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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1984 erschienen.

Systematik

SPD-Parteitag
AUS VERANTWORTUNG ZURÜCK AN DIE MACHT

"Der Weg zurück in die Regierungsverantwortung hat schon begonnen." (Altbundeskanzler Schmidt)

Eine beeindruckende Demonstration demokratischer Qualitäten: Die SPD hat sich voll im Griff und nimmt sich selbst in die demokratische Pflicht, zu ihrer Verantwortung in der Tradition der Arbeiterbewegung zu stehen und im Namen Deutschlands die Macht wieder ganz in die eigenen Finger zu kriegen.

Der Weg dahin ist nicht etwa der ganz ordinäre Daseinszweck jeder Partei, sondern moralische Schwerstarbeit. Der Parteivorsitzende Brandt:

"Wir müssen hart arbeiten und dürfen es uns nicht erlauben, eine Weile auszuscheren, um erst die Welt richtig zu ergründen. Stattdessen müssen wir, vielleicht früher als erwartet, bereit und in der Lage sein, auch im Bund, wenn es sein sollte, die Verantwortung aus dem Stand zu übernehmen."

Dieses überzeugend schlichte Programm: Wir wollen wieder regieren, erfordert natürlich tiefgründigste Programmdiskussionen. Dazu sind Parteitage da und "diskutiert" wird folgendermaßen. Eppler:

"Wir wollen klären, wie die Politik der großen linken Volkspartei für den Rest dieses Jahrhunderts aussehen soll. Und wenn uns das gelingt, dann wird der Betriebsrat bei Bosch so wenig daran vorbeikommen wie die Lehrerin in der Friedensbewegung. Und wer meint, diese Interessen- und Bewußtseinslagen ließen sich nicht verbinden, der hat vor unserer Aufgabe schon kapituliert."

Aus jeder Schweinerei, die passiert, von Entlassungen bis zu Raketen, einen guten Grund für die SPD zu drechseln, das wird sich doch noch schaffen lassen.

Zum Beispiel mit dem trostlosen Jahrhundertbeschluß der 35-Stunden-Woche.

"Schulterschluß mit den Gewerkschaften"

Passend zur Arbeitskampffarce marschieren die DGB-Bosse und die dekorativen Streikproleten mit Transparent und Blaumann auf und mit den vollmundigen Solidaritätsparolen der SPD wieder ab. Wenn die C-Parteien mit Gewerkschaftshetze Punkte machen, macht die Opposition mit Gewerkschaftslob die ihren. In Richtung Gewerkschaftsstimmvieh heißt es Sympathie heucheln für das nationale Arbeitsbeschaffungsprogramm des DGB:

"Wir werden uns so konkret wie möglich mit der Forderung 'Arbeit für alle' zu identifizieren haben." (Brandt)

Und für die Gegner heißt es "volkswirtschaftliche Vernunft" demonstrieren, wozu die SPD - dramaturgisch geschickt einen "Linken", Lafontaine, vorschickt und erklären läßt, daß das mit dem vollen Lohnausgleich natürlich nicht geht. Was niemand stört, weil es die Gewerkschaften ja auch gar nicht vorgesehen haben. Dafür bietet ihnen die SPD wiederum unglaublich viel Perspektive. Seit' an Seit' in die Regierungsverantwortung.

"Arbeit für alle - Gemeinsam die Zukunft gestalten"

Erstens hat nämlich die Regierungskoalition den Aufschwung gepachtet, weshalb die SPD dem etwas "entgegensetzen muß". Und zweitens lassen sich auf dem Feld der "Zukunftsgestaltung" wundervoll nach der Epplerschen Forderung "Interessenlagen verbinden". D.h. Phrasen dreschen, wie vorzüglich sämtliche, aber auch wirklich alle nationalen Fragen bei der SPD aufgehoben sind.

Selbstverständlich überläßt die SPD das "Vorwärts mit Deutschland" nicht den Schwarzen, bei ihr heißt es "Modernisierung" und "Neue Technologien", die "wir" unbedingt brauchen.

Gleichzeitig pflegt die SPD Problembewußtsein mit der Lüge, wie leicht die neuen Technologien die Leute entlassen, wenn nicht die SPD auf Fluch und Segen aufpaßt:

"Unsere Parole ist weder das Chip-Chip-Hurra der Technikfetischisten, noch kann sie lauten, Stecker raus, Computer aus. Wir beten Technik nicht an, aber wir sind auch keine Maschinenstürmer!"

