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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1984 erschienen.

Systematik

Ein Jahrhundertprogramm wird wahr
TOTALE GLEITZEIT NACH WUNSCH DER UNTERNEHMER

"Mit der Arbeit ist es so wie mit dem Wasser in der Leitung. Wenn man aufdreht, muß sie da sein, und wenn man sie nicht mehr braucht, dreht man ab." (Ein Arbeitgeberchef aus dem Gaststättengewerbe)

Das Wunschbild dieses Mannes ist längst Wirklichkeit geworden im Arbeitsalltag unserer schönen Republik. Kaum hatte die IG Metall ihre Forderung nach der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich aufs Tapet gebracht, ging bei den Unternehmern die Empörung los: Nicht machbar! Völlig unrealistisch! Dumm und Töricht! Das gäbe bei den Zeiten ja lauter krumme Zahlen hinter dem Komma, und man könnte keinen Zwei- oder Dreischichtbetrieb mehr fahren, ohne das ganze Werk durcheinanderzubringen!

Mittlerweile gibt es in deutschen Betrieben - längst vor dem Tarifabschluß - so ziemlich jede Wochenstundenzahl von 22,5 bis 38,5 und 58 in jedem anständigen Stahlwerk. Ein niederrheinischer Metallbetrieb bietet seit neuestem die 35-Stunden-Woche an.

Das Nebeneinander der verschiedensten Arbeitszeiten je nach Abteilung und Arbeitsplatz ist in deutschen Großbetrieben sowieso schon längst durchgesetzt. Sogar das "Angebot", regelmäßig jedes Wochenende 2 x 12 Stunden zu arbeiten, gibt es:

"Ihre Chance bei AGFA-GEVAERT Werk Perutz

Sie sind an einer festen Teilzeittätigkeit interessiert. Wochenende und Schichtarbeit sind für Sie kein Hindernis. Ihre Arbeitszeit gliedert sich im wöchentlichen Wechsel von 7.00-19.00 Uhr und von 19.00-7.00, jeweils am Samstag und Sonntag. Sie arbeiten so mit an jedem Wochenende 2 x 12 Stunden." (Anzeige von Agfa-Gevaert)

Technische Probleme gibt es nicht. Die Schichtpläne werden am Computer entworfen, und die 'Arbeitnehmer' kommen, wenn sie müssen, und gehen heim, wenn sie dürfen.

Inzwischen - noch vor dem Tarifabschluß - gibt es in deutschen Betrieben auch so ziemlich jeden "Ausgleich", von ein paar Mark weniger Schichtzulage bis zum vollen Lohnausgleich. Wenn die Firma ihren Betrieb für 108 oder 132 Stunden pro vWoche laufen lassen will, legt sie dafür gerne ein paar Mark auf den Tisch.

Warum die Betriebe die Arbeitszeit 'flexibel' machen

ist kein Geheimnis - für den Gewinn der Firma muß es positiv zu Buche schlagen. Dann werden von der südlichsten Autofabrik der Republik bis zum nördlichsten Reifenwerk neue Schichtpläne ausgetüftelt.

BMW hat sich zum Beispiel entschlossen, die Produktionsanlagen nicht mehr nur 80 Stunden pro Woche (plus Überstunden und die Sonderschichten) in Betrieb zu lassen, sondern von vornherein 108 Stunden von Montag früh bis Samstag nacht. Durchgesetzt wird das Ganze nicht einfach mit einer Arbeitsverlängerung für die Belegschaft, sondern mit dem 36-Wochenstunden-Modell a la BMW. Die Belegschaft hat in zwei 9-Stunden-Schichten am Tag anzutreten, der Samstag ist dabei ein ganz normaler Arbeitstag. Irgendwann sind im Schichtplan auch ein paar freie Tage vorgesehen. Der Computer rechnet dann zuverlässig aus, daß das Ganze auf zwei Monate umgelegt eine Wochenarbeitszeit von exakt 36 Stunden ergibt! Beim Reifenwerk Fulda geht's ähnlich zu. Dort hat der Rechner eine 38,5-Stunden-Woche errechnet.

