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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.

Systematik

Bonner Charaktere: Willy Brandt
DEUTSCHE MACHT - MIT GEWISSEN, OHNE SKRUPEL

"In der praktischen Politik muß vieles, statt mit vollem Herzen, mit zusammengebissenen Zähnen gemacht werden."

Die einen haben ihren Strauß, die andern ihren Brandt. Der eine gefährdet die Demokratie, der andere den Staat. Auch die gedeihliche Zusammenarbeit beider nicht nur in der Großen Koalition - tat ihrer Funktion als Buhmann der jeweils anderen Seite nur wenig Abbruch. Noch die Wende wollte die C-Propaganda weniger gegen den Repräsentanten des Staates - Bundeskanzler Schmidt - als gegen die sozialdemokratische Partei und deren Vorsitzenden gerichtet wissen. In den Augen der Rechten ist er trotz aller Ämter und Ehrungen den Ruch des Repräsentanten oder zumindest Dulders staatsgefährdender Umtriebe und systemgefährdender Gelüste in der SPD bis heute nicht los geworden - unehelicher Vaterlandsflüchter obendrein.

Weder ihm noch der SPD hat das je sonderlich geschadet. Im Gegenteil. All die Eigenschaften und Machenschaften, die seine politische Unzuverlässigkeit belegen sollten, wurden von der anderen Seite sympathisch verklärt.

Offenheit nach allen Seiten

Den Grundstein zu dieser besonderen Karriere legt Brandt mit seiner ersten Jugendsünde: Er kehrte mit 18 Jahren der SPD den Rükken und trat der sozialistischen Abspaltung SAP bei. Nach Kriegsende war ihm sogleich klar, daß mit solchem Radikalismus im demokratisch befreiten Vorposten der westlichen Welt nichts Karriereträchtiges anzufangen war: Die SPD bekam ihn wieder. Fortan besaß sie in ihm das lebende Beweisstück für eine Dummheit, die Brandt als altväterliche Lebensweisheit ins Spruchgut der Arbeiterbewegung eingebracht hat:

"Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 40 noch ist, keinen Verstand."

Kritische Jugendliche, Dichter und sonstige Menschheitsfreunde, die ihren Ärger über gewisse demokratische Errungenschaften bloß als Ausweis ihrer besonderen Sensibilität gewürdigt wissen wollen, haben Brandt diesen Zynismus als Anerkennung und Aufmunterung gedankt. Bonner Hofberichterstatter und Brandt selber wissen dies seither als "Wille und Fähigkeit zur Integration" zu rühmen. "Integriert" hat er allerdings bloß Leute, die ihr bißchen menschenfreundliche Systemkritik ohnehin bloß verübt haben, um sie bei nächster Gelegenheit vertrauensvoll in die Hände geneigter Polit-Profis zu legen.

Als Kanzler sorgte Brandt derweil mit dem Radikalenerlaß und den ersten Antiterrorgesetzen dafür, daß die Staatsgewalt gegen ihre Feinde "dreinschlage" - aber "nicht ziellos", damit sie nicht zufällig einen für die Sozialdemokratie brauchbaren Staatsbürger treffe oder verprelle. Als Parteivorsitzender sorgt er bis heute und "noch möglichst lange" dafür, daß das Angebot der "Offenheit nach allen Seiten" nicht mißverstanden wird:

"Es ist unsere Pflicht, das Heimatrecht der Deutschen, auch der jungen, in dieser Republik und in dieser Verfassung so stark zu verwurzeln, wie es menschenmöglich ist."

"Wir haben keinen Grund, uns abzuschotten, sondern alle Veranlassung, für uns zu gewinnen (oder zurückzugewinnen), wer für positive gesellschaftliche Veränderungen in der Demokratie streitet."

Mit diesem Heimatgedanken wurde Brandt zum geistigen Vater der einstigen Juso-"Doppelstrategie" - Mitarbeit in der Partei bei parteikritischer Agitation im Umfeld der Partei -, die nie etwas anderes war als eine sehr einfache Taktik: Offenheit für kritische Geister, um sie einzuspannen für die Partei. Parteiausschlüsse taten das übrige, wo der gewünschte Effekt sich nicht einstellen wollte.

Kanzler der Reformen

Mit seinem emphatischen "Mehr Demokratie wagen" hat Brandt tatsächlich eine nicht unbeträchtliche Menge Volkes für die Republik ("Die Republik gehört dem Volk!") in die demokratische Pflicht genommen:

"Seien wir doch froh darüber, daß viele junge Menschen auch heute Verantwortung wollen."

