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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1984 erschienen.

Systematik


DER ARBEITSKAMPF DER STREIKUNWILLIGEN

Das einzig anerkannte Streikziel: Mitgliederbetrug

"Wir brauchen jetzt eine starke, unabhängige Persönlichkeit, die einen Weg aufzeigt, den beide Tarifparteien ohne Gesichtsverlust gehen können. Jede muß die Möglichkeit haben, am Ende vor ihren Mitgliedern als Sieger dazustehen." (H. W., die publikumsnahe Verkörperung dessen, was in der BRD als gesunder Menschenverstand gilt, in dem Reklameblättchen 'Wochenspiegel' vom 21. Mai.)

Jetzt merkt es also noch der dümmste Journalist, warum und um was der "Arbeitskampf" in der Metall- und Druckindustrie überhaupt noch geführt wird: darum, ihn mit Anstand zu beenden. Noch das letzte Revolverblatt glänzt mit dem Ratschlag, es müsse endlich dem Bedürfnis der Parteien Genüge getan werden, das leidige Streitthema "Arbeitszeit" wieder abzusetzen, damit endlich wieder Zeit ist für Arbeit. So unverschämt sicher ist sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit darüber, worin das Ziel eines DGB-Streiks besteht: in der gutinszenierten Illusion eines Sieges, die zum Weitermachen der alten Scheiße ermuntert. Und die Gewerkschaft hütet sich, gegen diese Darstellung ihres Arbeitskampfes als unnützes Theater Einspruch zu erheben.

Das "vorzeigbare Ergebnis": kein Erfolg

"Allein die Unternehmer sind schuld an den Arbeitskämpfen." (J.Deffner, DGBC-hef für Bayern)

Wer einen für Arbeitszeitverkürzung angesagten Streik für eigentlich überflüssig hält; wer mitten im Kampf die Schuldfrage aufmacht und sie mit der Unvernunft der anderen Seite beantwortet, der läßt keinen Zweifel offen, wer als Geschädigter daraus hervorgeht. Weil ein Kampf um die Veränderung der Arbeitszeit gar nicht für nötig erachtet wird - 'Vernünftige Unternehmer hätten gleich ja gesagt!' meint die Gewerkschaft -, stellt sich ein Erfolg auch nicht ein. Um so mehr kommt es darauf an, das absehbare Ergebnis als Erfolg verkaufen zu können.

Die Erfolgslüge wird also das einzige sein, was den Gewerkschaftsmitgliedem von diesem Streik bleibt: Sie stehen hinterher garantiert blöd da.

Ein Arbeitskampf neuen Typs: nur Unkosten für die Streikenden

Und nicht erst nachher sind die Arbeiter die Gelackmeierten. Schon während des Streiks steht nie in Zweifel, daß sein Ablauf auf ihre Kosten geht. "Wer zahlt?" ist die heißeste Frage dieses Streikfrühlings - und ist gar keine Frage. "Wieviel Geld hat die IG Metall?" "Das Gesparte reicht zwei Wochen - was dann?" "Gibt's Geld vom Arbeitsamt?" "Wo kriegt man Sozialhilfe?" - das sind die maßgeblichen, öffentlich erörterten Sorgen mitten n einem Streik! "Wer zahlt?" Geht es denn nicht bei jedem Streik darum, daß die Antwort auf diese Frage klar und deutlich heißt: "die Unternehmer!" -? Nein: bei diesem Streik offenbar nicht!

Der Streik: ein Diskussionsbeitrag zur Arbeitsmarktproblematik

Denn eine Lohnfrage haben die DGB-Gewerkschaften gar nicht aufgemacht mit ihrer sonnigen 35. Als Änderung des Verhältnisses von Leistung und dafür gezahltem Lohn zum einseitigen Vorteil der Arbeiter haben sie ihre Arbeitszeitverkürzung nie gemeint. Ihre Flugblatt-Floskeln, daß so etwas höchst wünschenswert und gerecht wäre für ein "humanisiertes Arbeitsleben", haben sie in der Öffentlichkeit und den Unternehmern gegenüber gar nicht deutlich genug widerrufen können.

