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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1984 erschienen.

Systematik

Heimat
NOCH NIE WAR SIE SO WERTVOLL WIE HEUTE

"Die Heimat" hat politische Konjunktur. Nicht nur in Kommunalwahlkämpfen mögen die Parteien nicht darauf verzichten, "unsere Stadt" und "unser schönes Land" zu bemühen, wenn sie sich als die geeigneten Sachwalter einer Politik herausstellen wollen, die es mit Land und Leuten gar nicht hat.

Ein Genscher im Trachtenanzug möchte schließlich nicht das Waffenarsenal der NATO von unserem deutschen Boden entfernen, sondern den politischen Aschermittwoch in Bayern zum Anlaß nehmen, der Öffentlichkeit die bei ihm am besten aufgehobenen nationalen Interessen der Bundesrepublik nach innen und außen zu verklickern. Hans Apel geht neuerdings als Berliner, obwohl offenkundig ist, daß ihn nicht die bekannte Luft, sondern die Aussicht auf die Führung der Frontstadt lockte. Und die Grünen agitieren ihre Kundschaft mit dämlichen Hinweisen auf ihre garantierte Bodenständigkeit, wobei es ihnen wie den anderen auch nur auf das politische Mandat ankommt: "Unser Himmel, Voralpenland, Biergärten, unsere Kultur und Sprache sind ein Teil von mir." (München, 1984) Politiker arrangieren solche Maskeraden, um einem Publikum, das sie selber für ziemlich verdooft halten, zu signalisieren, wie verantwortungsbewußt sie es mit "unserem" ureigenen Geschick halten gerade da, wo sich kein Mensch etwas für sich ausrechnen kann.

Wenn die Genschers Trachten tragen...

Wieso zieht die Tour mit der "Heimat" bei den Adressaten? Offensichtlich sehen sich Leute, die sich von Staatsmännern mit Grubenlampe, Schiffermütze, Sepplhosen und Pappnase heimatmäßig umspinnen lassen, auch gar nicht als Subjekt, auf deren heimelige Interessen es ankäme, sondern als Mitglieder einer Schicksalsgemeinschaft, die in die staatliche Pflicht genommen wird und in der man sich seiner Zugehörigkeit zu freuen hat. Den tollen Vermummungen der Politiker begegnet deshalb auch niemand mit der Forderung nach einem entsprechenden Verbot, sondern mit lauter Wohlwollen, Winken und Händeschütteln. -

Dabei könnte man meinen, daß sich ein Mensch unter "Heimat" ein bißchen vorstellt, daß er selber in ihr zufrieden ist. Seiner eigenen Kindheit ließe sich das immerhin entnehmen, denn die meisten werden sich zu Hause einigermaßen wohlgefühlt haben, weil Eltern eben dem Kind zuliebe für ein Leben sorgen, in dem es sich bei all seiner Unvernunft einrichten kann. Diese "kleine Welt" ist nicht zweckmäßig organisiert, und die Freiheit, sich in ihr zu tummeln, von Grund auf beschränkt. Für gefühlsduselige Erinnerungen gewiß kein Anlaß, aber doch vielleicht für den Anspruch, nur dort seine Heimat zu sehen, wo es einem gut geht.

...und die Menschen "Heimat" sagen

So materiell mag sich jedoch kaum einer "zufrieden"stellen lassen. Zufrieden muß man vielmehr sein in einer Welt, die es nicht gut mit einem meint, in der man sich aber gleichwohl einrichten will - eine von vornherein demütige Stellung vom "Leben" Gedeckelter, die sich auf ihre lebensbejahende Methode auch noch allerhand einbilden. Beim Heimweh z.B. sehnt man sich nach einem Zustand, der auf lauter Beschränkungen basierte und nur einem Kindskopf als Reich der Freiheit erscheinen konnte. Dieser Wunsch ist zwar völlig irreal, lebt jedoch munter von der Ausgestaltung des psychologischen Fehlschlusses: Ich bin für die Verhältnisse, in denen ich lebe, nicht geeignet; am liebsten würde ich mein Selbstbewußtsein durchstreichen und wieder kindisch sein. Mit dieser Selbstbezichtigung stellt sich keine bessere Welt, wohl aber ideeller Trost ein: Wie der Himmel der Religion läßt sich eine Heimat vorstellen, in der der Mensch geborgen sein könnte. Vom tatsächlichen Frust, den man mit seinen Alten immer auch gehabt hat, will solcher Irrationalismus erst gar nichts wissen; er malt ihn sich lieber als Teil einer Idylle aus: Glücklich ging's zu "damals bei uns daheim". Ein alter Nußbaum muß da nicht im Hof gestanden und nahe beim Haus kein Bächlein im Wiesengrund gemurmelt haben - diese künstlichen Requisiten haben die Dichter und Sänger unseres Volks passend für die Heimatliebe-Phantasie auf Lager. So läßt sie sich auch noch frohgemut bis wehmütig in einer schlechten Wirklichkeit genießen, was einer ganzen Industrie das Geschäft mit der Heimat erst so richtig gut laufen läßt.

