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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.

Systematik

Liberalismus in der BRD
DER F.D.P. GEHEN DIE PUNKTE AUS

"Die Freie Demokratische Partei durchschreitet eine der schwierigsten Perioden ihrer Geschichte - ich denke, es ist die schwierigste." (H.D. Genscher)

Hiobsbotschaften seit Wochen. Der deutsche Liberalismus in Not! Die Mitte in der Parteienlandschaft - seit jeher eng bemessen - droht von Links und Rechts zerquetscht zu werden. Genscher - am Ende seiner Ära. Lambsdorff - von Justiz und Pöbel verfolgt. Engelhardt - an Farblosigkeit dauererkrankt. Und jetzt auch noch die Europawahlen - liberaler "Dampf" verpufft. Ist die FDP am Ende?

Genau genommen sind die allseits beschworenen "Schwierigkeiten" der FDP nichts Neues. Schon immer war die glorreiche Parteigeschichte der sich frei nennenden Demokraten durch den Opportunismus des Mehrheitsbeschaffers geprägt. Je nach politischer Konjunktur und Stand der Parteienkonkurrenz bestand das Verdienst dieser Partei darin, der Macht in Bonn mit ihren knappen, aber doch ausschlaggebenden Prozenten zu einer stabilen Regierung und sich selbst zur (nahezu) ununterbrochenen Teilhabe an dieser zu verhelfen. Drei oder vier Minister Marke FDP an den Schalthebeln der Staatsgewalt reichten als "Argument" aus, das "liberale Element" - ob sozial oder konservativ eingefärbt - für unersetzbar zu befinden. Wer die Macht hat, verdient sie auch - dies die anerkannte Logik, mit der die FDP die Notwendigkeit ihres selbständigen Micker-Daseins als gewichtiger Steigbügelhalter für eine schlagkräftige Regierungsmehrheit unterstrich und ihr zeitweiliges regionales Ausscheiden aus der "parlamentarischen Mitwirkung" der Staatsvergessenheit des Wählermaterials anlastete. Die jüngsten Erkenntnisse der Vorsitzenden der Programmkommission Adam-Schwaetzer über die zwieschlächtigen Eigenschaften eines Liberalen: "Pragmatiker und Programmatiker", "Entschiedenheit und Kompromißbereitschaft" beeindrucken somit nicht nur durch ihre inhaltsleere Dummheit, sondern kennzeichnen auch die alte Stärke des deutschen Liberalismus: Er bewährt sich in der Wandlungsfähigkeit der Methoden, mit der er nach der Herrschaft eifert und sich als deren kleinerer Partner erhält.

Genau dies ist auch der Gesichtspunkt, unter dem betrachtet die momentane "schwierige Periode" der FDP überhaupt Interesse gewinnt: Ob die vorerst geplatzten Amnestiegläne eine Schlappe für Genscher bedeuten, der schlappe Genscher dem Ansehen der Partei schadet, das geschädigte "Erscheinungsbild " der Liberalen durch eine neue Charaktermaske im Vorsitz wieder aufzupolieren ist, ob über dem ganzen Schlamassel nicht die Koalition, die Freundschaft Genscher/Kohl und überhaupt die Demokratie Schaden nimmt, etc. Das sind die Sorgen, an denen die Öffentlichkeit teilhaben darf. Dem Bedürfnis nach demokratischer Kritik wird die FDP seit Wochen überragend gerecht.

