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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1984 erschienen.


DEUTSCHLAND, DEINE DICHTER!

"Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschentums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt Euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie Ihr." (Heinrich Heine)

Deutsche Dichter konnten nicht mehr anders. Sie mußten es hinausschreien, daß nach der Raketenstationierung die Republik im Argen liegt.

Von Heilbronn aus ertönt die Stimme des dichterischen Gewissens: "Verweigert Euch!" Sogar das Wort "Wehrkraftzersetzung" haben sie den Herrschenden vor die Füße geworfen. Aber sie haben darüber nicht ihre Unschuld verloren. Sie sind ehrbare deutsche Schriftsteller geblieben, die nicht der Gefahr des Bösen, der zersetzenden Kritik ohne das konstruktiv Positive verfallen. Aus Sorge um die heilige Kuh demokratische Verfassung, deren ideale Milch sie nicht aufhören wollen zu saufen, treten sie an, aus Sorge um Deutschland. Gegner des Systems, das auf demokratisch verfaßte Weise die Raketen hergeholt hat, möchten sie nie und nimmer sein.

"Dieser Aufruf ist von der Sorge um die Sicherheit der Bundesrepublik getragen und dem Geist von Völkerrecht und Grundgesetz verpflichtet. Deshalb erfüllt er keineswegs den Tatbestand der 'verfassungsfeindlichen Einwirkung auf die Bundeswehr'. Was auf die Bundeswehr verfassungsfeindlich einwirkt, ist das neue amerikanische Kriegsführungskonzept und die Einplanung von Massenvernichtungsmitteln für die Landesverteidigung."

Hört Euch Eure Dichter an, wie sie ihre Bedenken gegenüber dem geltenden Verteidigungskonzept der Bundesrepublik verdichten, zum Beispiel die hervorragenden Schriftsteller:

Dichter Böll

"Hier hab ich Spitzen, die feiner sind

Als die von Briissel und Mecheln,

Und pack ich einst meine Spitzen aus,

Sie werden euch sticheln und hecheln." (Heine)

Böll hat den Aufruf seiner Kollegen nicht unterschrieben. Er hält - ganz richtig - nichts von der Ideologie einer "Defensivarmee", wie sie im Aufruf vorkommt. Dann ist dieser ehrlichen rheinischen Dichternatur noch ein schlagendes Argument eingefallen, weshalb er es nicht verantworten könne, andere zur Wehrdienstverweigerung aufzufordern:

"...was die Wehrdienstverweigerung betrifft, bin ich natürlich dafür, daß die jungen Leute nachdenken und sich dieses legalen und gewaltlosen Mittels bedienen. Aber ich kann nicht auffordern zu einer Aktion, die ich nicht vollziehen muß. Ich bin schlechterdings nicht mehr wehrpflichtig."

Ein schlechterdings umwerfendes und aus der Brust gesprochenes Wort. Schließlich ist Böll noch für "eher eine Radikalisierung" des Anliegens seiner Kollegen. Auch gegen verstärkte konventionelle Bewaffnung der Bundeswehr müsse man sein. Diese Pointe gelingt Böll über die kritische Feststellung, daß das bisherige konventionelle Arsenal der Bundeswehr völlig ausreiche. Wofür wohl?

"Ich halte jeden Panzer, der angeschafft wird, für überflüssig und auch jede Handgranate. Wir sind ja nicht wehrlos.... Ich sagte ja, nicht noch mehr Waffen."

Dieser Böll weiß offenbar doch gute Gründe für Panzer und Handgranaten. Obwohl er schlechterdings nicht mehr wehrpflichtig ist, hält er die Bundeswehr natürlich für notwendig, weil sonst wären wir ja wehrlos. Und daß nicht er und seine Dichterzunft es sind, die unsere Verteidigungskraft zersetzen wollen, das möchte er doch noch extra devot hinzugefügt haben wollen. Dichter gebrauchen "Wehrkraftzersetzung" ironisch, also nicht kritisch und als Kampfansage gegen die Tötungsarmee Wehrmacht, sondern als demokratisch legale Einlassung dichterischer Freiheit. Die wirklichen Subversiven sind nicht sie.

