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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1984 erschienen.

Systematik

Reagans "Krieg der Sterne"
VORWÄRTSVERTEIDIGUNG VOM WELTRAUM AUS

Die USA haben vor, auch noch den Weltraum um die Erdkugel herum mit Waffen vollzupflastem. Präsident Reagan hat es neulich angekündigt, im vorigen Monat ist die "nukleare Planungsgruppe" der NATO in den neuen Aufrüstungsschritt eingeweiht worden.

In Reagans Ankündigung war von dem "Menschheitstraum" die Rede, endlich von der "Abschreckung" zu richtiger "Verteidigung" und echtem "Schutz" zu gelangen. Für die Abwehr feindlicher Angriffe wären die neuen Waffensysteme gedacht, also harmlos und moralisch einwandfrei. Natürlich wurden auch Bedenken laut: Ob ein solches System denn auch zuverlässig funktionieren könne, wurde da gefragt. Ob die 100prozentige Sicherheit nicht doch trügerisch wäre?

Solche Sorgen sind albern - denn Reagans Versprechen von Schutz und Verteidigung ist eine einzige Heuchelei. Waffen, moderne Raketenwaffen zumal, sind allemal dafür gedacht und darauf ausgelegt, die Waffen des Feindes zu zerstören. Besiegen heißt Entwaffnen. Was soll da der moralische Unterschied zwischen "offensiv" und "defensiv"? Reagans "Defensivwaffen" sind das "Offensivste" von der Welt, sie sollen geradezu das Ideal einer Angriffswaffe werden: geeignet, das gegnerische Raketenarsenal am Boden oder spätestens beim Abschuß zu zerstören. Was macht es da schon aus, wenn der "Schutzschirm" am Ende doch löchrig ist und ein paar Riesenbomben des Feindes durchkommen? Die Toten wären gut angewendet. Die Chance heißt ja: den Feind wehrlos machen.

Und wozu will man die Russen wohl wehrlos haben?

Der "Krieg der Sterne" wird sehr heimatnah geführt!

Die weitere Aufrüstung der NATO - mit den hunderten neuen Atomraketen in Westeuropa, mit neuen Bombern und Luftgeschwadern, mit neuen Raketentypen in den USA und einer wieder einmal runderneuerten Bundeswehr, mit chemischen Waffen und spanischen Hilfstruppen... ist jedenfalls nicht abgesagt worden im Hinblick auf den versprochenen "Schutz aus dem Weltraum". Im Gegenteil! Keine Weltgegend und keine Waffengattung wird vergessen beim Ausbau der westlichen Kriegsmacht. Es ist, als wäre mit der Aussicht auf eine strategische Entwaffnung der Sowjetunion der NATO-Bedarf an sämtlichen übrigen Gewaltmitteln erst recht ins Unermeßliche gewachsen.

Und dieser Eindruck täuscht leider nicht: Es ist tatsächlich so - nach der Logik der "Verteidigung", die die NATO schon seit über drei Jahrzehnten plant und vorbereitet. Wenn die Drohung der strategischen Atomwaffe der Sowjetunion erst einmal "im Griff" ist, dann hat der Westen ja endlich freie Bahn, um dem kommunistischen Feind mit Drohung und Gewalt auf jeder "Ebene" zu kommen. Wenn man ihn auf der letzten und höchsten "Eskalationsstufe" entwaffnen kann, dann winkt der Kriegsplanung auf "kleinerer" Stufe endlich eine Aussicht auf Erfolg - also "muß" man sich auf jeder "Stufe" tüchtig anstrengen, um den passenden Erfolg im passenden Moment auch herstellen zu können.

Ein Schutz sind Reagans Weltraumwaffen also durchaus: der beste und höchste Schutz für sämtliche Kriegspläne, die die NATO-Führung in der Schublade hat. Je wirksamer die amerikanische Anti-Raketenwaffe, um so realistischer jedes Vorhaben, die Sowjetunion kriegerisch zu erpressen. Und je realistischer solche Pläne, das ist klar, um so mehr Panzer und Kriegsschiffe müssen her; um so sorgfältiger müssen die Munitionsarsenale gefüllt, um so mehr Militärflugplätze müssen gefechtsklar gemacht werden - all das eben, was sich m Frühjahr 4 n der Bundesrepublik abspielt: An der deutschen Nordseeküste, im Großraum Frankfurt, in sämtlichen Garnisonsstädten der Republik - und nicht nur dort. Denn es ist kein ferner "Krieg der Sterne", für den Reagan aufrüstet. Der Krieg, für den er Weltraumwaffen in Auftrag gegeben hat, wird sehr heimatnah vorbereitet und, wenn's soweit ist, sehr irdisch geführt.