Die Vorteile fur die Unternehmen: Erstens wird der Produktausstoß pro Zeiteinheit erhöht. Zweitens drückt man die Kapitalkosten, weil teure Maschinerie kurzere Zeit 'brachliegt', und steigert so den Gewinn, weil bei dem neuen Schichtmodell Überstunden- und Samstagszuschläge wegfallen. Denn wenn der Achtstunden-Tag und der freie Samstag erst einmal gestorben sind, beträgt die 'Normalarbeitszeit' eben 9 Stunden an 6 Tagen.

Viertens machen die Unternehmen das Versprechen der IG-Metall in puncto "induzierter Produktivitätseffekt" wahr. So hieß doch die gewerkschaftliche Zauberformel, nach der eine Verkürzung der Arbeitszeit "naturgemäß" zu einer Steigerung der Arbeitsintensität führen soll. Nur daß die Kapitalisten nicht auf die Erlaubnis der Gewerkschaft warten, um ihrer Belegschaft pro Arbeitsstunde mehr Leistung abzuverlangen. Im Fuldaer Reifenwerk sieht die Geschäftsleitung die Sache so: "Bei einer 10%igen Verlängerung der Auslastung der Produktionsanlagen werden in Zukunft 25% mehr Reifen täglich produziert." Der Klever Unternehmer, der seine Belegschaft mit einer 35-Stunden-Woche beglückt, geht davon aus, "daß bei einer Verkürzung der Arbeitszeit die Leistungsfähigkeit der Arbeiter höher wird und damit eine Senkung der Stückkosten erzielt wird." Da kann man lässig und "großzügig" über einen "vollen Lohnausgleich" mit sich handeln lassen.

Jahresarbeitszeitverträge und Teilzeitverträge,

die unter dem schönen Titel "individuelle Arbeitszeit" angeboten werden, sind für Unternehmen die kostengünstigste Art und Weise, ihre Mannschaften nur dann antreten zu lassen, wenn garantiert jede Arbeitsstunde mit Arbeit vollgepackt ist. Denn Produkte auf Halde produzieren zu lassen, ist für jeden Betrieb ein kostspieliges Ärgernis. Und Leute stundenweise zu bezahlen, und dann die Arbeitszeit nicht für Höchstleistungen auszunutzen, stellt erst recht ein marktwirtschaftliches 'Verbrechen' dar.

Das galt schon immer. Und daß Arbeiter sich in Sachen Arbeitszeit und Lohn an die Konjunkturen der Auftragslage der Unternehmen anzupassen haben, ist deshalb auch keine Neuheit in unserer sozialen Marktwirtschaft". Mit dem Neben- und Nacheinander von Überstunden, Sonderschichten und Kurzarbeit haben bundesdeutsche Unternehmen bisher erfolgreich diese Sorte 'Konjunkturanpassung' betrieben. So erfolgreich und reibungslos, daß jetzt mit 'flexiblen' Jahres- und Teilzeitarbeitsverträgen die 'Mängel', die die Betriebe an ihrem bisherigen Instrumentarium auszusetzen haben, aus der Welt geschafft werden.

Überstundenzuschläge entfallen, bei 'dringenden Aufträgen' kann man auf Teil- und Jahresarbeitsvertrags-'Besitzer' zurückgreifen. Dafür hat man sie ja - "Kapazitätsreserve" heißt das auf betriebswirtschaftlich. Gehen die Aufträge zurück, wird die Arbeitsstundenzahl ganz flexibel nach unten korrigiert. Damit entfallen lästige Anträge auf Kurzarbeit beim zuständigen Arbeitsamt. Womit auch noch der schöne Nebeneffekt erreicht ist, daß die Staatskasse keine "Zuschüsse " an Kurzarbeiter zahlen muß, sondern die dafür fälligen eingezogenen Arbeitslosenversicherungsbeiträge behalten kann.

