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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.

Systematik

Militärtagungen
WEHRKUNDE FÜR FORTGESCHRITTENE

Auf dem Felde von Strategie und Taktik führen Ideologien, die das Kriegshandwerk in ein demokratisches und friedliches Licht stellen sollen, inzwischen ein ziemliches Schattendasein. Das um so mehr, je mehr das Militär seine Aufgabe gekommen sieht.

In München trafen sich an einem Februarwochenende Strategen, Generäle, Verteidigungsminister und Militärexperten aus den Parlamenten zur Wehrkundetagung der NATO, bei der es natürlich nicht um eine militär-wissenschaftliche Disputation ging, sondern um die Auflistung aller möglichen "Argumente" fürs Warum und Wie des Zuschlagens. Kurz darauf versammelten Kanzler und Verteidigungsminister der BRD ihre Kommandeure der Bundeswehr in Travemünde. Auch hier widerlegten die praktizierenden Fachleute alle die schönen Namen, die für ihr todbringendes Geschäft erfunden sind, gleich selbst und hatten auch gar kein Problem damit.

Diplomatie

Klar war von "Angeboten zur Rüstungskontrolle", von "Dialogbereitschaft" und "zu allen Schritten bereit" die Rede, doch machte niemand einen Hehl daraus, wie ernst das Friedensangebot an die Russen gemeint war. Verteidigungsminister Wörner, der zum ersten Mal nach der Sache mit seinem verblichenen Glanz wieder öffentlich auftrat und militärisch ganz richtig seine Gloria als schärfster Verfechter aller NATO-Doktrinen wieder in Ordnung brachte, erläuterte das Friedensangebot an die Sowjetunion:

"Die neue Führung in Moskau wird allen Anlaß haben, ihre Westpolitik zu überdenken und ihren Standort neu zu bestimmen."

Schließlich war das Tagungsthema "Herausfordenng an die Allianz", und so etwas verlangt gegen den Feind immer herausfordernde Antworten: Wir stellen die Waffen auf, und ihr dürft sie überdenken!

Strategie

Deshalb betrat man dann auch schnell den noch festeren Boden der Waffen und ihres strategischen und taktischen Einsatzes. Worin sich alle einig waren, der angebliche "Nachrüstungs"gegner Ehmke nicht ausgenommen: Stärkung der konventionellen Streitkräfte hat "erste Priorität". Doch ganz ohne Ideologie wollten sie auch diese Zielsetzung nicht aufstellen, wenn sich auch der Zweck: "um die Nuklearschwelle anzuheben", sehr schnell nur als höchstens 17. Priorität herausstellte. US-Vize-Präsident Bush ließ in Abwesenheit verlesen, was da angehoben wird:

"Die konventionellen Streitkräfte der NATO müßten stark genug sein, eine glaubwürdige Verteidigung gegen einen konventionellen Angriff der Sowjets darzustellen, 'damit die NATO nicht sofort '" (ach so!) "'vor der Entscheidung einer Eskalation steht', sagte Bush. Die NATO brauche aber das ganze Spektrum der Abschreckung vor allen Formen eines Angriffs." (Süddeutsche Zeitung)

Alles klar, aber jetzt meinten weiterdenkende Strategen, daß mit der Stärkung der konventionellen Streitkräfte auch der alte Schlager "flexible response" flexibler gestaltet werden müsse. Ein Ami brachte das Reizwort "Vorwärtsverteidigung" ein, was nach Presseberichten vor allem den bundesdeutschen Strategen nicht behagt haben soll. Manfred von der Bundeswehr und ein General a.D. derselben Wehrmacht schlichteten den scheinbaren Streit. Manfred Wöirner, ohne einen neuen militärischen Begriff erfinden zu müssen:

"Aus politischen und militärischen Gründen bezeichnete Wörner auch die 'Vorneverteidigung'als 'unanfechtbar'. Ihre Aufgabe sei es, einen Angriff an der Grenze zum Stillstand zu bringen. Die Forderung nach 'raumgreifenden Operationen' über die Grenze hinweg, lehnte Wörner ab." (Süddeutsche Zeitung)

Der General, der offenbar als alter Kommißkopp den Unterschied zwischen "vorne vorwärts" und "vorwärts vorne" nicht verstanden hatte, mit der erfrischenden Einfalt eines Nachschuboffiziers, der nichts umsonst angeschafft haben will:

"General a.D. Schulze erinnerte trocken daran, daß das 'Tornado'-Kampfflugzeug nicht zur Erdkampf-Unterstützung angeschafft worden sei. Es solle Zerstörung tief in gegnerisches Gebiet tragen. Dem Angreifer dürfe nicht signalisiert werden, daß der Angegriffene alle Schäden" (jetzt fing der auch noch das Theoretisieren an) "allein zu tragen bereit sei. Wenn die NATO ihre Verteidigung als ein lineares Konzept" (= unbeweglich dem Feind erst hinterm Grenzpfahl auflauern) "begriffe, sei die Frage nach der vielberufenen Akzeptanz solcher Strategie abermals zu stellen." - Und zwar von denen, auf deren Akzeptanz es wirklich ankommt. (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

So war denn der ideologieverdächtige Begriff "Verteidigung" auch seines verschleiernden Charakters entkleidet. Dazu brauchte nicht einmal jemand auf die enge Stammverwandschaft von 'vorne' und 'vorwärts' hinzuweisen. Einem zur Praxis neigenden Tommy war aber auch diese klare Diskussion noch viel zu ideologisch umwölkt. Er dachte gleich noch ein Stück weiter nach vorne und/oder vorwärts, mit jenem Realismus, der Kriegsstrategen so entwaffnend anziehend macht:

"Der stellvertretende britische Verteidigungsminister Geoffrey Pattie betonte die Bedeutung der Offenhaltung der Seewege von den Alliierten zu den USA. Diese Seewege müßten auch (?) im Ernstfall unbedingt offen bleiben. Die NATO erwarte von ihren Mitgliedsstaaten bei militärischen Aktionen auf alle Fälle den Versuch vorheriger Beratungen. Pattie fügte jedoch hinzu: 'Es wird unvermeidlicherweise Gelegenheiten geben,'" (Gelegenheiten ist gut, oder hat die liberale "Süddeutsche" das nur falsch übersetzt?) "'wo sich die Dinge so schnell entwickeln, daß sie solch eine Beratung ausschließen, und dessen sind wir uns völlig im klaren.'" (Süddeutsche Zeitung)

Damit war wirklich alles klar, bis auf eins, die Teilnehmer der Wehrkunde-Tagung hatten den Menschen ihrer Strategie, den Soldaten vergessen, auf jeden Fall kaum berührt. Das war aber gar nicht so schlimm, denn an dieses lebendige Kriegsmaterial wurde zwei Tage später gedacht.

Innere Führung

In Travemünde war die 27. Kommandeurstagung der Bundeswehr. Und auch dort konnte man feststellen, wie wenig ideologisch verseucht doch unsere Jungs von der Truppe sind. Wörner - er sah sich dazu veranlaßt, weil er Offizieren die Diskussion mit ehrlosen Mechtersheimern verboten hatte - bewies seine saubere Haltung, indem er alle häßlichen und für einen Soldaten unzumutbaren Vorurteile über Kasernen mit der Unterscheidung zwischen 'Kasernieren' und 'Einsperren' widerlegte.

"Wer Soldaten in Kasernen einsperrt, begeht Freiheitsberaubung."

Und wenn man sie schon mal rausläßt, dann nicht auf falsche Friedensdiskussionen, sondern zum Friedensdienst auf denn Übungsplatz. Und auch Altenburg, der Generalinspekteur der Bundeswehr, tat Bahnbrechendes, um dieses die Kampfkraft der Truppe nur schwächende ideologisch; Geseiche über Sinn und Zweck der Wehrmacht auszumerzen. Sein antiideologischer Kampf spießte zielstrebig die zersetzende Ideologie vom über alles gehenden und glücklich machenden 'Frieden' auf. Dauernd Frieden - das macht müde Männer gar nicht munter:

"Einen neuen, bisher in dieser Deutlichkeit wenig gehörten Ton allerdings schlug Altenburg an, als er zum Thema 'Menschenführung' die Notwendigkeit hervorhob, den Rekruten verstärkt zu vermitteln, welchen Anforderungen sie 'im Gefecht' ausgesetzt sein würden. Der Generalinspekteur beklagte Einflüsse wie 'Anspruchsdenken, Verstädterung und Bürokratie', die das Führungsdenken vom 'Gefechtsbezug' abgelenkt hätten. Es gebe überdies kaum mehr kriegsgediente Vorgesetzte, die persönliche Erfahrungen vermitteln könnten. Heute müsse man Verbindung zu den Alliierten halten, die 'den Einsatz kennen'; die Bundeswehr solle von deren Erfahrungen profitieren." (Süddeutsche Zeitung)

