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DIE VERRÜCKTEN LOGISCHEN GLIEDER EINER MENSCHENKETTE
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Wie der Name schon sagt, besteht eine Menschenkette aus ganz viel Menschen. Jung und alt, Bauer und Student, Arbeiter und Christ, Handwerker und Künstler, Grüne und Pop-Sänger, SPD-ler und evangelische Pastoren - wurscht welchen Stands und Interesses -, alle Menschen, die sich in sie einreihen, bilden ihre Bestandteile. Seine Gliederung erhält das längliche oder runde Gebilde dadurch, daß sich die vielen Menschen an den Händen halten. Das tun sie deshalb, weil sie sich einig sind in dem Wunsch nach Frieden. Ihn möchten sie möglichst umfassend und raumgreifend zum Ausdruck bringen: Seht da, lauter Menschen guten Willens, friedlich; solidarisch zusammengekettet; kein Chaos, sondern wohlgeordnet; von Flensburg bis nach...; aus allen Volksschichten.
Solche Menschen verdienen es doch wirklich, vom Krieg verschont und in Frieden gelassen zu werden.
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Nichts als Symbolik ist diese Menschenkette: von einem Raketenstandort zum nächsten - als Zeichen, - daß die Menschen und ihre Heimat dazwischen von den Atomraketen betroffen sind; um einen ganzen Raketenstützpunkt - für die symbolische Demonstration, daß die braven und guten Menschen darinnen lieber einen Friedensbaum wachsen sähen; rund um einen Schuttberg, unter dem zehntausende im letzten Krieg zerstörter Häuser ruhen - als Zeichen des Eintretens für die geliebte Heimatstadt, deren liebliche Behausungen doch vom Krieg verschont bleiben möchten (wohlgemerkt, die Häuser); von Flensburg bis nach Garmisch Partenkirchen (dies die für den Herbst anvisierte Idealform der Menschenkette) - um das ganze (von Maas bis Memel ist derzeit schlecht machbar) deutsche Vaterland mit vaterlandsliebenden Gesellen zu durchziehen und zu demonstrieren, wie leid es einem um Deutschland wäre, wenn Krieg es zugrunderichten würde.
Eigenartig! Die Menschen, die sich da für solche Symbolik zusammenrotten lassen, kommen mit ihren materiellen Anliegen und täglichen Sorgen gar nicht vor!
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Eine Symbolik, die jede auch nur symbolische Kritik an der Obrigkeit, die doch wohl den Schlamassel mit den kriegsvorbereitenden Raketenwaffen in die Welt gesetzt hat, tunlichst und formvollendet vermeidet. An der Menschenkette kein Zeichen in Sicht, das nur entfernt an so etwas wie den oppositionellen Aufruf "Sprengt alle Ketten!" erinnern würde. Es ist umgekehrt: Menschen, lauter gute Menschen, schließen sich in ihrer ehrbaren, vaterlandstreuen und friedlichen Gesinnung zusammen, um die Güte, Ehrbarkeit, Vaterlandstreue und Friedlichkeit zu demonstrieren. Das war es denn auch schon. Die Befriedigung liegt eben darin.
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So sind die besten Menschenketten diejenigen, die am längsten sind, am besten von der Zugspitze bis zum Belt, noch besser das ganze als geschlossener Kreis. Das fördert das einzigartige Erlebnis, sich in der Gegend von Wanne-Eickel als Teil eines großen Ganzen gefülllt haben zu dürfen; zumal dann, wenn das Fernsehen die Kette teilweise sendet oder sie per Video gleich als Totalaufnahme zu besichtigen ist.
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Ostern ist der geeignetste Zeitpunkt fur Friedens-Menschenketten. An diesem hohen christlichen Festtag wird immerhin der bedeutenden Glaubenstatsache gedacht, daß der liebe Herr Jesus damals mit seiner Auferstehung dem Leben zum Sieg über den Tod verholfen hat. So sind denn Ostermärsche als Menschenkette die Spitze des verrückten gegliederten Demonstrationsanliegens. Dafür zu votieren, daß man weiter leben möchte, also nicht abkratzen will, an irgendwelche positiven Zwecke, Wünsche, Genüsse schon gar nicht mehr zu denken, dabei zu unterstellen, daß die eigene Herrschaft sowieso über Wohlergehen, nein, über Tod und Leben seiner Volkskörper bestimmt - das ist so ziemlich das letzte, wofür man zu Ostern nach draußen gehen sollte. Ostermarschmenschenketten machen es aber möglich.
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Welch ein Zweck! Und trotz der erwiesenen Harmlosigkeit der saublöden Demonstrationen in Kettenform erklärt die Bundesregierung zu Ostern 1984 ungerührt ihren maßlosen Anspruch: Die paar Hunderttausende von Demonstranten würden nur dem Kommunismus in die Hände spielen. Zugleich kündet das Verteidigungsministerium an, daß 1984 die ersten 1000 bis 1500 Frauen zum Dienst in der Bundeswehr antreten dürfen, nicht in die kämpfende Truppe, aber mit den "gleichen Chancen und Pflichten wie die Soldaten". - Fällt denn da keinem Teilnehmer oder Freund von Menschenketten etwas auf?