Mit der "Ära Brandt" ist die Täuschung populär geworden, Bürger könnten, wenn sie nur entsprechend "initiativ" werden, mitmischen in sämtlichen Staatsaffären, auf allen Ebenen Reformen in Gang bringen, die Republik nach ihren Bedürfnissen (um-)gestalten. Zwar hat Brandt so wenig wie seine Vorgänger an der Souveränität seiner demokratisch ermächtigten Regierungsmannschaft Zweifel aufkommen lassen; die studentenbewegten Übertreibungen besagter Illusion hat er mit jener Arroganz der Macht in die Schranken gewiesen, die zum Berufsbild des Bundeskanzlers einfach dazugehört; und selbst die Zahl der "bürgerinitiativ" erstrittenen Kinderkrippen und sonstigen Verschönerungen der engeren Heimat hält sich in Grenzen. Der von oben geförderte Umschwung im Glauben an ein ganz neues Einvernehmen zwischen Bürgern und Staatsgewalt hat um so mehr Epoche gemacht. Bis heute wirkt er nach, wenn Bürger in ihrer Freizeit durch die Gegend rennen, Giftmeßdaten und Dreck einsammeln und folgenlose Einsprüche erheben. Gekostet hat das Willy Brandt nichts weiter. Gegen die ernstlichen Vorhaben der Nation gab es 1969 ff. so wenig ernstliche Opposition wie all die 35 Jahre zuvor; was es gab, waren genügend politisierte Bürger, die nach Adenauer, Erhard und Kiesinger dem neuen Kanzler den Verzicht auf längst nicht mehr zweckmäßige Herrschaftsallüren meinten danken zu müssen. Und, nicht zuletzt: Gewerkschaften, die schon immer danach gestrebt hatten, von den regierenden Wirtschaftspolitikern als vernünftige "dritte Kraft" - neben Staatsgewalt und Kapital - ehrenvoll zu Rate gezogen zu werden. Daß dabei den Arbeitern selbst 13 Jahre Regierung durch die Partei der Arbeiterbewegung besser getan hätten als durch andere Regierungen, das meint auch Brandt nicht, wenn er gegen die Kohl-Regierung mit der "Wende in der Sozialpolitik" agitiert. Aus gutem Grund fällt ihm da keine "Gegenreform" ein, die nicht in der sozialliberalen - Reformgesetzgebung ihre solide Rechtsgrundlage hätte. In die Niederungen proletarischer Armut läßt er sich denn auch gar nicht erst herab. Sein Vorwurf heißt: "Die Regierung verspielt den sozialen Frieden!" - und zwar durch die ganz unsozialdemokratischen Töne, die sie in die Sozialpolitik eingeführt hat. Gegen die verordnete neue Opfergesinnung gewinnt das alte "leider", mit dem Brandt exakt dieselben Zumutungen zu begleiten wußte, in all seiner berechnenden Heuchelei neuen Glanz. Ihm glauben noch ganz andere Leute als dem Blüm oder dem Lambsdorff, das Programm des "sozialen Friedens" müsse keineswegs nur der Staatskasse und den Unternehmern nützen. Diese "Glaubwürdigkeit" hat Willy Brandt sich nicht zuletzt dadurch erworben, daß er als Kanzler früh genug den Abgang gemacht und in der Folgezeit "nur noch" Schmidt "den Rücken freigehalten" hat. So tat es seiner Popularität keinen Abbruch, daß sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik der Wirtschaft weltweiten Erfolg, den Arbeitern nur höhere Leistung, Steuern und Arbeitslosigkeit beschert hat. Die Arbeitsteilung zwischen dem Koalitionskanzler und dessen gutem Gewissen an der Parteispitze klappte perfekt.

Friedenswilly

Ihm will neue Raketen, chemische und außerirdische Aufrüstung keiner anlasten. Er hat nach eigenem Bekunden Pershing II nie gewollt, ist insgeheim von Anfang an gegen den Doppelbeschluß gewesen, will ihn allenfalls als Mittel verstanden und unterstützt haben, um die "Weltmächte" an den Verhandlungstisch zu bringen. Kaum einer, der ihm das nicht abgenommen hätte. Nicht einmal das "Schicksal" seines "Null-Lösungs"-Vorschlags hat über die Natur und den Zweck seiner weltpolitischen Einfälle Klarheit gestiftet. Zwar kann ein "erfahrener Außenpolitiker" wie Brandt sich nie darüber getäuscht haben, daß das "Angebot", in Ost- wie West-Europa auf 0 Atomraketen herunterzugehen bzw. stehenzubleiben, eine nicht hinnehmbare Entwaffnungsforderung an die Sowjetunion ist. Aufgefallen ist das aber erst, als Präsident Reagan sie sich zueigen gemacht und kompromißlos vertreten hat. Brandt bekam den völlig haltlosen Glauben zugute gehalten, so wie Reagan hätte er es nie gemeint. Man will ihn eben haben als Musterrepräsentanten einer friedvollen Bundesrepublik, die mit den militärischen Machenschaften der "Supermächte" nichts zu tun hat, welche Waffen sie auch auffährt. Willy Brandt: auf die Knie gesunken im Warschauer Getto; gut Freund erstmals auch mit bedeutenden Männern aus der anderen Welt; friedensnobelpreisgekrönt; beredter Verkünder seiner eigenen Wunsch-Grabschrift:

"Wenn ich nichts anderes bewirkt hätte, als daß man in anderen Ländern wieder unbefangener Deutschland und Frieden im gleichen Atemzug nennt, dann wäre ich zufrieden." -

das ist die personifizierte Lebenslüge des neuen, aus dem "Schatten" des verlorenen Krieges herausgetretenen bundesdeutschen Nationalismus.

Neue Ostpolitik

Bewirkt hat der Kanzler der neuen Ostpolitik nicht gerade, daß die BRD den Ehrenpreis eines harmlosen Mitglieds der Völkerfamilie errungen hätte. Eher im Gegenteil. Seit der "Aussöhnung mit dem Osten" sind Vorbehalte gegen Westdeutschland als Militärmacht hinfällig, reicht der politische Einfluß Bonns so weit wie die Wirtschaftsmacht der Nation, haben Osthandel und östliche Westschulden manchen "Satelliten Moskaus" auf den Weg zum slawischen Entwicklungsland der BRD gebracht, rühmen sich Sozialdemokraten größerer Erfolge bei der "inneren Aufweichung" der östlichen "Systeme", als alle Kalten Krieger sie zustandegebracht haben; das alles auf der bewährten Geschäftsgrundlage des NATO-Frontstaats:

"Erfolgreiche West-Politik ermöglicht es erst, diese Ostpolitik zu führen; umgekehrt gehört zu einer erfolgreichen Ostpolitik eine beständige Weiterverfolgung der West-Politik... Wirtschaftlich nahezu ein Riese, verhält sich die BRD politisch wie ein Zwerg. Gewisse Eierschalen müssen weg. Wir kommen nicht als Musterschüler, der jeweils nickt, wenn der amerikanische Präsident sich räuspert oder der General in Paris hustet. Unser Volk ist mündig und hat seinen Beitrag zur Erhaltung des Friedens zu leisten - als erwachsener Partner, als uerläßlicher Verbündeter, als ein Land mit Selbstvertrauen und Stolz."

Trotz der Ähnlichkeit mit Strauß - bis in die Wortwahl hinein -: an "engstirnigen Nationalismus" will da keiner denken, wenn Willy Brandt Bonns imperialistischen Anspruch als Beitrag zum Frieden verkauft. Vor solchem Verdacht bewahrt ihn seine "Leidensgeschichte" als deutscher Antifaschist, der seinen Widerstand nicht erst angesichts oder gar nach der großen Niederlage entdeckt hatte - so wie die prominenten Mitmacher von Filbinger bis Schmidt, von Globke bis Strauß, von Lübke bis Carstens: Das Exil hat ihm da jeden Zweifel erspart. Wenn ein solcher Mann für Hitlers Missetaten in die Knie geht, beweist das zwar tatsächlich einen Nationalismus von hohen Graden. Er scheut ja nicht einmal davor zurück, sich - per Reue - zur Identität des deutschen Volkes zu bekennen, in dessen Namen einst Juden umgebracht wurden und heute Europa gleichgeschaltet wird. Aber in der verrückten Welt des Nationalismus adelt das Bekenntnis des garantiert schuldlosen Exilanten zur "deutschen Schuld " eben dieses schuldige Deutschland.