So hat denn der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, der sich nicht mehr schon unter Hitler, sondern nur in der friedlichsten Bundeswehr, die es jemals auf deutschem Boden gab, seine Offiziersstrapse verdiente, gleichsam mit der Schärfe eines Feldstechers erkannt, daß die Rede von der 'friedenssichernden' Bundeswehr, die nur zur 'Verteidigung' da ist und schon weit über 30 Jahre den 'Frieden' gesichert hat, auf die Dauer nur zu intellektueller Verweichlichung führt. Alles klar: Weg mit dem ideologischen Geschwätz! Wenn die alten Haudegen fehlen oder vielmehr ausgehen, dann hilft nur "Gefechtserfahrung" und keine Diskussion über den defensiven, friedenssichernden Umgang des Bürgers in Uniform mit der nur verteidigenden Panzerfaust. Und solange dieser Frieden anhält, in dem so gelabert wird, anstatt die Waffe auf den Punkt zu bringen - das schon über 30 Jahre lang -, kann das nur zur Wehrkraftzersetzung führen.

Der Altenburg hat seine Sache auf den Punkt gebracht: Friedensideologie ist eine Sache, Kampfgeist eine andere! Aber das hat er nicht gewußt, als er seine Truppe aufmöbelte: Daß die öffentlichen Beob- und Begutachter für seine Ideologiekritik sofort empfänglich sind und einsehen, wie falsch sie bisher rumgelabert haben. Unter der Überschrift "Ein Preis des Friedens" hat nämlich ein angesehenes deutsches Blatt Altenburgs Anregung so und ganz richtig verstanden und dementsprechend kommentiert:

"Im Truppenalltag würde die Umsetzung dieses Plädoyers zunächst einmal eine härtere Ausbildung für die wehrpflichtigen Soldaten bedeuten. Dies übrigens ist ein Rezept, das der damalige CDU- Verteidigungsexperte Manfred Wörner bereits vor Jahren als Remedur gegen die Gammelei im Soldatenalltag anpries. Im übrigen ist die beklagte Entwicklung in einer 'Abschreckungsarmee' unvermeidlich.

Erstmals liegt der Sinn einer deutschen Armee eindeutig darin, einen Krieg zu verhindern, nicht ihn zu führen. Je länger dies gelingt, desto mehr schreitet die übernahme ziviler Verhaltensnormen und Denkweisen - und dies auch und gerade in spezifisch militärischen Bereichen voran. Die Probleme, die sich daraus ergeben, sind der Preis der Friedenssicherung." (Süddeutsche Zeitung)

Wenn erkannt ist, daß der Frieden selbst die Friedenssicherung behindert, dann wird bei der Friedenssicherung auch nichts mehr schief gehen.

Ein NATO-Preis

ist gestiftet worden. "der Bürgern verliehen werden soll, die sich ganz besonders um die Förderung der Ziele des Atlantischen Bündnisses verdient gemacht hätten. Der 'Atlantik-Preis' ist in diesem Jahr mit 5000 Dollar dotiert."

Nach inoffiziellen gerüchten soll der aussichtsreichste Kanditat ein amerikanischer Präsident samt Beratern sein, und zwar für die deutlichste NATO-Friedensbotschaft:

"Auf dem Globus findet gegenwärtig eine Revolution statt - eine Revolution für Freiheit und demokratische Ideale... Unsere tage der Schwäche sind vorbei. Unsere Streitkräfte stehen wieder gut da. Es ist eine Ehre, US-Soldat zu sein."

"Wir prämieren keine leeren Worte!" so der Jury-Vorsitzende G. Bush im Pentagon. Aus gutunterrichteten Kreisen in Oslo war zu vernehmen, daß im folgenden Jahr der Friedensnobelpreis der NATO für die Verbreitung des Endfriedensprogramms in Wort und Tat verliehen werden soll. Im übrigen wies die NATO-Stiftung darauf hin, daß die 5000 Dollar ein rein symbolischer Preis sind. Der vorgeschlagene Preisträger sei für die NATO unbezahlbar, und letztendlich trügen die eigenen Kosten sowieso die betroffenen Völker hüben und drüben.