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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1984 erschienen.

Fritjof Capras "Wendezeit"
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Fritjof Capra ist ein Physiker, der wenn man ihm glauben will - beim Studium der "atomaren und subatomaren Welt" so "tiefe Einsichten in das Wesen der Materie" gewonnen hat, daß sich Grüne und Friedensbewegte davon allerhand 'Perspektiven' für die Zukunft der Menschheit erhoffen. Es scheint also, daß die Wahnvorstellungen dieses Wendephilosophen zumindest methodisch kontrolliert sind und einige Kenntnis davon bezeugen, wie man heutzutage selbst die irrationalste 'Weltsicht' mit Überzeugungskraft ausstattet.

Die Krise...

Bereits die "Krise", in der nach Capra "unsere Gesellschaft in ihrer Gesamtheit" stecken soll, überzeugt als Argument keineswegs:

"Wir verzeichnen hohe Inflations- und Arbeitslosenraten; wir stecken tief in einer Energiekrise und in einer Krise des Gesundheitswesens; unsere Umwelt wird zunehmend vergiftet; wir leben unter der täglichen Bedrohung durch die Kernwaffen, und wir erleben eine steigende Flut von Gewalt und Verbrechen."

Wer Fakten und Ideologien ("Energiekrise"!), Folgen der kapitalistischen Rentabilitätsrechnung und Wirkungen des staatlichen Gewaltapparates so unterschiedslos gleichgültig nebeneinander aufzählt, der steIlt den Zusammenhang, den er suggeriert, gar nicht her. Der ganze Zusammenhang liegt lediglich in der Sichtweise, mit der Entwicklung irgendwelcher Erscheinungen und 'Probleme' gleich die Zukunft 'der Gesellschaft' insgesamt in Frage gestellt zu sehen; dieser Standpunkt macht die heterogensten Sachverhalte zu seinen Belegen und begründet sich nicht umgekehrt aus ihnen. Sein politischer Inhalt, die Verwandlung staatlich durchgesetzter Härten aller Art in Sachzwänge, an denen 'wir alle' scheitern - als wären 'wir' die heimlichen Subjekte von Inflationsraten und atomarer Rüstung -, also die staatsgläubige Leugnung des Unterschieds zwischen Herrschaft und Betroffenheit, ist der Grund dieses Standpunkts und der Grund seiner Überzeugungskraft für diejenigen, die ihn schon teilen. Diese mögen Capra daher bei seinem flotten Befund zustimmen, daß es bei derlei 'Meinungen' eh nicht auf die Beschäftigung mit der Realität ankommt

"Ich bin der Meinung, daß all das nur verschiedene Facetten ein und derselben Krise sind" -,

und insofern den ebenso flotten Gegenstandswechsel einleuchtend finden, mit dem der Physiker aus der Sphäre politischer Alltagsideologien in die Welt seiner speziellen Spinnereien übergeht:

"...und daß diese Krise im wesentlichen eine Krise der Wahrnehmung ist."

...des mechanistischen Weltbilds

Denn was an 'unserem' Denken und Handeln verursacht Krieg und Arbeitslosigkeit, jene im Grunde 'unwesentlichen' Facetten des eigentlichen Problems?

"Wir versuchen, die Begriffe einer längst überholten Weltanschauung - des mechanistischen Weltbildes der kartesianisch-Newtonischen Naturwissenschaft - auf eine Wirklichkeit anzuwenden, die mit den Begriffen dieser Vorstellungsweise nicht mehr beschrieben und verstanden werden kann."

Als Argunnent wiederum ganz frappant. An und für sich fehlt ja jeder Anhaltspunkt dafür, daß Politiker, Kapitalisten und Arbeiter "Begriffe anwenden", wenn sie Raketen aufstellen, für eine profitable Produktion sorgen oder sich mangels Kasse dieser zur Verfügung stellen. Davon gar nicht zu reden, daß sie sich beim alltäglichen "Beschreiben und Verstehen" sogar eines "Weltbildes" bedienen, das den wenigsten unter ihnen überhaupt bekannt sein dürfte! Aber als Verlängerung und auch irgendwie 'mögliche' Veranschaulichung, Bebilderung des Vorurteils, jeder große und kleine Staatsbürger von heute - unbeschadet seiner Stellung und Interessen in 'unserer Gesellschaft' - trage durch seine falsche Einstellung selbst zu den Zuständen bei, die (!) ihm dann Probleme bereiten, läßt sich die Sache schon denken. Was tut's, daß man für diesen Zweck radikale Abstriche sogar am Schein des Argumentierens, Begründens und Einsehens machen muß?! Vielleicht hat 'uns' tatsächlich ein Descartes mit folgenden üblen Irrtümern in die Scheiße geritten, die sich nun z.B. in Gestalt von Raketen besichtigen läßt:

"Descartes gründete seine gesamte Naturanschauung auf die fundamentale Unterscheidung zwischen zwei unabhängigen ündgetrennten Bereichen: dem des Geistes und dem der Materie."

