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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1984 erschienen.

Systematik


EIN AUSSICHTSLOSER KAMPF?

Während Scargill verkündet, die Streiks hätten "einen Klassenkampf gegen die Herrschenden in Großbritannien entfesselt", betreibt die andere Seite ihre Hetze recht gelassen weiter. Mehr Gewicht als die Beschwörung des Schadens für Englands Gesundung hat die stereotyp wiederholte Prognostizierung der Niederlage der Gewerkschaften:

"Mr. Scargill scheint einer weiteren schmählichen Niederlage entgegenzusteuern." (Guardian)

"Die Bergarbeitergewerkschaft kann den Streik nicht 'gewinnen', selbst wenn es ihr gelingt, diejenigen ihrer Mitglieder, die arbeiten wollen, an der Arbeit zu hindern." (Financial Times)

Für den Nachweis der Richtigkeit dieser Einschätzung werden Kohlenhalden (in Tonnen) gegen Gewerkschaftsgelder (in Pfund), Polizeieinheiten gegen Arbeiter abgewogen. Leider ist die Sicherheit des Feindes nicht bloße Taktik.

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Die Verweigerung der Urabstimmung verdankte sich nämlich der begründeten Sorge, eine Abstimmung in der gesamten Kohleindustrie zu verlieren. Dreimal innerhalb der letzten zwei Jahre hat die "Basis" Scargills Kampfaufrufe zurückgewiesen. Mit der Eröffnung der Streiks in den radikalen Bezirken und ihrer Ausdehnung auf die Arbeitswilligen wollte Scargill dem Mangel an Kampfbereitschaft abhelfen. Mit der ganz offenen Spekulation darauf, daß der Einsatz von Polizeiknüppeln gegen Kumpelköpfe solidaritätsfördernd wirke. Es spricht nicht für die arbeitswilligen Bergarbeiter, daß erst eingelochte, verletzte und ein toter Streikposten den Höhepunkt der Stillegungen bewirkte (drei Viertel der Pütts).

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Mit der Solidarität derer, die nicht unmittelbar betroffen sind, ist es nämlich nicht weit her. Auch in England gibt es nämlich Arbeiter, die ihr Heil lieber in der Arbeit suchen, weil ihre Entlassung nicht ansteht. Solche Arbeiter betätigen sich als Streikbrecher.

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Diesen kommt eine Gewerkschaftsstrategie entgegen, die sich den Kampf um Arbeitsplätze auf die Fahnen schreibt. Wenn Scargill verkündet, "Stillegungen sind kein Verhandlungsthema!", liest die Öffentlichkeit darin nur die Verweigerung, nicht aber das Angebot, über manches andere zu reden. Wer von Staat und Kapital doch wieder Arbeit verlangt, will eben doch nicht mit den Sitten der Lohnarbeit brechen, welche diese Instanzen verordnen. Solange die Lohnarbeit unbestrittene Grundlage gewerkschaftlichen Kampfes bleibt, hat er immer wieder mit Leuten zu kämpfen, die sich lieber auf die Angebote des "Arbeitsmarktes" verlassen wollen.

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Um der Arbeitsplätze willen haben die Bergarbeiter schon jahrelang Rationalisierungen, Entlassungen und Lohnsenkungen akzeptiert und so fleißig die Halden geschaffen, die ihnen jetzt den Kampf so schwer machen. Die erfolgreiche Sanierung der Gruben macht immer weitere Arbeiter überflüssig.

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Die Gewerkschaft hat dagegen offenbar nichts unternommen, schließlich ging es ihr ja auch um Arbeitsplätze - um britische Arbeitsplätze. Dem Programm der Sanierung der britischen Kohleindustrie hat Scargill sein eigenes, "arbeiterfreundliches" entgegengestellt. Verschwendung von Ressourcen und mangelhafte staatliche Unterstützung im Vergleich zur BRD z.B. hat er der Regierung vorgeworfen und ausgerechnet, daß britische Kohle eigentlich weltweit am billigsten ausgebuddelt wird.

Für die Forderung: "Der einzige Grund für eine Zechenstillegung ist der, daß keine Kohle mehr drin ist." - hat er den offiziellen Segen der Kirche gekriegt. Wer Import von Billigkohle für einen "Anschlag auf die britische Arbeiterklasse" hält, kämpft verkehrt um die Interessen von Arbeitern, weil er sie durch korrekte britische Wirtschaftspolitik erfüllt haben will. Und die ist ohne den Fleiß und die Billigkeit der Arbeit nicht zu haben. Von der 23%-Lohn-Forderung ist bezeichnenderweise seit Streikbeginn nicht mehr die Rede. Für den Lohnkampf war der Streik ja auch gar nicht gedacht, dafür sollte es schon die Weigerung, Überstunden zu leisten, tun: Der Kampf begann erst mit der Ankündigung der Stillegungen. Weil der Kampf darauf abzielt, das Heil der Arbeiter durch die Berichtigung der nationalen Linie zu erzwingen, ist auch der Radikalismus für die Bergleute nur von begrenztem Nutzen. Was hilft es, die Tory-Regierung "in die Knie zu zwingen", um sich dann von einer Labour-Regierung von den nationalen Notwendigkeiten "überzeugen" zu lassen. Und Scargill macht kein Geheimnis daraus, daß er mit seinem alternativen Konzept zur Sanierung der britischen Wirtschaft gegen die konservative Regierung konkurriert; der parlamentarische Wechsel ist sein Kampfprogramm. Im Gegensatz zu früher lassen sich britische Proleten dafür nicht mehr zum Kampf einfach abkommandieren. Schließlich haben sie auch mit Labour ihre Erfahrungen gemacht. So bringt auch in Großbritannien staatsbürgerlicher "Realismus" den Kampf von Arbeitern um seinen Erfolg.