Basis amnestiert Partei

Da hat der FDP-Chef, Vizekanzler und dienstältester Außenminister der westlichen Welt (seine Verdienste sind deshalb über jeden Zweifel erhaben), in schönster Einhelligkeit mit seinem Koalitionspartner CDU ein Gesetz auf den Weg gebracht, das dem gewachsenen Bedarf beider Parteien nach Spendenzufluß aus der Geschäftswelt endlich rechtliche Einwandfreiheit bestätigen sollte. Die Fraktionen der Regierungsparteien standen geschlossen dahinter. Die Parlamentsmehrheit war sicher. Daß die kritische Öffentlichkeit ausgerechnet dieses Gesetz dazu nutzen würde, um mittels moralischer Empörung ihr Bekennntnis zum sauberen Staat abzulegen, war als vorübergehende Erscheinung eingeplant. Nicht eingeplant war, daß einige regionale Parteiführer der FDP diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollten, ohne ihr noch kaum entdecktes oder in Landtagswahlen ramponiertes Ansehen an der schon vorhandenen Stilkritik zum Bonner Beschluß aufzumöbeln. Flugs tauchten aus bislang weitgehend unbekannten Parteiniederungen lauter junge, dynamische Herren in Anzug und Krawatte auf, die aus ihrem zutiefst liberalen Herzen keine Mördergrube machen wollten. Tags darauf stand's in allen Blättern:

"Die Parteibasis rebelliert."

Obwohl von dieser Basis bislang nicht viel gesichtet wurde, sollte doch in ihr lange Zeit verschüttet das eigentliche liberale Erbe geschlummert haben und jetzt - ebenso plötzlich wie passend - wiedererwacht sein: "das Rechtsstaatsbewußtsein".

"Gleichheit vor dem Recht - das war die ideelle Grundsubstanz, aus der sich der Liberalismus entwickelt hat. Daran vergreift man sich nicht ungestraft." (Die Zeit)

Zwar sprach der Augenschein für eine Kalkulation wesentlich schlichteren Kalibers ("Eine Partei, die ihre Glaubwürdigkeit und ihre Wähler verloren hat, ist schlimmer dran als eine ohne Geld." - G. Baum), vor allem aber: Wer zahlt noch, wo's nichts mehr zu bezahlen gibt. Dennoch ließen sich die karrierebewußten freidemokratischen "Rebellen" gerne von kreativen Meinungsmachern das Etikett der strafenden "ideellen Grundsubstanz " anhängen. Das nutzt der eigenen Bekanntheit und der Partei, in der man's zu was bringen will. So hat auch ein "Desaster " seine hoffnungsvollen Seiten:

"Jetzt sieht es fast so aus, als habe man in das Desaster hineinschlittern müssen, dmit die Partei im Aufschrei der Basis ihr Selbstbewußtsein zurückgewinnt." ( Süddeutsche Zeitung)

Genscher, im Wechsel erfahren, setzte sich über Nacht an die Spitze seiner "liberalen Putschisten". Die Zeitungen erfanden das dazu passende Problem:

"Die Parteiführung, Hans-Dietrich Genscher an der Spitze, muß, um den Vorwurf des Wortbruchs zu entkräften, die Amnestiepläne verteidigen; zugleich muß auch der Wille der Partei klarwerden: Wir waren es, die den Rechtsstaat vor diesem Gesetz gerettet haben. Wie soll das zusmmengehen?" (Die Zeit)

Hans-Dietrich Genscher mußte gar nichts! Den Vorwurf des charakterlosen Lügenbeutels wollte dem amtierenden Außenminister eh keiner machen. Daß in den Sphären der Politik die gelungene Taktik des Machterhalts noch allemal die Moral auf ihrer Seite hat, galt als ausgemacht. Nur ob das schlichte Gemüt des Wählers, für den ja wohl die ganze tolle "Aufbruchsstimmungs"-Tour der FDP inszeniert wurde, das auch in den richtigen Hals kriegt ("... verschwimmt dabei für die Wähler in einem schwer verständlichen Sowohl-als-auch"), wollte man regiekritisch noch angemerkt haben. Genscher machte in seiner Parteitagsrede vor, wie es blendend zusammengeht: Man tut einfach so, als sei's letztlich der Wille des Bürgers selbst gewesen, der die Winkelzüge der Liberalen zu einem reinigenden Ole! für die Partei geführt habe:

"Wir haben bewiesen, in der FDP können die Mitglieder etwas bewegen und über die FDP können die Bürger etwas bewegen."

