag, eine einzigartige und kostbare Version der Menschheit" in die NATO-Front einbringen kann, "Unsere Armut ist unser einziger und wahrer Reichtum". Endlich ein Intellektueller aus Lateinamerika, der über "den Opfern der Militärdiktaturen nicht vergißt, daß keine Repression... so unbarmherzig ist wie die der Sowjetunion". Schließlich werden die Leute im südlichen Einzugsbereich des Imperialismus nur umgelegt, während im Osten "der Geist der Menschen gebrochen werden" soll. Was man auch daran wieder sieht, daß eingeborene Ideologen der Menschlichkeit des Elends, das der wirkliche Reichtum nicht nur in Lateinamerika produziert, im Osten nie einen Buchhändlerpokal für Frieden kriegen.
Des Volkes Stimme
ist beileibe nicht nur im Wahllokal gefragt, wo sie in Gestalt von lauter kleinen Kreuzen der Ermächtigung tüchtiger Politiker dient. In einem lebendigen Gemeinwesen wie dem unseren verschafft sie sich auch sonst Gehör - und straft die notorischen Kritiker Lügen, die behaupten, daß die Gemeinheiten der Herren nur mit einer satten Portion Dummheit von den Knechten auszuhalten gehen.
Einige Zeugnisse für Zivilcourage, die sich nicht vor der anmaßenden und elitären Kritik versteckt, wie sie auch in den Spalten dieses Blattes vorkommt, entnehmen wir beschämt der Leserbriefecke des GONG. Sie betreffen die von der MSZ schlechtgemachte Abschieds-Show für Karl Carstens. Mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns nehmen wir alles zurück - und dokumentieren zum Zeichen der Buße die real existierende Volksmeinung.
"Kein anderer Moderator als Hans Rosenthal hätte es besser machen können, unseren hochverehrten, jetzt leider scheidenden Bundespräsidenten so zu verabschieden.
Anni Klein-Rogge, Bayrischzell"
Ohne demütig ums Wort zu bitten, belegt Anni eindrucksvoll, daß sie sich selbständig eine eigene Meinung zu bilden vermag. Diese ihre Meinung kreist um ein Problem, das wir uns nicht einmal zu stellen wagten: Wie gut paßt Hans Rosenthal zu Karl Carstens? Und ohne Umschweife wird die Frage mit klarem analytischem Verstand gelöst - die Besetzung der zweiten Hauptrolle geht in Ordnung. Frau Anni hat zweifellos recht.
"Bravo! Endlich mal eine Sendung, die von Deutschen für Deutsche gestaltet war und einen Stolz auf unser schönes Deutschland aufkommen ließ.
Anneliese Scholz, Giengen"
Frau Anneliese liefert ein Beispiel dafür, wie absurd die soziologischen Redensarten von der "passiven Konsumhaltung" des Fernsehpublikums sind. Erstens hat sie die Sendung kapiert, und zweitens hat sie ihr auch noch gefallen. Aktiv nimmt sie gegen die Überfremdung ihres Bildschirms Stellung und legt sich mutig mit den Programmgestaltern an, die es ihr endlich einmal recht gemacht haben. Das dürfte denen da oben zu denken geben.
"Ist die deutsche Sprache so arm, daß man für das Abschiedsfest unseres allseitig verehrten Herrn Bundespräsidenlen Carslens nur einen englischen, wenn auch recht liebevollen Titel finden konnte? Elisabeth Dauber, Haan-Gruiten"
Noch ein Denkzettel! Elisabeth scheut sich nicht, die Inkonsequenz der selbstherrlichen Macher in der ARD schonungslos aufzudecken. Mit ihrer rhetorischen Frage hat sie auch das passende Stilmittel gefunden, das den Reichtum der in Frage stehenden Muttersprache unseres Vaterlandes erahnen läßt. Richtig, Elisabeth! Die Sendung hätte "Heil!" heißen müssen, und "Captain" gehört auch anders eingedeutscht als mit "Käpt'n", gell?
"Nichts gegen Carl Raddatz, aber ich bin der Meinung, daß die Verse von Kurt Tucholsky: "Und alles mit deine Hände" hier fehl am Platze waren und eher zur Ehrung einer Mutter zum Muttertag gepaßt hätten.
Ruth Paschkewitz, Dietfurt"
Der Einwand von Ruth widerlegt schlagend die verbreitete Auffassung, daß die Achtung vor beliebten Personen unkritisch macht. Und nicht nur das. Ruth verwirft nicht nur einfach - sie ist auch mit einem konstruktiven Vorschlag zur Hand. Ihrem "Raus mit diesem Gedicht aus der Vaterlandssendung!" läßt sie ein offenes "Rein damit in die Muttertagsshow!" folgen. Das sitzt und ist ein Zeichen der Ermutigung. Wie auch der letzte Brief:
"Das war wirklich ein großer Gala-Abend.
Elisabeth Schellmann, Hannover"
Bleibt nur zu hoffen, daß diese fünf engagierten Frauen den von Männern besetzten Rundfunkrat dereinst erobern und ihre Ideen für die Programmgestaltung verwirklichen können!
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Der Kulturgeschmack der Massen ist nicht schlecht, weil er der von Massen ist. Er ist ein betrüblicher Index dafür, wie weit es die Elite mit demselben Geschmack in der Zurichtung der Massen gebracht hat.
Udo Lindenberg
ist wirklich nicht bloß ein "Schlageraffe", sondern noch dazu "echt locker" Kulturbotschafter des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen, der Bundesanstalt für politische Bildung und der Aktion Sühnezeichen. Da schmeißt sich ein ausgewachsener Pfadfinder in die Rockeruniform und vollbringt mit jedem Titel eine gute Tat: Die Mauer muß weg, damit auch die Ostzone endlich vom Panik-Orchester überzogen werden kann; der "Raketenschrott" muß weg, damit der "kleine Udo" endlich wieder einen Sinn im Krieg entdecken darf; die "Nazischweine" müssen weg, damit die offizielle Hinaussäuberung der Türken Herrn Lindenberg nicht mehr an "früher" erinnert. Da ist jeder Song prall voll Schlagzeug-Moral, "unheimlich ätzend" wird der Welt der Pelz gewaschen, ohne sie naß zu machen. Ein biederer Punkspießer offeriert seinen Fans die "Schuldigen". Die Herren heißen Wahn- und Unsinn, Und in Westberlin besitzen die Panikmusiker den nahezu unglaublichen Mut, das halbe Programm hindurch auf den Osten einzudreschen - wenn das keine "Provokation" ist! Dafür läßt "Lindi" sich gerne mal "kastrieren": Seinen Nonnensong, wo ihm eine "schändliche Beleidigung des Ordensstandes" unterlaufen sein soll, hat ihm der Sender Freies Berlin rausgeschnitten, bevor die "Götterhämmerung" garantiert "ungetürkt und unzensiert" (Lindenberg) den Brüdern und Schwestern in Ost und West "live" per ARD heimgestrahlt werden durfte. Ein gesamtdeutscher Depp, den uns die FDJ nun leider doch nicht abnimmt!