Einen Rechtsstreit führen IG Metall und Partner - über Fehler im sozialen Management der Republik, die die massenhafte Arbeitslosigkeit verursacht hätten. Dabei ist der einzige Fehler, der im Spiel ist, der der Gewerkschaften, einen solchen Streit zu führen.

Denn das kann dieser Gewerkschaft gar nicht unbekannt sein, warum Leute arbeitslos werden. Als Aufsichtsräte, Arbeitsdirektoren und Betriebsräte wirkt ihre eigene Prominenz mit an so ziemlich sämtlichen Entlassungen, die hierzulande stattfinden. Da weiß sie sehr genau und respektiert sie ganz bedenkenlos die gültigen gesellschaftlichen "Sachgesetze " und die ehrenwerten privaten Interessen, die Kündigungen gebieten. Da beaufsichtigt, berät und unterstützt gewerkschaftliches Personal das Management bei einer Handhabung der Arbeitszeit, die sich alles andere als Versäumnisse zuschulden kommen läßt, wenn sie mal Kurzarbeit, mal die 55-Stunden-Woche, mal beides nach- und nebeneinander anordnet und die ganze Zeit rationalisiert, daß es kracht.

Dann hinzugehen und von einem "gesamtgesellschaftlichen Verteilungsproblem" zu schwafeln, von einem "strukturellen Arbeitsmangel" und von "arbeitsplatzkillenden" Computern und Robotern: das ist nichts als eine - akademisch aufgemotzte - Stammtischdummheit, die in die "Bild"-Zeitung und in den "Spiegel" paßt, aber nicht in ein Streikprogramm gehört. Und allen Ernstes darum zu rechten, ob die Arbeitgeber womöglich ihren "Beruf" des "Arbeitgebens" schlecht versehen hätten und die Wirtschaftspolitiker den Unternehmern zu wenig beim "Unternehmen" geholfen: das ist doch nie und nimmer ein Anliegen, für das eine organisierte Arbeiterschaft die Klamotten hinschmeißt. Genau das aber macht die IG Metall.

Gewerkschaftssolidarität: zum Recht auf Arbeit durch Armut für alle

Statt ein lohnendes Ziel hat die Gewerkschaft für ihren Streik ein moralisch hochstehendes Ziel aufgestellt. Sie will mit einer "35-Stunden-Woche", die keineswegs bloß 35 Stunden dauern soll, und mit Lohnverzicht die Arbeitgeber zum vermehrten Arbeitgeben "zwingen" und dem Staat Soziallasten ersparen. Ihre Basis hat sie dafür nicht nach ihrer Meinung und ihrem Bedürfnis gefragt. Umgekehrt: Den Einsatz für DGB-Einfluß auf die nationale Wirtschaftspolitik hat sie ihren Leuten als "Solidarität mit den Arbeitslosen" aufgeschwätzt.

Das ist nicht bloß verkehrt: Das ist eine bodenlose Verkehrung aller wirklichen Verhältnisse. Wie sollen denn Lohnarbeiter verantwortlich sein für die Entlassung ihrer Kollegen? Inwiefern könnten und warum wollten ausgerechnet sie haften für Leute, die die Kapitalisten nicht mehr benutzen wollen? Seit wann wären denn Arbeiter, die selbst nur vom empfangenen Lohn leben, die maßgeblichen Planer und Verwalter des gesellschaftlichen Reichtums, die daraus die Arbeiterschaft mitsamt ihren unbeschäftigten Teilen zu versorgen hätten? Und vor allem: Durch welches Opfer könnten sie den Entlassenen denn helfen? Es ist schon schlimm genug, wenn Arbeiter ihre Arbeit als Gut betrachten, ausgerechnet weil ihr Lebensunterhalt von ihrer Benutzung abhängt, von dem Nutzen, den sie ihrem Arbeitgeber bringen. Wenn sie sich aber auch noch gegen ihre Arbeitgeber dafür schlagen und auf Lohn verzichten sollen, um dieses "Gut" mit anderen Lohnabhängigen zu teilen, dann gerät die Selbstverpflichtung auf das Schicksal der eigenen Klasse zu einer abenteuerlichen Bettelaktion. Gebettelt wird um die mildtätige Verteilung von Arbeitsstunden auf sämtliche Lohnabhängige.