Heimatlich gestimmte Menschen frönen der fixen Idee, in dieser Gesellschaft einen Platz haben zu müssen - gleichgültig, ob die ihnen einen, zugesteht, von dem sie etwas haben: Der Mensch muß doch wissen, daß er "wohin gehört", sonst wäre er arm dran! Diesen armseligen Stallgedanken hat sich nicht die Natur ausgedacht, in deren Namen er vorgebracht wird. Die Treue gibt's da nicht, mit der sich ein Mensch nach dem Motto "Right or wrong, my country" Land und Leuten verbunden fühlt, die nichts Erfreuliches zu bieten haben. Er will die Ecke der Welt, in der er lebt, nun einmal als seine begreifen - einmal mehr als eine unterm weiß-blauen Himmel, das andere mal gleich als Deutschland vorgestellt. Es macht für ihn jedenfalls Sinn, sich als ihr lebendes Anhängsel zu verstehen, bis er stirbt.

Auf solch eine tierische Ergebenheitsadresse ans andernorts bereitete nationale Geschick soll ein Vieh erst einmal kommen!

...dann nimmt die Eintracht ihren Lauf,

Politiker wissen soviel Dankbarkeit der Volksgenossen, sich der Bundesrepublik als ihrer Heimat ausliefern zu dürfen, natürlich zu schätzen. Sie wissen, daß der Tick mit der Heimat ein für sie sehr nützlicher Gedanke von Abhängigen ist, sich der Nation freiwillig zur Verfügung zu halten. Keiner der verantwortlichen Herren läßt sich diese Freiheit zum Verfügen entgehen. Im Namen "dieses unseres Landes" bemühen Politiker die Dummheit ihres Volks. Methodisch bewußt haben sie z.B. in Bayern die "Liebe zur bayerischen Heimat" gleich in die Landesverfassung geschrieben und sich einen entsprechenden Erziehungsauftrag erteilt, damit noch dem letzten Heimatfreund klar wird, daß seine Neigung nur bei konsequenter staatlicher Förderung den hohen Ansprüchen der Regierenden an die Liebe ihres Volks genügt. Heimatverbundenheit kann so staatstreu sein, wie sie nun einmal ist, einem modernen Politiker ist sie als naturwüchsige Tugend immer ein bißchen zu wenig abrufbereit. Er braucht sie schließlich nicht um ihrer selbst willen, sondern zu den speziellen Zumutungen, die er sich für sein Volk aus "politischer Notwendigkeit" heraus zurechtgemacht hat. Gegenüber dem Traum von satten Almwiesen ist er stets kritisch - entspricht er doch nicht unbedingt dem virtuosen politischen Zugriff auf die Klaviatur der "Heimat", mit dem alle Töne des Lebens und Sterbens auf ihrem Boden angeschlagen werden. Da langt nicht, daß der Volksmund singt und sagt, daß das Leben schön und Sterben der schönste Tod ist. Solch freundliche Zuneigung des Volks zu seinen Führern muß mit den tagespolitischen Gegebenheiten in Übereinstimmung gebracht werden. Das macht die vaterländische Schicksalsgemeinschaft auch erst so richtig demokratisch: Man lebt ja nicht nur einfach in "seiner" Heimat, sondern hat sich für ihr Wohl und Wehe gefälligst funktional zu erweisen. Das "Recht auf Heimat" haben die Westdeutschen darum gar nicht erst für sich zu problematisieren - sie leben ja in der BRD und sollen froh darüber sein -, sondern als das des Staats, seinem Volk demnächst ein Stück Erde unter fremder politischer Souveränität zu vermachen, auf das er auch nach einem verlorenen Weltkrieg nie verzichtet hat. Daß der Heimaterde dafür ein noch größerer Waffengang ins Haus steht, muß man der Logik unserer NATO-Politiker gemäß für unbedingt notwendig erachten.

