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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.

Systematik

Blüms Vorruhestandsgesetz
VOR-(LÄUFIGER)-RUHESTAND MIT 59 ZUM BILLIGTARIF

Die sogenannte 59er-Regelung ist in Verruf gekommen. Das seit Jahren übliche Verfahren bundesdeutscher Betriebe, alte 'Mitarbeiter' unter Ausnutzung gesetzlicher Bestimmungen loszuwerden - 59-jährige werden mit ihrem eigenem Einverständnis entlassen und können nach einjähriger Arbeitslosigkeit Anspruch auf eine vorzeitige Altersrente geltend machen - wurde von Bundesarbeitsminister Blüm jetzt zum 'Mißbrauch öffentlicher Gelder' erklärt.

Das Arbeitsministerium hat einen Gesetzesentwurf zur Einschränkung der ab sofort mißbilligten Betriebspraxis vorgelegt. - Betriebe, die ihre 'Alten' weiter auf die bisher übliche Tour abstoßen, sollen in Zukunft neben der Erstattung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe auch zur Zahlung der vorgezogenen Altersrente für einen Zeitraum von 3 Jahren herangezogen werden.

- Diese Erstattungspflicht tritt nur dann ein, wenn ein Unternehmen Leute entläßt, die in den vergangenen 12 Jahren mindestens 10 Jahre bei ihm beschäftigt waren.

- Für Unternehmen mit bis zu 40 oder bis zu 60 Beschäftigten wird der zu zahlende Betrag auf ein Drittel bzw. auf zwei Drittel reduziert.

- Grundsätzlich nicht zur Kasse gebeten werden Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten und solche Firmen, die sich 'in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten' befinden. Den Nachweis 'erheblicher Schwierigkeiten' hat eine Firma laut Gesetzentwurf u.a. dann erbracht, wenn sie ihre Belegschaft in den letzten 2 Jahren um mehr als 15% ausgedünnt hat.

Sehr milde also, der 'Druck', den Blüm auf die Unternehmen ausüben will. Kein Wunder! Das Gesetz soll schließlich dem erklärten Zweck dienen, "das von der Bundesregierung geplante Vorruhestandsgesetz für die Unternehmer attraktiver zu machen". Und dieses 'Tarifrentner-Modell' zeichnet sich auch nicht gerade durch 'Arbeitgeber'-Unfreundlichkeit aus. Vorgesehen ist folgendes:

- 59-jährige können, durch Einzelvertrag oder Tarifvertrag geregelt, aus dem Betrieb auscheiden und dann bis zum frühestmöglichen Beginn der Altersrente ein Vorruhestandsgeld beantragen.

- Diese vorgezogene Rente muß mindestens 65% des letzten Bruttolohns betragen. Ein satter Abzug für die Betroffenen gegenüber der bisherigen Regelung. Höhere Zahlungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden.

- Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt dem Unternehmen einen Zuschuß von 40% für das Vorruhestandsgeld und die Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung. (Die Einschränkung: "Wenn für den ausscheidenden Arbeitnehmer ein Arbeitsloser eingestellt wird", kann gleich vergessen werden - eine Überprüfung ist nämlich ausdrücklich nicht vorgesehen.) Bezuschußt wird nur die Mindestrente von 65% des letzten Bruttogehalts.

- Während des Bezugs von Vorruhestandsgeld ist der Frührentner in der gesetzlichen Renten- und Krankenkasse pflichtversichert. Vom Vorruhestandsgeld sind Beiträge und Lohnsteuer wie vom Arbeitslohn zu zahlen.

- Das Gesetz gilt nur für die Jahrgänge 1925 bis 1929. Es läuft im Jahre 1988 als Termin für die Erstinanspruchnahme aus.

Warum so kompliziert? Warum entläßt man die Leute nicht schlicht und einfach ein paar Jahre früher aus dem Zwang, täglich arbeiten zu müssen - viel mehr an 'Freuden' hat der 'Lebensabend' einem Arbeiter dank Rentenhöhe doch sowieso nicht zu bieten?