"Gekämpft" wird dann nur noch gegen die "Sturheit der Unternehmer". Genau die ist aber deren Trumpf - gegen einen solchen Kampf.

Alle Räder stehen still - weil das Kapital es will

Die IG Metall baut ihren Streik auf einer Lüge auf: auf der "menschenfreundlichen" Umdeutung des kapitalistischen Geschäftslebens in eine soziale Großveranstaltung zugunsten der Arbeiter, die so mit dem lebenswichtigen Gut "Arbeit" ausgestattet würden. Die Unternehmer setzen dagegen die Praxis ihrer Geschäftemacherei: das Ausnutzen und Entlassen zu ihrem Vorteil je nach Konkurrenzlage - eine Praxis, die die Gewerkschaft durch ihren ganzen Betriebsrats- und Mitbestimmungszirkus hochoffiziell anerkennt und unterschreibt. So blamiert sich nie und nimmer die kapitalistische Praxis vor ihrem gewerkschaftlichen Ideal, was der DGB so gerne erreichen möchte. Umgekehrt: Sein Idealismus wird durch die unternehmerischen Taten widerlegt und lächerlich gemacht.

Der Streik selbst sieht entsprechend aus. Die Gewerkschaft will ihrem Gegner, den sie als "Wirtschaft" schätzt, keinen Schaden zufügen. Nur eine Handvoll Betriebe will sie lahmlegen. Das taugt nicht dazu, Zwang auszuüben; ist darauf ja auch gar nicht berechnet. Nicht mehr als eine bloße Demo will die Gewerkschaft abziehen. So hat die Gegenseite alle Freiheit zum Zuschlagen. Und das tut sie auch; sie ist da kein bißchen zimperlich. Die Unternehmer machen ihre Betriebe dicht; teils nach Arbeitskampfrecht, teils mit - der Begründung "Ersatzteilmangel infolge Streik". Wäre letzteres wahr, eine richtige Gewerkschaft hätte Grund zum Jubeln. Sie hätte die Stelle erwischt, von wo aus binnen weniger Wochen das deutsche Kapital weitgehend lahmzulegen wäre. Aber die Unternehmer wissen nur zu gut, mit wem sie es zu tun haben. Sie zwingen der Gewerkschaft Arbeitskampf-Dimensionen auf, die die Arbeitervertretung um jeden Preis vermeiden wollte. Denn in diesen Dimensionen ließe sich der Streik nur noch gewinnen, wenn er mit einer massiven Schädigung der Unternehmen vorgeht und auch damit endet, daß die Arbeitgeber weniger Leistung zu verlangen und viel mehr Geld zu zahlen haben. Die Gewerkschaft müßte eine Todsünde gegen die Marktwirtschaft begehen - deren heiligen Geist sie doch gerade retten will! So durchkreuzen die Unternehmer das verrückte Gewerkschaftsanliegen, mit bloß symbolisch gemeinten Streiks "Solidarität mit den Arbeitslosen" üben zu lassen und die Arbeitgeber in ihre Einheitsfront des wirtschaftspolitischen Idealismus einzureihen. Sie durchkreuzen es, indem sie daraus einen Kampf machen.