"Die FDP hat sich nicht nur als die sensibelste Kraft erwiesen, sondern auch als die letztlich entscheidende." (H.-D. Genscher)

Nicht schlecht, wie er das wieder hingedreht hat:

"Eine solche Darstellung ließ zwar den Chronisten staunen, entschärfte aber das Konfliktpotential dieses Parteitags." (Süddeutsche Zeitung)

Vorsitz mit Rücktritt

Wenige Tage vor Beginn des Münsteraner Parteitags hat der Parteivorsitzende dessen Tagesordnung gründlich geändert. Statt einer absehbar wenig öffentlichkeitswirksamen Debatte über angebliche Lücken im freidemokratischen Programm ("das selbstdiagnostizierte Defizit bei der Bildungspolitik war vor einem Jahr die Begründung für die Vorverlegung des Parteitags auf den Juni dieses Jahres") setzte Genscher mit der Erklärung langfristig angelegter Rücktrittsabsichten "Schaulaufen" aufs Programm. Das kam prächtig an bei Presse und Funk wie auch beim eigenen Parteivolk. So prächtig, daß Genscher ("keiner wußte, daß ich damit schwanger ging") nicht umhin konnte, sich selbst ein verwundertes Lob für die geglückte Inszenierung auszusprechen: "Was doch so ein kurzer Satz alles bewirkt." Ein im Dienst an der Macht altgedienter Hase wie der FDP-Vorsitzende weiß aus Erfahrung, daß seine demokratische Öffentlichkeit auf nichts geiler ist, als die Gewalt am Zustand ihrer Exekutoren zu verherrlichen:

"Das ruhelose Flackern in den Augen hat sich verloren, die eben noch teigig belegte Stimme klingt jetzt frei, fast fröhlich: Hans-Dietrich Genscher zeigt, während er mit Daumen und Zeigefinger das rechte Ohr massiert, ein Lächeln, in dem sich sämtliche Härten des politischen Lebens aufzulösen scheinen.... Genscher sieht glücklich aus, ganz so, als ob alles nach seinem Willen gegangen wäre: daß er nun zum letzten Mal für das Amt des Parteichefs kandidierte, um dann die Führung an Jüngere abzugeben;... Sein Bemühen, nicht am Wegrand des Erfolgs liegen zu bleiben, ist diesmal allerdings strapaziös für ihn gewesen. Denn als er sich mit einem befreienden Ruck sein Sakko auszieht, nimmt jedermann wahr, daß Genschers Hemd an den Schultern und um die Hüften durchschwitzt ist wie das eines Schwerarbeiters." (Chefkorrespondent Kempski in der "Süddeutschen Zeitung")

Wo's ausschließlich um die Selbstdarstellung der Politiker geht, ist noch der unappetitlichste Schauspielertrick (bekanntlich verfügt Genscher über die seltene Gabe, jederzeit Strapazen durch Schwitzen zu mimen) von Gewicht. Es gibt halt nichts Interessanteres als die Gefühls- und sonstigen Zustände dieser Herren, wenn man sie untertänigst an einer vorgestellten Befähigung zur Herrschaft und nicht an deren Auswirkungen mißt.

Aus der Kammerdienerperspektive nehmen sich auch verrückte Befunde plausibel aus: Da mag der FDP-Vorsitzende durch ausgedehnte Freß- und Saufgelage bei der heimischen Elite ("..., als Genscher ganz entgegen seiner Art im Münchener Restaurant 'Käfer' tafelte und tags drauf auf einer Party des Medien-Agenten Josef von Ferenczi becherte -") noch so sehr die gute Konstitution eines von Arbeit freien Ministers demonstrieren - daß er nicht zur gleichen Zeit bei der Abstimmung eines Landesvorstands gegen sein Gesetz dabei war, belegt: Er ist ein schwerkranker Mann.