Der Zustand der älteren Mitarbeiter

würde für eine solche Reform allen Grund bieten. Verschlissen genug sind sie doch, die 'älteren Arbeitnehmer'. Nach 35 Jahren bundesdeutschem Sozialstaat hat sich längst praktisch herausgestellt, daß die überwiegende Mehrheit der Lohnarbeiter die gesetzliche Altersgrenze von 65 Jahren gar nicht mehr erreicht.

Für eine Herabsetzung des Rentenalters hat sich allerdings in der ganzen Republik niemand stark gemacht. Im Arbeitsministerium hält man im Gegenteil schon die 65-Jahres-Grenze für eine zu starre Regelung, die die freie Wahl der Arbeitnehmer beschränkt. Und die Gewerkschaft jammert zwar viel über die Ruinierung der Arbeiter im Betrieb. Aber für einen früheren Eintritt in den Lebensabend zu sorgen, das hält sie nicht für ihre Aufgabe. ("Die Frage der Lebensarbeitszeit ist allein die Sache des Gesetzgebers.")

Die Lösung der Unternehmer...

Praktisch aktiv geworden sind dagegen die Unternehmer. Ihre alltäglichen und erst recht alle größeren Entlassungsaktionen ziehen sie seit einigen Jahren regelmäßig per 59er-Regelung durch. Mit plötzlicher Rücksichtnahme auf die von ihnen be- und vernutzten Alten hat das allerdings nichts zu tun.

Sich selbst ersparen die Unternehmen mit diesem Verfahren aufwendige Sozialpläne. Und außerdem steht ja-, dank den Rationalisierungserfolgen der deutschen Wirtschaft, massenhaft frischer, unverbrauchter Nachwuchs auf dem 'Arbeitsmarkt' bereit. m Vergleich mit dem Billigangebot an Jungarbeitslosen erscheinen den "Arbeitgebern" 59-jährige, die meist nicht mehr an jedem Arbeitsplatz zu benutzen sind und noch dazu einen besonderen Kündigungsschutz genießen, als ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten will. Ein Unternehmen nach dem anderen hat folglich 'sein Herz für die Alten' und die Vorzüge der 59er-Regelung entdeckt, mit deren Hilfe der Abbau und zugleich eine gründliche Verjüngung der Belegschaft durchgeführt wurde.

...und was dem Staat daran nicht paßt

Der Zweck der Unternehmerpraxis wird staatlicherseits gewünscht und gefördert. Konkurrenzlos leistungsstarke Betriebsmannschaften, die das 'Wohl der deutschen Wirtschaft' mehren, so hat sich noch jede Bundesregierung ihr Arbeitsvolk gewünscht. Die unternehmerische Freiheit, das gerade gebrauchte Arbeitermaterial mit dem auf dem 'Arbeitsmarkt' Gebotenen zu vergleichen und gegebenenfalls auszutauschen, soll deshalb nicht angetastet werden.

Das Resultat der Verjüngungsaktion stört einen Arbeitsminister Blüm nur in einer Hinsicht. Für die Finanzierung eines Gnadenbrots für nutzlose Frührentner sind die Zwangsbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung nicht gedacht. Die durch das Weiterleben der aussortierten Alten verursachten Kosten für die Staatskasse sind diesem Polit-Christen entschieden zu hoch. Deshalb moniert er, daß mit der 59er-Regelung eine Ausnahme unzulässigerweise zur Regel geworden sei - und plant eine neue gesetzliche Reglementierung der ganzen Angelegenheit: Ein Gesetz, das die Personalplanung der Betriebe nicht wesentlich stört, aber die öffentlichen Kassen entlastet.

Die Rechnung ist einfach: Statt Rentenzahlungen ab 60 (und einem Jahr Arbeitslosengeld, das auch nicht jeder Unternehmer erstatten mußte) lieber 3 Jahre lang 40% des festgelegten Mindest-Vorruhestandsgelds. Das kommt auf alle Fälle billiger.