"...ironisch verwendet... 'Wehrkraftzersetzung'... Das ist in einer Republik legal, ist nicht kriminalisierbar" (der Demokratie sei Dank!). "Wir haben uns über diesen Terminus länger unterhalten (Böll und Grass), ich habe dann noch hinzugefügt, daß unser gegenwärtiger Verteidigungsminister, zur Wehrkraftzersetzung in Anführungsstrichen mehr beigetragen hat als eine ganze Division subversiver Schriftsteller."

So unironisch vermerkt Böll sein Placet zur Bundeswehr: Der für sie verantwortliche Minister bringt sie in schlechten Ruch. Die Bundeswehr setzt der Dichter nicht in Anführungszeichen. Eben weil seine poetischen Spitzen sich auf keinen Fall zu undeutschen "Ratten" der Republik mausern möchten. Das ist ja das Schöne an demokratischen Hofschriftstellern. Sie sind schon dafür, aber pochen auch schwer auf ihr Recht, geistig gegen irgendeine Verhunzung der Republik sein zu dürfen. Das regt die dichterische Feder sehr an:

"Widerstand ist eine existentielle Selbstverständlichkeit des menschlichen Lebens. Ich widerstehe täglich."

Herzlichen Glückwunsch, Herr Böll!

Dichter Grass

"Ich bin kein Schaf, ich bin kein Hund,

Kein Hofrat nnd kein Schellfisch

Ich bin ein Wolf geblieben, mein Herr

Und meine Zähne sind wölfisch." (Heine)

Dieser Dichter ist noch wortgewaltiger als der Böll. Er verfügt über so viel dichterische Phantasie, daß er Wehrkraftzersetzung in ein "Zitat", ja sogar in "Ironie" verwandelt hat. Er kann sogar die Paradoxie glaubhaft zu Papier bringen, daß es gegen die Aufgabe der Bundeswehrsoldaten sei, wenn sie noch bessere Waffen bekommen:

"Die Intention der Schriftsteller in Heilbronn war, sich mit schwachen Mitteln schützend vor die Bundeswehrsoldaten zu stellen, weil sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt mißbraucht werden."

Dieser Günter, der sich ausgerechnet mit seiner Blechtrommel vor jeden deutschen Soldaten stellt, kennt den Punkt, wo Waffen anfangen, unmenschlich zu werden. So poetisch scharf unterscheidet dieser Geist:

"...ich habe von Waffensystemen gesprochen, die keine Waffensysteme mehr sind."

Grass kritisiert an Reagans "Kreuzzugsmentalität", daß sie abartige Politik sei: "Politik ist es nicht"; an der Bundesregierung, daß sie lauter "Fehlentscheidungen" getroffen habe. Er ist so sehr ein Fan der demokratischen deutschen Bundesrepublik, daß er über angebliche Verfassungsverletzungen - natürlich tun die Politiker dies nicht "aus böser Absicht", sondern den "Großverbündeten nachgebend" -, über die angebliche Aufgabe deutscher Souveränität an die USA zum radikalen Vorreiter Deutschlands wird.

"Meine Radikalisierung besteht darin, daß ich die Frage nach dem Grundgesetz heute radikaler stellen muß als noch vor einigen Jahren. Die Stationierung der Pershing-II-Raketen bietet eine letzte, wenn auch geringe Chance (wofür?), daß sich die Verantwortung tragenden Politiker spät, fast zu spät, der Konsequenzen bewußt werden und begreifen, was sie außerdem angerichtet haben. Wie die Wiederbewaffnung der beiden deutschen Staaten der erste zusätzliche Schritt gewesen ist, die Teilung Deutschlands zu zementieren, so ist die Stationierung von Mittelstreckenraketen nach soundsoviel anderen Zwischenschritten abermals ein Schritt in Richtung vertiefte Spaltung; größere Abhängigkeit beider deutscher Staaten jeweils von der verbündeten Großmacht."

Ob das auch zur dichterischen Freiheit gehört, wenn der Grass von der "Angst" vor den neuen Massenvernichtungswaffen aus bei der Sehnsucht nach der ganzen deutschen Nation landet? Eher schon liebt dieser deutsche Richter sein Land, für das er dichten darf, so sehr, daß er es für keine Ironie hält, sich in seinem Bemühen um ein gutes ganzes Deutschland als der bessere Hüter der bundesrepublikanischen Verfassung aufzuspielen.

"Nun bin ich der Meinung, daß Böll oder Albertz, Uta Ranke-Heinemann oder auch ich eine Menge für diese Republik tun. Wir sind es, die verfassungsschützend wirken. Wir wissen, daß diese Verfassung eine großartige ist."