Der regierende bekenntnisfreudige Nationalist selber ist natürlich erst recht fein heraus. Bei ihm fällt keinem das alte Großdeutschland ein, wenn er "für ein starkes Europa auch im deutschen Interesse" plädiert, davor warnt, "den Amerikanern alles nachzumachen", und gleich grenzüberschreitend fordert, "auch in Osteuropa Konturen gemeinsamer Kultur wieder stärker zu beachten". Beim Friedenswilly soll und will man nichts anderes entdecken als den Wunsch nach "guter Nachbarschaft" und das Versprechen eines "friedlichen Zusammenlebens der Völker", wenn er für Bundeswehr und NATO eintritt. r ist mit dieser Botschaft sogar auf den Kundgebungen der Friedensbewegung willkommen und macht daraus gleich umgekehrt wieder ein Argument für die ungemeine Staatsdienlichkeit seiner Person:

"Wenn ich am 22. Oktober auf der Friedenskundgebung in Bonn rede, und nur ein kleiner Teil der auf den verschiedenen PLätzen Zuhörenden opponiert, wenn ich sage, warum ich für die NATO bin, warum für ein gutes Verhältnis zu Amerika und für die Bundeswehr, dann ist das doch bemerkenswert vor dem Hintergrund all der Zweifel, die es gibt."

Willy Brandt darf offen kundtun, daß er die Tribüne der Raketengegner nur zur Agitation für NATO und Bundeswehr nutzen will: Von ihm lassen sich friedensbewegte Bürger den Glauben an die guten Absichten der Politik noch allemal wieder anfachen. Wenn r ihrem Friedensidealismus erst einmal geschmeichelt hat, dann lassen die es sich noch am liebsten von ihm als "leider" nötigen "Realismus" aufreden, daß der Westen "noch" einen Haufen Waffen braucht - natürlich nur, um erfolgreich Friedenspolitik machen zu können... Dabei wirbt Brandt sogar noch damit, daß seine USA-kritische "Entspannungspolitik" nichts anderes sein will als der bessere, aussichtsreichere Antikommunismus, also der bessere Weg der SPD zu Reagans Ziel:

"Für uns in diesem Teil der Welt stellt sich die Frage, ob bestimmte, aus der amerikanischen Sicht der Dinge für notwendig gehaltene" (wie verständnisvoll!) "Vorkehrungen im militärischen Bereich" (so kann man Atomraketen auch nennen!) "nicht bedeuten, daß die Russen in den bestehenden Positionen noch zementiert werden. ... können zwar nicht konspirativ und subversiv gegen die Russen wirken - was bei der Macht, die sie haben, nicht klappen würde -, könnten es ihnen aber doch leichter machen, ihr Interesse daran zu verstärken, daß sie sich nicht so in 'ihren' Teil Europas verkrampfen, wie sie es bisher getan haben."

Schön gesagt: die eigene Kampfansage als guter Rat im Interesse des Gegners! Aber wer merkt da schon das Vorhaben, dem Westen wirksamere Mittel zur Zersetzung und Erpressung des "Ostblocks" zu verschaffen als die Drohung mit Waffen allein?! Wer will schon ausgerechnet beim Friedenswilly wahrhaben, daß genau so die "Konflikte eskalieren", die stets von neuem NATO-Waffen und "Friedens- und Entspannungsbemühungen" "nötig" machen?!

Der Europäer und Nord-Süd-Politiker

Die imperialistischen Ansprüche der BRD reichen längst ganz autonom in alle Richtungen; und überall ist Brandt ihr Anwalt und ihre Gallionsfigur - erst recht, seit die christliche Konkurrenz regierungsamtlich für ihre Durchsetzung sorgt. Ehrensache, daß er für die SPD die Nummer 1 bei der ersten Europaparlamentswahl machte - und diesen Posten der Katharina und ihrem Zirkus überließ, sobald klargeworden war, daß dieses "Forum" sich nicht einmal zur Selbstdarstellung eignet. Noch mehr Ehre: der Vorsitz in der "Nord-Süd-Kommission". Mit viel Verständnis ließ Brandt einen Katalog des Hungers, Elends und der Katastrophen in der "3. Welt" zusammenstellen - sein unverwüstlich gutes Vorsitzenden-Gewissen machte aus der Dokumentation der verheerendsten Wirkungen einer erfolgreichen, auch westdeutschen Weltwirtschaft eine einzige Entschldigng der "Industriestaaten", die in ihm ihren philanthropischen Vertreter entsandt hatten. Den Habenichtsen der Völkerfamilie, die ihre Abhängigkeit gerne durch die Konstruktion einer neuen Weltordnung nach der "demokratischen" Methode "Ein Staat - eine Stimme" korrigiert hätten, verdolmetschte Brandt die Hoffnungslosigkeit ihres Ansinnens in Form eines neutralen guten Rats, einer Mahnung zu weltpolitischem "Realismus" - wieder einmal! -:

"Die Durchsetzung" des Prinzips 'one nation - one vote' "würde wirkungslose Papierbeschlüsse zum Ergebnis haben und zugleich den zahlenmäßig in die Minderheit gedrängten Industriestaaten das Gefühl geben, sie sollten nach dem Willen der übrigen enteignet werden." - wo die Enteignung doch gerade umgekehrt geregelt ist; durch einen Schuldendienst z.B., bei dem Brandt den Schuldnerländern geholfen haben will!