Statt Streikgewalt - organisierte Ohnmacht

"Würde man die 'kalte Aussperrung' akzeptieren, wäre jeder Streik von vornherein aussichtslos. Die Tarifautonomie wäre im Eimer. Das Streikrecht, das im Grundgesetz festgeschrieben ist, wäre kaputt..." (metall-Zeitung, Sonderausgabe vom 21. Mai)

Das ist die Antwort einer "kämpfenden" Gewerkschaft, Marke DGB. Mitten im Streik bekennt sie sich dazu, daß Streik eigentlich gar nicht geht. Absolut selbstverständlich ist es diesem Verein, daß die Unterbrechung der Arbeit weniger eine Schädigung des Kapitals bewirkt als einen Opfergang der Arbeiter bedeutet. So selbstverständlich, daß er gleich folgert: Arbeitsverweigerung kann auch gar kein Mittel der Arbeiter sein. Streik ist nur erlaubt, wenn eigentlich alles weiterläuft wenn alle nicht bestreikten Betriebe genug zum Weiterproduzieren haben; wenn die deutsche Wirtschaft keinen Schaden leidet - "also" ist er unmöglich, wenn die Gegenseite sich nicht daran hält und den Streik schlimmer macht, als er ist und gemeint ist.

So verurteilt diese "größte Einzelgewerkschaft der Welt" sich selbst zur Ohnmacht. Das einzige "Mittel", über das sie noch verfügen können will, ist die ohnmächtige Beschwerde an die Adresse der Politiker, sie dürften den Unternehmern einen solchen Arbeitskampf nicht erlauben. Und das Gejammer darüber, daß Kohls Regierung es doch tut.

Gegen "Rechtsbeugung" von oben eine Verbeugung vor dem Recht unten

"Neuer Anschlag der Rechtsregierung aus CDU/CSU und FDP auf die Rechtsordnung der Bundesrepublik: Nur wenige Tage, nachdem sie mit ihrem Versuch gescheitert ist, Steuerhinterziehern aus der Wirtschaft und korruptionsuerdächtigen Politikern aus den eigenen Reihen Amnestie zu gewähren, hat sie in einem abgekarteten Spiel mit den Arbeitgebern und der Bundesanstalt für Arbeit beschlossen, daß den vom Produktionsstop indirekt betroffenen Arbeitnehmern außerhalb der Streikgebiete kein Kurzarbeitergeld gezahlt werden soll. ... Die Situation ist dramatisch. Wenn jetzt die Arbeitnehmer in diesem Lande zusammen mit ihren Gewerkschaften nicht die Reihen schließen, wird der Rechtsbeugung Tür und Tor geöffnet - das Amnestiegesetz ist dagegen nur ein kläglicher Putschversuch gewesen." (metall-Zeitung, Sonderausgabe uom 21. Mai)

Weil die Gewerkschaft mit ihrem Streik den Unternehmern keine Kostenfrage aufzwingt, haben Kapital und Staat freie Hand, das Streiken für die Arbeiter kostspielig zu machen. Weil die Gewerkschaft der Wirtschaft nicht schaden will, kann die Wirtschaft nach Belieben über ihre Lohnabhängigen Schaden verhängen.

Die Antwort der Gewerkschaft: Sie wirft sich in die Pose des Rechts-Anwalts der Betroffenen. Dabei geht es ihr tatsächlich mehr ums Recht als um die Betroffenen. Wie könnte einer Gewerkschaft sonst mitten in einem Streik, den die Gegenseite zu harten Schlägen gegen den Lebensunterhalt der Arbeiter nutzt, der Bonner Amnestiegesetzesplan einfallen? Was gäbe es sonst für einen Standpunkt, von dem aus "Not und Elend" für "Millionen von Arbeitnehmern und ihre Familien" (metall-Sonderausgabe) ungefähr dasselbe sind wie die Nicht-Bestrafung von ein paar Arbeitgebern? Absurd, beides in einem Atemzug zu nennen - es sei denn, man will gar nichts anderes mehr sein als Fanatiker einer sauberen Republik.

Gegen "Rechtsbeugung" streikt man als deutsche Gewerkschaft natürlich erst recht nicht. Dagegen "schließt" man "die Reihen" und fährt am 28. Mai nach Bonn. Dort "können" dann die Massen "zeigen, daß sie sich nicht von einigen Herren entmündigen lassen" (metall-Sonderausgabe). Eine folgenlose Demonstration mit empörten Reden - vor einem Publikum, das seinen Streikstempel fürs Streikgeld an diesem Montag nur in Bonn bekommt: Warum wohl?