"Der Mann sei fertig, ausgebrannt nach zehn Jahren Doppelbelastung als Außenminister und Parteivorsitzender, heißt es im Kanzleramt." (Der Spiegel)

Ein demokratischer Politiker blamiert sich eben nie. Selbst da, wo er für überflüssig befunden wird, ist die Forderung nach Ersatz für einen "verbrauchten Spitzenpolitiker" die Feier seiner Amtstätigkeit. Und wenn er gleich selber seine Ersetzung beantragt, so ist das der eleganteste Weg dranzubleiben.

Stärke von gestern - Fehler von heute

Entsprechend sahen auch die "Fehler" aus, die dem Parteichef vorgerechnet wurden, nachdem er selbst durch seine Rücktrittserklärung die Erlaubnis dafür erteilt hatte. Kein einziger von den Freidemokraten mitgetragener Regierungsbeschluß kam dabei zur Sprache. Die "Wende", sprich die geglückte Fortführung der Machtbeteiligung in Bonn, wollte natürlich kein Freidemokrat in Frage gestellt wissen. Angesichts einer zunehmend im Sinken begriffenen Wählergunst, die auch die liberale Position im Regierungskabinett in Zweifel zieht, sind den schlagartig aufmüpfig gewordenen FDPlern ganz andere "Fehler" ihrer Führung eingefallen. Justament dieselben, die auch der Öffentlichkeit als Bewertungsmaßstab dienen, wenn sie die Tauglichkeit der Parteien fürs unbehelligte Regieren beurteilt - exemplarisch ein Politik-Professor, der sich als Zeitungskommentator ein Zubrot verdient:

"In einer Zeit, in der die Positionen immer enger zusammenrücken, zuweilen fast ununterscheidbar werden, ist erneut politisches Stilgefühl gefragt. Nicht mehr auf die Inhalte der Politik kommt es an, sondern ebenso auch auf die Art und Weise, in der man seine Machtansprüche verwirklicht." (Paul Noack in der "Abendzeitung" München)

Am Kriterium des Erfolgs in der Parteienkonkurrenz gemessen, konnte somit dem Vorsitzenden erstens der Vorwurf nicht erspart werden, daß er zwar den Machtanspruch der Partei durch flexible "Wende" gewahrt, das tatkräftige Mitmachen an der Regierung aber nicht erfolgreich genug als die ganz eigene Leistung der FDP herausgestellt habe. Vom Standpunkt der geeigneten Verkaufsstrategie entspann sich jene den kwürdige "Kontroverse" darüber, ob die Segnungen der "Wende" ihr spezifisch liberales Image nun durch eine Rolle vorwärts oder rückwärts aufgedrückt bekämen. Während Genscher betonte, "es werde die Aufgabe selbstbewußter Liberaler sein, in der Koalition nicht Distanz zur Wende zu zeigen, sondern die Wende klarer, politischer, ja kompromißloser zu wollen" (SZ), setzte die Adam-Schwaetzer "in deutlicher Nuancierung" dasselbe andersrum dagegen: "Eine 'Wende total' werde die FDP in Bonn nicht mitmachen, geschweige denn 'eine Rolle rückwärts'."

Zweitens sollte der Parteichef gegen das - mit seiner Metamorphose zum Amnestiegegner eingeläutete - neue liberale Markenzeichen: "Stilgefühl" gefehlt haben.

An der neuen Saubermannstour brachten mindestens zwei Parteikarrieristen ihren "Kürlauf" als Genscher-Nachfolger zum Vortrag:

Manfred Brunner, der seine "Sehnsucht nach klaren inhaltlichen Aussagen" schon im Münchener Kommunalwahlkampf dadurch befriedigte, daß er unter sein Konterfei das klar inhaltliche Argument "Der Mann der Mitte" setzte. Nachdem er festgestellt hat, daß sein Parteifreund Engelhardt als Weichling im harten staatlichen Durchgreifen verschrien ist, will er sich vor allem an ihm profilieren.