Das konnte nicht gutgehen. Als Newton dann auch noch mittels einer ungeheuer "präzisen mathematischen Formulierung (dieses) Weltbildes" das ganze Universum in oben und unten, rechts und links unterteilte, war eine "Denkweise" geboren, die theoretischem Kannibalismus ähnelt:

"Das Wesentliche an der kartesianischen Erkenntnislehre war die analytische Denkweise. Sie bestand darin, Gedanken und Probleme in Stücke zu zerlegen und diese in ihrer logischen" (igitt!) "Ordnung aufzureihen."

Zum Glück - weil darin ja bekanntlich die Hoffnung begründet liegt, aus "unserer Krise" in allen Bereichen mal wieder rauszukommen - hat Capra, vorerst für seine Person, jener gräßlichen Denkweise abgeschworen. Er unterscheidet nichts, verzichtet auf logische Ordnung und denkt konsequent bei allem an ein und dasselbe:

- Medizin: Die modernen Ärzte "neigen vielmehr dazu, ein ganz bestimmtes Organ oder Gewebe zu behandeln, was im allgemeinen ohne Rücksicht auf den ganzen Körper geschieht";

- Ökonomie: "Wirtschaftswissenschaftler erkennen im allgemeinen nicht, daß Wirtschaft nur ein Aspekt eines umfassenden ökologischen und sozialen Gewebes ist. Sie neigen dazu, die Volkswirtschaft aus diesem Gewebe zu lösen, in das sie eingebettet ist... "

Usw. usf. Die Lösung liegt klar auf der Hand. Sie besteht in der Wiederholung der einfältigen Idee, mit der puren gedanklichen Trennung irgendwelcher Sachverhalte würde man ihre (sehr prinzipielle!) Zusammengehörigkeit nicht mehr wahrnehmen können. Hier ergeht der Rat an die Menschheit, um Gotteswillen alles zu verknüpfen und beieinander zu lassen, damit es keinen Schaden nimmt. Das heißt dann

Systemdenken

und sieht so aus:

"Die Systemschau betrachtet die Welt im Hinblick auf Zusammenhänge und Integration. Systeme sind integrierte Ganzheiten, deren Eigenschaften sich nicht auf die kleinerer Einheiten reduzieren lassen."

Auch die Eigenschaft dieses 'Gedankens', idiotisch zu sein, läßt sich nämlich nicht auf den Willen Capras reduzieren, vor lauter "Zusammenhang" gleich überhaupt nichts Bestimmtes von anderem zu unterscheiden, also an nichts mehr zu denken. Die angemessene "Systemschau" lehrt uns, daß Capra hier sowohl als Physiker spricht -

"Das materielle Universum, gemäß der modernen Physik (!); ist kein mechanisches, aus getrennten Objekten bestehendes System, sondern erscheint als ein komplexes Gewebe von Beziehungen." (wozwischen denn, wenn es doch keine getrennten Objekte geben soll?) -,

wie als Mystiker:

"Wenn religiöses Bewußtsein verstanden wird als ein Bewußtseinszustand, in dem sich der individuelle Mensch mit dem ganzen Kosmos verbunden fühlt, dann wird es klar, daß ökologisches Bewußtsein wahrhaft religiös ist."

In Wahrheit denkt Capra dabei keineswegs an nichts. Die sture Absicht, sich komplexe Univerialverknüpfungen, -vernetzungen, -beziehungen ohne jeden Inhalt vorzustellen, verrät schon etwas - und zwar die Universalität der verantwortlichen Haltung, deren Capra sich angesichts aller denkbaren Gegenstände aus Natur und Gesellschaft befleißigt. Mit seiner Einbildung, die Analyse - (griech. Auflösung) etwa von "subatomaren Teilchen" könnte deren Dignität als Elementen "umfassenderer Zusammenhänge" zu nahe treten, bekennt er sich ganz methodisch zum Respekt vor der guten Ordnung des göttlichen Schöpfungsplans:

"Lebende Systeme zeigen somit eine vielschichtige Ordnung, in der zwischen allen Systemebenen Verknüpfungen und gegenseitige Abhängigkeiten bestehen, so daß (!) jede Ebene mit ihrer totalen Umgebung in Verbindung steht."

Und diese Leitidee seiner vielschichtigen Spinnereien hat Capra natürlich weder aus der Physik noch von Meister Eckehart. Sie entspringt dem politischen Fehler heutiger 'Ökologen', die als schädlich bemerkten Zwecke des kapitalistischen Umgangs mit Land und Leuten der menschlichen Zweckmäßigkeit überhaupt, der mangelnden Ehrfurcht vor dem Geistersubjekt 'Umwelt', anzulasten - und gibt diesem Fehler seine philosophische Weihe.

P.S.

"Wie passen aber die politischen Erfolge von Kohl, Reagan und Thatcher in dieses Bild?"

Eine Frage, die sich für einen echten Systemdenker leicht beantworten läßt:

"Aus einer umfassenderen evolutionären Perspektive werden diese politischen Phänomene als unvermeidliche Aspekte kultureller Transformation verständlich."

Dies nur als Hinweis, daß auch die politischen Konsequenzen wissenschaftlichen Wahnsinns nicht unerheblich sind.

Alle Zitate entstammen dem Aufsatz "Wendezeit. Krise und Wandlung in Wissenschaft und Gesellschaft" im Materialien-Bd. zum Kongreß "Ärzte warnen vor dem Atomkrieg".