Das war dann der Höhepunkt des Arbeitskampfes.

Wenn Karteileichen streiken müssen...

Die Basis stellt sich auf Macht und Ohnmacht der Gewerkschaft ebenso sachgerecht wie falsch ein. Die Zumutung, sich gewerkschaftsidealistisch für Wirtschaft und Gerechtigkeit, für Arbeitslose und das Steuerrecht verantwortlich zu erklären, verfängt zwar nicht so besonders. Aber daß ein Streik unmöglich für Vorteile und fürs Durchsetzen da ist; daß ein lohnender Kampf verboten und schon allein deswegen unmöglich ist: diese Gewerkschaftsdoktrin ist angekommen und wird von unten beherzigt.

Sorge Nr. 1: "Ist der Arbeitskampf überhaupt zulässig?" "Er ist es!" teilt die Gewerkschaft ihren Mitgliedern beruhigend mit. Bei "großen" Streiks gewährleistet das ganze Brimborium von Antrag, Genehmigung, Abstimmung, Prüfung, "amtlicher" Festsetzung des Streikbeginns die Rechtmäßigkeit. Bei Warnstreiks wird extra fett und groß gedruckt, unter der Überschrift "Auch das Recht ist auf unserer Seite", versichert: "Solidaritätsstreiks werden vom geschäftsführenden Hauptvorstand beschlossen und ausgerufen. Wer dem Aufruf der ÖTV folgt, kann sich darauf verlassen: Er handelt rechtmäßig." (ÖTV-Flugblatt) Der DGB rechnet eben nicht mit Kämpfern, sondern mit rechtschaffenen Biedermännern, die keinen Grund, sondem einen demokratisch-rechtsstaatlichen Stempel und Ausweis sehen wollen, wenn es vor dem Werkstor heißt: "Heute dicht!"

Sorge Nr. 2, logisch anschließend: "Wer zahlt uns den Ausfall?" Da steht sich gut, wer die Warnungen seiner Gewerkschaft rechtzeitig beherzigt und mit seinem Beitritt eine Versicherung gegen Streikschäden abgeschlossen hat. Wie bei der richtigen Teilkasko kann er jetzt, mit seinem guten Recht bewaffnet, zu den Stempelstellen der IG Metall laufen, sich in die richtige Warteschlange einordnen und vom Funktionär hinter dem Schreibtisch den Laufzettel zur Streikgeldzahlstelle ausfertigen lassen. Das ist sie dann: seine gewerkschaftliche Kampfbereitschaft!

Kalkulationen mit den fälligen Opfern: So spaltet die Einheitsgewerkschaft

Und was ist mit den "kalt" ausgesperrten Kollegen, denen das Arbeitsamt kein Kurzarbeitergeld zahlt?

"Der Vorsitzende der IG Metall, Hans Mayr, sprach von einem 'schwerwiegenden Problem', doch denke die IG Metall nicht daran, weitere Urabstimmungen in anderen Tarifbezirken durchzuführen, um mit der Vergrößerung der 'Streikfront' die dann die Zahlung von Streikgeld erlauben würde - das Problem zu lösen. " (Frankfurter Rundschau, 22. Mai)

Das also ist die letzte materialistische Berechnung von Opfern gewerkschaftlicher Streiktaktik und unternehmerischer Erpressung, mit der die IG Metall es zu tun bekommt: Streiken, um den gewerkschaftsrechtlichen Formvorschriften zu genügen und so wenigstens ans Streikgeld zu kommen! Das findet der Vorstand einerseits vereinspolitisch gut:

"Nach Mayrs Worten ist das Motiv für Arbeitnehmer, der IG Metall beizntreten, durch die aktuelle Entwicklung in diesem Arbeitskampf günstiger als es früher war!" (FR, wie oben)

Andererseits ist es ein "Problem" der Betroffenen, für das ihre Interessenvertretung nicht haftbar gemacht werden will. Folglich hat die IG Metall dritterseits selber ein Problem, und zwar wieder ein vereinspolitisches:

"Wie Mayr während einer Pressekonferenz am Moxtag in Frankfurt weiter sagte, hoffe er, daß sich der Ärger der Mitgfieder nicht gegen die Gewerkschaft richte, sondern gegen die Bundesregierung und die Bundesanstaft für Arbeit, die für diese ,eindeutig politische Entscheidung' verantwortlich seien." (nochmals FR vom 22. Mai)

Das ist logischerweise die Kehrseite einer Streikmoral Marke DGB. Als Opfer einsetzen läßt man sich, solange die eigenen Opfer einigermaßen entschädigt werden. Anderenfalls fühlt die Basis sich betrogen von ihrer "Interessenvertretung". Und die staats- und wirtschaftstreue Öffentlichkeit kann schwelgen in Dokumenten gewerkschaftsfeindlicher Enttäuschung.

Innergewerkschaftliche Demokratie: Die Führung verordnet die Opfer im Namen der Basis

Wie kann es dazu kommen, daß die Gewerkschaft sich mitten im Arbeitskampf den Haß großer Teile ihrer Basis zuzieht? Daß alle ihre Gegner sich gegen die Gewerkschaft auf die Interessen genau der Leute berufen, deren Interessen die Gewerkschaft vertritt? Die Antwort ist einfach. Die DGB-Vereine haben sich auch vor dem jetzigen Arbeitskampf nie darum geschert, ob ihre Aktivitäten mit den gewöhnlichen Interessen und Berechnungen ihrer Mitglieder im Einklang waren. Sie haben nie das Problem gehabt, die Basis hätte vielleicht anderes im Sinn als wirtschaftspolitische Ideale und die Moral falscher Solidarität. Sie haben sich darauf verlassen, daß die Arbeiter ihnen desinteressiert gegenüberstehen und gar nicht auf die Idee kommen, ihre Gewerkschaft als ihr Kampfinstrument zu betrachten und zu fordern. Die DGB-Politik hat sich nie an den materiellen Bedürfnissen der Mitglieder bemessen, weil die ihrerseits auch nicht ihre Interessen zum Maßstab der Gewerkschaftspolitik gemacht haben.

So ist der Streik der IG Metall mit den Opfern, die er schafft, die Rache an den Arbeitern dafür, daß sie ihre Interessensvertretung nie als solche benützt haben. So werden sie mitsamt ihren gewerkschaftlichen Versicherungsillusionen ein weiteres Mal benützt.

Gewerkschaftskritik von unten: "Ohne mich"

Wenn die Basis jetzt, gewerkschaftskritisch bis feindlich, die Frage nach der Schuld an den Streikopfern aufwirft, dann ist sie durch ihren Schaden nicht klug geworden. Im Gegenteil: So nimmt man bloß endgültig davon Abstand, einen gewerkschaftlichen Kampf für die eigene Sache überhaupt in Betracht zu ziehen. Der eigene Verein gilt jetzt erst recht als eine fremde Institution, deren Politik man nicht mehr machen, sondern nur noch stammtischmäßig e- und verurteilen will.

Fürs eigene Durchkommen setzt eine solche Arbeiterschaft nur noch auf die - vom Kapital gebotene oder vorenthaltenc Gelegenheit, arbeiten zu dürfen. Daß Arbeiter ein Mittel brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu verteidigen: die organisierte Arbeitsverweigerung zum Schaden des Kapitals, kommt da gar nicht mehr in Betracht. Daß es dafür eine Gewerkschaft braucht, daran erinnert sich schon kaum einer mehr.

Kampfmittel: Arbeitskraft anbieten

Dieser Verrücktheit leistet der DGB wiederum seinen letzten Dienst. Die ausgesperrten Opfer des Arbeitskampfes läßt er zu Demonstrationen der Verzweiflung darüber antreten, daß sie sich außer geregelter Lohnarbeit nichts vorstellen können, worauf sie setzen können. So kommt es zu dem aberwitzigen Schauspiel, daß mitten in einem Streik Massen von Arbeitern unter IGM-Führung und unter DGB-Transparenten durch die Straßen laufen mit der dumpfen Jammer-Parole: "Wir wollen ar-bei-ten! Wir wollen ar-bei-ten!"