Was sind wir? Wir sind Sozialdemokraten und machen einen auf Mitbestimmung:

"Wer Modernisierung will, muß auch mehr tatsächliche Mitbestimmung wollen. Technologischen Wandel wird es sozialverträglich nur geben, wenn Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschäften die technologische Entwicklung mitgestalten."

So sozialverträglich sind schließlich auch bisher schon die Arbeitslosen produziert worden:

"Wer diesen Zusammenhang nicht sieht, der verweist die Arbeitnehmer auf Stören und Verhindern."

Wer ihn sieht, kann frei drauflosschwafeln:

"Wie wäre es, wenn Gewerkschaften selbst zum Träger von innovationsorientierten Einrichtungen, von Technologiezentren oder von Technologietransfereinrichtungen würden, wenn sie selber eine arbeitnehmerorientierte Technologiepolitik mitentwickelten und innovative Existenzgründungen mitgestalteten..." (Rau)

Und bei dieser großangelegten Eingemeindung dürfen auch die Ökofritzen nicht ausgelassen werden.

"Es ist falsch, Ökonomie und Ökologie als Gegensatz zu sehen. Die Chancen für mehr Arbeitsplätze durch mehr Umweltschutz müssen genutzt werden." (Vogel)

Schließlich "hat die SPD es sich mit den Umweltfragen unnötig schwer gemacht und dadurch große Teile einer Generation verloren." (Brandt)

Die werden jetzt wieder eingesammelt durch das Programm "Arbeit und Umwelt":

"Finanziert werden soll das Sondervermögen durch zusätzliche Steueraufschläge auf den Verbrauch von Energie. Die Mehrbelastung der privaten Haushalte ist vertretbar." (Vogel),

denn die sind zum Schröpfen da. Das heißt auf sozialdemokratisch Solidarität. Sie wurde insbesondere auch immer wieder den Arbeitslosen zugesichert, weil sie "im letzten Jahr die Bundesrepublik etwa 55 Milliarden Mark gekostet" haben.

"Es ist vernünftiger, dieses Geld in die Modernisierung der Volkswirtschaft und in Aktionsprogramme für den Umweltschutz zu stecken." (Ehrenberg)

"Die konkrete Utopie sozialdemokratischer Sicherheitspolitik"

war die konkrete Antwort auf die konkrete Frage,

"warum die SPD nicht zum eigentlichen Kristallisationspunkt in der Friedensbewegung geworden ist. Geben wir es offen zu, unsere friedenspolitische Glaubwürdigkeit hätte noch glaubwürdiger sein können." (Brandt)

Und so wie Eppler seine Friedensdoofis kennt -

"Meine Diskussionen mit der Friedensbewegung kreisen nicht mehr um die Frage, ob wir die richtigen Beschlüsse beschlossen haben, sondern sie kreisen immer um die Frage, ob man uns diese Beschlüsse auch glauben kann" -,

hatte es die SPD nicht schwer, die allerglaubwürdigste Glaubwürdigkeit in Sachen Frieden aufs Parkett zu legen. Wieder die "Verbindung sämtlicher Bewußtseinslagen". Erstens mit der originellen Neuauflage der Methode "Doppelbeschluß" für die konventionelle Rüstung. Bahr:

"Jedenfalls muß erprobt werden, ob Moskau und seine Verbündeten bereit sind, auf das Konzept der gemeinsamen und gleichen Sicherheit einzugehen und daraus die Konsequenzen für ein annäherndes konventionelles Gleichgewicht zu ziehen. Erst wenn das abgelehnt wird, muß der Westen sich schützen, so gut er kann..."

Zweitens mit einem kräftigen Ja zur konventionellen Aufrüstung, weil sie

"die Abhängigkeit von taktischen Atomwaffen immer mehr abbaut",

unter der ja bekanntlich die NATO gleich nach der Anschaffung der neuesten Generation so leidet. Drittens darf es sich bei der Verwirklichung des Rogers-Plans keinesfalls um eine Aufrüstung handeln, sondern um "allenfalls eine Umstrukturierung", weshalb die SPD eine "Begrenzung des Rüstungshaushalts" auf die zuletzt in ihrer Regierungsverantwortung erreichte Quote verlangt. Das ist glaubwürdig, solange die Koalition die noch von der SPD bestellten Waffen bezahlt, und gut, weil die Koalition die Mehrheit für den Beschluß der neuen Waffen hat. Viertens hat Peter Glotz für die Friedensheuchelei der SPD extra ein neues Wortmonster erfunden:

"Worauf wir hinarbeiten müssen, ist die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der Armeen der NATO bei zweifelsfreier Verteidigungsfähigkeit",

also die Panzerarmee ohne Vorwärtsgang und die Jagdbomber, die an der Zonengrenze Halt machen. Für die andere Klientel ließen sich die Genossen durch Apel vor "Neutralitätsträumen" warnen,

"weil EG und NATO eine derartige Entwicklung schwerlich überleben könnten, die Bundesrepublik zum Spielball der Interessen der Supermächte würde... Eine atomwaffenfreie Bundesrepublik wäre von der Mitwirkung in der NATO ausgeschlossen."