Zur Durchsetzung dieses Programms sind dem Herrn Minister nicht zufällig die Vorzüge der hiesigen Tarifautonomie eingefallen. Er weiß, was er an seinen DGB-Gewerkschaften hat. Denen hat das Verfahren der Untemehmer, Entlassungen über die 59-jährigen abzuwickeln, als sozial und gerecht immer sehr eingeleuchtet. Nachdem nun verbindlich festgelegt wird, bis wohin die Kosten des Staates noch gehen dürfen und bis wohin nicht mehr, ergeht an die Gewerkschaften der Auftrag, sich mit den Unternehmern über die Kosten der Frührente tarifvertraglich zu einigen. Ein alter Gewerkschaftshase, wie der Kollege Blüm, kennt sich eben aus in der Gewohnheit des DGB, mit den Lohnprozenten so herumzuwirtschaften, daß immer das von oben gewünschte Ergebnis herauskommt: Was als "Teuerungsausgleich" auf den Lohn draufgeschlagen werden könnte, muß für den Tarifrententopf mit ausreichen; und was an die Vorruheständlicher verfüttert ist, steht natürlich für die Reallohnsicherung nicht mehr zur Verfügung. Was am Lebensende an Arbeitszeit abgezogen wird, kann natürlich nicht mehr pro Woche wegfallen. Wer, trotzdem früher in Rente will, muß sich das was kosten lassen. Eine klare Aufgabe für die anstehende Tarifrunde.

Von wirtschaftlicher Vemunft zeugt die Befristung des geplanten Gesetzes auf 4 Jahre. Hierdurch wird nämlich rechtlich einwandfrei festgelegt, daß aus der betrieblichen Praxis der letzten Jahre keinerlei Anspruch oder Gewohnheitsrecht der betroffenen Arbeiter auf eine Verrentung mit 59 Jahren erwächst. Durchaus konsequent!

Denn die zur Zeit gängige Frühverrentung ist schließlich nicht das Resultat der Einsicht, daß ein Lohnarbeiter mit 59 Jahren ziemlich erledigt ist, sondern verdankt sich dem Vergleich eines vernutzten Arbeiters mit dem aktuell in Hülle und Fülle vorhandenen unverbrauchten Arbeitslosenmaterial. Wie dieser Vergleich in 4 Jahren ausfällt, möchte die Regierung heute noch nicht festlegen. Wer weiß, was 'Pillenknick' und die Ehre der Nation von Deutschlands Jugend übrig lassen.

Die Regierung jedenfalls will von dem Zwang, daß man sich erst mit 65 wirklich seine Rente verdient hat, nicht lassen. Altersrente erst ab 65 bzw. 63, das gilt ab 1988 erstmal wieder unbeschränkt vorbehaltlich neuer, dann zu treffender Regelungen.

Öffentlicher Anteilnahme erfreut sich dieser Gesetzesentwurf vor allem, weil er eine dem Kapital liebgewordene, bequeme Einrichtung betrifft.

Daneben geht die Einschränkung der von Staats wegen als unerträglich definierten 'Zugänge zur vorzeitigen Verrentung' ihre vielfältigen Verwaltungswege.

- Den freiwillig Versicherten, die vor einigen Jahren mit großem Werbeaufwand für die Pflichtversicherungen geworben wurden, wird das Recht auf Erwerbsunfähigkeitsrente gestrichen.

- Angekündigt ist, daß 'nicht zu vermittelnde Erwerbsgeminderte' in Zukunft nicht mehr wie bisher einen Anspruch auf die volle Erwerbsunfähigkeitsrente haben.

- Durch die Verschärfung der Bestimmungen des Schwerbehinderten-Gesetzes wird die Zahl derjenigen, die in den 'Genuß' eines Schwerbehinderten-Ausweises kommen, und damit ein Recht auf Frühverrentung erwerben, drastisch reduziert.

Änderungen von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften, die nicht einmal diejenigen, die es betrifft, zur Kenntnis nehmen - bis es sie dann trifft. Aber hier geht es ja auch nur um die Betroffenen, und wie die damit fertig werden - und nicht um eine Betriebskalkulation, die den höchsten Respekt der Staatsautorität genießt.