Mit dieser Liebeserklärung zum Grundgesetz, in dem Waffen nur für die Verteidigung des Vaterlandes vorgesehen sein sollen, hat Grass bewiesen, daß er ein guter deutscher Dichter geblieben ist.

Zensor Raddatz

"Ich fühlte, wie über die Stirne mir

Auch manchmal etwas gestrichen,

Gleich einer kalten Zensorhand,

Und meine Gedanken wichen -" (Heine)

Und doch, obwohl Böll, Grass und andere Dichter deutlich zu erkennen geben, daß sie ihre kritischen Bemerkungen nicht gegen, sondern für ihre Republik abschießen, gibt es Leute, die darin eine Gefahr für die Bundesrepublik sehen. Nicht nur der Warner, der seine Soldaten nicht mit solchen Kritikern der Aufrüstung diskutieren lassen will, weil das für deren Ehre "unzumutbar" sei. In der Zunft der Literaten selbst erheben sich wamende Stimmen. Literaturkritiker Raddatz macht seinem Beruf alle Ehre, wenn er seine Kollegen darauf verweist, daß - im Unterschied zur DDR - hier bei uns demokratische Schriftsteller Hofdichter zu sein haben.

"Dem, was Sie (gemeint ist Grass) jetzt formulieren, wird sehr oft entgegengehalten: das ist Weimar-Journalismus. Es sei eben nicht die Aufgabe von Journalisten, Schriftstellern, Intellektuellen, unentwegt zu attackieren, Vertrauen zu unterminieren, sondern im Gegenteil, Vertrauen aufzubauen. Ein überkritischer, den Staat mittragender Journalismus sei genau das, was die Weimarer Republik zerstört habe. Da kann man fragen, wer oder was im einzelnen gemeint ist, zumal auch das Wort zersetzend fällt: Tucholsky oder Theodor Wolff, Ossietzky oder Schwarzschild? Aber es geht fast in eine philosophische Dimension hinein, in die Frage nach einer Geisteshaltung: Haben wir, Intellektuelle, Journalisten, Schriftsteller, diese Funktion, das Staatsbewußtsein eher zu stützen, Vertrauen aufzubauen - oder ist das, was im Moment geschieht, in großen Teilen der kritischen Öffentlichkeit, ob nun Böll gemeint ist oder Hochhuth, Vertrauen abbauend? Oder katapultiert man Denk- und Fühlweise einer Bevölkerung in Mißtrauen gegen ihre - immerhin gewählte - Führung hinein?"

Der Zensor Raddatz plädiert mit geheucheltem Problembewußtsein für Keimfreiheit, gegen die gefährliche Saat des Mißtrauens, welche die lammfrommen Untertanen nur auf dumme Gedanken bringe. Raddatz ist eben Literaturkritiker, der auf Form und Stil ganz genau achtet und jede schlechte Literatur sofort erkennt - an der Überkritik. Und was antwortet der so angegriffene Dichter Grass? Eben daß er und seine Kollegen "eine Menge für diese Republik tun", daß sie es sind, "die verfassungsschützend wirken", daß nicht sie, sondern andere das Vertrauen in die Führung unterminieren:

"Nicht die deutschen Schriftsteller haben das Ansehen des Parlaments geschädigt. Die Parlamentarier selber tun es, tagtäglich... Nicht die Unterzeichner der Heilbronner Erklärung haben die Bundeswehr in Verruf gebracht; der Verteidigungsminister besorgt das seit Wochen."

Nein, Deutschlands Dichter haben ihren guten Ruf nicht verloren. Sie machen sich allesamt, egal mit welch kritischer Zunge sie daherreden, um ihr Vaterland verdient, schützen mit ihrem Wort Verfassung und Bundeswehr. Mögen der Republik solche Dichter erhalten bleiben. Leute, achtet Eure Poeten! Sonst werden sie gar noch wie dazumal Heinrich Heine, was ja heute in der ersten Bundesrepublik, die es je gab, wirklich völlig fehl am Platz ist.

"Beleidge lebendige Dichter nicht,

Sie haben Flammen und Waffen,

die furchtbarer sind als Jovis Blitz,

den ja der Poet erschaffen."

(Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Alle Zitate dieses Dichters daraus.)