Und darauf kommt es ja schließlich auch an. Dasselbe noch einmal den Friedensfreunden von Eppler verdolmetscht:

"Kein Weglaufen aus den Gefährdungen der NATO in die Isolierung",

und von Bahr mit der nationalistischen Pointierung versehen, die in der heutigen bundesdeutschen Linken so gerne gehört wird und zum gestiegenen Selbstbewußtsein einer Raketenrepublik gehört: Die BRD gehört in die NATO "nur" dann,

"wenn sie ihre eigenen Sicherheitsinteressen innerhalb des Bündnisses definieren, einbringen und durchsetzen kann."

Das garantiert selbstredend nur die SPD, während der US-Lakai Kohl überhaupt kein gescheiter Führer ist:

"Wer die Beziehungen zur jeweiligen amerikanischen Regierung zur Staatsraison erklärt, darf sich eben nicht wundern, so behandelt zu werden... Für Unterlassung, Fehler und Schwäche dieser Regierung, wenn es um die Sicherheit geht, wird es weder vor der Geschichte noch vor den Wählern 1987 eine Amnestie geben."

Bei soviel sozialdemokratischer Sicherheitspolitik gab es nicht viel zu diskutieren - im Unterschied zum letzten Parteitag, wo man sich noch den eigenen Raketenkanzler abarbeiten mußte. In Essen erregte sich die Partei weitaus mehr über die überfällige

"Erneuerung in sozialer Verantwortung"

Wenn der CDU ihre "Wende" recht ist, ist der SPD die "Emeuerung" billig. Wenn Kohl das Verarmungsprogramm für Wirtschaft und Staat mit "geistiger Führung" durchzieht, entdeckt die SPD "in sozialer Verantwortung", daß gar nicht geistig-moralisch genug geführt wird und daß die Schmutzfinken in Bonn unsere saubere Demokratie beflecken:

"Wo sind die persönlichen Beispiele für die geistig-moralische Kraft der Regierung? Wo ihre Beiträge zu zentralen Themen unserer geistig-moralischen Entwicklung?... Gerade der Amnestie-Plan für Parteispenden-Sünder verdeutlicht, wie diese Regierung mit Staat und Recht umgeht, als sei ihr beides nicht zu treuen Händen auf Zeit anvertraut, sondern als Beute zum willkürlichen Gebrauch überlassen worden." (Vogel)

Die Konkurrenz, wer besser geistig-moralisch führen kann, ist noch lange nicht ausgestanden. "Auf den Klassenkampf von oben" antwortet die SPD "nicht mit der Klassenkampfrhetorik von gestern" (Roth), beileibe nicht. Sondern mit der Ein-Volk-ein-Reich-ein-Führer-Rhetorik von heute:

"Liebe Freunde, 1972 hat auch niemand gefragt, wem wir denn nun nachliefen, sondern man hat andere gefragt, ob sie uns nachliefen. Und damit sind wir die stärkste Partei im Bundestag geworden. Und wir werden es wieder werden." (Eppler)

Werte, Grundsätze, neue Ideen, Programme - um was alles angeblich auf Parteitagen unserer niveauvollen Parteien gestritten wird -, sie lassen sich kaum besser zusammenfassen als durch den Parteivorsitzenden der SPD:

"Wähler brauchen und wollen wir von der einen wie von der anderen Seite."

Von der linken, von der rechten, und "um das Erbe und den Auftrag eines sozial verpflichteten Liberalismus" muß die SPD sich jetzt auch noch kümmern. Und wenn mit solchen Ankündigungen, mit der Pose der Siegesgewißheit, mit Seufzern, wie schwer doch die Verantwortung ist, nach der man geiert, wenn mit diesem Politikerkult Wahlwerbung betrieben wird, kann von Volksbetrug eigentlich nicht die Rede sein. Die weihevolle Verabschiedung des alten Führers und die ostblockmäßige Wahl des neuen mit 99,9% demonstrieren vorbildlich, was die gewaltige Alternative SPD ist:

"Unser Programm ist nicht rechts und nicht links, sondern vorn, wo die Sozialdemokratie schon immer steht." (Eppler)

Dem Volk bleibt da nur eins: Nachlaufen.