Und das Schreckbild eines Schwaben: Morlok. Seit bekannt ist, daß er erst protestiert, wenn der Protest mehrheitliche Parteistrategie ist, gilt er als äußerst "integrationsfähig" und "gewiefter Taktiker": "Ein Genscher ohne Vorstrafen". Allerdings schwitzt er kaum. Seine Ohren will er sich noch wachsen lassen.

Drittens braucht die Partei "am Abgrund" für ihr "neues Selbstbewußtsein" dringend den glaubwürdigen Eindruck, alle Freidemokraten befänden sich in emsiger "Aufbruchsstimmung". Dafür wurde der "Führungsstil" Genschers (in erfolgreicheren Jahren euphorisch gefeiert) mit der demonstrativ knappen Wiederwahl zum Parteivorsitzenden in konstruktiven Zweifel gezogen; dafür streute sich Genscher Asche aufs Haupt und heuchelte einen reuigen Hans-Dietrich, der sich im Dienst an der "Wende" zu sehr "verkrampft" habe, ab sofort aber wieder ganz auf "sensibel" und "Hand ausstrecken" und so machen wolle.

"Es war schon faszinierend zu beobachten, wie Genscher seine Partei mit Forderungen umwarb, denen zuwiderzuhandeln seinen bisherigen Führungsstil wesentlich ausmachte: ... man brauche ein neues Verhältnis zwischen Führung und Basis, man dürfe nicht immerzu fragen, ob jemand für oder gegen die Wende sei, ob jemand rechts oder links in der FDP stehe. Weshalb, so fregt man sich, ist dies alles erst nach der Ankündigung des Rückzugs geschehen?" (SZ)

Keine Frage, weil auch der "Rückzug" Teil der Werbekampagne für die "sauberste Wäsche dank FDP" war.

Neue Genscher braucht das Land

"Überfällig ist nicht nur eine programmatische, überfällig ist vor allem eine personelle Erneuerung. Nur dann können die Liberalen wieder einen unverwechselbaren Standort finden - auch in einer Koalition mit der CDU/CSU." (Stern)

Der Chef selbst terminierte die Regen(sch)erierung zunächst auf zwei Jahre und dann auf das nächste Frühjahr und gab den Startschuß, indem er - bescheiden wie er geworden ist - mit der eigenen Unersetzlichkeit kokettierte:

"Die bei internen Diskussionen in verschiedenen Zirkeln gegebene Antwort auf die Führungsfrage, zum Vorsitzenden, also zu ihm, gebe es keine Alternative, sei 'mir, offen gesagt, zu wenig'. Unersetzlich sei nicht er, sondern nur die FDP. Er habe dafür gesorgt, daß jüngere Parteifreunde eine Chance bekämen." (SZ)

Prompt standen sie auf der Matte, um die ihnen gnädigst gewährte Chance zu nutzen - Vorstandsanwärter en masse. Glänzend wurde die üble Nachrede von der "knappen Personaldecke" und davon widerlegt, daß den dummen Sprüchen Genschers keiner das Wasser reichen könne.

An erster Stelle Helmut Haussmann, der direkt aus der "Basis" zum Generalsekretär aufgestiegen sein soll, nur weil der Vorsitzende nicht gleich auf ihn gekommen ist. Seitdem gilt er als "Hoffnungsträger" und konnte sich auch durch eindeutig von Mary Roos abgeschriebene (Grund-)Sätze: "Die FDP muß wieder lernen, aufrecht zu gehn" nicht mehr blamieren.

Ein Walter Hirche machte sich nachträglich einen Namen, indem er sich schon vorträglich mit seiner Niedersachsen-FDP an den Ernst Albrecht von der CDU anwanzte. Auf dem Parteitag glänzte er (Gymnasiallehrer von Beruf!) durch die originelle Fassung der aktuellen Parteilinie. Er meinte; "die Führung der Partei dürfe nicht im Raumschiff Bonn von der Basis abheben". Ansonsten wetterte er jetzt schwer gegen jede "Ein-Mann-Show" in der FDP, um sie nach Ablauf der Frist eventuell selber übernehmen zu können.