Daß man in 4 Arbeitsstunden täglich wesentlich intensivere Arbeit verlangen kann als in 8, wird bei der Einrichtung dieser Arbeitsplätze selbstverständlich berücksichtigt. Deshalb bieten Teilzeitarbeiter nach dem einstimmigen Lob ihrer Anwender auch den Vorteil, "überdurchschnittliche Leistungen zu bringen". Daß diese Leute "weniger Fehlzeiten" aufweisen, hat sich ebenfalls von selbst zu verstehen. Für Ärztbesuche und Behördengänge ist die (Teil-)Arbeitszeit auf jeden Fall zu schade. Wofür hat man denn seine verlängerte Freizeit?

Angepriesen werden all diese Neuregelungen der Arbeitszeit als "zukunftsweisende Möglichkeiten, die Interessen der Arbeitnehmer und Betriebe in Einklang zu bringen."

Die Vorteile für die Betriebe liegen auf der Hand.

Was bringt die Flexibilisierung der Arbeitszeit für die Arbeiter?

Was die Arbeitszeit betrifft, darf man Abschied nehmen von einigen zentralen Grundsätzen, die bisher ein Arbeiterleben bestimmt haben. Sowohl was die Stunden pro Tag, als auch was die Tage pro Woche betrifft, verliert der Arbeitstag jede Festikeit. 5-Tage-Woche und 8-Stunden-Tag als gesetzlich festgelegter Normalfall gehören der Vergangenheit an.

Ruhe- und Freizeitbedürfnisse der Arbeiter werden von den Unternehmern auf die Tage und Tageszeiten gelegt, die ihnen in die Kalkulation passen. Alle paar Wochen sieht der Schichtplan sogar ein verlängertes Wochenende mitten in der Woche vor, "dafür", daß das Wochenende in den Wochen vorher ausgefallen ist.

Egal wieviel Tages- und Wochenstunden man arbeiten muß, wurscht ob man drei Wochen lang länger arbeiten muß als bisher - das Ganze schimpft sich "Arbeitszeitverkürzung" und "Arbeitserleichterung". Daß von einer Erleichterung für die Betroffenen weit und breit nicht die Rede sein kann, weiß jeder.

Das spielt für die jetzt geltende 'Sichtweise' bloß überhaupt keine Rolle. Per Computer wird nämlich völlig unbestechlich der Arbeitsstunden-Schnitt von mehreren Wocher ermittelt. Das Ergebnis lautet dann eben: 36 oder 37,81 oder 38,61 Stunden die Woche!

'Erleichtert' wird man als Arbeiter dafür garantiert um etliche Lohnbestandteile. Wenn Überstunden und Sonderschichten als neue Normalität gelten, sind 45-Stunden-Wochen und Wochenendarbeit auch keinen Zuschlag mehr wert.

Dankbar und froh soll man sein, wenn die Unternehmen für die geforderte Mehrleistung noch die alte Lohnsumme bezahlen - "voller Lohnausgleich" heißt das dann. Denn eigentlich hat man nur Anspruch auf 36... Stundenlöhne. Daß dieser "volle Lohnausgleich", wenn er überhaupt zustande kommt, eine betriebliche Gnade und ein Wechsel auf die Zukunft ist, wird mehr als deutlich klargestellt. Für gut bedient darf man sich dann halten, wenn man bei steigender Arbeitsleistung "bloß" um die Preissteigerungsraten ärmer gemacht wird.

Mit der Durchsetzung von Teilzeit ganz nach Bedürfnis der Betriebe wird sowieso gründlich mit dem Anspruch aufgeräumt, der Lohn, den ein Mensch für seine Arbeit bekommt, hätte seinen Mann zu ernähren.

War es das, was die DGB-Gewerkschaften mit ihrer Jahrhundertforderung wollten?