Ein wirklich fachkundiger Ratschlag für den Umgang mit zarten Imperialisten-Seelchen!

Als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale hat Brandt es weitgehend mit ähnlichen "Problemen" zu tun; und auch die "bewältigt" er mit der Lebensweisheit, aus der er seine gesamte Berufskarriere gestrickt hat: dem Trick, jeder Not und jedem Anspruch n der Idee recht zu geben, nur um ihn n der Realität zurückzuweisen, Selbstaufgabe als Realismus anzuempfehlen. Das wirft natürlich neue "Probleme" auf. So hat Brandts sozialfriedenstechnischer Überwachungsverein weltweit, von Athen bis Managua und von Santiago bis Lissabon, zu tun, um vor Zusammenarbeit mit und Unterwanderung durch Kommunisten zu "warnen". Meist braucht's dabei noch nicht einmal den erpresserischen Hinweis auf die westdeutsche SPD-Finanzhilfe, um die kleinen "Bruder"-Parteien gefügig zu machen: Die sozialdemokratischen Unterwerfungsapostel in Lateinamerika und anderswo sind die Geschöpfe der Sozialistischen Internationale; ortsansässige Propheten des "sozialen Friedens" und jenes speziell deutschen Imperialismus, der in der Sicherheit, daß für die nötige Gewalt anderweitig gesorgt ist, mit der Dreistigkeit eines reinen Gewissens daherkommt und seine "hilfreiche" Allzuständigkeit anmeldet.

Dem Willy Brandt wird auch auf internationaler Ebene seine Kombination aus Heuchelei und Zynismus nicht einmal als Zweideutigkeit ausgelegt. Sein "Ja, aber", sein "sowohl als auch" gilt als differenziertes Urteilsvermögen und Ausdruck ehrlichen Bemühens, es sich nicht zu einfach zu machen, sein notorisches "leider" als trostreiche Redlichkeit.

Der Mensch

Daß er dreimal geschieden ist, immer wieder was mit Weibern hatte, rebellische Kinder hervorgebracht hat und gern einen hebt - "Mängel", über die manch' anderer in anderer Zeit gestolpert wäre -: Willy Brandt trägt das vor sich her als Beweis dafür, wie voll und ganz er "Mensch geblieben" sei trotz aller Politik. An dem ersten großen Unheilstifter der deutschen Arbeiterbewegung, Ferdinand Lassalle, lobt er nicht bloß dessen Erz-Fehler, die Interessen der Arbeiterschaft mit den wahren Interessen der Nation zu identifizieren, sondern - anläßlich eines Besuchs an seinem Gedenkstein - auch die tödliche Albemheit, sich mit dem Verlobten seiner Geliebten zu duellieren:

"Es gibt wohl Schlimmeres, aus heutiger Sicht, als wenn leidenschaftliche und ungeheuchelte Lebensbejahung einem Menschen zum Verhängnis wird."

Lassalle ist daran nämlich gestorben - und nicht bei revolutionären Taten, wie der 71-jährige Willy launig anzumerken wußte. Und:

"Eine eher zur Prüderie neigende Sozialdemokratie hätte das Exzentrische und Amouröse in seinem Leben zu Unrecht am liebsten vergessen."

An wen hat Brandt da wohl gedacht?

Wie immer, wenn Politiker sich "ganz menschlich" geben, beweist auch Willy mit seinen Touren und Extratouren nur eins. Nicht einmal "ganz privat" können und mögen demokratische Figuren ihren selbstgewählten Anspruch vergessen, mit ihrer Person die Glaubwürdigkeit der eigentlich guten Absichten ihrer Politik zu belegen. Sie sind Heuchler bis in ihren "ungeheuchelten Lebensgenuß" hinein. So ist Willy Brandt für Generationen deutscher sozialer Demokraten zum - Vorbild geworfen.

"Doch meine ich, wir sollten den Zweifel höher setzen als jede Doktrin, die Würde des einzelnen höher als jedes ihn zur Botmäßigkeit zwingende Verlangen uon Staat oder Partei. Dies ist der Weg, den ich noch ein Stück mitgehen will: links und frei." (Brandt, Durchhalten und Überleben)

Im Klartext: "Es darf keine Zweifel daran geben, was wir als demokratische Staatspartei von einem botmäßigen Volk verlangen können. Macht macht frei. Den Weg bin ich als Politiker konsequent vorangegangen."