...jedoch der Staat ietzt einen drauf:

Die politische Agitation für die "Heimat" schleift von diesem immer schon politisch besetzten Gedanken alles Urwüchsige weg: Kein Trachten- oder Schützenverein, dem der Staat die Pflege des Brauchtums nicht zur gemeinnützigen Aufgabe macht, wobei ihm selber die schönsten Einfälle zu danken sind, auf die sonst kein Mensch aus "bloßer" Heimatliebe gekommen wäre. Da ersteht der Frankfurter Römerberg mittelalterlicher als im Mittelalter, in alten Zwergschulgebäuden wird die gute alte Schulzeit zum Anfassen renoviert, im Bodensee wachsen Pfahlbauten, der Bayerische Wald darf sich als Nationalpark zum echten Urwald zurückentwickeln, und die Münchener Stadtherren und Steuereintreiber schreiten am Aschermittwoch zum segenbringenden Geldbeutelwaschen auf den Marienplatz. Der politische Aufschwung alles Heimatlichen mutet einem normalen Menschen schon allerhand zu.

Heimatliebe ist 1984 in politischer Absicht sehr kompliziert konstruiert:

"Unsere Seen und Flüsse" z.B. sind als Teil "unseres Lebensraums" auch nicht einfach heilig, "unsere Wirtschaft", die ihn vergiftet, will schließlich auch "leben". Verseuchtes Grundwasser gehört also auch zur deutschen Heimat. Und das hat man nicht einfach "fatalistisch" hinzunehmen, wie die Bürger es angeblich "blindlings" tun, sondern als "Problem der Belastung unserer Umwelt" zu wälzen. Also: Nicht "naiv" den verdreckten Himmel über den Städten, den man eh nicht anders kennt, auch noch triste Schönheiten abgewinnen, sondern sich vom Standpunkt der Heimatpflege her gewissenhaft fragen, wieviel Gift Mensch und Natur aushalten können.

Leider gibt es solch heimatbewußte Experten mehr als genug. Nicht nur alle Parteien, die versammelten öffentlichen Diskutanten bekennen sich 1984 zum "politischen Problem" des Heimatschutzes. Daß es dieses Problem gar nicht gibt, sondern "nur" die tagtägliche Praxis der Politiker und der von ihnen geschützten Freiheit der Eigentümer, Grund und Boden und was auf ihnen kreucht und fleucht fürs "nationale Wohl" herzunehmen und zu ruinieren, macht dabei weiter nichts aus: Die konkurrierenden Strategien, die die "Belastbarkeit" des Heimatlands ausloten, haben mit einer Gegnerschaft zu den gängigen Praktiken eh nichts am Hut - sie kommen "realistisch" daher und diskutieren demokratisch Vor- und Nachteile der Politik, zu der sie sich aus Verantwortung für die Heimat bekennen. Angesichts solchen Verständnisses blamiert sich jede "radikale" Vorstellung, daß "die Heimat" ein "überhaupt" zu schützender "Wert" sei. Wer so ein Ideal vertritt, setzt sich sogleich dem Verdacht aus, ein Faschist zu sein, der die Fragen der Verteidigung des Lebensraums unzulässigerweise verabsolutiert, anstatt sie wie der "differenrierter" denkende Zeitgenosse dem unglaublich schwierigen politischen Geschäft zu überantworten, an dem man problematisierenden Anteil zu nehmen hat.

Und in der Tat: Der demokratische Ruf nach Schutz der Heimat kommt heutzutage unter so urgemütlichen Titeln daher wie "Bunkerbau", "Vorwarnzeit", "Katastrophenmedizin" oder "Immissionsschütz", "Dioxin" und wie die appetitlichen Dinger noch so alle heißen. Die wahren Verantwortlichen für "unsere Heimat" sitzen eben in Bonn und sorgen dafür, daß das Vaterland nicht gemäß den bornierten Eigeninteressen seiner Kinder, sondern nach den Zwecken des NATO-Frontstaats seine Friedens- und Kriegsschäden berechnet.

Daß "die Heimat" 1984 eine Front und die Front umgekehrt die Heimat darstellt, verkörpert niemand gelungener als der von heute auf morgen sein Berliner Herz entdeckende Alt-Verteidigungsminister Apel. Er "wirbt" um die Frontstadt, die die NATO mitten in Feindesland unterhält, "wie um eine sitzengelassene Geliebte" (Süddeutsche Zeitung). - Die NATO wird's schon richten!