Das Traumergebnis aller Demokraten: die Lüge von der Ohnmacht der Arbeiter, durch Streik bewiesen

Alles in allem: ein enorm konjunkturgemäßer Streik. Sein Ergebnis ist so grundsätzlich wie banal. Es besteht in dem "Beweis": 'Arbeiter haben keine Alternative. Für sie bietet sich schlechterdings nichts Lohnendes auf der Welt außer dem Arbeiten. Und das Arbeiten richtet sich nach dem Arbeits-"Markt", der viele auch noch um diese einzige Chance bringt, sowie nach dem Arbeitsplatz, der - solange man ihn hat - mit Lohn und Leistung praktisch die Hoffnung widerlegt, er wäre eine Chance. Denn über Arbeitsmarkt und Arbeitsplatz entscheidet nichts und niemand als: die Gesetze aus Bonn und die "Sachzwänge" der Marktwirtschaft. Dagegen haben Arbeiter kein Mittel. Sie dünfen meckern - demonstrativ, einen Tag lang in Bonn -, aber müssen sich beugen.'

Sich überhaupt nur noch nach dieser Lüge zu richten: diesen Fehler bleut der Streik der IG Metall den Arbeitern der Kohl-Republik ein.

Übrigens:

Das genaue Gegenteil wäre daraus zu lernen: - Wenn man den Staat sein Recht setzen läßt und ihn höchstens an Rechtsgesinnung überbieten will, dann sorgt er für die gesellschaftlichen "Spielregeln", nach denen Arbeiter nur ein "Lebensmittel" haben: sich benutzen lassen.

- Wenn man die Wirtschaft ihre Geschäfte verrichten läßt und höchstens deren Wirkungen verschönern will, dann unterwirft sie die Arbeiter total den Konjunkturen ihres Erfolgs.

- Wenn man die Gewerkschaft machen läßt und nicht zum Mittel der eigenen Interessen um- oder neugestaltet, dann haben die Arbeiter gegen Staat und Wirtschaft keine Chance.

Wie Bild gegen den Streik hetzt

1. "BILD bekommt Leserbriefe, in denen die 35-Stunden-Woche scharf abgelehnt wird."

2. "Das Ausland jubelt!"

Weil Unternehmer lieber ihren Betrieb zumachen und so der 'Volkswirtschaft schweren Schaden' zufügen? Weil die Einheitsfront von Staat und Kapital endlich durchsetzen möchte, daß es deutschen Arbeitern mindestens ebenso dreckig geht wie ihren Kollegen in Taiwan und Singapur?

3. Die Regierung ist dagegen! "Blüm: Beendet das Trauerspiel."

Das muß als Argument doch reichen für einen deutschen und demokratischen Arbeiter. Bekanntlich weiß Bonn am besten, was gut für ihn ist.

4. Gefahr für Steuern! Blüm: "Dieser Arbeitskampf gefährdet die Steuerreform."

Klar, die Panzer für die Landser sind bestellt und die Steuergeschenke fürs Kapital fest versprochen. Da kommt's auf jede Mark an, die einem streikenden Arbeiter nicht zwangsweise abgezogen werden kann.

5. Die Hausfrauen sind dagegen! "Wenn Männer streiken, haben wir Frauen meistens das Nachsehen."

Weil der Alte auch tagsüber zu Hause rumhängt? Nein, weil das Geld, mit dem auch normalerweise "ganz schön gezirkelt werden muß", nicht reicht. Das wäre doch wirklich der einzige gute Grund für Streik. Aber darauf kommt die BILD-Hausfrau natürlich nicht: "Ich will mich nicht in den Streik einmischen; davon verstehe ich zu wenig." Dann halt auch gefälligst die Klappe, du Hausdrachen!

6. Lebensgefahr für Streikposten.

Schon drei wurden bislang angefahren. Die Täter: Wahrscheinlich überzeugte BILD-Leser!

7. Große Scheiße für Call-Girls.

"Domina: Heute hat noch keiner angerufen!" Eine "kalte" Aussperrung...