Bliebe (neben einer Vielzahl anderer) noch Jürgen Möllemann zu nennen. Seine Chancen auf den Parteivorsitz waren schon früh, spätestens aber seit dem Koalitionswechsel, gut. Als getreuer und eigeninitiativer "Minenhund" Genschers durfte er bis zum Staatsminister in dessen Ministerium aufsteigen. Was der "Spiegel" geschmäcklerisch gegen Jungpolitiker, die den FDP-Vorsitz beerben wollen, vorbringt - "Was allen anhaftet, ist dieses betont windschnittige Format, das Image des gehobenen Abteilungsleiters von Hertie." -, mag ja zutreffen - bloß nicht als Einwand. Das einzige Defizit dieser Damen und Herren, das an "Profil und Charisma", sind sie ja angetreten zu beseitigen - und das geht sauschlicht: durch Macht. Dann stellt sich das unverwechselbare Profil von selber ein. Möllemann hatte in dieser Hinsicht zweifellos einen kleinen Vorsprung: Er saß schon in Bonn an nicht unmaßgeblicher Stelle, die noch dazu Genschers Vorzimmer war. Als fanatischer Ja-Sager ist ihm bei der Schmiergeldamnestie allerdings ein vorerst unverzeihlicher Formfehler unterlaufen. Zu spät hat er gemerkt, daß dieses Gesetz in der FDP zum Anlaß genommen wurde, mittels Reibung an der Führung Karriere zu erzeugen. Dazu kommt, daß ihn neuerdings der "Spiegel" zum Titelhelden erkor. Geschäft und Amt ungut zu vermischen und nicht in ordentlicher Trennung ihren Dienst füreinander leisten zu lassen, wurde ihm vorgeworfen. Das schadet dem Ansehen "der Moral eines Volksvertreters" und könnte Möllemanns "Startloch" endgültig verschütten, wo doch eben diese Moral jüngst zum Überlebensmittel der Liberalen in der Parteienkonkurrenz erklärt wurde.

Deutschland ohne FDP: Dürfen die das?

Nun hat die Europa-Wahl die FDP "zum erstenmal in ihrer Geschichte bei einer Wahl im ganzen Bundesgebiet unter die Fünf-Prozent-Linie" fallen lassen. Das förderte nebenher noch einen Nachfolgekandidaten zutage, den unausgelasteten Europa-Parlamentarier Bangemann ("Er kann die richtige Gesinnung vorweisen und sich darauf berufen, daß er dieser schon vor allen anderen Freidemokraten Ausdruck gab").

Allerdings: Der nationale Liberalismus wird inzwischen als Abstiegskandidat gehandelt. Die Ideologie von einem gefährlich gähnenden Loch in der Parteienlandschaft ohne das unabkömmliche "Korrektiv" FDP wurde zwar noch nie geglaubt, heutzutage zählt sie überhaupt nicht mehr. Denn glaubwürdig ist sie nur so lange, wie die Partei der Regierung zu einer stabilen Mehrheit verhilft und dabei noch viel Platz für parlamentarische Opposition läßt. Heute scheinen keinem 5%-Wähler mehr die Spielregeln der Demokratie durcheinander zu geraten, wenn das "liberale Element" den Geist aufgibt. Kohl hält eine hoffnungsvolle Trauerrede: "Totgesagte haben ein besonders langes Leben" und versichert glaubwürdig, daß auf jeden Fall weiterregiert wird - und zwar von ihm, notfalls allein. Und Werner Höfer bringt verständnisvoll das Problem der Liberalen auf den Frühschoppen-Begriff: "Eine liberale Partei hat es deswegen so schwer, weil bei uns ohnedies alle liberal sind." Prost. Vielleicht benennt sich die CSU in CDU um und verschafft ihrer bundesweiten Beliebtheit endlich Raum. Und daß die Grünen nicht "regierungsfähig" seien, glaubt inzwischen auch keiner mehr - wo sie doch selbst soviel Liberales dazugelernt haben.