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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.

Systematik

Offensive Traditionspflege
40 JAHRE INVASION WESTLICHER FREIHEIT

Die westlichen Alliierten feierten am 40. Jahrestag der Invasion in der Normandie ihren militärischen Erfolg über den deutschen Imperialismus und die Deutschen feiern daheim tüchtig mit: Sie sind live dabei und sollen sich an der Parade der Sieger erfreuen. Eine komische Welt. Aber ein leicht zu bewerkstelligendes Kunststück deutscher Pflege des Nationalbewußtseins.

Die deutsche Niederlage wird selbstverständlich nicht gefeiert. Da hält sich der Kanzler bedeckt und reist gar nicht erst an: Man muß die Niederlage zuvor interpretieren als etwas, was sie nicht war - als Durchgangspunkt zu weiteren Höhepunkten deutschen imperialen Auftrags. Der stand 1945 zwar gar nicht zur Debatte, stellt sich jedoch von heute her betrachtet quasi zwingend ein: Die Bundesrepublik Deutschland ist schließlich wieder wer im imperialen Weltgefüge und darf von daher ihre Feiertagsbeteiligung auf allen Kanälen praktizieren.

Die Niederlage von damals ist von daher gar keine; sie stellt für einen deutschen Patrioten 1984 geradezu etwas Wünschbares dar, das die Nation - unsterblich, wie sie vorstellig gemacht wird - braucht, um zu höherer Form aufzulaufen:

"Damit die Dinge sich ändern, sich rum Besseren wenden konnten, so mußten sich viele Patrioten unter Qualen eingestehen, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als dem Vaterland die Niederlage zu wünschen. Nur auf diese Weise konnte wieder ein freier, friedlicher deutscher Staat entstehen." (Theo Sommer in der "Zeit")

Ein sehr brutaler Gedanke, sich gleich einen besseren Staat zu wünschen, wo der alte gerade gezeigt hat, daß "Vaterland" nicht "friedlich" zu haben ist.

Man bekommt eine Lektion in Sachen Geschichtsbetrachtung verpaßt: Der Staat war es gar nicht, für den sein Führer Adolf Hitler globale Interessen anmeldete und vertrat, sondern er war das Opfer eines bösen Mißbrauchs. Einige zig-Millionen Tote und Verkrüppelte verdanken ihr Geschick einem Mißgriff des Mannes an der Spitze. So betrachtet war der Krieg ein Betriebsunfall und die Niederlage tragisch - für Deutschland.

Vor allem aber heilsam - für Deutschland; denn historische Rückbesinnung 1984 geht gar nicht mehr groß als "Vergangenheitsbewältigung" mit Suche nach "Schuld und Verstriekung", sondern als Feier eines Aufstiegs aus Ruinen, der gleichsam naturnotwendig erfolgen mußte. Gottlob sahen das damals auch die Amerikaner ein und bescherten uns keine Atombombe, sondern die Bundesrepublik Deutschland:

"Der Tag, an dem die Würfel fielen. D-Day 1944: Hitlers Untergang. Deutschlands Aufgang."

Angesichts der nationalen Ideologie, daß "uns" ein Platz im Weltgeschehen und furchtbar viel Verantwortung dafür gebührt, wird dann natürlich auch die Stilfrage interessant, ob der Kanzler bei den Feiern in der Normandie dabei sein sollte und woran es gelegen haben mag, daß es diesmal nicht ging und nach Verdun verlegt werden mußte.

Was hat ein Mensch eigentlich davon, wenn Souveräne ihn mit der Demonstration staatlicher Macht auf Schlachtfeldern und Friedhöfen beglücken? Wo sie Opfer forderten, zeigen sie auch noch gleich das Kriegsgerät von damals vor, mit dem sie welche schufen. Und die modernste Flugzeugstaffel von heute ist auch dabei "nur" wirft sie an einem Ehrentag des Imperialismus keine Bomben aufs Publikum der Veteranen und solcher, die auch nichts kapiert haben, sondern malt kunstvoll nationale Farben an den Himmel. In den barbarischen Formen staatlichen Selbstbewußtseins führt der Westen vor, wer der Nutznießer des Opfergangs ganzer Völker ist, die im Krieg verheizt worden sind - und Millionen hängen vor der Glotze und lassen sich ergreifen: den Blick über Gräber Hunderttausender gerichtet, Hymnen im Ohr und fest an die Zukunft des Bündnisses freier Nationen geglaubt, die sich hier um den großen Führer Ronald Reagan versammelt haben. Der vermeldet prompt, daß er den Feind der Menschheit voll im Visier hat und die Schlacht in der Normandie nur ein Vorgeschmack war auf künftige Metzeleien:

"Die sowjetischen Truppen, die ins Herz dieses Kontinents gekommen sind, sind nicht abgezogen," (die Amis wohl schon?) "als der Frieden wiederhergestellt war. Sie sind noch immer da, ohne eingeladen zu sein, ohne erwünscht zu sein," (hatten die nicht damals eine Bündnisabsprache mit den USA?) "ohne Unterbrechung, fast 40 Jahre nach dem Krieg.... Heute wie vor 40 Jahren sind unsere Armeen nur mit einem Ziel da, die Demokratie zu schützen und zu verteidigen."

An diese Botschaft soll man hierzulande glauben: Der 1944 schon so erfolgreiche "Kreuzzug in Europa" (Eisenhower) ist noch im vollsten Gange und erst in Moskau zu vollenden.

Die Deutschen dürfen da munter mitmischen, und in der Öffentlichkeit wird dies auch als große Herausforderung gewürdigt:

"Während die Westdeutschen allmählich zu Gastsiegern aufrücken, blieben die Ostdeutschen auf den Trümmern der Hitler-Katastrophe sitzen. Wir verloren nur die Einheit, sie jedoch auch die Chance der Freiheit."

So bringt sich der Juniorpartner der NATO ein: Gen Ostland geht's und diesmal ganz demokratisch und alliiert.

Die Landungsfeierlichkeiten in der Normandie stehen für die Reinheit des imperialistischen Gewissens:

"Macht und Moral decflen sich wie selten in der Geschichte der Menschheit."

Das muß einfach bebildert werden: "Der längste Tag" beschwört die gemeinsamen Tugenden der Deutschen und Westalliierten im Töten. Landser-Mentalität wird aus allen Bunkern heim ins Reich gestrahlt: "Stoff für Heldensagen von archaischer Gewalt". - "Der Längste Tag" dauert also noch an; und verrückterweise beklagt die Sowjetunion, daß sie zu diesem NATO-Spektakel nicht förmlich eingeladen worden ist. Schon vor 40 Jahren ging es nicht um die Überwältigung des Faschismus, sondern um eine imperialistische Endlösung - und wo heute gegen die Sowjetunion mit Raketen und Festlichkeiten inszeniert wird, da will die auch noch dabei sein.