Bedenken gegen einen Streik - wären gute Gründe für seinen Erfolg

Alle Welt warnt vor den drohenden Folgen eines Arbeitskampfes. Man sollte das einmal so sehen, daß diese beklagten Folgen doch eine gute Waffe wären, dem Gegner Zugeständnisse an die Arbeitnehmer abzufordern. Zum Beispiel:

"Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik entspricht im Augenblick der Entwicklung der Natur: Die Bäume und die Knospen sind gerade aufgebrochen. Wenn jetzt ein kalter Frost über die Blüten geht, ist die Ernte kaputt." (Kanzler Kohl)

Also nichts wie ran an das zarte Pflänzchen! Wenn Politikern und Unternehmern so sehr an ihm liegt, muß man ihre geliebte Ernte gefährden, damit sie nachgeben.

"Der drohende Streik hat gestern nacht am New Yorker Devisenmarkt zu einem weiteren Kursverfall der D-Mark und zu einem weiteren Anstieg des Dollars geführt. Er kostet jetzt 2,74 Mark." (Bild am Sonntag)

"Bei einem Arbeitskampf könnten wir nicht alle Aufträge pünktlich erfüllen. Kunden würden zur Konkurrenz abwandern." (Bosch-Vorstand)

Ausgezeichnete Aussichten für einen erfolgreichen Streik. Wenn er Unternehmern so weh tut, sollen sie halt Lohn und Arbeitszeit rausrücken.

"Eine Woche Streik in einem wichtigen Zulieferwerk, dann stehen auch bei uns die Bänder still."

Noch besser: Je mehr Arbeitgeber der Streik trifft, umso größer sind die Erfolgsaussichten.

Denn merke: Streiken und sich gleichzeitig Gedanken um die Wirtschaft, den Aufschwung und die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmer machen, ist ein Unding. Den Gegner merklich schädigen - nur das kann etwas bringen.

Das Streikmodell für eine deutsche Modellgewerkschaft

Daß BMW und andere Automobilwerke vom Streik der IG metall "kalt überrascht wurden, ist derzeit eine der beliebtesten Kritiken an der Gewerkschaft, mit der auch Gewerkschafter nicht hinter dem Berg halten: Hätte man nur rechtzeitig erfahren, welche Zulieferer wann bestreikt werden, dann hätten die Werke vorher die Lager auffüllen können und könnten jetzt weiterproduzieren, als wäre nichts geschehen.

Also: Wenn schon gestreikt werden muß - dann aber bitte so, daß keiner was davon merkt! Ein Streik, der auch noch Auswirkungen hat - das ist ja wohl das Allerletzte! Sollte es tatsächlich war sein, daß sich die IG Metall und ihre treuen Mitglieder den Streik s o vorgestellt haben:

14.2.

Bei den Zulieferern in Baden Württemberg beginnen die Sonderschichten, um die Vorräte für die Zeit des Streiks zu produzieren. Die Sonderschichten laufen bis Streikbeginn.

Anfang März

Die ersten Streikdrohungen werden laut. Die Unternehmer geben sich gelassen und ordern Kolben, Kühler und Lichtmaschinen auf Vorrat.

2.3.

Bosch gibt bekannt, daß in der Streikwoche dringend notwendige Umbauarbeiten in den Hallen vorgenommen werden sollen.

5.4.

Die Auslieferung der Teilevorräte beginnt. Sonderschichten für Transportarbeiter.

8.4.

Streikbeginn. Bosch und Mahle rationalisieren derweil, bei Kolbenschmidt und Behr ist Betriebsurlaub, damit der Produktionsausfall im Sommer geringer ist. Bei BMW, VW, Daimler usw. läuft alles normal.

5.

Bei BMW beginnt vorsichtshalber eine Woche Betriebsurlaub, für den Fall, daß der Streik noch andauert.

1.5.

Da der Streik rechtzeitig beendet war, beginnen bei BMW die Sonderschichten, um den Produktionsausfall aufzuholen.

Recht so?!