Gewollt und geplant war die Arbeitszeitverkürzung s o sicherlich nicht von den gewerkschaftlichen Tarifexperten. Bloß, überrascht oder gar empört können sie auch nicht sein über die Art und Weise, wie das bundesdeutsche Unternehmertum ihr Jahrhundertprogramm in die Tat umsetzt. Freizeitbedürfnisse ihrer Mitglieder war der Gewerkschaft nie Grund genug, eine Arbeitszeitverkürzung zu fordern. Seit Monaten bestreitet sie ihren 'Tarifkampf' mit auf Glanzpapier gedruckten Rechenexempeln, die alle dem einen trostlosen Beweiszweck dienen: Arbeitszeitverkürzung ohne Schädigung des Kapitals ist möglich! Kompromißbereitschaft in Sachen Verteilung der Arbeitszeit und "Lohnausgleich" hat die Gewerkschaft von Anfang an signalisiert - Hauptsache unter dem Strich ergibt sich eine Arbeitszeit unter 40 Stunden. Dafür hat sie mitten in der Tarifrunde sämtliche Regelungen, die dem Arbeitsleben eine gewisse Festigkeit gaben, zur Debatte gestellt.

Die Unternehmer haben das gewerkschaftliche Angebot, Arbeitszeit und Lohn der Arbeiter flexibel zu behandeln, kapiert. Wenn sie jetzt gemäß ihren Geschäftskalkulationen den praktischen Beweis antreten, wie Arbeitszeitverkürzung und Vorteil der Betriebe zueinander passen, ist das wirklich nicht verwunderlich.

Erst recht wissen Unternehmer das gewerkschaftliche Gejammer über ein "verantwortungsloses, weil für die Gesellschaft zu teures, Nebeneinander von Überstunden und Kurzarbeit" in ihrem Sinne "auszulegen". Durch ihre Teilzeit-Modelle wird zwar nicht das Nebeneinander von Über- und Unterarbeit abgeschafft, sehr wohl aber lästige Kosten, die ihnen schon lange ein Dorn im Auge waren.

Und wie weit das Ergebnis der gewerkschaftlichen Jahrhundertforderung von den jetzt schon praktizierten Firmen-Modellen entfernt ist, wird sich ja spätestens in 6 Wochen beim Tarifabschluß zeigen. Die Gewerkschaftsführung winkt jedenfalls vor Beginn der letzten "heißen Phase" heftig mit dem Zaunpfahl und beteuert, "daß sie schon immer zwischen Forderung und Ergebnis unterschieden hat". (Frankfurter Rundschau am 3. März)

Preisfrage

Schafft die 35-, 37,85-, 38,723 ... Stunden-Woche Arbeitsplätze?

Antwort Nr. 1: Ja, für die Taschenrechnerindustrie.

Antwort Nr. 2: Aber immer, für alle, die es dann noch gibt.

Antwort Nr. 3: Kein Wunder, daß kein Mensch diese Frage noch stellt.

Antwort Nr. 4: Alle Antworten sind richtig.

Gewerkschaftliche Forderung erfüllt!

Die Pfaff-Nähmaschinenfabrik in Kaiserslautern stellt seit einiger Zeit "Teilzeitfrauen" ein, die sich bereit erklären müssen, bei Bedarf auch 8 Stunden zu arbeiten.

Die IG-Metall-Betriebsräte sind begeistert: "Höhen und Tiefen der Auftragslage können besser ausgeglichen werden und das Wechselbad von Überstunden und Kurzarbeit gemildert werden. Bei Pfaff wird das schon praktiziert. je nach Auftragslage arbeiten die Leute, zum Beispiel an Automaten, gelegentlich 50 Stunden und mehr die Woche (!) mit einem entsprechenden Ausgleich in flauen Zeiten." (Frankfurter Allgemeine)

Bravo, die Leute haben ihren Betriebsrats-Job begriffen. Damit die "Höhen und Tiefen" der Auftragslage für die Bilanzen des Unternehmens abgemildert werden, wird der Wechsel zwischen Über- und Unterarbeit für die Belegschaft gleich zur Dauereinrichtung genmacht - und hat ab sofort mit einem "Bad" nichts mehr zu tun.